Länderbericht Japan 07/2015

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LÄNDERBERICHT JAPAN

Abenomics auf holprigem Erfolgskurs

Abenomics auf holprigem Erfolgskurs Juli 2015

Japans wirtschaftliche Entwicklung dürfte sich 2015 und 2016 allmählich bessern. Wir rechnen mit einem Wachstum der realen Wirtschaftsleistung in der Größenordnung von einem Prozent in diesem Jahr und leicht Abenomics auf holprigem Erfolgskurs höheren Werten im nächsten Jahr. Japans Wirtschaft stagnierte im letzten Jahr. Dies lag vor allem an der Dämpfung der Konsumausgaben durch die Mehrwertsteuererhöhung im Frühjahr 2014.

Abenomics Premierminister auf Shinzo Abe wurde im Dezember 2014 in vorgezogenen holprigem Erfolgskurs Neuwahlen klar im Amt bestätigt. Dies sieht er als Bestätigung der „Abenomics“ an. Dringend notwendige Strukturreformen – der „dritte Pfeil“ der Politik – müssen jedoch entschiedener umgesetzt werden. 

Der Abschluss der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen Abenomics auf holprigem Erfolgskurs der EU und Japan wird in diesem Jahr angestrebt. Wichtige Ziele sind der Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen Japans und der Zölle der EU. Zudem sollte ein effektiver bilateraler Streitschlichtungsmechanismus zu nichttarifären Hemmnissen in das Abkommen integriert werden.

auf holprigem Erfolgskurs Abenomics Die deutsch-japanische Zusammenarbeit im Bereich Digitalisierung der Industrie bietet große Chancen. Strategische Entwicklungen im Bereich der industriellen Digitalisierung bieten zunehmend Kooperationsmöglichkeiten zwischen den High-Tech-Standorten Deutschland und Japan. Die Chancen, gemeinsam Standards zu setzen, müssen genutzt werden. Dadurch wird auch Abenomics auf zwischen holprigem das Drittmarktgeschäft deutschenErfolgskurs und japanischen Unternehmen vereinfacht.

Abenomics auf holprigem Erfolgskurs


Abenomics auf holprigem Erfolgskurs 30/07/2015

Inhalt Politische Lage .................................................................................................................................................... 5 Die Unterhauswahlen vom Dezember 2014 .......................................................................................................... 5 Regierungsprogramm wird vertieft ......................................................................................................................... 5 Sicherheitspolitik .................................................................................................................................................... 6

Wirtschaftliche Lage: Ende der Deflation, Erholung ........................................................................................ 6 Japans lange Krise ................................................................................................................................................ 6 Regierung und Notenbank haben zu spät und zu schwach auf die Krise von 1991 reagiert ....................... 7 Preiseinbruch auf dem Immobilienmarkt stürzte Wirtschaft in Deflation ...................................................... 8 Auf Bankensanierung folgten internationale Krise, Tsunami und Fukushima .............................................. 8 Lange Krise wirkte sich nachteilig auf Investitionstätigkeit aus .................................................................... 8 Hohe öffentliche Haushaltsdefizite waren die Folge .................................................................................... 8 Sinkende Preise wurden zum Dauerproblem.............................................................................................. 8 Verzögerte wirtschaftspolitische Reaktion ................................................................................................... 8 Wirtschaftspolitische Aufgaben heute .................................................................................................................... 9 Wachstumsausblick wieder heller .......................................................................................................................... 9

Abenomics: Japans Wirtschaftspolitik ............................................................................................................ 10 Der „erste Pfeil“: Die Geldpolitik .......................................................................................................................... 10 Die expansive Geldpolitik wirkt über mehrere Kanäle ................................................................................ 10 Anfängliche Erfolge, gefolgt von leichten Rückschlägen ........................................................................... 11 Keine guten Optionen, daher Korrektur der Ziele ...................................................................................... 11 Risiken für die Lohn- und Preisentwicklung ............................................................................................... 11 Der zweite Pfeil: Die Finanzpolitik........................................................................................................................ 12 Japans Steuerbasis bleibt zu schwach ...................................................................................................... 12 Die Staatsverschuldung steigt weiter ......................................................................................................... 12 Konsolidierungsaufgabe bleibt schwierig ................................................................................................... 13 Das Regierungsprogramm setzt die Priorität auf Wachstum, gefolgt von Konsolidierung ......................... 13 Der dritte Pfeil: Die Strukturreformen ................................................................................................................... 13 Erwerbstätigkeit kann vielfältig erhöht werden ........................................................................................... 13 Produktivitätsfortschritte sind möglich ........................................................................................................ 14 Internationale wirtschaftliche Integration muss vertieft werden .................................................................. 14 Zwischenfazit: Erfolgschancen vorhanden, Umsetzung entscheidend ................................................................ 14 Freihandelsabkommen – Nichttarifäre Handelsbarrieren im Fokus.............................................................. 16 Die Strukturveränderungen im Außenhandel ....................................................................................................... 16

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Handelspolitik mit bilateralen und regionalen Ansätzen ....................................................................................... 17 Verhandlungen mit der Europäischen Union ....................................................................................................... 18

Deutsch-japanische Wirtschaftsbeziehungen................................................................................................. 19 Die Handelsbeziehungen..................................................................................................................................... 19 Die Investitionsbeziehungen ................................................................................................................................ 20 Wissenschaftskooperationen ............................................................................................................................... 20

Industrie 4.0/Digitalisierung in Japan .............................................................................................................. 20

Fazit .................................................................................................................................................................... 21

Quellenverzeichnis ............................................................................................................................................ 22

Impressum ......................................................................................................................................................... 23

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Abenomics auf holprigem Erfolgskurs 30/07/2015

Politische Lage Japan wird seit den Parlamentswahlen vom Dezember 2012 von einer Koalition aus Liberaldemokratischer Partei (LDP) und ihrem Juniorpartner New Komeito regiert. Premierminister Shinzo Abe trat sein Amt mit dem politischen Ziel an, Japan wirtschaftlich und außenpolitisch zu stärken. Das Reformprogramm der „Abenomics“ wird international stark beachtet, aber auch sehr kontrovers beurteilt. In der Außenpolitik bemüht sich Japan unter anderem um eine größere Anzahl von Wirtschaftsabkommen und eine Vertiefung der Beziehungen zu verschiedenen Ländern in der Asien-Pazifik-Region. Die sicherheitspolitischen Konflikte mit China aus der ersten Amtszeit wichen einem kooperativeren Vorgehen beider Länder in den letzten Monaten. Eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu Europa steht ebenfalls auf der Tagesordnung. Die Unterhauswahlen vom Dezember 2014 Premierminister Shinzo Abe löste überraschend das Unterhaus im November 2014 auf, um sich durch Neuwahlen ein klares Mandat für seine Politik zu sichern und die aktuelle Schwäche der oppositionellen Parteien zu nutzen. Premierminister Abe sah die Wahl auch als Referendum über seine Wirtschaftspolitik an. Die Regierungskoalition aus LDP und New Komeito gewann die Wahlen klar und konnte mit 326 von insgesamt 475 Sitzen sogar eine Zweidrittelmehrheit erreichen. Die Koalition kann somit Gesetze auch gegen ein Veto aus dem Oberhaus beschließen. Die Wahlbeteiligung lag mit 52 Prozent jedoch bei einem Rekordtief in der Nachkriegszeit. Regierungsprogramm wird vertieft Die Abe-Regierung versucht seit zweieinhalb Jahren die langjährige wirtschaftliche Stagnation und Deflation zu überwinden. Mit der sogenannten „Abenomics“ soll durch eine expansive Geld- und Finanzpolitik der Wirtschaft zum Wachstum verholfen werden. Strukturreformen sollen den langfristigen Erfolg unterstützen. Deshalb sprechen die Regierung und die Medien von den „drei Pfeilen“ der Wirtschaftspolitik: eine expansive Geldpolitik durch den erhöhten Ankauf von Staatsanleihen und privaten Wertpapieren als „erster Pfeil“, eine zunächst stimulierende und im Laufe der Jahre dann an der Konsolidierung orientierte Finanzpolitik als „zweiter Pfeil“, und die Strukturreformen als „dritter Pfeil“. Insgesamt sind die Maßnahmen bei voller Umsetzung geeignet, die wirtschaftliche Lage in Japan zu stabilisieren und das Land auf einen Pfad mit positivem Potentialwachstum, moderatem realen und nominalen Wirtschaftswachstum und stabiler Geldwertentwicklung mit positiven Inflationsraten zurückzuführen. Angesichts der großen Unsicherheiten über die Wirkungsweise der Wirtschaftspolitik in einer mit gravierenden Verwerfungen sowie mit großen demografischen Herausforderungen konfrontierten Volkswirtschaft wie Japan gibt es jedoch seit vielen Jahren eine lebendige Diskussion über die Wirtschaftspolitik und ihre Wirkung. Die Koalition wird ihr bisheriges Programm nach den Wahlen fortsetzen. Auch die Notenbank hält an ihrem expansiven Kurs fest. In der Finanzpolitik wurde ein Konjunkturpaket von etwa 3,5 Billionen Yen (ca. 24 Milliarden Euro) frisch geschnürt. Mit diesen Mitteln sollen öffentliche Projekte geschaffen und Kredite bereitgestellt werden. Die Unternehmensbesteuerung soll gesenkt werden. So soll bis 2020 der Körperschaftsteuersatz auf etwa 25 Prozent absinken. Die Regierung möchte zudem wichtige Strukturreformen vorantreiben. Zu den geplanten Maßnahmen zählen die Liberalisierung des Arbeits- und Energiemarktes, die Modernisierung der Corporate Governance (seit 1. Juni 2015 neuer Code of Conduct eingeführt), das Anwerben ausländischer Investitionen, die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen, die Reform der landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Tourismusförderung. Japan strebt zudem an, den Außenhandel zu etwa 70 Prozent durch Freihandelsabkommen zu öffnen. Bislang ist nur etwa ein Viertel durch Präferenzabkommen abgedeckt. Der Abschluss des Transpazifischen Partnerschaftsabkommens und ein Abkommen mit der EU stellen somit wichtige Ziele der Regierung dar. Die drei Pfeiler der Politik bleiben auch nach den Wahlen erhalten.

