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Plakatieren verboten

Plakatieren verboten

Vor etlichen Jahren war eine Familiensaga mit dem Titel Roots der Renner. Sie beschreibt die Familiengeschichte eines schwarzen Amerikaners. Es beginnt mit der Entführung eines kleinen schwarzen Jungen aus seiner Heimat in Afrika vor mehreren hundert Jahren. Die Geschichte reicht bis in die heutige Zeit. Der Autor, heute Professor, ist der Nachnach…nachfahre dieses Jungen. Dieses faszinierende Buch ist eine interessante und spannende  Beschreibung vieler Momente der Geschichte Amerikas ist. Vielleicht sollte ich mir das Buch mal wieder heraus suchen.

An eine kleine Geschichte, die in diesem Buch erzählt wurde, erinnere ich mich immer wieder. Heute gehen viele zum Fußball. Sie fiebern mit ihrer Mannschaft, feuern sie euphorisch an und flitzen in Gedanken wildentschlossen selbst über den Rasen. Im Gegensatz zu den hochbezahlten  Spielern ihrer Lieblingsmannschaft kicken sie den Ball fast spielerisch ins generische Tor. Damals im alten Amerika gab es etwas Ähnliches. Da wurden Hahnenkämpfe ausgetragen. Enthusiastisch ergriff man Partei für seinen Hahn, der sich mit aller Kraft krallenbewehrt auf den Gegner stürzte. Der Sieger kam in die nächste Runde, der Verlierer in die Suppe. Das war schade, aber praktisch. Allerdings ist dies für die Gegenwart keine praktikable Lösung. Um die Wunden der siegreichen Hähne zu versorgen, griff man zu einem einfachen Mittel. Das war ein Mittel, dass die Beteiligten ständig in der Hose mit sich herum trugen. Sie pinkelten zwecks Desinfektion einfach auf die Blessuren ihres Hahns. So einfach war das damals. Rechtzeitig vorher wurde ein großer Schluck Wasser getrunken, dann stand der medizinischen Versorgung des siegreichen Kämpfers nichts im Wege.

Eigentlich wollte ich hier nichts mehr über die Wahl verlauten lassen. Die Umweltverschmutzung durch Plakate und Versprechungen ist groß genug, als dass ich meinen Senf dazu noch abgeben müsste. Aber unsere lieben, möglicherweise künftigen Volksvertreter provozieren einen Kommentar von mir ja regelrecht.

Meine Wahlentscheidung steht. Mit dem Angebot bin ich aber nicht zufrieden. Die Alternativen dazu oder der Wechsel zu den Nichtwählern kommen für mich erst Recht nicht infrage.

Ein paar Tage verbleiben bis zur Wahl noch. Die Parteioberen haben sich bereits duelliert. Wie zwei, am nächsten Tag gar drei Hähne standen sie im Ring. Erwartungsgemäß haben alle Beteiligten haushoch gewonnen. Die Anderen haben natürlich entsprechend und verdient verloren. Wieso treten diese überhaupt noch zur Wahl an? Die Moderatoren mussten das alte, amerikanische Hausmittel nicht anwenden. Am Sonntag hatte sich gar eine Hähnin unter die Kämpfenden gemischt. Sie war so angriffslustig, dass die Schmuckproduzenten nach dem zehnten, aufmunternden, doppelten Espresso spontan eine neue Modelinie für die dynamische Frau des Jahres kreiert haben. „Frauen an die Macht, Frauen an die Kette!“ sollte ihr Wahlspruch dafür werden. Aber Alfons Kettler, Adoptivsohn aus dritter Ehe des unbekannten russischen Schmuckmagnaten Wladimir Pustarenkowitsch, Ehrenvorsitzender des Kettenindustrieverbandes und ehemaliger stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Bremerhavener Anker und Ankerketten AG hat diese Kampagne gerade noch stoppen können. „Wartet erst einmal die Wahl ab!“ hat er gesagt. Und dann brabbelte er noch etwas, das so klang, wie „Man weiß nie, wohin der Kahn fährt!“, „Manche saufen kurz vor dem Ziel im flachem Wasser noch ab!“ und „Was machen wir, wenn schwarz-rot-gold als Modefarbe abkackt und rot-rot grün zum Trend der Saison wird?“. Hat er wirklich abkackt gesagt? Sagt so etwas ein Mann wie Alfons Kettler? Das lässt sich nicht mehr genau feststellen. Er selbst ist altersbedingt zeitweise etwas erinnerungsschwach. Die Mikrofone waren gerade beim Wahlkampf im Kampfeinsatz.

Kollateralschäden, außer Massen gefrusteter Wähler, sind bisher nicht gemeldet worden. Die interessieren im Wahlkampf sowieso niemanden. Mit ein paar Verlusten muss man immer rechnen. Nur mehr als hundert Prozent dürfen es nicht werden. Dann würde die Wahl mangels Wähler platzen. Wir müssten das gegenwärtige Dilemma weitere vier Jahre ertragen. Dabei freuen wir uns doch schon auf die nächste Katastrophe.

Im ganzen Land gibt es keinen Baum, keinen Laternenpfahl, an dem nicht wenigstens ein Wahlplakat hängt. Die Zahl der Plakate der Parteien scheint etwa proportional zur derzeitigen Zahl der Sitze im Bundestag zu sein. Die beiden Großen liegen weit abgeschlagen vorn. Die nerven uns gewaltig. Die Plakatanzahl der Mittleren ist deutlich erträglicher. Die der Kleinen, programmatisch etwas schmalbrüstigen, um die Fünfprozentmarke kämpfenden Parteien ist fast bescheiden. Das macht sie mir doch irgendwie sympathisch. Zu letzteren zähle ich mal die Piraten hinzu. Irgendwie sind die mir nicht erst seit Snowden und obwohl ich bei ihnen den nötigen Drive vermisse, ein wenig ans Herz gewachsen.

