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David Chiavacci, Iris Wieczorek (Hrsg.) JAPAN 2013 Politik, Wir tschaft und Gesellschaft Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung e.V. david chiavacci, Iris Wieczorek (Hrsg.) Japan 2013 David Chiavacci, Iris Wieczorek (Hrsg.) Japan 2013 Politik, Wirtschat und Gesellschat mit Beiträgen von David Adebahr, Georg Blind, Lukas Gawor, Susanne Klien, Florian Kohlbacher, Simone Kopietz, Stefania Lottanti von Mandach, Dorothea Mladenova, Hendrik Mollenhauer, Manfred Pohl, Wilhelm M. Vosse und Alexander Winkscha ISSN 0343-6950 ISBN 978-3-9812131-6-4 Copyright © 2013 Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung e.V. (VSJF) Editorial Board: Christoph Brumann (Max-Planck Institut für ethnologische Forschung, Halle), Manfred Pohl (Universität Hamburg, Em.), Frank Rövekamp (Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein), Annette Schad-Seifert (Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf), Christian Tagsold (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), Gabriele Vogt (Universität Hamburg). Redaktion: David Chiavacci, Iris Wieczorek Manuskriptbearbeitung: Lorenz Pagenkopf, Rainer Stobbe Satz und Umschlag: Gabriel Lieberum Gesamtherstellung: Druck Service Nord Japan 2013. Politik, Wirtschat und Gesellschat / hrsg. von David Chiavacci und Iris Wieczorek. − Berlin: VSJF, 2013. − 302 S. ISSN 0343-6950 ISBN 978-3-9812131-6-4 Die 1988 gegründete Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung e.V. (VSJF) ist ein Netzwerk für die Förderung und den Austausch von Wissen über Politik, Wirtschat, Gesellschat und Kultur des modernen Japan. Der konzeptionelle Schwerpunkt besteht im Diskurs zwischen den Sozialwissenschaten und der Japan-Forschung. Mit der Vernetzung von Fach- und Länderspezialisten hat die VSJF Möglichkeiten geschafen, interdisziplinär wichtige Fragestellungen zum modernen Japan zu bearbeiten und die Ergebnisse regelmäßig der Öfentlichkeit zugänglich zu machen. Die Vereinigung ist parteipolitisch neutral und als gemeinnützig anerkannt. Für weitere Informationen siehe www.vsjf.net Inhaltsverzeichnis Vorwort Liste der bisherigen Sonderbeiträge Verzeichnis häuig verwendeter Abkürzungen 11 13 23 25 Ja hr e VSJF: rück blick e u n d r eFl e x ion en z u r z u k u n F t Christoph Brumann: Nicht zu klein, nicht zu groß und nicht zu selten Kerstin Cuhls: VSJF zum Jubiläum, Oktober 2013 Helmut Demes: Vo(r)m Ende der Exotik Winfried Flüchter: Zur Entwicklung und Bedeutung der VSJF Gesine Foljanty-Jost: 25 Jahre Vereinigung für Sozialwissenschatliche Japanforschung in (etwa) 500 Worten Michiko Mae: 25 Jahre VSJF – 20 Jahre Genderworkshop »Geschlechterforschung zu Japan« Wolfram Manzenreiter: Zakkan – Relexionen vom Tellerrand Ulrich Möhwald: Warum man eine wissenschatliche Vereinigung gründet … Werner Pascha: Die VSJF und die Wirtschatswissenschaten Manfred Pohl: 25 Jahre VSJF: Tradition und dynamische Diversiizierung Anette Schad-Seifert: 25 Jahre VSJF – Ein Rückblick Wolfgang Seifert: Japanologie und Sozialwissenschaten – auf Augenhöhe! Ulrich Teichler: Ein kaum zu erwartender Erfolg – Zur Entstehung der Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung Gisela Trommsdorf: Gratulation zum 25jährigen Jubiläum der VSJF Klaus Vollmer: Statement zum 25jährigen Bestehen der VSJF 25 26 27 29 30 33 35 36 39 40 41 43 45 47 49 i n n en Politik Manfred Pohl Japanische innenpolitik 2012/13 1. Einleitung 2. Unterhauswahlen 2012 2.1 Die Unterhauswahlen 2012 in Zahlen 2.2 Das Kabinett Abe 51 52 52 53 56 6 2.3 2.4 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 4. 5. Inhalt Folgen und Einschätzung der Wahlergebnisse Was bleibt von drei Jahren DPJ-Regierung? Die Parteienlandschat in Japan Die LDP 2012/13 New Kōmeitō provoziert den Koalitionspartner Die DPJ im Zersetzungsprozess Schrumpfen große Hofnungen zur Episode? Wahlenttäuschung der Anti-Nuklearpartei Regionalwahlen in Tōkyō: Ishiharas Favorit wird Gouverneur – LDP gewinnt Mehrheit im Stadtparlament Oberhauswahlen 2013: Die LDP kann »durchregieren«, Opposition zerrissen – und im Niedergang Simone Kopietz die beschränkung des erbpolitikertums als neues nominierungsprinzip der dPJ 1. Einleitung 2. Vorgeschichte 3. Das neue Nominierungsprinzip 3.1 Toshirō Ishi’i – Wechsel des Einerwahlkreises 3.2 Hiroshi Sugekawa – Wechsel der Wahlkreisebene 3.3 Daisuke Fujita – Wechsel der Wahlebene 3.4 Yōsaburō Ishihara – Zeitliche Abfolge und Amtsinhaberstatus 3.5 Auswertung 4. Ausblick 58 60 62 62 63 64 64 65 67 75 76 79 82 84 85 87 89 91 93 auSSen Politik Wilhelm M. Vosse Von noda zu abe: Japans außenpolitische reaktion auf wachsende bedrohungswahrnehmung 2012/13 1. Überblick 2. Bilaterale Beziehungen 2.1 USA 2.2. China 2.3 Südkorea 2.4. Nordkorea 101 101 102 102 105 107 109 Inhalt 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 3. 3.1 3.2 3.3 4. ASEAN Australien EU Indien Russland Politikfelder Sicherheitspolitik Handelspolitik Entwicklungspolitik Ausblick David Adebahr der Wandel der japanischen Sicherheitspolitik vor dem hintergrund einer neuen ostasiatischen Sicherheitsarchitektur 1. Hintergrund 2. Zum analytischen und inhaltlichen Rahmen 3. Fear of Abandonment – Japans Sicherheitspolitik in den 1990er Jahren 3.1 Die Golf-Krise und ihre verfassungsrechtlichen Folgen 4. Japans Außenpolitik nach 9/11 4.1 Der 11. September 2001 und seine Auswirkungen auf die außenpolitischen Parameter Japans 5. Die SDF als Instrument einer gestalterischen Außenpolitik? 6. Fazit Lukas Gawor katastrophenmanagement im rahmen der u.S.-japanischen allianz: operation tomodachi und die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte 1. Einleitung 2. Die Struktur des japanischen Katastrophenmanagements 2.1 Der Prozess der Informationsakkumulation und Entscheidungsindung 2.2 Die unterschiedlichen digitalen Datenstandards bei U.S.-amerikanischen und japanischen Systemen 2.3 Die drei Ebenen des japanischen Nachwirkungsmanagements 3. Die Reformen des japanischen Katastrophenmanagementsystems nach dem Hanshin-Awaji-Erdbeben 3.1 Die Integration der U.S.-Japan-Allianz in die Katastrophenabwehrplanung 7 110 111 112 112 113 114 114 117 118 119 125 125 126 130 131 135 137 140 144 149 150 151 152 152 153 154 155 8 4. 5. 6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 7. 7.1 7.2 8. 8.1 8.2 Inhalt Die Mobilisierung der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte beim großen ostjapanischen Erdbeben vom 11. März 2011 Die Operation Tomodachi als gemeinsamer Einsatz der U.S.-Streitkräte und der SVS Deinitionen des auswärtigen Nachwirkungsmanagements (ANM) durch das U.S.-amerikanische Außen- und Verteidigungsministerium Die ANM-Deinition des U.S.-amerikanischen Außenministeriums Die ANM-Deinition des U.S.-Verteidigungsministeriums Die ANM-Deinitionen unter Berücksichtigung des Katastrophenortes Die Ausdiferenzierung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Gastgeberland und den U.S.-Behörden Die Umsetzungsprozesse des auswärtigen Nachwirkungsmanagements Die Kooperationsplanung für einen Einsatz am beschädigten Atomkratwerk Fukushima Nr. 1 Die Operation Paciic Passage Die Operation Tomodachi: Chronologischer Ablauf der U.S.- japanischen Zusammenarbeit Die Such- und Rettungsmissionen Die Endphase der Operation Tomodachi Die Auswirkungen und Ergebnisse der Operation Tomodachi Die Relokalisation der U.S.-Militärbasis Futenma Ein Ausblick auf die weitere Entwicklung der U.S.-japanischen Allianz Alexander Winschka Japans entwicklungszusammenarbeit mit afghanistan: Strategische überlegungen zwischen terrorismusbekämpfung und energiesicherheit 1. Einleitung: Japans Engagement in Afghanistan 2. Japans EZ in Entwicklungs- und Sicherheitspolitischen Diskursen 3. Japans Rolle und Selbstverständnis im Wiederaubauprozess Afghanistans 4. Japans Anti-Terror-Strategie und EZ zur Eindämmung des Terrorismus in Afghanistan 4.1 Problemfeld Terrorismusbekämpfung: Sicherheit und Militär 5. Japans Zentralasien-Strategie 5.1 Japans Interesse an zentralasiatischer Energie 5.2 Wirtschatliches Interesse an Afghanistan? 6. Fazit: Länderstrategie Afghanistan? 155 156 157 157 158 159 160 161 161 162 163 166 166 166 167 168 177 178 180 183 185 188 191 193 195 196 9 Inhalt W irtSch a F t Georg Blind und Stefania Lottani von Mandach bescheidene Managementgehälter und sich schliessende lohnscheren: neue einblicke in den japanischen arbeitsmarkt 1. Einleitung 2. Überblick über die aktuelle wirtschatliche Entwicklung in Japan 3. Gehälter in Japan 3.1 Die Löhne der japanischen Spitzenmanager 3.2 Die allgemeine Entwicklung des Lohnniveaus von Arbeitnehmern 4. Fazit Florian Kohlbacher und Hendrik Mollenhauer Japans Senioren auf dem arbeitsmarkt: zwischen ökonomischer notwendigkeit und innerem antrieb 1. Einleitung 2. Literaturüberblick und theoretische Grundlage 3. Forschungsmethode 4. Auswirkungen des demograischen Wandels auf den japanischen Arbeitsmarkt 4.1 Arbeitsangebot für ältere Arbeitnehmer 4.2 Motivationsfaktoren älterer Arbeitnehmer 5. Diskussion 5.1 Arbeitsmarktpolitische Entwicklungen aus staatlicher Perspektive 5.2 Arbeitsmarktpolitische Entwicklung aus Unternehmensperspektive 5.3 Arbeitsmarktpolitische Entwicklung aus individueller Perspektive 6. Fazit 203 204 206 209 210 218 222 229 230 231 234 235 237 241 243 243 244 245 247 Ge Se l l Sch a F t Susanne Klien katastrophenvolunteers in tōhoku: lebensinhalt, Strategie, Selbstzufriedenheit? 1. Einführung 2. Deinition von Freiwilligenarbeit 2.1 Prozessualität und Relationalität als Charakteristika von Volunteering 255 256 259 263 2.2 Netzwerkmitglieder, Sozialunternehmer, Volunteers? 