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Sicherheitspolitik Ende April befand sich Premierminister Abe mit einer Delegation auf einer Mission in Washington. Abe hielt dabei unter anderem eine Rede vor dem US-Kongress. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wollen die USA und Japan ihre strategische Verteidigungsallianz stärken. Kooperationen im sicherheitspolitischen Bereich sollen auf die ganze Asien-Pazifik-Region ausgeweitet werden und Stabilität gewährleisten. Bereits kurz zuvor haben die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder eine Revision der Verteidigungskooperationsleitlinien vorgestellt. Es ist den japanischen Selbstverteidigungsstreitkräften nun möglich US-Militär auch außerhalb des japanischen Hoheitsgebietes zu unterstützen, sobald Japans Sicherheit bedroht ist. Kritik an der Ausweitung militärischer Ambitionen Japans kommt vornehmlich aus Südkorea und China. Ebenso findet im Inland eine kontrovers geführte Debatte statt. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs Nordkoreas zur Atommacht und Chinas zur Wirtschafts- und Militärmacht arbeitet Abe an der Neuinterpretation des Pazifismus-Artikels der japanischen Verfassung, mit dem Ziel, Japan regional und global stärker in sicherheitspolitische Strukturen einzubinden und somit mehr internationale Verantwortung zu übernehmen. Nach seinem Amtsantritt 2013 führte Abe einen nationalen Sicherheitsrat ein, erhöhte den Wehretat und lockerte die Rüstungsexport-Restriktionen. Die USA fordern seit längerem von Japan ein größeres Engagement in der internationalen Sicherheitspolitik. Abe bereiste bisher die meisten Länder Süd- und Südostasiens, um strategische Allianzen zu festigen und auszubauen. Eine große Rolle nimmt dabei Indien ein (Mofa 2015, Sakaki 2014).

Wirtschaftliche Lage: Ende der Deflation, Erholung Japan hat nach gründlicher Interpretation der Wirtschaftsdaten vermutlich 2013 die Kehrtwende geschafft und 23 Jahre der Deflation und der mäßigen Wirtschaftsentwicklung hinter sich gelassen. Die mittelfristigen Aussichten sollten sich daher wieder stärker im Einklang mit anderen Industrieländern entwickeln. Aufgrund der demografischen Entwicklung bedeutet dies aber nicht, dass Japan zu dynamischen Wachstumsraten zurückkehrt, sondern dass das Land mit positiven nominalen Wachstumsraten, einem Tempo des realen Wachstums von rund einem Prozent, einer Inflation von ein bis zwei Prozent und erstmals wieder steigenden Löhnen rechnen kann. Die OECD hat jüngst die Potenzialwachstumsrate auf ¾ Prozent geschätzt (OECD 2015a). Die Regierung verfolgt ein Wachstumsziel von zwei Prozent, das nach Abschluss der Reformen 2022 erreicht werden soll. Dies setzt umfassende Strukturreformen zur Mobilisierung des Potenzials voraus. Spielraum besteht vor allem auf dem Arbeitsmarkt, in der besseren Unternehmensführung sowie in der Stärkung des technischen Fortschritts. Erfolge in der Geld- und Finanzpolitik hängen eng damit zusammen. Japans lange Krise Um Japans Entwicklung zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick zurück auf die letzten viereinhalb Jahrzehnte zu werfen. Während die siebziger Jahre noch durch einen rasanten Aufstieg und ein durchschnittliches Wachstum des realen BIP von über vier Prozent geprägt waren, litt bereits in den achtziger Jahren die Leistungsfähigkeit deutlich. In den krisenhaften neunziger Jahren, nach dem Platzen des Immobilienbooms 1991/1992, sank die Wachstumsrate auf durchschnittlich 1,5 Prozent und wurde im nachfolgenden Jahrzehnt der Nullerjahre mit 0,6 Prozent erneut schwächer. In diesem Jahrzehnt legte das Wachstum mit 1,5 Prozent (real, nicht saisonbereinigt) im Durchschnitt bislang wieder etwas zu.

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Nominales und reales BIP in Bio. Yen 540 520 500 480 460 440 420 400 90

92

94

96

nominales BIP

98

00

02

04

06

08

10

12

14

reales BIP

Quelle: IWF

Regierung und Notenbank haben zu spät und zu schwach auf die Krise von 1991 reagiert Japans Bevölkerung hatte lange die Rechnung für die unzureichende Reaktion auf die katastrophale Finanzkrise von 1992 bezahlen müssen. Diese legte Wachstum, Einkommensentwicklung, Inflation und öffentliche Finanzen zwei Jahrzehnte lang auf unterdurchschnittliche Trends fest (Kawai und Morgen 2013; Koo 2015, 2008; OECD 2015a). Das Pro-Kopf-Einkommen wuchs zwischen 1991 und 2011 nur um 0,6 Prozent pro Jahr. Vermögens- und Verbraucherpreise verfielen enorm, wenn auch mit volatilen Entwicklungen. Immerhin stabilisierte sich die Trendrate der Arbeitsproduktivität bei rund einem Prozent, was im internationalen Vergleich normal ist. Die öffentliche Verschuldung stieg aufgrund der Deflation und der unzureichenden Steuerbasis stetig an. Die Primärdefizite lagen in den letzten 25 Jahren zwischen zwei und zehn Prozent des BIP. Wachstum, Pro-Kopf-Einkommen und Produktivität, 1972-2011* 1972-1981

1982-1991

1992-2001

2002-2011

Reales BIP

4,3

0

0,6

0,1

Pro-KopfEinkommen

3,2

3,5

0,3

0

Arbeitsproduktivität

4,1

3,2

1,5

0,8

*durchschnittliche, jährliche Veränderungsraten in Prozent Quelle: Kawai und Morgan 2013

