Erdbeben in Nordrhein-Westfalen

„Der Rheingraben ist häufig in Bewegung“
Donnerstag, 10.09.2015 | 01:27
„Der Rheingraben ist häufig in Bewegung“
GFZ Die Karte gibt einen Überblick über die seismischen Aktivitäten. Zu sehen sind die Epizentren meist kleinerer Erdbeben.
  • FOCUS-online-Redakteurin

Jährlich ereignen sich auf der Erde mehr als 100 000 spürbare Beben – meist sind sie harmlos. Auch bei dem gestrigen Beben in Nordrhein-Westfalen blieb es bei dem Schreck. Seismologe Frederik Tilmann vom Geoforschungszentrum Potsdam erklärt, warum wir uns in Deutschland nicht wirklich fürchten müssen – und warum sich das auch einmal ändern kann.

FOCUS-Online: Herr Tilmann, wo liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen für das Beben am Niederrhein?

Frederik Tilmann:
Die Niederrheinische Bucht ist bekanntlich eine der Regionen in Deutschland, die am anfälligsten für Erdbeben sind. Das liegt an der geologischen Formation: Vor etwa 50 Millionen Jahren brachen Schwarzwald und Vogesen auseinander, es entstand eine Bruchstelle in der eurasischen Kontinentalplatte. Am Oberrhein zwischen Basel und Frankfurt ist die Erde deshalb besonders aktiv, doch auch weiter im Norden, rund um die Kölner Bucht, herrschen Spannungen, die Erdbeben auslösen. Das Erdbeben gestern ereignete sich in einer Randzone, war aber durchaus nicht ungewöhnlich.

FOCUS-Online: Kann dieser Graben sich vergrößern und mit der Zeit zu stärkeren Erdbeben führen?

Tilmann: Es können zwei Dinge passieren: Über viele Millionen von Jahren hinweg, können die Rissbewegungen zum einen plötzlich aufhören, zum anderen könnte der Graben aber auch weiter auseinander driften und sich sogar zu einer Plattengrenze entwickeln, wie das beim Mittelaltantischen Rücken der Fall war.

FOCUS-Online: Das Erdbeben gestern hatte die Stärke 4,4. Wäre es denn möglich, dass sich in Deutschland auch stärkere, gefährlichere Erdbeben entwickeln?

Tilmann: Erdbeben bis zur Magnitude 5,5 und höher sind auch in Deutschland nicht ausgeschlossen. Allerdings sind die Gebäude hierzulande so ausgelegt, dass sich die Schäden auch dann in Grenzen halten sollten.

FOCUS-Online: Im Moment ist offenbar auch die Erde im Vogtland ziemlich aktiv. Gibt es da einen Zusammenhang?

Tilmann: Nein, die Schwarmerdbeben im Vogtland werden offenbar von unterirdischen Fluiden ausgelöst und haben mit den geologischen Unruhen entlang des Rheingrabens nichts zu tun.

Deutschland liegt zwar nicht an einer Plattengrenze, doch durch tektonische Besonderheiten, zittert auch hierzulande die Erde mehrmals im Jahr

FOCUS-Online: Auch in New York bebte vor kurzem die Erde – ein eigentlich eher ungewöhnlicher Platz. Gibt es Hinweise auf eine verstärkte seismische Aktivität in der Erde?

Tilmann: Mit den Erdbeben in Sumatra 2004 und 2005, Chile und Japan gab es eine Serie ungewöhlich starker Erdbeben innerhalb von zehn Jahren. Ich persönlich halte das für einen Zufall. An dem Erdbeben gestern war jedoch nichts Ungewöhnliches.

FOCUS-Online: Wenn man sich an einem Ort aufhält, an dem plötzlich die Erde bebt, welches Verhalten würden Sie empfehlen?

Tilmann: Am besten man sucht sich einen Platz unter einem stabilen Tisch, damit man nicht von herabfallenden Gegenständen verletzt wird. Wenn ein Ausgang nahe ist und das Gebäude einzustürzen droht, kann es besser sein, schnell hinauszurennen.

FOCUS-Online: Gibt es denn Ansätze, Erdbeben künftig besser vorhersagen zu können?

Tilmann: Wir werden immer besser in den zeitlichen Dimensionen der Risikoabschätzung.

Wenn wir etwa sehen, dass sich die Erde entlang einer bestimmten Sektion einer Verwerfung rührt, wie etwa ei dem Erdbeben 1999 in Izmit, dann können wir inzwischen recht gut voraussagen, an welchem Segment weitere große Beben drohen. Im Falle der Nordanatolischen Verwerfung bedeutet das, dass wir eine erhöhte Erdbebengefahr für Istanbul sehen. Das heißt aber nicht, dass Ihre Leser Ihren Flug stornieren sollten. Wir Seismologen denken bei Gefährdungsabschätzungen in Zeiträumen von Jahrzehnten oder länger.

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