3. Freiwilligenarbeit als Transformationsprozess: Ausgewählte Narrative von Freiwilligen 4. Ausblick: Volunteers zwischen Altruismus und Suche nach Lebenssinn Dorothea Mladenova »Sushi global«: zwischen J-branding und kulinarischem nationalismus 1. Einleitung 2. »Sushi« geht um die Welt – und von dort nach Deutschland 3. »Sushi« zwischen authentisch und fake, ethnisch und national, global und lokal 4. Fazit 264 267 270 275 275 279 286 292 — Die Autorinnen und Autoren 299 Vorwort Die VSJF blickt auf ein Vierteljahrhundert Geschichte zurück, in dem sie sich mit derzeit über 260 Mitgliedern zu einer der größten japanwissenschatlichen Vereinigungen in Europa entwickelt hat. Aus Anlass dieses Jubiläums haben wir die ehemaligen ersten Vorsitzenden* und diejenigen unter den VSJF-Mitgliedern angeschrieben, die laut unserer Datenbank als »Mitglieder der ersten Stunde« – d.h. Mitglieder seit 1988 – identiiziert werden konnten. Insgesamt haben wir 25 VSJFMitglieder gebeten, einen kurzen Text von etwa 500 Worten zur Bedeutung der VSJF zu verfassen bzw. Anekdoten zum Besten zu geben. Als Resultat inden sich zu Beginn dieses Jahrbuchs »Rückblicke und Relexionen zur Zukunt der VSJF« von 15 Mitgliedern – in den Sozialwissenschaten eine beachtliche Rücklaufquote (zumal in dem von uns eng gesetzten Zeitrahmen), was wiederum für die Dynamik der VSJF spricht. Diese kleine Sammlung von Kurzbeiträgen repräsentiert sehr prägnant die Vielstimmigkeit der VSJF und gibt Impulse zur weiteren Diskussion. Gerade diese interne Diversität und Multidisziplinarität ist sicher eine ihrer großen Stärken, die zuversichtlich und mit Spannung auf die nächsten 25 Jahren blicken lässt. Mit dem Überblickbeitrag von Manfred Pohl beginnt die Rubrik Innenpolitik. Für Pohl stellen die Wahlsiege der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) keine Rückkehr in die Vergangenheit der stabilen LDP-Herrschat dar. Denn diese Erfolge sind nicht durch eine erneute Popularität der LDP, sondern durch die Abkehr der Wähler von der Demokratischen Partei Japans (DPJ) bedingt. Simone Kopietz behandelt in ihrem Beitrag das hema der Erbabgeordneten als eines der zentralen Probleme der japanischen Politik. Die DPJ hatte in den letzten Jahren versucht, den Rekrutierungsprozess von Kandidaten stärker für Personen außerhalb von Politikerfamilien zu öfnen. Aufgrund von innerparteilichem Widerstand und dem Erfolgszwang bei Wahlen erfolgt die Umsetzung des neuen Verfahrens jedoch nur partiell. Mit vier Beiträgen ist die Rubrik zur Außenpolitik im diesjährigen Japan Jahrbuch besonders stark vertreten. Der Übersichtsartikel von Wilhelm Vosse zeichnet nach, wie sich die Außenpolitik durch den Wechsel von Noda (DPJ) zu Abe (LDP) verschoben hat. Gerade auch angesichts des Inselkonlikts mit der VR China wird die japanische Außenpolitik zunehmend durch Bedrohungsszenarien und einen Fokus auf Sicherheitsaspekte geprägt. An diese Analyse knüpt der Beitrag von David Adebahr an, welcher den Wandel in der japanischen Sicherheitspolitik seit dem Ende des Kalten Krieges untersucht. Er zeigt, dass Japan sicherheitspolitisch eine pro-aktivere Position und stärkere internationale Rolle wahrnimmt, um die Kontinuität der Partnerschat mit den U.S.A. zu garantieren und dem Aufstieg neuer * Alle im Text verwendeten Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen. 12 Regionalmächte in Ostasien entgegenzutreten. Lukas Gawor untersucht die Kooperation zwischen den U.S.A. und Japan im Katastrophenmanagement nach der Dreifachkatastrophe im Jahre 2011. Zwar konnten dadurch die Probleme bzgl. der Militärbasis Futenma nicht vollständig gelöst werden, doch hat die enge Kooperation zu einer Verbesserung der Beziehungen geführt. Alexander Winkscha analysiert Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan. Diese ist in den letzten Jahren durch eine Neuausrichtung gekennzeichnet, indem zunehmend wirtschatliche und energiepolitische Überlegungen die japanische Entwicklungshilfe in Afghanistan prägen. Im Überblicksbeitrag des Wirtschatsteils erörtern Georg Blind und Stefania Lottanti von Mandach die neusten Entwicklungen in der Wirtschat und Wirtschatspolitik. Im zweiten Teil ihres Artikels analysieren sie die Lohnentwicklung der letzten Jahre, die u.a. weiterhin durch relativ geringe Managergehälter geprägt ist. Mit der Beschätigung von Senioren nehmen sich Florian Kohlbacher und Hendrik Mollenhauer angesichts der rasanten demographischen Alterung Japans einem zentralen hema an. Sie zeigen eine Diskrepanz zwischen dem uniformen Stellenangebot für Senioren und der diversiizierten Nachfrage von Seiten der Senioren auf, welche eine höhere Beschätigungsquote von älteren Personen in Japan zurzeit verhindert. Der Gesellschatsteil beginnt mit einem Beitrag von Susanne Klien zur Freiwilligenarbeit in Tōhoku. Ihre qualitative Studie dokumentiert die unterschiedlichen Motive für Freiwilligenarbeit, welche jedoch in ihrer Gesamtheit zu einer Repositionierung der Freiwilligen in der japanischen Gesellschat führen. Den Abschluss des diesjährigen Japan Jahrbuchs bildet der Beitrag von Dorothea Mladenova, der Sushi als globales Nahrungsmittel analysiert. Sie erörtert wie im Zuge der globalen Verbreitung von Sushi eine Hybridisierung stattgefunden hat, die einer nationalen Vereinnahmung von Sushi durch Japan entgegenwirkt. Das Japan Jahrbuch – seit 2007 in der institutionellen Herausgeberschat der VSJF – ist ein Forum für Beiträge von etablierten Wissenschatlern und von Nachwuchswissenschatlern. Mit Ausnahme der Überblickartikel durchlaufen alle Beiträge ein Double Blind Review. Unser herzlicher Dank gilt dem Editorial Board und den externen Gutachtern, die durch ihre fundierten Kommentare und produktive Kritik die Qualität der Beiträge sichergestellt haben. Lorenz Pagenkopf und Rainer Stobbe (Manuskriptbearbeitung) sowie Gabriel Lieberum (Satz und Textgestaltung) möchten wir ebenso herzlich danken. Dank ihnen ist erneut eine fristgerechte Publikation des Jahrbuchs möglich gewesen. Zürich/Tōkyō, im Oktober 2013 Prof. Dr. David Chiavacci und Dr. Iris Wieczorek 13 Die bisherigen Sonderbeiträge: Politik Erfolge und Versäumnisse der Umweltschutzpolitik in Japan (H. Weidner), 1981/82 Die heutige Lage der japanischen Streitkräte (R. Drite), 1981/82 Japans Rechtsextremismus: zwischen etablierter Politik und Kriminalität (M. Pohl), 1982/83 Tiefpunkt einer Politikerkarriere – Kono Yoheis Experiment »Neuer Liberaler Club« ist gescheitert (Ch. Schwandt), 1986/87 Die Reform der japanischen Staatsbahnen (JNR) (H.J. Mayer), 1986/87 Leiharbeit und zwischenbetrieblicher Arbeitskrätetransfer (A. Ernst), 1986/87 Europäische Gemeinschat – Japan (K.-R. Korte), 1986/87 Japans Antikernkratbewegung im Aufwind (H.J. Mayer), 1988/89 Stichwort »Internationalisierung«: Marktöfnung genügt nicht (H.J. Mayer), 1988/89 Zwischen Politik und Religion: Der Streit um die hronfolgeriten in Japan (P. Fischer), 1990/91 Japan als regionale Großmacht? Die ASEAN-Reise Kaifu Toshikis (M. Pohl), 1990/91 APEC – Die Konferenz über asiatisch-paziische wirtschatliche Zusammenarbeit aus japanischer Perspektive (J. Morhard), 1990/91 Japan: Der »Marsch zum Gipfel« (R. Machetzki), 1990/91 Japan und die GATT-Runden: Die grundsätzliche Haltung Japans in den GATT-Verhandlungen (M. Pohl), 1990/91 Japan und Rußland (W. Wallraf), 1991/92 SII und die amerikanisch-japanischen Beziehungen. Eine neue Lösung für ein altes Problem? (B. May), 1991/92 Zwischen Kooperation und Konlikt. Die Stellung Japans in der G-7 (B. Reszat), 1991/92 Die administrative Elite Japans und ihr Verhältnis zur Liberal-Demokratischen Partei (M. Bandow), 1992/93 Japan: Macht neuen Typs oder Riese ohne Verantwortung? (W. Wallraf), 1992/93 Japan und Südkorea zu Beginn der 90er Jahre: Aubruch zu neuen Ufern? (P. Köllner), 1992/93 Japan als »aid leader«: Neue Entwicklungen in der japanischen Entwicklungspolitik (F. Nuscheler), 1993/94 Japan und Lateinamerika: Intensivierung der Beziehungen (H. Kret), 1994/95 Die politischen und wirtschatlichen Beziehungen der EU zu Japan (W. Pape), 1994/95 Tokyos Müllmanagement in Zeiten zunehmender Raumnot (R. Kühr), 1995/96 Von Vermächtnissen der Vergangenheit, gegenwärtigen Besorgnissen und zuküntigen Sicherheitsregimen: Anmerkungen zu Japans strategischem Umfeld in Nordostasien (P. Köllner), 1995/96 14 Bisherige Sonderbeiträge Die Unterhauswahlen 1996 (P. Köllner), 1996/97 Japans Sicherheitspolitik zwischen Kollektiver Verteidigung und Kollektiver Sicherheit. Eine politiktheoretische Betrachtung (D. Nabers), 1996/97 Parteien und innerparteiliche Machtgruppen in Japan: Die Zukunt traditioneller politischer Strukturen (M. Pohl), 1997/98 Japan und die ostasiatische Wirtschatskrise (H. Kret), 1997/98 Japans neue Sicherheitspolitik – Von der Landesverteidigung zur regionalen militärischen Interventionsfähigkeit? (D. Nabers), 1998/99 Japanisch-afrikanische Wirtschatsbeziehungen: Stand und Perspektiven von Entwicklungshilfe und Direktinvestitionen (M. Rohde), 1998/99 Mongolisch-japanische Beziehungen (1990–1998) – Die Mongolei zwischen Globalisierung und Regionalisierung (U.B. Barkmann), 1998/99 Die Unterhauswahlen vom Juni 2000 (P. Köllner), 1999/2000 Raketenabwehrpläne der USA im Lichte der strategischen Rolle Japans (M. Wagener), 1999/2000 Politikverdrossenheit in Japan (Christoph Hallier), 2000/2001 Japan und Ostasien: Von der Regionalisierung zum Regionalismus (Madeleine Preisinger-Monloup), 2000/2001 Japan in East Asia: Why Japan Will Not Be a Regional Political Leader (Axel Berkofsky), 2000/2001 Spillover des Diskurses unter Intellektuellen auf die Reformdebatte unter Politikern (Karin Adelsberger), 2001/2002 Japans neue