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Preiseinbruch auf dem Immobilienmarkt stürzte Wirtschaft in Deflation Durch den Crash auf dem absurd überhitzten Immobilienmarkt von 1991/1992 sanken die Immobilienvermögen in der Spitze um bis zu 90 Prozent. Viele private Haushalte und Unternehmen sowie das Bankensystem mussten diese Verluste erst einmal verkraften. Die Marktteilnehmer sanierten ihre Vermögenspositionen und bauten über die nächsten zwanzig Jahre ihre Verschuldung Schritt für Schritt ab. Diese Bilanzkorrektur („de-leveraging“) bremste die Kreditentwicklung von 1994 bis 2006 stark ab. Auch nach der verspäteten Korrektur der Bankbilanzen durch ein umfangreiches Maßnahmenpaket unter der Koizumi-Regierung zur Mitte des letzten Jahrzehnts erwies sich insbesondere der Unternehmenssektor in den Folgejahren als außerordentlich risikoavers und nahm nur wenige Kredite auf. Die Kreditentwicklung ist nominal erst heute wieder auf dem Niveau von Ende der neunziger Jahre angelangt. Der japanische Unternehmenssektor wurde in diesen Jahren ein Sektor mit hohen Nettoersparnissen, eine Situation, die wiederum eine Reihe von Folgeproblemen nach sich zieht. Auf Bankensanierung folgten internationale Krise, Tsunami und Fukushima Kurz nach der Sanierung der Banken traf die japanische Volkswirtschaft dann die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, die vor allem die Industrieproduktion um ein Viertel einbrechen ließ. Immerhin erholte sich die Wirtschaft recht rasch wieder, um dann 2011 erneut durch den Tsunami, das Erdbeben und die Nuklearkatastrophe von Fukushima kurzfristig aus der Bahn geworfen zu werden. In den Jahren 2012 und 2013 erholte sich Japans Ökonomie allmählich. Lange Krise wirkte sich nachteilig auf Investitionstätigkeit aus Die lange Phase der Bilanzkorrektur führte unter anderem zu sinkenden Nettoinvestitionen, die vor der Krise von 1992 bei etwa 15 Prozent der Wirtschaftsleistung lagen, dann bis 2010 jedoch auf null fielen. Mit anderen Worten: der Kapitalstock der japanischen Wirtschaft stagnierte. Hohe öffentliche Haushaltsdefizite waren die Folge Da die öffentliche Hand die Wirtschaft nur mit massiver Verschuldung und permanent hohen Haushaltsdefiziten stabilisieren konnte, stieg die Bruttoverschuldung des Staates von unter 75 Prozent des BIP vor der Krise auf heute 226 Prozent nach OECD-Angaben an. Eine Alternative dazu gab es lange Zeit nicht. Japan hätte eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nur dann verkraftet, wenn die Banken und die Unternehmen vorher mit anderen Maßnahmen saniert worden wären, oder aber die privaten Haushalte oder das Ausland zu Nettoschuldnern geworden wären (siehe Koo [2015] zu den Zwängen der Fiskalpolitik in Japan). Sinkende Preise wurden zum Dauerproblem Angesichts der extrem schwachen Entwicklung der Kreditnachfrage in einer langen Phase sank das Preisniveau bis 2013. Fast 15 Jahre lang bauten die privaten Haushalte und die Unternehmen ihre übermäßigen Verschuldungspositionen Jahr für Jahr ab, die Geldmengenaggregate entwickelten sich extrem schwach, die Kreditvergabe der Banken bzw. die Verschuldung der Unternehmen über Wertpapiere kam kaum vom Fleck, und das Ziel der Geldwertstabilität wurde in vielen Jahren nicht erreicht. Die Entwicklung des Preisniveaus trieb die Verschuldung der öffentlichen Hand, gemessen am BIP, in die Höhe. Verzögerte wirtschaftspolitische Reaktion In den ersten fünfzehn Jahren nach Platzen der Immobilienblase in Japan reagierte die Politik insgesamt zu spät und zu schwach. Der Politikmix aus verzögerter Reaktion der Geldpolitik, anfänglichen finanzpolitischen Fehlern, unzureichender Bankensanierung und geringen Strukturreformen verschärfte die Probleme und brachte die Löhne und Preise sukzessive in rotes Territorium. Erst unter Premier Koizumi in der Mitte der Nullerjahre wurden dann die Banken saniert und einige Strukturreformen in Angriff genommen, eine wirkliche Wende bei den

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Markterwartungen und den harten Daten blieb jedoch lange aus. Mit der Politik der „Abenomics“ kann nun prinzipiell die Kehrtwende gelingen.

Inflation (in Prozent) 4

4

3

3

2

2

1

1

0

0

-1

-1

-2

-2

Kerninflation (Verbraucherpreise ohne Nahrungsmittel und Energie)

Verbraucherpreise

Quelle: OECD

Wirtschaftspolitische Aufgaben heute Eine Überwindung der Wirtschaftsschwäche in den nächsten Jahren setzt jedoch voraus, dass es der japanischen Regierung, dem Parlament und der Notenbank gelingt, alle Komponenten der Politik zum Erfolg zu führen. Dies ist keineswegs sicher, da der Widerstand gegen Strukturreformen in Japan traditionell erheblich ist und die Inflation sich nicht ausreichend dem Inflationsziel annähert. Mittelfristig entscheidend ist voraussichtlich eine Wiederbelebung der Kreditaufnahme des Unternehmenssektors. Dies muss neben den bekannten nachfrageseitigen Komponenten auch durch eine weitreichende Liberalisierung von Güter- und Dienstleistungsmärkten, durch die Öffnung für die Zuwanderung und durch weitere Maßnahmen der Angebotspolitik bewerkstelligt werden (siehe u.a. Koo 2015, OECD 2015). Die Nachfragepolitik wird jedoch noch über einige Jahre für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen müssen. Da die Wirkung von Strukturreformen oft erst nach vielen Jahren ihre positive Wirkung auf das unternehmerische Handeln entfaltet, wird es in der mittleren Frist vor allem darauf ankommen, Investitionsanreize in möglichst vielen Branchen zu setzen. Nur wenn der japanische Unternehmenssektor seine erhebliche Nettosparerposition in Höhe von über sechs Prozent des BIP (Koo 2015) durch Investitionstätigkeit und Kreditaufnahme ändert, wird sich die wirtschaftliche Entwicklung dauerhaft zum Besseren führen lassen. Die demografische Situation bietet in dieser Hinsicht ebenfalls viele Chancen und kann nicht nur unter dem Aspekt einer langfristig möglicherweise sinkenden Arbeitsproduktivität bzw. anwachsender Sozialleistungen betrachtet werden. Japan verfügt über eine ganze Reihe von Möglichkeiten, das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft über die nächsten Jahre hinweg moderat zu steigern. Die lange Liste der Strukturreformen von Abenomics enthält bereits viele der wesentlichen Stichpunkte. Wachstumsausblick wieder heller Sehr wahrscheinlich dürfte Japan in den nächsten Jahren an der wirtschaftlichen Erholung in der Welt auch wieder nennenswert teilhaben. Die aktuelle wirtschaftliche Lage ist recht gut. 2014 hat Japan zwar nur mit einer schwarzen Null in der realen Wirtschaftsleistung abgeschlossen. Trotz einer gewissen Schwäche des Privaten Verbrauchs und der Investitionen in den letzten beiden Quartalen sind die Aussichten in diesem Jahr ordentlich, gemessen an japanischen Maßstäben (IWF 2015, OECD 2015a, b). Wir rechnen mit einem Wachstum in 2015

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von gut einem Prozent und einer leichten Erhöhung im Folgejahr. IWF und OECD haben in ihren jüngsten Prognosen Wachstumsraten in diesem Jahr von unter einem Prozent prognostiziert, sehen jedoch ebenfalls deutlich bessere Vorzeichen für 2016. Das erste Quartal schloss mit einem unerwartet starken Ergebnis von einem Prozent gegenüber dem Vorquartal ab. Die jüngsten Vertrauensindikatoren sind sehr positiv und die Unternehmensgewinne dank der Yen-Abwertung sowie deutlicher Exportzuwächse stark gestiegen. Dies liegt vor allem an etwas besseren weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und einer erwarteten expansiven geldpolitischen Spritze der Notenbank von 80 Billionen Yen im Jahr 2015. Der Ölpreis allein sollte für rund einen Viertelprozentpunkt mehr Wachstum gut sein, aber auch die Inflationsrate um einen halben Punkt senken.

