Alte Ratsburg, Mürzzuschlag (Steiermark)

Mit ihren Zinnen, ihren Vorsprüngen und Erkern wirkt die sogenannte „Alte Ratsburg“ in Mürzzuschlag tatsächlich so eindrucksvoll, wie es ihr Name suggeriert. Streng genommen freilich suggeriert der Name mehr, als de facto dahintersteckt, denn weder handelt es sich ja um eine richtige Burg, noch ist meines Wissens die gern postulierte Funktion des Gebäudes als alter Sitz des Rates nachgewiesen. Auch für die oft wiederholte Behauptung, das Bauwerk sei 1382 als herzogliches Gutsamt errichtet worden, konnte ich keinerlei gesicherte Quellen finden: Mein Verdacht ist, ehrlich gesagt, dass diese bloß den unfundierten Versuch darstellt, die „Ratsburg“ mit dem (nachgewiesenen) Besuch Herzog Leopolds III. in Mürzzuschlag im August 1382 in Verbindung zu bringen. Immerhin aber dürfte der Bau, zumindest im Kern, tatsächlich aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammen. Damals spielte der Ort bereits eine bedeutende Rolle im steirischen Eisenhandel; erst 1360 hatte Leopolds älterer Bruder, Rudolf IV., das alte Recht bestätigt, dass zwischen Leoben und dem Semmering nur in Mürzzuschlag Eisen verarbeitet werden durfte.

Die Fassade, wie sie sich heute präsentiert, ist allerdings um einiges jünger. In ihren Grundzügen geht sie wohl auf das Ende des Mittelalters zurück, also auf das 15. oder das frühe 16. Jahrhundert. Ihre jetzige Gestalt erhielt sie dann jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts, als sie in romantisierender, pseudo-mittelalterlicher Form erneuert wurde. Hinter dem damaligen Umbau stand der Ski- und Tourismus-Pionier Toni Schruf, der das Gebäude als Hotel „Zur Post“ adaptierte. Schrufs Hotel wurde rasch zu einem Zentrum des frühen Skisports: So gab es von hier eine direkte Busverbindung nach Mariazell, das seinerzeit der vielleicht bedeutendste Wintersportort des Landes war, und im Jahr 1904 wurden auf Initiative Schrufs die Nordischen Winterspiele in Mürzzuschlag veranstaltet. „Toni Schrufs Hotel“, schrieb die Badener Zeitung im November 1913, „ist die Stätte der Begründung des Skilaufens in den österreichischen Alpenländern.“

Auf Schruf geht auch die Einrichtung des noch bestehenden Rosegger-Stüberls in der „Alten Ratsburg“ zurück – einer Stube im altdeutschen Stil, die als eine Art Museum für Schrufs Freund Peter Rosegger eingerichtet wurde. Glasmalereien mit dem Porträt des Schriftstellers und seines Geburtshauses zieren die Fenster, dazu gibt es an den Wänden und auf den Kredenzen Fotos und Memorabilien von Rosegger, aber auch von anderen prominenten Gästen, etwa von Erzherzog Karl Franz Joseph – dem späteren Kaiser Karl I. –, der Mürzzuschlag im Rahmen der Winterspiele von 1904 besucht hatte.

Auch wenn die „Ratsburg“ in ihrer Bausubstanz auf das 14. Jahrhundert zurückgeht, ist sie somit nicht nur ein wichtiges Denkmal des Aufschwungs, den der Ort im ausgehenden Mittelalter nahm. Mehr noch ist sie in ihrer heutigen Gestalt ein bedeutendes Zeugnis für die touristische Erschließung der Semmering-Region um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

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