Klimadiplomatie – Auswirkungen des Kyōto-Protokolls auf Japans Rolle in Asien (Georg Schmidt), 2001/2002 Zur Diskussion um die Änderung des Kriegsverzichtsartikels in der japanischen Verfassung (Artikel 9) (Junko Ando), 2003 Flüchtlingsschutz in Japan: Aktuelle Änderungen und ofene Kritikpunkte (Jeannette Behaghel), 2003 Gibt es einen Paradigmenwechsel in der jüngeren japanischen Sozialpolitik? Reformen, Wirkungen, Hemmnisse (Harald Conrad), 2003 Brauchen wir eine neue Japanpolitik? (Hans-Dieter Scheel), 2003 Japan als starker und schwacher Immigrationsstaat: Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität der Migrationspolitik (David Chiavacci), 2004 Zur Funktionalität »typisch« japanischer Wirtschatspolitik – Irrweg oder Alternative der Umweltpolitik? (Ilona Köster), 2004 Japans Beitrag zur internationalen Klimapolitik (Heike Schröder), 2004 Die Neue Kōmeitō – Zünglein an der Waage im japanischen Parteiensystem (Ruth Schneider), 2005 Die Zukunt der Erbfolge in der japanischen Politik (Kai-F. Donau), 2005 Elitenetzwerke in Japan (Carmen Schmidt), 2005 Aufstieg und Fall des »Endō-Reiches« – Öfentliches Bauen und politische Korruption in Japan am Beispiel der Präfektur Tokushima (homas Feldhof), 2005 bisherige Sonderbeiträge 15 Zwischen regionaler Integration und nationaler Renaissance – Welchen Weg nimmt Japans Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts? (Martin Eberts), 2005 Political Leadership in Japan – Premierminister Koizumi und der »japanische Führungsstil« (Axel Klein), 2006 Strukturwandel des politischen Systems in Japan: Dezentralisierung und die neue Bedeutung der Kommunen (Gesine Foljanty-Jost), 2006 Japan und China – Perspektiven einer schwierigen Nachbarschat (Martin Eberts und Henri Léval), 2006 Japans Streben nach einem ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat: Eine unendliche Geschichte? (Kerstin Lukner), 2006 Shinzō Abe und das Ende der Reformpolitik (Albrecht Rothacher), 2007 Die Ästhetik des Opfers: Anmerkungen zur jüngsten Patriotismusdebatte in Japan (Matthias Pfeifer), 2007 Die Globalisierung der japanischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Frank Umbach), 2007 Die japanische Innenpolitik 2007/2008 und Japans Parteien (Christian Winkler), 2008 Zehn Jahre NPOs in Japan – Diversiizierung des Dritten Sektors durch Recht (Gesine Foljanty-Jost, Mai Aoki), 2008 Änderungen im japanischen Innovationssystem und »neue« japanische Innovations-politik (Kerstin Cuhls), 2008 Grundzüge und Tendenzen der japanischen Außenpolitik. Internationale Proilierung durch globale Herausforderungen (Wilhelm Vosse), 2008 Japans Entwicklungspolitik auf dem Prüfstand: Wegmarkierungen und Weichenstellungen (Paul Kevenhörster), 2008 Die Unterhauswahl 2009: Als der Wandel nach Japan kam!? (Christian Winkler), 2009 Bestimmt der Staat, was auf den Tisch kommt? Die Umsetzung des Rahmengesetzes zur Ernährungserziehung im ländlichen Japan (Cornelia Reiher), 2009 Terra marique: Die Rückkehr des Raumes in der völkerrechtlichen Debatte (Urs Matthias Zachmann), 2009 Das Ende des Eisernen Dreiecks? (Albrecht Rothacher), 2010 Niedrige Fertilität als politische Herausforderung: Eine neue Perspektive auf staatliche Steuerungsversuche im Feld der demographischen Entwicklung Japans (Axel Klein), 2010 Krisenherde im Meer: Japans Territorialkonlikte (Andreas Beck), 2010 Förderer für die Gleichstellung der Geschlechter zwischen Präfektur und Kommune: Ein Beispiel für Bürgerpartizipation an dezentralen Implementierungsprozessen? (Phoebe Holdgrün), 2011 »Partizipationsboom« in Japan: Zur (Un)Möglichkeit einer Bürgerselbstverwaltung (Karoline Haufe und Gesine Foljanty-Jost), 2011 Herausgefordert durch Wirtschatskrise und Naturkatastrophe: Japanische Außenpolitik 2010/2011 (Wilhelm Vosse), 2011 16 Bisherige Sonderbeiträge Technologietransfer oder Import von Arbeitskräten? Politische und wirtschatliche Dimensionen des Trainings und Praktikums für Ausländer in Japan 1982 bis 2010 (Daniel Kremers), 2011 Der neunte Foresight-Prozess in Japan 2010: Sind die Ergebnisse schon überholt? (Kerstin Cuhls), 2012 Aufwind für Japans Windkrat? Japans Windkratsektor nach Fukushima (Anna Schrade), 2012 Japans Neuerindung als »Umweltnation«: Nationalismus zwischen Isolation und internationaler Integration im Post-Fukushima-Japan (Rafael Raddatz), 2012 WirtSchaFt Japans Klein- und Mittelindustrie (M. Pohl), 1977/78 Vertriebssystem und Vertriebskosten in Japan (H. Laumer), 1979/80 Die japanische Konkurrenz – Hintergründe der hohen Leistungsfähigkeit (B. Pfafenbach), 1980/81 Aufwind für Japans Universalhandelshäuser (M. Eli), 1980/81 Forschung und Technologie in Japan (S. von Krosigk), 1982/83 Japans Verlechtung in die Weltwirtschat und die deutsche Wettbewerbslage im japanischen Spiegel (S. Böttcher), 1982/83 Die japanische Staatsverschuldung – Ursachen und Auswirkungen (A. Mekkel), 1983/84 Planrationalität und Marktrationalität – Vergleichende Betrachtung zwischen Japan und der Bundesrepublik Deutschland (S. Böttcher), 1983/84 Der bundesdeutsche Außenhandel mit Japan im Jahre 1984 (H.-J. Kurwan), 1984/85 Anmerkungen zur Informationslücke über Japans technologische Entwicklung (H. Schunck), 1984/85 Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Wertevorstellungen im »Fernen Westen« und im »Fernen Osten« (S. Böttcher), 1984/85 Klischees, Mythen und Realitäten: Japan mit kritischer Brille betrachtet (G. Hielscher), 1985/86 Die einseitige Integration Japans in die Weltwirtschat (S. Böttcher), 1985/86 Der Markt für deutsche Investitionsgüter in Japan (A. Rive), 1985/86 Aspekte der Exportförderung in Japan (M. Pohl), 1985/86 Die Ära der Mikroelektronik und die japanischen Gewerkschaten (H.-U. Bünger), 1985/86 Japans schwieriger Weg zur Internationalisierung (S. Böttcher), 1986/87 Deutsch-japanischer Vergleichsbericht über die Verteilungssysteme beider Länder (S. Böttcher), 1987/88 Staatliche Fördermaßnahmen für Innovation und Technologie-Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen (M. Pohl), 1987/88 Japan lohnt sich – die deutsch-japanischen Wirtschatsbeziehungen werden enger (S. Böttcher), 1988/89 Japan vor der Festung Europa? Nippons Europa-Strategien für 1992 (K.-R. Korte), 1988/89 Rückzug wider Willen: Japans Image leidet durch Hinhaltetaktik beim Treibnetzischfang (H.J. Mayer), 1989/90 Kooperationen bestimmen die deutsch-japanischen Wirtschatsbeziehungen (H.-J. Kurwan), 1989/90 bisherige Sonderbeiträge 17 Japans DDR- und Osthandelsbeziehungen im Umbruch (H.J. Kurwan), 1989/90 Deutscher Mittelstand nach Japan (S. Böttcher), 1989/90 Entwicklungen im japanischen Einzelhandel 1989/90 (M. Pohl), 1989/90 Die Europäer rollen nach Japan – Die Exporterfolge der EG-Länder in Japan und ihre handelspolitische Bedeutung (J. Mull), 1989/90 Deutsch-japanischer Handel vor einer Trendwende? (H.-J. Kurwan), 1990/91 Japanische Investitionen in Europa (H. Green), 1990/91 Westjapan – Verpaßt die deutsche Wirtschat ihre Chancen? (G. Amelung), 1991/92 Staat und Industrieforschung in Japan (U. Wattenberg), 1991/92 Japanische Auslandsinvestitionen. Probleme mit der Datenbasis (U. Menzel), 1991/92 Europa im Blickpunkt japanischer Investoren (H. Kret), 1991/92 Die neuen Bundesländer als Investitionsstandort für japanische Unternehmen (H. Kret), 1991/92 Regionale Kooperationspläne in Nordostasien. Der Japan-See-Wirtschatsraum (J. Morhard), 1991/92 Wachsen Japans Bäume etwa doch in den Himmel? (S. Böttcher), 1991/92 Kartelle, Kartellbehörden und Kartellaufsicht in Japan (C. Heath), 1992/93 Die Keiretsu: Rückgrat der japanischen Wirtschat (H. Kret), 1992/93 Neue Akzente in den US-japanischen Wirtschatsbeziehungen (B. Reszat), 1992/93 Währungsentwicklung und Währungspolitik in Japan (B. Reszat), 1993/94 Japanische Transportunternehmen in Europa (W. Nötzold), 1993/94 Nach Japan exportieren – in Japan investieren – mit Japan kooperieren: Für eine Stärkung des deutschen Japan-Engagements (H. Kret), 1993/94 Ostasien aus japanischer Perspektive: Vom Rohstolieferanten zum Wirtschatspartner (H. Kret), 1993/94 Japans Pharmaindustrie auf dem Weg zum Global Player? (P. Köllner), 1993/94 Japan – eine Kopierkultur? (C. Heath), 1993/94 Japanische Banken im internationalen Wettbewerb – Phönix aus der Asche? (B. Reszat), 1994/95 Zwischen strategischen Allianzen und struktureller Abhängigkeit: Anmerkungen zur japanisch-südkoreanischen Industriekooperation (P. Köllner), 1994/95 Innovationspole – ein Instrument der Struktur- und Arbeitsmarktpolitik (K.