Veränderung des BIP (saisonbereinigt, Veränderung gegenüber Vorquartal) 1,5 1 0,5 0 -0,5 -1 -1,5 -2 Q1 2014

Q2 2014

Q3 2014

Q4 2014

Q1 2015

Quelle: Cabinet Office

Die Geldwertentwicklung liegt zwar aktuell deutlich unter der Zielmarke der Notenbank von zwei Prozent wird aber für das laufende Jahr auf ein halbes Prozent geschätzt (OECD 2015a). Der Private Verbrauch sollte 2015 dazu beitragen, die Schwäche der Investitionstätigkeit zu kompensieren. 2016 sollte das Wachstum dann auch durch die Investitionen gestützt werden, und die Inflationsrate sollte auf 1,5 Prozent ansteigen.

Abenomics: Japans Wirtschaftspolitik Der „erste Pfeil“: Die Geldpolitik Mit dem „ersten Pfeil“ einer expansiven Geldpolitik hat die japanische Politik die größte mediale Resonanz erzielt. Gleich zu Beginn der Amtszeit von Premier Abe stand eine stärkere geldpolitische Flankierung auf dem Programm. Mit dem Amtsantritt von Gouverneur Haruhiko Kuroda, einem ehemaligen Beamten des Finanzministeriums, im März 2013 nahm die Politik dann im April rasch Gestalt an. Kurodas Programm der qualitativen und quantitativen Lockerung vom 4. April 2013 sah die Ausweitung der Wertpapierkäufe der Notenbank um zunächst 50 Billionen Yen pro Jahr vor. Die Käufe von Staatsanleihen und von privaten Wertpapieren sollten über Portfolio- und Wechselkurseffekte die Deflationserwartungen durchbrechen, Impulse für die Preisentwicklung und die Wirtschaftstätigkeit setzen und die Inflation innerhalb von zwei Jahren auf zwei Prozent anheben. Japans Notenbank kaufte dazu seither nicht nur Staatsanleihen aller Laufzeiten, sondern auch Anteile von Publikums- und Immobilienfonds auf. Die expansive Geldpolitik wirkt über mehrere Kanäle Die Wirkungskanäle sind kompliziert, aber letztlich geht es bei den Maßnahmen darum, über eine veränderte

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Zinsstruktur die Fremdfinanzierung anzureizen, reale Aktiva wie Aktien und Immobilien indirekt zu stärken und über wachsende Unternehmensgewinne endlich auch die Lohnentwicklung und letztlich auch die Preisentwicklung an die Zielmarken anzunähern. Ergänzt wird die Geldpolitik durch weitere Maßnahmen. Der staatliche Pensionsfonds soll seine Anlagepolitik ändern und doppelt so viel wie bisher in den japanischen Aktienmarkt investieren. Auch das hat zum Kursanstieg auf dem Aktienmarkt beigetragen. Zudem soll die Reform der Corporate Governance die Aktienkultur stärken. Anfängliche Erfolge, gefolgt von leichten Rückschlägen Die Geldpolitik erzielte in den ersten Wochen große Erfolge, zum Teil durch Glück und Zufall, da viele HedgeFonds mit ihren Wetten auf einen Zusammenbruch der Währungsunion schief gelegen hatten und zum Jahresende 2012 und Jahresbeginn 2013 massiv aus den Verkaufspositionen in Staatsanleihen der europäischen Peripherie in japanische Aktien umschichteten und somit den Börsenindex Nikkei um 80 Prozent hochtrieben. Der Yen wertete anfänglich rasch um 20 Prozent gegenüber dem Dollar ab und gab große Impulse für die Exporttätigkeit der großen Firmen. Inländische institutionelle Anleger schichteten ihre Anlagen jedoch nicht aus Staatsanleihen um, auch bewegten sich die Renditen kaum (Koo 2015). Im Laufe des Jahres 2014 gelang es der Notenbank immerhin, die Inflationsrate über null zu verankern und die Inflationserwartungen deutlich zu erhöhen. 2014 stieg das Preisniveau um 1,8 Prozent. Real und handelsgewichtet sank der Yen um knapp 40 Prozent seit dem Jahresende 2011. Die Geldpolitik reagierte in der Folge dann auf die sehr schwachen mittleren Quartale des Jahres 2014 mit einem Beschluss im Oktober 2014 zur Ausweitung der Wertpapierkäufe auf 80 Billionen Yen pro Jahr und zur Verlängerung der durchschnittlichen Laufzeiten der aufgekauften Staatsanleihen, um sich dem durch die Finanzpolitik verursachten Problem zu stellen. Aufgrund der Ölpreisentwicklung seit dem vierten Quartal 2014 sanken jedoch die Monatswerte der Inflationsrate in Folge wieder auf nahe null ab. Die Kerninflationsrate (Preisentwicklung ohne Preise für Nahrungsmittel und Energie) sank dagegen auf leicht über ein Prozent ab. Rechnet man den Mehrwertsteuereffekt heraus, dann tendiert auch die Kernrate in Richtung null. Dies hat eine heftige Debatte über die Geldpolitik ausgelöst. Keine guten Optionen, daher Korrektur der Ziele Die Optionen der Notenbank sind auch nicht besonders groß. Da die Notenbank bereits heute der Hauptinvestor auf dem Markt für Staatsanleihen ist, lässt sich das Instrument auch nicht mehr leicht und substantiell ausweiten. Zusätzliche Käufe von privaten Wertpapieren entfalten nicht die gleiche Wirkung. Zudem sind die Bewertungen auf den Vermögensmärkten bereits kräftig angestiegen. Der schwache Yen hat wiederum innenpolitisch zu Diskussionen geführt. Insbesondere die kleinen und mittelständischen Firmen klagen über hohe Importkosten, während auf der Exportseite eher die Großunternehmen profitieren. Sollten sich die Ölpreise wie von den Futures-Märkten signalisiert im Laufe des Jahres 2015 auch wieder allmählich erhöhen, könnte bereits zum Jahresende 2015 und zu Beginn von 2016 mit einem Anstieg der Monatswerte zu rechnen sein. Immerhin sind die mittelfristigen Inflationserwartungen bei über zwei Prozent stabil geblieben. Die Notenbank entschied sich im Juni, die Zielmarken für die Geldpolitik leicht nach unten anzupassen. Risiken für die Lohn- und Preisentwicklung Gleichwohl gibt es für dieses Szenario auch Risikofaktoren, v.a. die Preis- und Lohnentwicklung. Die nachhaltige Überwindung der Deflation setzt voraus, dass sich die Erholung über die Unternehmensgewinne auch in inländischen Investitionen, steigender Nachfrage nach Arbeit und steigenden Löhnen niederschlägt. Die Nominallöhne sind nahezu kontinuierlich seit fünfzehn Jahren gesunken. Diese sind für die Lohnentwicklung ausschlaggebend. Die Lohnentwicklung ist für die Preisentwicklung mittelfristig von zentraler Bedeutung, und die Geldpolitik wird nur dann Erfolg aufweisen, wenn nicht nur die Bürger wieder an steigende Preise glauben, sondern auch die Unternehmen wieder höhere Löhne zahlen. Immerhin ist der Arbeitsmarkt derzeit weitgehend geräumt, die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei nur drei Prozent, und der Druck auf die Löhne dürfte allmählich steigen. In der jüngsten Lohnrunde vom Frühjahr 2015 haben die japanischen Großunternehmen in einem Umfeld

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hoher politischer Erwartungen an nennenswerte Lohnerhöhungen erstmals auch substantielle Abschlüsse getätigt. Angesichts der Wechselkursentwicklung dürfte hieraus kein besonderes Problem bei der Wettbewerbsfähigkeit entstehen. Der zweite Pfeil: Die Finanzpolitik Anfänglich gab die unter Abe verfolgte expansive Finanzpolitik der Wirtschaft auch tatsächlich Impulse und beendete die Rezession von 2012 nach den Erdbeben. Der Schwenk zur Konsolidierung und die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von fünf auf acht Prozent im April 2014 kamen im Nachhinein betrachtet wohl doch zu früh und bremsten den Privaten Verbrauch und die Käufe von Eigentumswohnungen, die umsatzsteuerpflichtig sind, aus. Wie dauerhaft die Vorziehkäufe und die temporären Rückschläge im Einzelhandel sein werden, ist derzeit offen. Der Wohnungsmarkt ist jedenfalls deutlich getroffen worden (OECD 2015c). Dies erinnert an das Jahr 1997, als Japan zuletzt den Mehrwertsteuersatz von drei auf fünf Prozent anhob und die Wirtschaft danach einbrach. 2014 legte die Regierung jedoch nach und führte sehr günstige Abschreibungsregeln (100 Prozent für Investitionen bis Frühjahr 2015) ein. Die wirtschaftliche Leistung sank dank der Steuererhöhung 2014 zwei Quartale in Folge (Q2 und Q3), erreichte im letzten Quartal (Q4 2014) wieder positives Territorium; gleichwohl schloss das Gesamtjahr nur mit einer Stagnation der realen Wirtschaftsleistung ab.