Der Wahlkampf nimmt endlich Fahrt auf. Haben die Parteien gemerkt, dass Wahlkampf etwas mit Kampf zu tun hat?

Wir, die armen Wähler müssen das Wichtigste, was wir haben, nämlich unsere Stimme am Wahltag abgeben. Wir werden die Wahlversprechen jetzt erst einmal wissenschaftlich untersuchen. Ich befürchte, dass dies genau das ist, was die Parteien am allerwenigsten mögen. Wir machen das trotzdem!

Was versprechen uns denn die lieben Parteien so alles? Hier eine Auswahl der Sprüche:

1   Der Euro spaltet Europa
2   Hessen bleibt am Ball
3   Sie gehen an Deine Reserven
4   Ich hab was gegen Filz! Und ihr?
5   Aus Respekt vor den Eltern. Familien stärker unterstützen.
6   Mut zur Wahrheit – Bei dieser Wahl gibt’s was zu wählen!
7   Hessen bleibt sicher
8   Starke Mitte – Starkes Land – Nur mit uns
9   Eure Schulden will ich nicht!
10 Sie lassen dir nichts übrig.
11 Genug gelabert! 10 Euro Mindestlohn jetzt.
12 Keine Bildung ist zu teuer
13 Aus Respekt vor harter Arbeit. Gerechte Löhne für Hessen.
14 Captain Morgan – Original Spiced Gold
15 Mut zur Wahrheit – Die Griechen leiden – Die Deutschen zahlen – Die Banken
kassieren
16 Ja zu Hessen!
17 Food Crash – Wir werden und ökologisch ernähren oder gar nicht mehr
18 Gute Schule für alle. Gut finanziert!
19 Nie wieder Überwachungsstaat
20 Aus Respekt vor unseren Kindern. Unterschiedliche Begabungen fördern.
21 Gegen akustische Umweltverschmutzung!
22 Mehr für Familien
23 Partner der Vernunft
24 Für Bewegung in den Köpfen statt in der Luft
25 Respekt: Mindestsicherung statt Hartz IV!
26 Politik ist Streitkultur – Das können wir
27 Fluglärm abwählen
28 Wir drehen durch vor Freude!
29 Solide Finanzen
30 Teilen macht Spaß: Millionärsteuer!
31 Transparenter Staat – Statt gläserne Bürger
32 Wir haben weiterhin für Sie geöffnet
33 Weil jeder zählt: Das Ganze im Blick.
34 Hessen wechselt zu fairen Mieten
35 Waffenexporte verbieten! Auslandseinsätze beenden!
36 Warum will der Staat wissen, dass ich nichts zu verbergen habe?
37 Gerechtigkeit macht stark.
38 Wer will schon sein ganzes Leben lang die Karriereleiter von unten sehen?
Ich mach‘s besser.
39 Hessen wechselt zu weniger Fluglärm
40 Zuhören statt Abhören
41 Hessen wechselt zum Schulfrieden
42 Ich sag: Hello KITA
43 Was der Bauer nicht kennt, fress ich nicht.

Ich habe die vielen schlauen Sprüche, die ich vor ein paar Tagen in Frankfurt gelesen habe, einfach durchnummeriert. Wenn man sie sieht, bemerkt man, dass es völlig Wurscht ist, welcher Partei der Spruch gehört. Es ist alles eine Gelb-rot-grün-schwarz-rote Suppe mit ein paar Pfefferkörnern drin. Das ist ein bunter, lascher Gemüsecocktail. Damit kann man als Wähler nichts anfangen und nichts falsch machen. Man muss nicht befürchten, dass die Verdauung irgendwie durcheinander kommt, dass die Parteien damit in die Wahlversprechen-nicht-einhalten-Falle tapsen. Warum schließen sich die Parteien eigentlich nicht zu einer einzigen, inhaltslosen Partei zusammen? Das ist ein schlechter Vorschlag von mir. Mit Parteivereinigungen haben wir in Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht. Demokratie lebt von Hahnenkämpfen, Blessuren der Hähne und Hähninnen und der Hoffnung des Volkes, das endlich jemand kommt und die Wunden desinfiziert. Das Brennen des Desinfektionsmittels, auch Presse genannt und der damit verbundene Aufschrei weckt uns manchmal aus unserem Schlaf, in den wir mit den Wahlsprüchen gelullt wurden.

Wer hat es bemerkt? Ein paar der oben zitierten Sprüche stammen nicht von einem Wahlplakat. Welche sind das? Schreibt die Nummern einfach in den Kommentar. Ich löse das Rätsel in den nächsten Tagen auf.

Wissenschaftlich betrachtet, ergibt sich, dass die Wahl eigentlich auch ohne diese Plakate auskommen würde. Der Informationszuwachs ist sehr bescheiden. Es würde reichen, vor jedem Supermarkt, da kommt ja jeder irgendwann Mal hin, eine Tafel, wie diese aufzustellen:

Ihre Stimme für:
ABCDEFGHIJKLMCDUCSULINKESPDGRÜNEPIRATENFDPNOPQRSTUVWXYZ

Es bleibt alles ganz anders
Wir sind entschlossen dafür,
wenn wir nicht dagegen sind

Wird fortgesetzt.