-H. Schmidt), 1994/95 Der Arbeitskrätemangel in Japan: unlösbares Problem der 90er Jahre oder Spiegel verkrusteter Personalpolitik? (I. Kuhnert), 1994/95 Rezession und strukturelle Veränderungen setzen den japanischen Mittelstand unter Druck – Eine Bestandsaufnahme anhand des Weißbuchs für Klein- und Mittelunternehmen 1995 (F. Bosse), 1994/95 Beobachtungen und Randnotizen zur »Reiskrise« der frühen 90er Jahre (K. Vollmer), 1994/95 Das Hanshin-Erdbeben und seine ökonomischen Folgen (F. Bosse), 1994/95 Japan als Finanzzentrum Ostasiens? (B. Reszat), 1995/96 18 Bisherige Sonderbeiträge Rechtssystem und wirtschatlicher Erfolg in Japan (Ch. Heath), 1995/96 Die räumliche Umorganisation der japanischen Industrieproduktion im Ausland (H. und B. Kret), 1995/96 Deregulierung der japanischen Wirtschat – mehr als ein Schlagwort? Der schwierige Reformprozeß in Japan (H. Kret), 1996/97 Japans Wirtschat entdeckt Indien: Die Intensivierung der japanisch-indischen Wirtschatsbeziehungen seit Beginn der 90er Jahre (B. und H. Kret), 1996/97 Japans umweltpolitische Entwicklungshilfe: Eine Analyse am Beispiel des Transfers von Umwelttechnologie (R. Kühr), 1996/97 Talking to the Machine: Herstellung und Gebrauch von Informationstechnik in Japan (P. Plate), 1996/97 Japan und die Regionalisierung im Paziischen Becken (M. Preisinger-Monloup), 1996/97 Verbraucherverhalten in Japan, dessen Wandlungen und Tendenzen (U. hiede), 1996/97 Tendenzen der japanischen Energie- und Umweltpolitik (P. Plate), 1997/98 Neue Unternehmer braucht das Land … (F. Bosse), 1997/98 »Back to the Future« oder: Eine Produktionsform auf der Suche nach ihrer Zukunt (H. Törkel), 1997/98 Der japanische Versandhandel (S. Aßmann), 1997/98 Japan und und die Einführung des Euro – Neue Bemühungen um eine Internationalisierung des Yen (H. Kret), 1998/99 Mergers & Acquisitions: Öfnung und Wandel der Japan Inc. (A. Nabor), 1998/99 Abschied von den keiretsu? Japans Wirtschat vor einem »new-economy«-Boom und weiterer Öfnung (H. Kret), 1999/2000 Mergers & Acquisitions in Japan (H. Menkhaus und H. Schmitt), 1999/2000 Marktzugang für deutsche Unternehmen in Japan: Neue Chancen und Risiken (S. Bromann, W. Pascha und G. Philipsenburg), 1999/2000 Nach der verlorenen Dekade in Japan der ökonomische »turnaround«? Die Risiken einer notwendigen Reformpolitik sind hoch (Heinrich Kret), 2000/2001 Finanzmarktwettbewerb und Regulierung (Andreas Nabor), 2000/2001 he Law of Marketing and Advertising in Japan (Christopher Heath), 2000/2001 Versorgung mit Risikokapital in Klein- und mittelständischen Unternehmen in Deutschland und Japan (Martin Naundorf), 2000/2001 Sōgō Shōsha – Japans multifunktionale Großunternehmen im Existenzkampf (Max Eli), 2000/2001 Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschat? Japans Umweltpolitik nach der Verwaltungsreform (Georg Schmidt), 2000/2001 Flughafenstandorte in Japan – Akteure, Strategien, Probleme und Perspektiven (homas Feldhof), 2000/2001 Asymmetrie in der japanisch-amerikanischen Währungspolitik (Gunther Schnabl), 2001/2002 Internationale Kooperationen im Mittelstand: Vertrauen und vertrauensbildende Maßnahmen in deutsch-japanischen Unternehmenskooperationen (Harald Dolles), 2001/2002 19 bisherige Sonderbeiträge Erfolgsfaktoren ausländischer Banken in Japan (Matthias Gundlach und Ute Roßmann), 2001/2002 Probleme 2002 und Perspektiven der japanischen Pharmaindustrie (Jörg Mahlich), 2001/ Manga – Evolution einer Industrie (Michael Haas), 2001/2002 Bubble Economy – Spätfolgen und Konsequenzen für die Finanzierungsstruktur japanischer Unternehmen (Martin Naundorf), 2003 Erneuerbare Energien in Japan – Im Osten etwas Neues? (Georg Schmidt), 2003 Das japanische Innovationssystem im Überblick (Jörg Mahlich), 2003 Wie wettbewerbsfähig ist Japan? (Ingo Meierhans und Christian Flock), 2004 Die Auswirkungen des Wechselkurses auf die japanische Geldpolitik (Matthias Brachmann), 2004 Wem gehört das japanische Unternehmen? Entwicklungen um Corporate Governance seit dem Platzen der »Bubble Economy« (Akira Takenaka), 2004 Neue Entwicklungen in den Banken-Firmen-Beziehungen in Japan (Jörg Mahlich), 2004 Japanische Unternehmensverbände im ICT-Sektor – Empirische Analyse personeller Verlechtung und verbandlicher Strukturen (Andreas M. Schaumayer), 2004 Japans Strategie bilateraler Wirtschatsabkommen: Chronologie und Etappen der Herausbildung 1998– 2005 (Patrick Ziltener), 2005 Interkultureller Wissenstransfer in multinationalen japanischen Unternehmen (Parissa Haghirian und Florian Kohlbacher), 2005 Staatliche Foresight-Aktivitäten in Japan: Neue Instrumente in der Forschungs- und Technologiepolitik (Kerstin Cuhls), 2005 Nisennana nen mondai: Bedeutung und Auswirkungen einer alternden Bevölkerung und Belegschat für Firmen in Japan (Florian Kohlbacher), 2006 M&A in Japan – Verborgene Konliktpotenziale für ausländische Erwerber in der Integrationsphase (Wolfgang Dorow und Carsten Herbes), 2006 Markteintritt von Klein- und Mittelbetrieben in den japanischen Markt – Herausforderungen und Chancen (Parissa Haghirian), 2006 Japans Wirtschat auf dem Weg zurück zur Normalität? Binnen- und außenwirtschatliche Entwicklung 2006/2007 und Wirtschatsbeziehungen zu Deutschland (Frank Robaschick), 2007 Auslandsspiel mit gleicher Aufstellung? Internationale Expansion japanischer F&E und die Frage nach der Übernahme erprobter Koordinationsstrukturen (Roman Bartnik), 2007 Das neue japanische Gesellschatsrecht: Überblick, erste Erfahrungen und Prognosen (Jörn Westhof), 2007 Finanzmarktturbulenzen bremsen Japans Wirtschatswachstum (Frank Robaschik), 2008 Auswirkungen von Zersiedlung auf Infrastrukturausgaben in Nagoya und München – eine Vergleichsstudie (Stefan Klug), 2008 Japan als Marke – die Nutzung kultureller Faktoren in japanischen Vermarktungsstrategien (David Eichhorn), 2008 Japans konjunktureller Einbruch in der globalen Finanz- und Wirtschatkrise (Hanns-Günther Hilpert), 2009 20 Bisherige Sonderbeiträge Erfolgsfaktoren und Herausforderungen der Nachfolge in japanischen Familienunternehmen am Beispiel der Möbelindustrie (Tim Goydke & Henrik Smailus), 2009 CSR-Berichterstattung japanischer Unternehmen (Ramona Grieb), 2009 Japans Wirtschat unter der DPJ-Regierung: Zwischen Stillstand und Reform (Detlef Rehn), 2010 Japans öfentliche Verschuldung: Droht der Staatsbankrott? (Frank Rövekamp), 2010 Japans Deregulierungszonen als wirtschatspolitisches Experimentieren (Werner Pascha und Petra Schmitt), 2010 Geschätsstrategie, Führungsstruktur und Arbeitsmotivation in Niederlassungen multinationaler japanischer unternehmen in Deutschland (Yoshinori T. Wada), 2010 Das Tōhoku-Erdbeben – wirtschatliche Auswirkungen (Franz Waldenberger und Jens Eilker), 2011 Ethischer Konsum in Japan: Ein neuer Trend? (Florian Kohlbacher), 2011 Ansichtssache: Zum Zustand der japanischen Wirtschat nach Doppelschlag und Dreifach-Katastrophe (Georg Blind und Stefania Lottani von Mandach), 2012 Subjektives Glücksempinden und seine Einlussfaktoren im japanischen Kontext: Eine glücksökonomische Analyse der Ergebnisse des National Survey on Lifestyle Preferences (Tim Tiefenbach und Florian Kohlbacher), 2012 Die geistige Eigentumsstrategie für die Contents-Industrie in der japanischen Wirtschatspolitik (Takahiro Nishiyama), 2012 GeSellSchaFt Die japanischen Gewerkschaten (M. Pohl), 1976/77 Das japanische Erziehungssystem (U. Teichler), 1977/78 Kriminalität in Japan (M. Scheer), 1977/78 Rolle und Stellung der Frau in Japan (G. Hielscher), 1978/79 Beschätigungsprobleme ausgewählter Minderheiten in Japan (A. Ernst), 1978/ 79 Sozialversicherung, Altersversorgung, Rentensystem (S. Lörcher), 1979/80 Japan auf dem Weg zur »Informationsgesellschat« (U. Wattenberg), 1984/85 Hochschulstudium und Nachwuchsrekrutierung: Universitäten und Arbeitsmarkt (H.-H. Gäthke), 1986/87 Zusammenschluß der Gewerkschatsdachverbände: Aubruch zu neuen Ufern oder Abdankung auf Raten? (H.J. Mayer), 1987/88 Das organisierte Verbrechen in Japan – einige Daten und Aspekte (H. Worm), 1987/88 Die Systeme sozialer Sicherung in Japan und der Bundesrepublik Deutschland: Versuch eines wertenden Vergleichs (M. Pohl), 1987/88 Gemeinschatsleben in der Großstadt: Die japanischen Nachbarschatsvereinigungen (Chonaikai) (S. Kreitz), 1989/90 Polizeiskandal in Osaka: Polizeikritische Anmerkungen zum Aufstand der Tagelöhner von Kamagasaki (H. Worm), 1990/91 Akademischer Austausch zwischen Deutschland und Japan (U. Lins), 1992/93 bisherige Sonderbeiträge 21 Überalterung der Bevölkerung stellt neue Anforderungen an Japans Sozialpolitik (F. Bosse), 1993/94 Japans Kōban-Polizei: Die Helden der inneren Sicherheit? (H. Worm), 1993/94 Holocaust-Leugner in Japan: Der Fall »Marco Polo« – Printmedien und Vergangenheitsbewältigung (H. Worm), 1994/95 Soziale Sicherung in Japan am Beispiel von Arbeitnehmern in unsicheren Anstellungsverhältnissen (F. Brandes), 1995/96 Wie stark sind die japanischen Gewerkschaten? – Eine Positionsbestimmung anhand der Lohnpolitik (F. Bosse), 1995/96 Die Entschädigung ehemaliger Zwangsprostituierter in Japan (H. Küpper), 1996/97 Leben, arbeiten und alt werden in Japan – Japanische Arbeits- und Sozialpolitik (M. Sommer), 1997/98 Das neue Ainu-Gesetz (H. Küpper), 1997/98 Leitmotiv Überalterung: Arbeits- und Sozialpolitik in Japan (M.M. Sommer), 1998/99 Die japanische Arbeitslosenversicherung in der Krise (A.M. hränhardt), 1998/99 Randale an Japans Schulen: Ursachen und bildungspolitische Antworten (G. Foljanty-Jost), 1998/99 Uhrenindustrie und Zeitregime (F. Coulmas), 1999/2000 Wege aus der Arbeitslosigkeit? Neue und alte Formen der Selbstständigkeit in Japan (C. Storz), 1999/2000 Japanische Arbeits- und Sozialpolitik in Zeiten des Strukturwandels (M.M. Sommer), 1999/2000 Ungeregelt, ungesichert, unterbezahlt – Arbeit und Beschätigung im Schatten des Toyotaismus (W. Manzenreiter), 1999/2000 Forschung und technologische Entwicklung in Japan und Deutschland – Standortbestimmung und neue Kooperationsansätze (Klaus Matthes), 2000/2001 Wie Japan und Deutschland mit dem Zweiten Weltkrieg umgehen (Gebhard Hielscher), 2000/2001 Vergangenheit im Spielilm der frühen Nachkriegszeit – Japan und Deutschland im Vergleich (Miriam Rohde), 2000/2001 (Ehe-)Paarhaushalt als Auslaufmodell? Die Debatte um die Parasiten-Singles in Japan (Annette SchadSeifert), 2001/2002 Japan – a Disafected Democracy? On Political Trust, Political Dissatisfaction, Political Activity, and Environmental Issues (Wilhelm Vosse), 2001/2002 Wenn der Zirkus die Stadt verlassen hat: Ein Nachspiel zur politischen Ökonomie der Fußball-WM 2002 in Japan (Wolfram Manzenreiter), 2003 Eine Kaiserin auf Japans hron? Die Zukunt des japanischen Kaiserhauses (Eva-Maria Meyer), 2003 Neue Entwicklungen in der japanischen Schulbuchdebatte (Sven Saaler), 2003 Zwischen Ignoranz und Reaktion – Aktuelle Medienberichterstattung über japanische Kriegsverbrechen im Asiatisch-Paziischen Krieg (Daniela Rechenberger), 2003 Jugendhilfe in Japan: Reformen und zuküntige Aufgaben (Manuel Metzler), 2004 Quo vadis, Futenma? Zur Transnationalisierung des politischen Protestes in Okinawa (Gabriele Vogt), 2005 Das japanische Gesellschatsmodell in der Krise: Fazit und Versuch eines Ausblicks am Ende des verlorenen Jahrzehnts (David Chiavacci), 2006 22 Bisherige Sonderbeiträge Japans kinderarme Gesellschat – Die niedrige Geburtenrate und das Gender-Problem (Annette SchadSeifert), 2006 Japanische Krankenhäuser: Ein Sektor im Umbruch (Matthias Brachmann), 2006 Paradigmenwechsel? Eine empirische Betrachtung transsektoraler Zusammenarbeit zwischen zivilen Umweltorganisationen und Großunternehmen in Japan (Susanne Bruksch), 2007 Migrant Support Organizations in Japan – A Mixed-Method Approach (Gabriele Vogt, Philipp Lersch), 2007 Die Zukunt der kaiserlichen hronfolge (Junko Ando), 2007 Zur Entwicklung einer partizipatorischen Zivilgesellschat in Japan (Michiko Mae), 2008 Partner oder Gegner? Begegnungen mit China, Taiwan und Hongkong in Kinoilm und Fernsehdrama in Japan (Griseldis Kirsch), 2008 Not in Education, Employment or Training: Das »NEET-Problem« – Ansichten eines Gesellschatsphänomens (Silke Werth), 2008 Vorwärts in die Vergangenheit? Für und Wider der Bewerbung Tōkyōs um die Olympischen Spiele 2016 in der politischen Diskussion (Christian Tagsold), 2009 Ländliche Regionen und Tourismusvermarktung zwischen Revitalisierung oder Exotisierung: das Beispiel Echigo-Tsumari (Susanne Klien), 2009 Sutekina kurashi – Rückbesinnung auf Heim und Familie (Anemone Platz), 2009 Massenmedialer Geschichtsrevisionismus im gegenwärtigen Japan: Filmische Repräsentationen der »Tōkyō-Tribunal-Geschichtsaufassung« (Stei Richter), 2009 Die japanische Diskussion über soziale ungleichheit in der Bildung: Erklärungsansätze und lösungsvorschläge (Julia Canstein), 2010 Krieg und Erinnerung zwischen Mündlichkeit und Medien: Streifzüge durch japanische Gedächtnisdiskurse (Robert F. Wittkamp), 2010 Neue Risiken, neues Selbstbild: Japan in verunsichernden Zeiten (Carola Hommerich), 2011 Die familiale Tischgemeinschat in Japan zwischen Ideal und Alltagspraxis vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Katja Schmidtpott), 2011 Die Tsunami- und Nuklear-Katastrophe 2011 in Japan: Der Umgang mit dem (Rest-)Risiko (Winfried Flücher), 2012 Nutzen durch Beteiligung? Politische Partizipation nach der Katastrophe (Phoebe Holdgrün), 2012 Vor und nach »Fukushima«: Dynamiken sozialer Protestbewegungen in Japan seit der Jahrtausendwende (Katrin Gengenbach und Martina Trunk), 2012 Lebensmittelsicherheit in Japan nach Fukushima: Produzenten versus Konsumenten? (Cornelia Reiher), 2012 Kizuna: Das Schritzeichen des Jahres 2011 als Antwort auf das gefühlte Auseinanderbrechen der Gesellschat? (Christian Tagsold), 2012 Japanische Geburtenpolitik in Geschichte und aktuellem Diskurs (K.-Ulrike Nennstiel), 2012 Abkürzungsverzeichnis 23 Verzeichnis häuig verwendeter abkürzungen* a) organisationen CAO DPJ JETRO KMT KPJ LDP METI MIC MHLW MOD MOF MOFA OECD SDPJ Cabinet Oice Demokratische Partei Japans Japan External Trade Organization Neue Kōmeitō Kommunistische Partei Japans Liberaldemokratische Partei Ministry of Economy, Trade and Industry Ministry of Internal Afairs and Communications Ministry of Health, Labour and Welfare Ministry of Defense Ministry of Finance Ministry of Foreign Afairs Oranisation for Economic Cooperation and Development Sozialdemokratische Partei Japan b) zeitungen und zeitschriten AS JT Nikkei Sankei TAS TDY WP WSJ YS Asahi Shinbun (Tōkyō) Japan Times (Tōkyō) Nihon Keizai Shinbun (Tōkyō) Sankei Shinbun (Tōkyō) he Asahi Shimbun (Tōkyō) he Daily Yomiuri (Tōkyō) he Washington Post (Washington) he Wall Street Journal (New York) Yomiuri Shinbun (Tōkyō) * Hinweise zur Aussprache der japanischen Namen und Begrife: Der hier verwendeten Umschrit liegen englische Lautwerte zugrunde, d.h. es werden ausgesprochen: ch wie tsch, j wie dsch, kk wie ck, s wie scharfes s, ts wie z, y wie j, z wie s; alle anderen Konsonanten und Vokale behalten weitgehend ihren Lautwert. 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Relexionen zur Zukunt nicht zu klein, nicht zu groß und nicht zu selten Christoph Brumann (Max-Planck Institut für ethnologische Forschung, Halle) Meinen Erstkontakt mit der VSJF verdanke ich einem Amtsvorgänger, Peter Pörtner, der gemeinsam mit Angelika Ernst die Tutzinger Tagung 1995 zum hema »Der Yen« organisierte und mich mit einem Beitrag zu Geldgeschenken in Japan ins Programm aufnahm. Die Tagung hatte die für die VSJF übliche Größe von etwa 70 bis 100 Teilnehmern, nicht zu groß und nicht zu klein also, und wie ebenfalls immer noch üblich standen die akademischen Hierarchien weniger deutlich im Raum, als ich es vom Japanologentag oder von den Tagungen der Deutschen Gesellschat für Völkerkunde her kannte. Mich hat seitdem immer wieder erstaunt, dass ich meine akademischen Generationsgenossen zumindest in der sozialwissenschatlichen Japanforschung im Durchschnitt eher besser kenne als in der Ethnologie, und dies obwohl ich außer einem Jahr Professurvertretung immer in ethnologischen Institutionen gearbeitet habe. Sicher war die VSJF nicht zuletzt als Heimat für japaninteressierte Methodenwissenschatlern wie mich gegründet worden, aber schon Mitte der 1990er Jahre hatte sie sich deutlich »japanologisiert«. Dass ich mich in den Japanwissenschaten dennoch zuhause und als Teil einer fassbaren scientiic community fühle, liegt wesentlich an der VSJF. Im Diskurs über Forschungsinfrastrukturen werden die Strukturen der wissenschatlichen Vereinigungen unterschätzt. In der deutschsprachigen Ethnologie gibt es alle zwei Jahre die erwähnte Großtagung mit Hunderten von Teilnehmern und viele Initiativen in kleineren Kreisen, die vielleicht 20 oder 30 Personen zusammenbringen, aber nichts in mittlerer Größe. Der ebenfalls Hunderte von Wissenschatlern zusammenführende Japanologentag indet nur alle drei Jahre statt. Unter diesen Bedingungen sind vor allem diejenigen gut vernetzt, die schon sehr lange dabei sind und die sich auch bei anderen 26 Gelegenheiten begegnen, die Professoren nämlich, der akademische Mittelbau und die Doktoranden sind es dagegen eher nicht. Ich habe den Eindruck, dass die VSJF mit ihren jährlichen Konferenzen mittlerer Größe dazu beigetragen hat, dass dies in der sozialwissenschatlichen Japanforschung anders ist. Bis heute empinde ich die Atmosphäre als der bei vielen anderen Veranstaltungen überlegen, und auch dass es noch immer gelungen ist, motivierte Organisationsteams mit einer neuen Idee für ein Tagungs-Oberthema zu inden, dürte damit zusammenhängen. Mit 260 Mitgliedern ist die VSJF zu einer der größten japanwissenschatlichen Vereinigungen herangewachsen. Wen sie wieder stärker anziehen könnte, sind zum einen eine neue Generation von Methodenwissenschatlern, für die Japan zwar nur ein Fall unter mehreren, aber dennoch dauerhat interessant ist. Und zum anderen scheinen viele der zu Japan arbeitenden Alltags- und Sozialhistoriker die VSJF nicht als ihr Forum zu empinden. Woran dies liegt, kann ich nur vermuten – die Konkurrenz durch China und Indien als die momentan »aktuelleren« außereuropäischen Vergleichsfälle? Die (für einen Ethnologen fragwürdige) Selbstauteilung der Japanwissenschatler in entweder sozial- oder kulturwissenschatlich? Brückenschläge in diese Richtungen dürten einen Versuch wert sein. In Vorfreude auf 2038! VSJF zum Jubiläum, oktober 2013 Kerstin Cuhls (Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karslruhe) Als ich angefragt wurde, einen kurzen Text zur VSJF zu schreiben, war ich etwas verwirrt: Jubiläum? VSJF? Und ich soll am Anfang dabei gewesen sein? Ist das wirklich schon so lange her? Mein Name ist Dr. Kerstin Cuhls, ich bin seit 21 Jahren am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI beschätigt und führe Projekte im Bereich Foresight durch. Ich bin gelernte Japanologin und habe als Nebenfächer eines klassischen Magisterstudienganges in Hamburg noch Sinologie und Betriebswirtschatslehre studiert. Ich kam ziemlich ins Grübeln: Als ich studierte, wurde die Vereinigung als quer liegend, etwas schräg denkend und seltsame Ansichten habend wahrgenommen. Gegründet wurde sie von denjenigen, die sich bemühten, einen Dialog zwischen sehr unterschiedlichen Disziplinen aufzubauen, Disziplinen, die jeweils von sich überzeugt waren, die »einzig richtigen Wissenschaten« zu sein. Auf der einen Seite gab es die klassischen Japanologen mit ihren historischen oder sprachwissenschatlichen Ansätzen. Auf der anderen Seite waren die Sozialwissenschatler, die gern 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 27 auch Zahlen, Statistiken, Fakten und vor allem moderne Entwicklungen beschreiben wollten. Und dann noch die Wirtschatswissenschatler, die noch anders waren. Naiv wie ich war, befand ich mich in der Mitte, wollte ich mich doch mit gegenwärtigen – vor allem wirtschatlichen und kulturellen – Entwicklungen in Japan beschätigen, aber trotzdem die historischen und kulturellen Hintergründe verstehen und in Beziehung setzen, um Lehren für das Jetzt und die Zukunt zu ziehen. Deshalb war ich dabei, denn diese Lücke in den Diskussionen füllte die VSJF. Ich war nur auf wenigen Tagungen dabei, denn in der angewandten Forschung leben wir nur von »Drittmitteln«, aber ich habe die hemen und Arbeitsgruppen immer beobachtet. Es dauerte lange, bis die verschiedenen Japanologen lernten, sich untereinander zu verständigen. Die gleiche wissenschatliche