Staatsverschuldung und Budgetdefizite in Prozent des BIP 4

300

2

250

0 200

-2 -4

150

-6

100

-8 50

-10 -12

0 90

94 Budgetdefizit (links)

98

02 06 Staatsverschuldung (rechts)

10

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Quelle: IWF

Japans Steuerbasis bleibt zu schwach Japans zentrales finanzpolitisches Problem - neben der Überwindung der Deflation - ist und bleibt im internationalen Vergleich jedoch die unzureichende Steuerbasis und bei insgesamt nur mittlerem Ausgabenniveau für eine hoch entwickelte Volkswirtschaft. Insbesondere die Steuern auf den Umsatz und den Verbrauch sind im internationalen Vergleich sehr niedrig. Die Regierung hat den zweiten, ursprünglich geplanten Schritt der Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes (von acht auf zehn Prozent) auf April 2017 verschoben; zugleich wurden Leistungsausweitungen in der Renten- und Pflegepolitik ebenfalls aufgeschoben. Dies ist richtig, da zunächst einmal die Erholung Vorrang haben muss. Die Staatsverschuldung steigt weiter Die öffentliche Verschuldung ist in Japan zwar sehr hoch, aber eher mittel- und langfristig ein Problem als kurzfristig. Trotz weiter gestiegener Staatsverschuldung (226 Prozent des BIP) und hohen Defiziten (8,3 Prozent

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2014) ist der Anleihemarkt weiterhin durch sehr niedrige Renditen geprägt. Die Verschuldung ist vor allem ein inländisches und intergeneratives Phänomen und birgt wenig unmittelbare Finanzrisiken. Konsolidierungsaufgabe bleibt schwierig Gleichwohl ist nicht zu erkennen, wie Japans öffentliche Haushalte mittelfristig ohne größere Politikmaßnahmen konsolidiert werden können. Die hohe Schuldenlast resultiert zwar hauptsächlich aus der 20-jährigen Bekämpfung der Bilanzrezession (und Deflation). Allerdings braucht es für eine beherzte Konsolidierungspolitik eines verlässlichen Wachstumspfads der Wirtschaft und vieler Schritte der Kürzungen qualitativ schwacher Staatsausgaben sowie einer Erhöhung der Steuerkraft. Die Ausweitung der Bemessungsgrundlage in der Einkommenssteuer ist ebenfalls vordringlich und steht immerhin auf der Agenda. Zugleich hat die Regierung begonnen, die Nachteile für die internationale Wettbewerbsfähigkeit japanischer Konzerne abzubauen. Sie hat den Körperschaftsteuersatz von 38 Prozent auf 31,6 Prozent gesenkt. Doch dies ist immer noch hoch. Die Regierung strebt an, diesen auf unter 25 Prozent weiter abzusenken. Darüber hinaus sind wohl weitere Anpassungen im Rentensystem, v.a. eine Erhöhung des Renteneintrittsalters, und gezielte Reformen im Gesundheits- und Pflegewesen zur Dämpfung der Ausgabendynamik durch eine Qualitätssteigerung der eingesetzten Mittel erforderlich. Dies ist alles vordringlich, da Japan ohnehin hohe alterungsbedingte Kosten im Sozialsystem zu tragen hat. Immerhin rechnet die OECD mit einem Abbau der Haushaltsdefizite um je rund einen Prozentpunkt des BIP in den nächsten beiden Jahren. Die vor der Verschiebung der zweiten Stufe des Mehrwertsteuersatzes geplante Erlangung eines Primärüberschusses im Haushalt im Jahr 2020 dürfte dagegen kaum zu erreichen sein, aber immerhin könnte ein deutlicher Abbau des derzeit hohen Primärdefizits von rund sechs Prozent auf zwei Prozent und weniger möglich werden. Das Regierungsprogramm setzt die Priorität auf Wachstum, gefolgt von Konsolidierung Die Regierung hat die im Ende Juni beschlossenen Wirtschafts- und Finanzprogramm wachstumsförderlichen Reformen bis 2018 eindeutig Vorrang vor weiteren Konsolidierungsschritten eingeräumt. Das gesamtstaatliche Defizit ist in den letzten drei Jahren von über acht Prozent des BIP auf rund vier Prozent zurückgeführt worden. Die Regierung sieht zwar weiterhin vor, den Zentralhaushalt bis 2020 auszugleichen und insbesondere das Primärdefizit bis 2018 auf ein Prozent herabzuführen (3,3 Prozent werden für dieses Jahr erwartet). Dies käme einer massiven Konsolidierung gleich, ist aber angesichts sehr hoher Wachstumsannahmen (durchschnittlich real zwei Prozent bis 2020) eher unwahrscheinlich. Gleichwohl bestehen gute Chancen, dass Japans Haushaltslage sich über die nächsten Jahre deutlich verbessert, v.a. wenn die nächste Stufe der Mehrwertsteuererhöhung ohne weitere Konjunkturdellen gelingen sollte und die vielen angedachten Strukturreformen tatsächlich umgesetzt werden. Der dritte Pfeil: Die Strukturreformen Schwieriger sieht es dagegen beim „dritten Pfeil“, den Strukturreformen zur Stärkung des Wachstumspotenzials, aus. Japan weist aufgrund der demografischen Entwicklung und anderer Faktoren nur ein Wachstumspotenzial von rund einem dreiviertel Prozent auf (OECD 2015a). Die Erwerbsbevölkerung sinkt im Tempo von einem halben Prozent pro Jahr. Schon kleine Störungen können somit die Wirtschaft wieder unter die Nulllinie bringen. Nur technischer Fortschritt und eine veränderte gesellschaftliche Haltung zur Zuwanderung könnten mittelfristig Abhilfe schaffen. Erwerbstätigkeit kann vielfältig erhöht werden Die größten Chancen liegen in einer Stärkung des Erwerbspersonenpotenzials. Die zentrale Rolle muss die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit im Zuge besserer Infrastrukturangebote und vielfacher Veränderungen auf betrieblicher Ebene spielen. Diese liegt etwa zwanzig Prozentpunkte unter derjenigen der Männer. Erste Maßnahmen wurden ergriffen. Darüber hinaus sollte sich Japan für ausländische Arbeitskräfte öffnen. Bislang sind nur zwei Prozent der Arbeitskräfte Ausländer, und diese sind fast ausschließlich hochqualifiziert. Ende Juni sind

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offenere Regelungen für eine Reihe von Berufsgruppen (IKT-Fachkräfte, Studenten, Hotelbedienstete) angekündigt worden. Produktivitätsfortschritte sind möglich Eine weitere wichtige Triebkraft eines stärkeren Potenzialwachstums kann die Technologie darstellen. Die Regierung hofft, die totale Faktorproduktivität von derzeit einem auf 2,2 Prozent nach Abschluss der Reformen mehr als verdoppeln zu können, ein sehr ambitioniertes Ziel. Immerhin sind die Ineffizienzen in Japan in vielen Sektoren so groß, dass eine große Reformdividende winkt. Japan hat ähnlich wie Deutschland ein stark bankbasiertes System mit typischen Schwächen in der Innovationsfinanzierung. Die privaten Firmen sind zwar forschungsstark, aber die Kooperation mit staatlichen Stellen und Universitäten kann weiter verbessert werden. Auch die Reform der Universitäten hat sich die Regierung ins Programm geschrieben und will insbesondere diejenigen Universitäten mit höheren Zuwendungen belohnen, die sich der internationalen Zusammenarbeit stärker zuwenden. Zudem könnten die Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeit in vielen kleinen Fragen verbessert werden. Internationale wirtschaftliche Integration muss vertieft werden Schließlich sollte Japan auch von einer tieferen Integration in die internationale Arbeitsteilung profitieren können. Die industrielle Entwicklung und die Dienstleistungen Japans haben in den letzten zwanzig Jahren eine gewisse Schwäche an den Tag gelegt (siehe umfangreiche Analyse in OECD 2015a). Japans Anteil an den Weltexporten erreichte Anfang der neunziger Jahre seinen Höhepunkt und halbierte sich seither. Der Anteil an hochtechnologischen Produkten sank ebenfalls. Dies lag u.a. an einer schwachen Trendrate der Arbeitsproduktivität und der Faktorproduktivität. Nicht zuletzt trug dazu die Verlagerung von arbeitsintensiver Produktion in die asiatischen Nachbarländer bei. China und Südkorea legten bei diesen Größen stark zu, und Deutschland hielt sich auf hohem Niveau. Japan musste zudem mit stetig fallenden Exportpreisen zurechtkommen, was sich in negativen terms-of-trade-Effekten niederschlug und das Volkseinkommen reduzierte. Dies lag daran, dass Japans Güterstruktur der Produktion und des Außenhandels einen Schwerpunkt in einem preislich sensiblen Gebiet aufweist, der Elektronik. Deutschland und die USA verzeichneten dagegen in den letzten 20 Jahren steigende Exportpreise. Japans Grundproblem liegt der OECD zufolge jedoch in der unterdurchschnittlichen Entwicklung der Faktorproduktivität im Dienstleistungssektor, und hier gibt es eine Ähnlichkeit mit Deutschland. Dies liegt u.a. an Schwächen in der Corporate Governance, an hohen Barrieren auf den Produktmärkten und an anderen Stellschrauben. Vieles davon lässt sich durch Reformen erheblich verbessern. Die Strukturreformen müssen entscheidend dazu beitragen, Japans Produktivitäts- und Einkommensentwicklung voranzutreiben. Zwischenfazit: Erfolgschancen vorhanden, Umsetzung entscheidend Die Regierungen von Premier Abe haben die japanische Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik auf einen umfangreichen Wachstumskurs ausgerichtet. Dies war überfällig. Die Erfolgschancen sind durchaus gut, wenn auch die letzten beiden Jahren ebenso durch Erfolge wie durch Rückschläge geprägt worden sind. Abenomics bleibt auf einem holprigen Erfolgskurs. Die Fortführung der Reformen setzt aber strategisches Handeln von Parlament und Regierung voraus. Von einem uneingeschränkten Erfolgskurs kann man bei den sehr wichtigen Strukturreformen nicht sprechen. Positiv ist, dass die Regierung eine Vielzahl von Reformen auf die Agenda gesetzt hat. Vordringlich bleibt die konsequente Durchführung der angekündigten Reformen, um die Wirtschaft und die Gesellschaft zu modernisieren. Bisher fehlt es auch an praktischen Ideen, den demographischen Wandel anzugehen. Die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des japanischen Mittelstands sowie die Liberalisierung des Arbeitsmarktes lassen auf sich warten. Ebenso wurde ein verbesserter Marktzugang für ausländische Investoren noch nicht umgesetzt, was einen Abbau von Bürokratie voraussetzt.

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Reformvorhaben

Strukturreform im Privatsektor

Maßnahmen Verbesserung Corporate Governance, am 1. Juni tritt neuer Code of Conduct in Kraft, um Anteil externer Vorstandsmitglieder zu erhöhen Förderung Privatinvestitionen und Venture Capital Investment Erleichterung bei Unternehmensgründung (Start-ups) Internationalisierung KMUs

Privatisierung Japan Post

Privatisierung der Japan Post Holding, Postbank, Lebensversicherung Kanpo für Herbst 2015, Briefpost bleibt vorerst staatlich

Reform des Öffentlichen und Quasiöffentlichen Investment Fonds

Ausweitung des Portfolios

Höhere Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt, von 68 Prozent (2012) soll auf 73 Prozent bis 2020, unterstützend sollen Kita-Plätze geschaffen werden, Firmen familienfreundlicher werden, Erhöhung vom Frauenanteil in Führungspositionen auf 30 Prozent bis 2020 Arbeitsmarkt

Work-Life Balance soll verbessert werden Liberalisierung des Arbeitsschutzes und Verbesserung der Bedingung von Leiharbeitern wird angestrebt Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland (Genehmigung für Bauwirtschaft erteilt)

Ausbau der F&E Kapazitäten

Verbesserung der Koordinierung, Ressourcenverteilung, Ausbildung, Innovationen stärken

Energiemarkt

Netzausbau bis 2015 Liberalisierungen bis 2016, Trennung von Anbieter und Netzbetreiber– sukzessiv bis 2020, Gasmarktliberalisierungen bis 2017

Digitalisierung Gesundheitssektor

Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Förderung der Branche

Landwirtschaft

Subventionen sollen auslaufen Wettbewerbsfähigkeit für Exportmärkte stärken Erhöhung Produktivität

Schaffung von acht Sonderzonen

Internationaler Business Hub; Innovationscenter für bspw. Medizintechnik.; Arbeitsmarktliberalisierung; Landwirtschaft; Tourismus; Start-ups

Abdeckung des Außenhandels über Freihandelsabkommen

Derzeitig 22,5 Prozent, bis 2018 70 Prozent angestrebt

Quelle: BDI

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Freihandelsabkommen – Nichttarifäre Handelsbarrieren im Fokus Die Strukturveränderungen im Außenhandel Die japanische Volkswirtschaft war lange für ihre hohen Überschüsse im Außenhandel und in der Leistungsbilanz bekannt. Seit 2011 verzeichnet Japan keine Überschüsse im Außenhandel mehr. Erst im April 2015 gab es wieder einen Überschuss in der Handelsbilanz. Die Leistungsbilanz blieb dagegen in den schwarzen Zahlen. Die langanhaltende Stärke des Yen spielte eine Rolle für die Abschwächung der außenwirtschaftlichen Position, aber nicht nur. Die japanischen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes haben über die letzten Jahrzehnte sehr stark die Produktion in die asiatische Region verlagert und exportieren aus den jeweiligen Produktionsstandorten in alle Welt. Die Leistungsfähigkeit der Unternehmen ist trotz einiger sektoraler Schwächen im weltweiten Wettbewerb, etwa in der ehemals sehr starken Elektronikbranche, noch sehr gut, aber dies ist aufgrund der asiatischen Produktionsnetzwerke mit deutlichen Verschiebungen von Produktion und Beschäftigung ins Ausland einhergegangen. Japans Quote von ausländischen Direktinvestitionen und Inlandsprodukten liegt mit 23 Prozent heute allerdings im Durchschnitt der OECD-Länder. Einen weiteren nicht unwesentlichen Beitrag zum Handelsdefizit der letzten Jahre hatte das schrittweise Abschalten der 48 Atomreaktoren nach der Dreifachkatastrophe im März 2011. Der Ausfall wurde durch Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke aufgefangen. Die drastische Erhöhung der damit einhergehenden Importe drückte auf die Handelsbilanz Japans. Eine Entspannung der Rohstoffpreise konnte dies teilweise relativieren. Bestrebungen zum Wiederhochfahren einzelner Reaktoren laufen bereits.