Sprache verstehen sie manchmal immer noch nicht, aber das gemeinsame Interesse, die Japanforschung in Zeiten einer China-Allmacht aktiv zu erhalten, hat viele dann doch zusammengetrieben – und so kooperiert man inzwischen auch mit der Gesellschat für Japanforschung (in der ich übrigens auch bin). Die Interdisziplinarität, die damals noch »seltsam« war, ist inzwischen Normalität – und kann auch in anderen Fächern immer mehr beobachtet werden. In unserer Forschung zu Innovationen stellen wir seit Jahren fest, dass die wirklich neuen Erkenntnisse ot an den Rändern der klassischen Wissenschaten und in der Regel aus unterschiedlichen Hintergründen heraus, z.B. in Kombination/Kooperation, entstehen. Ich wünsche der VSJF, dass sie sich weiterhin erfolgreich dieser Gratwanderung widmen kann! Zukuntsforscher wie ich machen keine Vorhersagen, sondern loten Zukünte aus und helfen bei der Gestaltung der Zukunt – und da hat die VSJF sicher ebenfalls weiter einen Platz! Vo(r)m ende der exotik Helmut Demes (Universität Duisburg-Essen) Ich wollte schon eine Fehlanzeige an die VSJF schicken. Sollen doch diejenigen, die bei der Gründung eine aktive Rolle gespielt haben, davon berichten – ich gehörte als junger Ökonom mit Japaninteressen nur zu den frühen Mitgliedern. Aber vielleicht kann ich noch die Stimmung des damaligen japanbezogenen Wissenschatsbetriebs beschreiben, die zur Gründung der VSJF beitrug. Die Frage, warum sich Japan zu einem sehr ernstzunehmenden Konkurrenten der westlichen Industrieländer entwickelte, trieb damals viele Ökonomen und Gesellschatswissenschatler um – so auch mich. Wie funktionierte diese Gesellschat? 28 Anders? Ähnlich? Gleich? Seit meinem Studienabschluss als Ökonom arbeitete ich mit geringen Japan- und Japanischkenntnissen in einem Forschungsprojekt zum Management in japanischen Auslandsunternehmen am Ostasiatischen Seminar der FU Berlin. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Japanologentag 1984 in Köln: Zum ersten Mal erlebte ich die Großen des Faches, aber inhaltlich war die Tagung eine Enttäuschung. Zu meinen Fragen gab es keine substanziellen Beiträge – doch zumindest hatten diese Fragen die Japanologie erreicht. Am Ende gab es eine Podiumsdiskussion zur Zukunt des Faches. Die Auswahl der Diskutanten war denkbar einfach: alle anwesenden Ordinarien der Japanologie in Deutschland. Das Auditorium war gut gefüllt. Jeder berichtete vom Zustand des Fachs an seiner Universität. Die Diskussion verlief geistreich, freundlich und manchmal bissig – denn die anwesenden Ordinarien waren allesamt imponierende Persönlichkeiten mit entsprechendem Selbst- und Sendungsbewusstsein. Sie waren nicht wirklich glücklich mit dem neu erwachten Interesse an Japan und den Implikationen für das Fach – auch wenn man sich da nicht einig war. Die meisten wollten die Japanologie als Geisteswissenschat bewahren – die Notwendigkeit einer Öfnung zu anderen Disziplinen, vor allem zu den Wirtschatsund Sozialwissenschaten, wurde zwar gesehen, den meisten war dies aber zumindest suspekt. Einer der Diskutanten pries einen neuen Studiengang zum Übersetzen als Schutzdamm, die Japanologie vor ungeeigneten Studenten zu schützen. Ein gerade Ordinierter – heute wie alle damaligen Teilnehmer emeritierter – junger Falke schlug vor, dass es angesichts der langen Tradition der Japanologie und dem wachsenden Interesse an der Zeit wäre, einen Fachverband zu gründen – was von den anderen Vertretern des Fachs ungnädig ignoriert wurde.1 Die Podiumsdiskussion war großes heater, was mir jungem Wissenschatler sehr geiel. Über die moderne japanische Gesellschat, die mich interessierte, hatte ich wenig gelernt, wohl aber über die Japanforschung eineinhalb Dekaden nach 1968. Ich selbst fuhr danach zum ersten Mal nach Japan, um mir mein eigenes Bild zu machen. Einige Jahre später wurde die weitgehend vom akademischen Mittelbau initiierte und getragene VSJF gegründet, das fand ich gut; die eher japanologische Fachvertretung brauchte etwas länger, das fand ich bedauerlich, denn trotz des Dissens untereinander waren diese Ordinarien hervorragende Wissenschatler, die etwas zu sagen hatten, auch kollektiv für ihr Fach. Meinen nächsten Besuch auf einem Japanologentag vertagte ich bis in dieses Jahrtausend, und das war zu lange. 1. Wen die Einzelheiten interessieren – die Podiumsdiskussion ist dokumentiert (Dombrady und Ehmke 1985). 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 29 literatur Dombrady, Geza S. und Gesine Ehmke (Hg.) (1985), Referate des VI. Deutschen Japanologentages in Köln, 12. – 14. April 1984, Hamburg: Gesellschat für Natur- und Völkerkunde Ostasiens. zur entwicklung und bedeutung der VSJF Winfried Flüchter (Universität Duisburg-Essen, Em.) 25 Jahre »Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung« (VSJF) lassen zurückdenken an die zweite Hälte der 1980er Jahre, als Japan aufgrund seiner außerordentlichen Wettbewerbsfähigkeit und erfolgreichen Exportofensiven dem Westen das Fürchten lehrte. Während zahlreiche Gurus glaubten, die Erfolge Japans im Schnellkurs erklären zu können, war die Wissenschat gefordert, ihren Beitrag zum Verständnis japanischer Entwicklungen zu leisten. Die philologisch-kulturwissenschatlich orientierte Japanologie schien dafür nicht mehr ausreichende Erklärungsmuster zu liefern. Zunehmend gefragt war eine gesellschatswissenschatlich ausgerichtete, gegenwartsbezogene Japanforschung. Vor diesem Hintergrund wetteiferten eine weitgefächerte Japanologie und eine tief in ihren Fachdisziplinen verankerte Japanforschung um die Deutungshoheit. Ein zentrales Problem war der Stellenwert der japanischen Sprache. Die souveräne Kenntnis des Japanischen in Wort und Schrit, so die Vertreter(innen) der Japanologie, sei Voraussetzung für ernsthate Japanforschung, z.B. für die Nutzung originär japanischer Quellen. Demgegenüber suchten die Vertreter(innen) der gesellschatswissenschatlichen Japanforschung ihre möglicherweise unzureichenden Sprachkenntnisse mit der Professionalität ihrer Fachdisziplin zu kompensieren. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Gründung der VSJF im Jahre 1988. Ich erinnere mich lebhat an die ersten Zusammenkünte fast ausschließlich junger Japanolog(inn)en und Japanwissenschatler(innen) im Kloster Loccum und an nächtelange Diskussionen im Ringen um überzeugende Inhalte einer auch juristisch akzeptablen Satzung. In einer Art Präambel wurde damals als Aufgabe formuliert, was sich bis heute bewährt hat: Die VSJF als »Forum für die Förderung und den Austausch von Wissen über Politik, Wirtschat, Gesellschat und Kultur des modernen Japan«. Die latenten Spannungen zwischen Japanologie und sozialwissenschatlicher Japanforschung versuchte man in der Satzung sibyllinisch zu entschärfen durch den Zusatz »Konzeptionell wird dabei insbesondere der Dis- 30 kurs zwischen Sozialwissenschatlern und Japanologen betont«. Dies hinderte die Vertreter(innen) der Japanologie nicht bzw. spornte sie an, ihrerseits zwei Jahre später anno 1990 in Köln die »Gesellschat für Japanforschung« (GJF) zu gründen. Als Vertreter einer primär hermeneutisch orientierten Kultur- oder Humangeographie fühlte ich mich motiviert, Gründungsmitglied auch dieser Gesellschat zu werden (der ich heute noch angehöre). Ein wesentliches Ziel zur Gründung der GJF war die Schafung einer Dachorganisation für die wissenschatliche Auseinandersetzung mit Japan und eines Interessenverbandes der japanbezogenen Forschung im deutschsprachigen Raum. Zurück zur VSJF. 25 Jahre lang hat sie sich mehr oder weniger erfolgreich bemüht, ihrer Bedeutung gerecht zu werden, japanbezogene sozialwissenschatliche Fragen interdisziplinär und international zu vernetzen, ihre Ergebnisse mit den theoretischen Befunden der Fachdisziplinen abzugleichen und methodische Problemstellungen weiterzuentwickeln. Regelmäßig stattindende Jahrestagungen mit attraktiven, disziplinübergreifenden hemen sowie Fachgruppen-Workshops zeugen von der Vitalität der Jubilarin. Im Laufe der Jahre haben Außendarstellung, Internetpräsenz und Jahrestagung an Qualität und Professionalität weiter zugenommen. Gemessen daran verdient die VSJF mehr Aufmerksamkeit als sie derzeit erhält. Drei Desiderata fallen mir ein. Erstens erhofe ich mir von den Mitgliedern eine viel stärkere Teilnahme an den Jahrestagungen. Woran liegt es? Wirkt Englisch als Kommunikationssprache abschreckend? Zweitens wünsche ich der VSJF viel mehr Wirksamkeit in ihrem Bemühen, Forschungsergebnisse einer breiten Öfentlichkeit zu vermitteln. Schließlich komme ich auf den Anfang meines Textes zurück und hofe, dass die Zusammenarbeit zwischen VSJF und GJF Früchte trägt: Gründung einer gemeinsamen Organisation unter einem Dach, die eine Doppelmitgliedschat überlüssig macht und die Außenwirkung der Japanforschung erhöht. 25 Jahre Vereinigung für Sozialwissenschatliche Japanforschung in (etwa) 500 Worten Gesine Foljanty-Jost (Universität Halle-Wittenberg) Die Anforderung, sich mit 500 Worten in einer Woche zu 25 Jahren Geschichte der VSJF zu äußern, löst zunächst Ratlosigkeit aus, sprechen wir doch über 25 Jahre Geschichte der deutschen Japanforschung. Weder eine sorgfältige Bestandsaufnahme, noch die Diskussion der Bewertung ist unter diesen Bedingungen möglich. 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 31 Möglich sind nur Fragen, die sich mir als Gründungsmitglied und Mitglied des Vorstands über fast zehn Jahre heute im Rückblick stellen und zum Gespräch anregen könnten. 