Außenwirtschaftliche Salden Japans, 2000 - 2014

5 4 3 2 1 0 -1 -2 -3 -4 2000

2001

2002

2003

2004

2005

Leistungsbilanzsaldo in Prozent des BIP

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Handelsbilanzsaldo in Prozent des BIP

Quellen: IWF; Japanisches Finanzministerium

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Außenhandel mit Gütern und Dienstleistungen in Bio. Yen 100

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Importe

Handelsbilanzsaldo (rechte Achse)

Quelle: Japanisches Finanzministerium

Handelspolitik mit bilateralen und regionalen Ansätzen Die wirtschaftlichen Veränderungen haben auch ihren Niederschlag in der Handelspolitik gefunden. Japan hat sich in der Nachkriegszeit sehr lange und fast ausschließlich an der Fortentwicklung der multilateralen Handelsordnung in der Welthandelsorganisation orientiert. Japan hat innerhalb von anderthalb Jahrzehnten eine Halbierung seiner Weltexportanteile im Warenhandel von gut zehn Prozent zu Beginn der neunziger Jahre auf vier Prozent erfahren, und der japanische Außenhandel wuchs viele Jahre auch unterdurchschnittlich. Aufgrund der schwächeren Position Japans im Welthandel und dem allmählichen Verlust einer komfortablen Überschussposition in der Handelsbilanz schwenkte Japan Ende der neunziger Jahre auf eine Strategie um, auch bilaterale und regionale Abkommen stärker zu forcieren. So schloss Japan ein erstes Abkommen mit Singapur 2002; es folgten Mexiko, Malaysia, Chile, Thailand, Brunei, Indonesien, ASEAN selbst, die Philippinen, die Schweiz, Vietnam, Indien, Peru, Australien und Mongolei. Derzeitig verhandelt Japan Abkommen mit der EU, Kanada, Kolumbien und Türkei. Das bereits bestehende Abkommen mit ASEAN soll zusätzlich um Dienstleistungs- und Investitionskapitel erweitert werden. (siehe u.a. OECD 2015a, Deutsch 2012). In Asien selbst ist große Aktivität bei regionalen Abkommen entstanden. Die Länder der Asien-Pazifik-Region integrieren ihre untereinander geschlossenen bilateralen Freihandelsabkommen zunehmend strategisch in regionale und überregionale Abkommen (u. a. TPP, RCEP, FTAAP). Japan ist dabei in alle Verhandlungen eingebunden und strebt zudem ein Dreierabkommen mit Südkorea und China an. Parallel dazu geht der Ausbau von bilateralen Freihandelsabkommen Japans voran. Somit kommt Japan seinem Ziel, den Außenhandel zu 70 Prozent durch Abkommen abzudecken, näher. Derzeitig sind es knapp 22,5 Prozent. Es wird erwartet, dass die Verhandlungen zum TPP (Trans-Pacific Partnership), ein Abkommen zwischen 12 Pazifikanrainerstaaten, noch 2015 zu einem Abschluss kommen. Am 29. Juni unterzeichnete Präsident Obama die TPA (Trade Promotion Authority). Die TPA trat somit in Kraft und stattet den Präsidenten mit umfassenden Vollmachten für die Verhandlungen zum TPP und zu TTIP (USA-EU) aus. Nach mehrmonatigen Verhandlungen im Repräsentantenhaus und Senat ist nun eine wichtige Hürde für einen erfolgreichen Abschluss von TPP und TTIP überwunden. Der US-Kongress stimmt somit nach Abschluss der

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Verhandlungen nur noch über den abgeschlossenen Vertrag als Ganzes ab. Die Auswirkungen TPPs auf die Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan sowie zwischen den USA und der EU gilt es abzuwarten. Es wird jedoch von einem positiven Effekt ausgegangen, der den beiden Verhandlungen neuen Schwung verleihen könnte. Verhandlungen mit der Europäischen Union Seit April 2013 werden Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen (FTA) zwischen der EU und Japan geführt. Ende Mai 2014 beendete die EU-Kommission die Evaluierung der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit Japan. Dabei wurde geprüft, ob Japan bereits dem Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen nachgekommen ist, der im Rahmen einer „Scoping Exercise“, der vor den Verhandlungen durchgeführten Analyse der Chancen eines Abkommens, festgelegt wurde. Durch die sogenannte „Review Clause“ behielt sich die EU vor, nach einem Jahr den Stand der Verhandlungen zu prüfen. Nach einer positiven Bewertung durch die Kommission und den Europäischen Rat wurden die Verhandlungen ab Juli 2014 fortgesetzt. Der konsequente Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen in Japan stellt weiterhin einen der wichtigsten Faktoren dar, um europäischen Unternehmen einen besseren Marktzugang in Japan zu ermöglichen, insbesondere in Fragen der Produktzulassung, Standards und Normung. Dabei soll deren Abbau an den von Japan geforderten Zollabbau durch die EU gekoppelt werden. Japan zielt vor allem auf Zollfreiheit im Automobilbereich. Der Zollsatz der EU für Automobileinfuhren liegt bei zehn Prozent. Von großer Bedeutung wäre zudem ein effektiver Streitschlichtungsmechanismus, um neue nichttarifäre Handelshemmnisse oder deren Wiedereinführung zu verhindern. Eine regulatorische Kooperationsvereinbarung soll auch über das Freihandelsabkommen hinaus für die weitere Anpassung und Harmonisierung von Standards und Normungen im internationalen Rahmen dienen. Durch die Umsetzung des Abkommens wird mit einem Anstieg der Exporte beider Verhandlungspartner gerechnet. Während die EU ihre Ausfuhren nach Japan um etwa 32 Prozent im Falle eines Abkommens steigern können sollte, wäre ein Anstieg der Importe aus Japan um 23 Prozent gemäß der zentralen Studie für die Europäische Kommission sowie der Kommissionseinschätzung möglich (Europäische Kommission 2012, Copenhagen Economics 2009). Für die EU und auch für Deutschland ist ein besseres Regelwerk für den Außenhandel und die Direktinvestitionen mit asiatischen Volkswirtschaften langfristig sehr wichtig. Die Bedeutung der Asien-Pazifik-Region für die globale Wirtschaft wächst rasant. Dies hat sich bereits auf die Geschäftsstrategien deutscher Unternehmen ausgewirkt. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die EU ihre strategische Ausrichtung in Bezug auf Asien stärkt, um an dieser entscheidenden Entwicklung teilzuhaben.

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Deutsch-japanische Wirtschaftsbeziehungen Die Handelsbeziehungen Deutschlands Außenhandel mit Japan liegt seit einigen Jahren zwischen 35 und 40 Milliarden Euro pro Jahr. Deutschland verzeichnet im Handel mit Japan ein leichtes Defizit. Der Handelsaustausch zwischen Deutschland und Japan stieg in den letzten Jahren bis 2012 stetig an. Im Jahr 2013 war mit einem Handelsvolumen von 36,6 Milliarden Euro ein deutlicher Rückgang um knapp sechs Prozent zu verzeichnen.

Außenhandel und ausländische Direktinvestitionen Deutschland-Japan (Mrd.Euro)

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8 2000

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2014

Deutsche Ausfuhren nach Japan (linke Achse) Deutsche Einfuhren aus Japan (linke Achse) Deutsche Direktinvestitionen in Japan, Bestände (rechte Achse) Japanische Direktinvestitionen in Deutschland, Bestände (rechte Achse) Quelle: Destatis, Bundesbank

Die Exporte nach Japan beliefen sich 2013 auf 17,1 Milliarden Euro. Die Importe nahmen von 21,8 Milliarden Euro in 2012 auf 19,5 Milliarden Euro in 2013 ab. Somit verringert sich das Handelsdefizit Deutschlands auf 2,4 Milliarden Euro. Bei den Exporten nach Japan machten 2013 Kfz und -Teile 31 Prozent, Chemische Erzeugnisse 22 Prozent und Maschinen 14 Prozent aus. Die Importe aus Japan entfielen zu 35 Prozent auf Elektronik und Elektrotechnik, zu 18 Prozent auf Maschinen und zu elf Prozent auf Chemische Erzeugnisse. Bei den deutschen Importen belegte Japan im Jahr 2013 Platz 17 aller Importeure und bei den Exporten Platz 15 aller deutschen Abnehmer. In Asien ist Japan hinter China, Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner. Deutschland ist Japans wichtigster Handelspartner in der EU und auf Platz 11 international.

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Die Investitionsbeziehungen Japans Transfer von Direktinvestitionen ins Ausland lagen 2013 bei 135 Milliarden USD und 2014 bei 119 Milliarden USD. Aus dem Ausland gingen 2013 Zuflüsse von ca. 2,3 Milliarden USD und 2014 von 9 Milliarden USD nach Japan ein. Japans weltweiter Bestand lag 2013 bei ca. 767 Milliarden USD (JETRO, 2015). Der Bestand von japanischen Direktinvestitionen (mittelbar und unmittelbar) in Deutschland lag 2013 bei etwa 17 Milliarden Euro. Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Japan beliefen sich auf rund 15 Milliarden Euro. Fusionen und Übernahmen (M&As) japanischer Unternehmen erreichten 2014 ein Rekordhoch. Die Anzahl legte mit 5,3 Prozent auf weltweit 555 Transaktionen zu und mit 8,09 Billionen Yen stieg der Wert um 16,3 Prozent gegenüber Vorjahr auf einen neuen Rekord an. Der letzte Rekord wurde 2008 mit einer Summe von 7,29 Billionen Yen erreicht. Die Hauptanteile lagen mit 219 Transaktionen in Asien, 160 in Nordamerika und 121 in Europa. Für die erste Jahreshälfte 2015 sind japanische Unternehmen bereits mit 324 Übernahmen mit einem Wert von etwa 5,6 Billionen Yen im internationalen Geschäft tätig geworden. Wissenschaftskooperationen Zwischen Japan und Deutschland besteht seit 1974 ein Regierungsabkommen über die Zusammenarbeit auf wissenschaftlich-technologischem Gebiet. Schwerpunkte sind derzeit unter anderem Meeresforschung, Geowissenschaften, physikalische Grundlagenforschung und Umweltforschung. Derzeitig bestehen mehr als 300 Kooperationsvereinbarungen zwischen deutschen und japanischen Hochschulen sowie zahlreiche Projektabkommen und Kooperationsvereinbarungen von Forschungsinstituten wie der Fraunhofer Gesellschaft, der MaxPlanck-Gesellschaft oder der Helmholtz-Gemeinschaft mit japanischen Partnerorganisationen. Seit etwa zwei Jahren besteht auch eine Repräsentanz des Deutsche Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Tokyo. Für die Sichtbarkeit der Kooperationen wurde in Tokyo ein Deutsches Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) geschaffen. Dies wird durch die Deutsche Industrie- und Handelskammer in Japan und die Hochschulrektorenkonferenz geleitet. Das DWIH verleiht jährlich den „German Innovation Award – Gottfried WagenerPreis“, hinter dem zwölf technologieorientierte deutsche Unternehmen mit Niederlassungen in Tokyo stehen. Schirmherrin ist die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Professor Dr. Johanna Wanka.

Industrie 4.0/Digitalisierung in Japan Japan setzt mit Blick auf erhöhten internationalen Wettbewerb, den zunehmenden Fachkräftemangel und der demographischen Entwicklung verstärkt auf Digitalisierung und Automatisierung in der industriellen Produktion. Dabei ist für Japan die Robotik-Industrie von strategischer Bedeutung. Somit möchte Japan sich als derzeitiger Marktführer in der Roboterherstellung auch zukünftig als Innovations-Hub aufstellen. Seit Mitte Mai hat die japanische Regierung eine Querschnittsinitiative gestartet, die „Robot Revolution Initiative“, ein Ausschuss mit Trägern aus Staat, Industrie und akademischen Einrichtungen. Die Koordinierung und das Sekretariat übernimmt die Japan Machinery Federation, die Verantwortung zur Implementierung der Strategie das Wirtschaftsministerium. Ein Fünfjahresplan sieht ein Investitionsvolumen von 100 Milliarden Yen für entsprechende Projekte durch den privaten und öffentlichen Sektor vor. Die Robotertechnologie soll auf die übergeordneten Bereiche Herstellung und Service, Medizin und Krankenpflege, Landwirtschaft sowie Infrastruktur angewendet werden und bis 2020 auf ein inländisches Marktvolumen von 2,4 Billionen Yen anwachsen (derzeitig ca. 600 Milliarden Yen). Auch in Japan ist die Frage der Standards und Normungen im nationalen wie im internationalen Rahmen maßgeblich. Von vornherein sollen internationale Standards geschaffen werden. Deutschland mit seiner „Industrie 4.0“-Strategie wird als ein wichtiger Kooperationspartner angesehen. Dessen Industrie-Cluster können dabei durchaus als Vorbild fungieren. Nicht nur deswegen haben sich zusätzlich im Juni auch etwa 40 große und mittelgroße Unternehmen zur „Industrial Value Chain Initiative“ (IVI) zusammengeschlossen. Unter anderem soll IVI

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japanische Standards vereinen, neue auf internationaler Ebene schaffen und die Modernisierung der japanischen Industrie voranbringen. Mit der Gründung einer Regulatory Cooperation im Rahmen des Freihandelsabkommens mit der EU wird zudem ein großes Potential darin gesehen, gemeinsame Standards auf ISO/IEC-Basis zu schaffen. Als Sicherheitsstandard soll beispielsweise das CE-Kennzeichen gelten (METI, 2015; Malcom, 2014)

Fazit Premierminister Shinzo Abe schlug mit seiner Abenomics genannten Finanz- und Wirtschaftspolitik einen ambitionierten und unkonventionellen Weg ein. Nach anfänglichen Erfolgen in der Finanz- und Geldpolitik sorgte die Mehrwertsteuererhöhung im April 2014 für einen Rückschlag. Seit dem Winter hat die Wirtschaft jedoch wieder Tritt gefasst. Nach den vorgezogenen Neuwahlen hat die Regierung erfreulicherweise ihr Reformprogramm vertieft, die Konsolidierung jedoch leider aufgeschoben. Die japanische Ökonomie benötigt neben einem erfolgreichen Makromanagement vor allem eine Vielzahl von Strukturreformen, um die Angebotsbedingungen auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten wettbewerbsfreundlicher auszurichten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten zu können. Mit dem Reformkatalog seines „dritten Pfeils“ hat Abe die richtigen Themen auf die Agenda gesetzt. Die Internationalisierung des Mittelstandes, die Liberalisierung des Energie-, Agrar- und Arbeitsmarktes, neue Wege in der Zuwanderungspolitik, die Reform der Corporate Governance, bessere Universitäten und verstärkte Anstrengungen in Forschung und Entwicklung sind erforderlich, um das Potenzialwachstum Japans anzuheben. Weitere Freihandelsabkommen wie das Transpazifische Partnerschaftsabkommen sowie ein mögliches Abkommen mit der EU würden den Reformprozess auf den Gütermärkten weiter festigen. Es bedarf allerdings eines großen Durchsetzungsvermögens und einer breiten Unterstützung, die teils unbeliebten Maßnahmen umzusetzen. Die jüngsten Entscheidungen zur Zuwanderung und zur Privatisierung von Japan Post erfüllten diese Kriterien. Das Zaudern in der Finanzpolitik wird jedoch weiterhin Kritik auf sich ziehen.

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Quellenverzeichnis Copenhagen Economics (2009). Assessment of Barriers to Trade and Investment between the EU and Japan. Kopenhagen. Deutsch, Klaus Günter (2012). Primus sucht Partner. Aktuelle Themen. Deutsche Bank Research. Frankfurt/M. Deutsche Bank Research(2015). Japan Economics Weekly. 20. Februar. Europäische Kommission (2012). Commission Staff Working Document. Impact Assessment Report on EU-Japan Trade relations. Brüssel. 18. Juli. Internationaler Währungsfonds (2015). World Economic Outlook. Washington, D.C.. Kawai, Masahiro, Peter Morgan (2013). Banking Crises and “Japanization”. In: Changyong Rhee, Adam S. Posen, Hg., Responding to Financial Crisis. Peterson Institute for International Economics & ADB. Koo, Richard (2015). The Escape from Balance Sheet Recession and the QE Trap. New York. Wiley. ---(2008). The Holy Grail of Macro Economics. Lessons from Japan`s Great Recession. Singapore. Malcom, James (2014). Deutsche Bank Research Konzept - Sonnenaufgang und Sonnenuntergang: Was Deutschland, China und Südkorea von Japan lernen können. November. Frankfurt/M. Ministry of Foreign Affairs Japan (2015). Ministry of Economics, Trade and Industry (2015). OECD (2015a). Japan. Economic Surveys. Paris. ---(2015b). Interim Economic Assessment. Paris. ---(2015c). Escaping the Stagnation Trap: Policy Options for the Euro Area and Japan. Januar. Paris. OECD (2014). Economic Outlook. Oktober. Paris. Sakaki, Alexandra (2014). Japans Sicherheitspolitik: Richtungswechsel unter Abe? Dezember. Berlin.

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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite StraĂ&#x;e 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Autoren Dr. Klaus GĂźnter Deutsch T: +49 30 2028-1591 k.deutsch@bdi.eu Herr Stephan Keichel T: +49 30 2028-1522 s.Keichel@bdi.eu

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