1. Kontextbedingungen der Gründung: welches waren die Erwartungen an und die Argumente für die sozialwissenschatliche Ausdiferenzierung der japanologischen Forschung und Lehre im deutsch-sprachigen Raum zwischen der Japanologen-Tagung (sic!) in Rüsselsheim 1972 und der Gründung 1988? Wie näherten sich – teilweise induziert durch neue Förderformate – Soziologen, PolitikwissenschatlerInnen und ErziehungswissenschatlerInnen Japan als Forschungsgegenstand in diesen Jahren? Im Gründungsbeschluss trafen sich zweifellos beide Strömungen in dem gemeinsamen Interesse an hemen der heutigen japanischen Gesellschat (möglichst aus vergleichender Perspektive) und dem Anspruch, diese mit den Methoden der Sozialwissenschaten zu bearbeiten. Die damaligen und bis heute aktuellen Fragen waren beispielsweise: welche Bedeutung haben umfassende japanische Sprachkenntnisse vor allem in der geschriebenen Sprache für die Japan-Forschung, wie ist mit der Bezugnahme sozialwissenschatlicher heorieangebote auf die (überwiegend) europäische Empirie umzugehen? Aber auch umgekehrt: wie lassen sich Gegenangebote zum Eurozentrismus japanischer heoretiker in den Sozialwissenschaten entwickeln? 2. Folgen der Gründung 1988 für die »community«: was bedeutete die Gründung einer zweiten wissenschatlichen Vereinigung für ein kleines Fach wie die Japanologie? Wer gehörte noch dazu und wer schon nicht mehr? Exklusion oder Inklusion war nicht nur eine Frage, die einzelne Kollegen und Kolleginnen betraf, sondern das Fach in seinem Selbstverständnis. Der Widerspruch zwischen einer gegenwartsorientierten, empirisch arbeitenden – gar kritischen – Japan-Forschung, die etwa seit 1972 Gegenstand heißer Debatten war, und einer kulturwissenschatlich-philologischen Japanologie, zu der die überwiegende Mehrzahl der (damaligen) Professoren und Professorinnen zu rechnen war, war zum Zeitpunkt der Gründung der VSJF 1988 noch immer hoch aktuell und nach der öfentlichen Debatte zur Japanologie 1997 noch immer nicht abgeschlossen. 3. Legitimation der VSJF als »zweiter« Vereinigung der Japan-Forschung im deutsch-sprachigen Raum: 1988 ging es darum, (vermeindliche) heorie- und Methodenstärke der SozialwissenschatlerInnen mit der Japan-Kompetenz der JapanologInnen im Diskurs zu verbinden und Japan als Gegenstand der Sozialwissenschaten hierzulande Geltung zu verschafen. Heute verfügt dank Doppelstudium die Mehrzahl der Mitglieder sowohl über Japanexpertise als auch über Methodenkompetenz, ihre beruliche Verortung indet allerdings interessanterweise überwiegend in der Japanologie bzw. der Japan-Forschung 32 statt. Ihre hemen werden damit im Kontext der institutionalisierten JapanForschung generiert. Die Hinwendung der VSJF zu kulturwissenschatlichen hemen über die Jahre hinweg hat m.E. die Überwindung der 1988er Abgrenzung gegenüber der Japanologie hin zu einer Reintegration geebnet. Die hemen der VSJF stehen nicht mehr neben oder außerhalb der Japanologie, sondern sind Teil von ihr. Warum also heute noch zwei Vereinigungen? 4. Entwicklung der Vereinigung zu einem von JapanologInnen dominierten Netzwerk: welche Auswirkungen – Grenzen wie Chancen – ergeben sich für die ursprünglich angestrebte Einbindung in die »reinen« Sozialwissenschaten? Ist diese nicht längst obsolet und damit das »S« in der Bezeichnung der Vereinigung reformbedürtig? Konkurrierende Angebote der Ein- bzw. Anbindung der Japan-Forschung sind durch die wissenschatspolitischen Anforderungen der Clusterbildung oder Verbundforschung entstanden. Japan-Forschung an den Universitäten ist vielerorts Teil eines Asien-Verbunds geworden. Die durch Fördermittel der japanischen Regierung gestärkte internationale Öfnung der japanischen Sozial- und Kulturwissenschaten bietet neue Kooperationsmöglichkeiten. Wo bzw. wie verortet sich die VSJF heute jenseits der individuellen Kooperationen ihrer Mitglieder als regional begrenzte, thematisch entgrenzte und methodisch plurale Vereinigung? Klar ist, 25 Jahre VSJF markieren die thematische Ausdiferenzierung der Japanforschung und ihre faktische Durchsetzung in Forschung und Lehre. Viele Ziele der Frühphase wie jährliche Tagungen oder die Begründung einer Zeitschrit sind längst erreicht, andere sind aus dem Auge geraten, wieder andere berühren das Wissenschats- und Fachverständnis der Japan-Forschung insgesamt und ihre Positionsbestimmung angesichts generationellem, hochschulstrukturellem und wissenschatspolitischem Wandel. Eine anregende Debatte hierzu wurde anlässlich des 10-jährigen Bestehens der VSJF auf der Jahrestagung im Japanisch-Deutschen Zentrum in Berlin geführt. Vielleicht wäre das 30-jährige Bestehen der Zeitpunkt, um diese Debatte wieder aufzugreifen – mit mehr als 500 Worten. Dies wäre der Bedeutung der VSJF als Teil der Wissenschatsgeschichte der deutschen Japanforschung nur angemessen. 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 33 25 Jahre VSJF – 20 Jahre Genderworkshop »Geschlechterforschung zu Japan« Michiko Mae (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) Das Fach Japanologie an der Heinrich-Heine-Universität hat von Anfang an sein Lehr- und Forschungsfeld als Modernes Japan bezeichnet und als seinen Bezugsrahmen das moderne Japan vom Beginn der Modernisierung bis heute verstanden. In den 1980er Jahren, als das Institut gegründet wurde (1985), war die Orientierung der Japanologie allerdings noch überwiegend klassisch-philologisch geprägt. Die Tagungen der Japanologie erlebte ich deshalb in dieser Zeit als interdisziplinär bunt und die fachwissenschatlichen Diskussionen wegen ihrer zu großen Vielfalt manchmal als etwas verwirrend. Im Jahr 1988 wurde dann die Vereinigung für Sozialwissenschatliche Japanforschung gegründet, die nun die Verankerung der Japanforschung in sozialwissenschatlichen heorien und Methoden betonte und die Öfnung der Japanwissenschat für Sozialwissenschatler/innen mit Interesse an japanbezogenen Forschungsthemen anstrebte. Dadurch wurde auch in der Japanwissenschat insgesamt das Bewusstsein für eine methodisch-theoretische Fundierung stärker. Für die Genderforschung, die ja selbst ein interdisziplinäres Forschungsfeld ist, bildete diese Veränderung eine positive Grundlage für ihre Verankerung in der Japanforschung. Im Jahr 1992 haben Ilse Lenz (Soziologie, Ruhr-Universität Bochum) und ich im Rahmen der Jahrestagung der VSJF in der Akademie Loccum unseren Workshop »Geschlechterforschung zu Japan« mit reger Beteiligung von Kolleg/innen begonnen, um die Bedeutung von Gender in fast allen Lebensbereichen zu untersuchen. Seitdem haben wir diesen Workshop jedes Jahr als vorgelagerten Teil der Jahrestagung der VSJF durchgeführt; er sollte nach Möglichkeit in einem Zusammenhang mit dem jeweiligen hema der Haupttagung stehen und dabei besonders die Genderaspekte genauer herausarbeiten und analysieren. Bevor unser Workshop gegründet wurde, war dieser neue Forschungsansatz von einigen Kollegen und Kolleginnen, allen voran Prof. Sepp Linhart an der Universität Wien, vorangetrieben worden, wurde aber in der damaligen Japanologie im Allgemeinen noch eher als ein Randbereich betrachtet. Inzwischen ist die Genderforschung auch in der Japanwissenschat etabliert und ihre methodisch-theoretischen Ansätze sind für eine relexive sozial- und kulturwissenschatliche Japanforschung unverzichtbar. Allen Interessierten bot unser Workshop ein ofenes und kritisches Forum für ihre Forschungsarbeit und er sollte besonders junge Nachwuchswissenschatler/innen ermutigen und motivieren. Viele inzwischen etablierte Wissenschatler/innen und Professor/innen konnten unseren Workshop als Forum nutzen, um ihre ersten Arbeiten zu präsentieren und sich der Kritik der bereits etablierten 34 Wissenschatler/innen zu stellen. Auch heute noch hat unser Workshop außer dem jeweiligen thematischen Schwerpunkt immer auch eine Open Session, an der junge Wissenschatlerinnen und Studierende in einer ofenen Atmosphäre ihre Projektarbeiten, auch als Work in progress, vorstellen und zur Diskussion stellen können. Diesen Werkstattcharakter hat unser Workshop nicht verloren und die Nachwuchsförderung ist bis heute eines seiner wichtigsten Ziele. Über den Japanbezug hinaus haben wir einen theoretischen Grundsatzvortrag an den Anfang gestellt und die Diskussion mit nichtjapanologischen Fachkolleg/ innen gesucht, um die japanbezogene Genderforschung auch in anderen Disziplinen bekannt zu machen. So entstanden über die Japanologie hinausgehende wissenschatliche Netzwerke, die vor allem für junge Wissenschatler/innen nützlich waren. Als ein wichtiger Bestandteil der VSJF und zusammen mit deren 25. Jubiläum feiert unser Workshop dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Die sozial- und kulturwissenschatliche Verankerung, Inter- und Transdisziplinarität wie auch Inter- und Transnationalität, die hematisierung Japans in einem größeren asiatischen und globalen Zusammenhang über den Euro- und Japan-Zentrismus hinaus und eine vergleichende Perspektive hat unser Workshop mit der wissenschatlichen Orientierung der VSJF gemeinsam. Wenn man auf seine hemen in den letzten Jahren zurückblickt, kann man den Wandel der Genderforschung gut nachvollziehen. Wir haben die Phase der Frauenforschung übersprungen und von vorne herein mit der Genderforschung begonnen. So haben wir nie nur die Lebensverhältnisse von Frauen allein betrachtet, sondern immer auch die Lebensverhältnisse von Männern einbezogen. Die Bedeutung der Diferenzkategorie Gender selbst – sei es in der Entwicklung der Moderne, in der Globalisierung, im Zusammenhang mit Macht, Raum, Öfentlichkeit, im demographischen Wandel oder auch, wie dieses Jahr, im Zusammenhang mit verschiedenen anderen Diferenzkategorien – bestimmte die hemen und Diskussionen der fast 20 Workshops, die wir bisher durchgeführt haben. So konnten wir mit Gender als Analysekategorie und durch die Genderperspektive einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer kritischen und relexiven japanbezogenen Kultur- und Sozialwissenschat auch im Sinne der VSJF leisten. 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 35 zakkan – relexionen vom tellerrand Wolfram Manzenreiter (Universität Wien) Als ehemaliger Vorsitzender und langjähriges Vorstandsmitglied (2000–2009) kann man sich wohl kaum der Einladung widersetzen, anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Vereinigung für Sozialwissenschatliche Japanforschung einige Worte zu ihrer Rolle zu verfassen. Generell würde ich mich gerne Zhou Enlais hölicher Zurückhaltung anschließen, der sich Anfang der 1970er Jahre eines Kommentars zur Bedeutung der Französischen Revolution enthielt mit der Begründung, dass es für eine Bewertung noch zu früh sei. Zwar weiß man mittlerweile, dass dieses Beispiel asiatischer Weitsicht eher einem Missverständnis und dem Schamgefühl des Übersetzers zu verdanken ist, der wohl wusste, dass die Antwort dem Pariser Frühling von 1968 und nicht der Großen Französischen Revolution von 1789 galt. Aber bedachtes Abwägen und Abwarten schützt vor Irrungen und perspektivischen Verzerrungen, die dem fehlenden Abstand geschuldet sein mögen. So mag es sein, dass noch zu wenig Zeit vergangen ist und die Nähe noch zu groß ist, um eine adäquate Einschätzung für die Rolle der VSJF vornehmen zu können. Andererseits ist es noch nicht zu spät, um sich an die Vereinigung in ihren frühen Jahren zu erinnern, an Diskussionen mit IndustriesoziologInnen, PädagogInnen und Entwicklungsforschern aus den deutschen Sozialwissenschaten, an klausurähnliche Zusammenkünte in der deutschen Provinz, ewiglange Mitgliederversammlungen und weit in die Nachtstunden hineinreichende Debatten. Meiner Ansicht nach hat sich die VSJF in dieser Zeit in drei- oder vierfacher Hinsicht für die sozialwissenschatliche Japanforschung verdient gemacht und zumindest in den ersten beiden Punkten durch ihre Vorbild- oder Signalwirkung einen nicht zu unterschätzenden Einluss auf die Entwicklung der deutschsprachige Japanologie im Allgemeinen ausgeübt. Durch die Öfnung zu den Sozialwissenschaten zeichnete sie der Japanologie den Weg vor, wie der Anschluss an die Entwicklung in den Fachdiskursen zu inden ist. Mit der Entscheidung zugunsten des internationalen Austauschs auf den Jahrestagungen und Englisch als Wissenschatskommunikationssprache setzte sie wegweisende Schritte für die Internationalisierung der Forschung. Die Einbindung von JungwissenschatlerInnen und Studierenden in die Vereinsagenden stellte nicht nur eine Absage an ein elitäres Wissenschatsverständnis dar, sondern schuf auch die Voraussetzung für ihre eigene Verjüngung, das Experimentieren mit neuen Formaten und die andauernde Infragestellung eingefahrener Praktiken. Zu verdanken ist dieser Innovationskrat nicht nur das einzige verbliebene deutschsprachige Periodikum zur Japanforschung, sondern auch 36 ein Nachwuchspreis zur Förderung des Publizierens in deutschsprachigen Fachorganen. Überhaupt kann die Bedeutung der seit 1988 kontinuierlich stattgefundenen Jahrestrefen nicht hoch genug gewürdigt werden. In den Zeiten des Internets ist nicht mehr leicht nachzuvollziehen, welche Bedeutung dieser Fixpunkt im Jahreskalender einst für Informationsabgleich und Vernetzung, für die Entstehung neuer Qualitätsstandards und sogar für die Bildung eines Gemeinschatsgefühls hatte. Daran hat nicht nur das Internet viel verändert. Erheblicher Druck geht auch von der neuen Förderungsstruktur und den universitären Qualiikationspfaden aus. Internationalität und Anschlussfähigkeit an wissenschatliche Diskurse gelten mittlerweile als Selbstverständlichkeit. Für erste akademische Gehversuche des Nachwuchses gibt es zunehmend mehr an Formaten und Gruppierungen. hematische Konferenzen, von denen mehr denn je über Japan oder unter Einbeziehung des Falls Japan veranstaltet werden, machen den Jahrestagungen Konkurrenz als Ort für den spannenderen Diskurs. Dass es nach wie vor einen Bedarf für die VSJF gibt, lässt sich am deutlichsten an ihren Versäumnissen erkennen: Ob es um Fragen der Sichtbarkeit in der Öfentlichkeit geht, ihr Gewicht im akademischen und allgemeinen Japandiskurs, oder auch um methodologische Qualität, das Ende der Fahnenstage ist noch lange nicht erreicht. Ich wünsche der VSJF ausdrücklich die Weitsicht, Bewährtes aus der Vergangenheit mitzunehmen und mit neuen Angeboten ihre Attraktivität auch in der Zukunt zu bewahren. Dann wird es eines Tages auch nicht mehr zu früh sein, um eine Bewertung ihrer historischen Rolle vornehmen zu können. Warum man eine wissenschatliche Vereinigung gründet … Ulrich Möhwald (Chūbu Universität, Nagoya) Aus deutscher Vereinsmeierei, wie ein eher skeptischer Teilnehmer während eines ersten Trefens im Frühjahr 1977 meinte, zu dem wir eine Reihe von Japanologen und Sozialwissenschatlern aus dem (westlichen) deutschsprachigen Raum ins Wissenschatszentrum Berlin eingeladen hatten, um das Interesse an der Gründung einer Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung zu erkunden. Keineswegs! Die Wissenschatssoziologie nennt eine Reihe von Gründen, warum sich die Wissenschatler in einem neuen Forschungsfeld zu einer Vereinigung zusammenschließen. Neue Forschungsfelder inden sich in der Regel in einer prekären Lage innerhalb der wissenschatlichen Gemeinschat; sie liegen quer zu den gegebenen 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 37 disziplinären Grenzen zwischen den etablierten wissenschatlichen Fachgebieten, was negative Auswirkungen auf die professionelle Anerkennung der in ihnen arbeitenden Wissenschatler hat und sich auch negativ auf den Zugang zu Publikationsmöglichkeiten, Forschungsmitteln, berulichen Positionen usw. auswirkt. Die Gründung von wissenschatlichen Vereinigungen steht im Zentrum von Professionalisierungsstrategien in neuen Forschungsfeldern. Sie schat nicht nur erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten und Foren gegenseitiger professioneller Anerkennung für die in dem Forschungsfeld arbeitenden Wissenschatler, sie schat auch Publikationsmöglichkeiten und Visibilität, nicht nur in der wissenschatlichen Gemeinschat, sondern auch außerhalb derselben in der Öfentlichkeit und der Politik und erweitert damit auch den Zugang zu Forschungsmitteln, professionellen Positionen usw. Die Idee zur Gründung der Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung wurde genau aus der Relexion dieser Tatsachen geboren. Mitte der 1980er Jahre war die sozialwissenschatliche Japanforschung ein neues Forschungsfeld innerhalb der westlichen deutschsprachigen Japanforschung, die bis auf wenige Ausnahmen überwiegend philologisch-literaturwissenschatlich und auf das vormoderne Japan orientiert war. Die rasche wirtschatliche Expansion Japans seit Ende der 1970er Jahre wurde zunehmend als Herausforderung und Bedrohung wahrgenommen, und die Wissenschat wurde aufgefordert, Antworten zu geben, wie es möglich war, dass dieses »kleine« Entwicklungsland am anderen Ende der Welt die Weltmärkte eroberte und in vielen Bereichen ein ernstzunehmender Konkurrent geworden war. Eine Aufgabe, auf die weder die Sozialwissenschaten noch die Japanforschung im deutschsprachigen Raum vorbereitet waren. Sozialwissenschatler aus verschiedenen Disziplinen begannen, sich für Japan zu interessieren, doch für viele von ihnen stellten die japanische Sprache und das Verständnis der japanischen Kultur ernste Forschungshindernisse dar. Japanologen grifen zunehmend sozialwissenschatliche Fragestellungen auf, doch für sie war der Zugang zu sozialwissenschatlichen Methoden und heorien eine große Barriere. Zugleich nahm seit Anfang der 1980er Jahre die Zahl der Studierenden in der Japanologie rasch zu, wobei die Mehrzahl dieser Studierenden am gegenwärtigen Japan und an sozialwissenschatlichen Fragestellungen interessiert war. Unter diesen Umständen expandierte das Forschungsfeld der sozialwissenschatlichen Japanforschung, doch diese Expansion verlief keineswegs systematisch, sondern mehr oder weniger chaotisch. Zugleich wurden Fragen nach der berulichen Zukunt dieser vielen neuen Japanforscher laut. Ein Problem, das nicht nur die steigende Zahl von Studenten betraf, sondern auch viele von uns wissenschatlichen Angestellten im akademischen Mittelbau. In Westberlin befanden wir uns in einer besonderen Situation. Die Japanologie an der Freien Universität deinierte sich explizit als gegenwartsbezogen und so- 38 zialwissenschatlich orientiert, am Wissenschatszentrum gab es eine Reihe von Forschungsprojekten zu Japan und es gab einen regen Austausch zwischen den Wissenschatlern, die an den verschiedenen Institutionen über Japan arbeiteten. Insbesondere unter uns wissenschatlichen Angestellten auf Zeitstellen kreisten viele Diskussionen um unsere Berufsperspektiven und wir wurden uns zunehmend unserer eigenen prekären Situation, sozusagen zwischen allen disziplinären Stühlen, bewusst. In den Sozialwissenschaten galten wir als methodisch und theoretisch unzureichend fundierte Regionalwissenschatler und in der Japanonologie wurden wir mangelnder Sprachkenntnisse (insbesondere hinsichtlich bungo und kambun) sowie mangelnder Tiefe des Verständnisses der japanischen Kultur verdächtigt. Unter diesen Umständen erschien uns die Idee einer besseren Etablierung unseres Forschungsfeldes innerhalb der wissenschatlichen Gemeinschat durch Gründung einer Vereinigung durchaus erfolgversprechend, zumal die Japanologie im westlichen deutschsprachigen Raum über keine eigene professionelle Organisation verfügte. Doch die Verwirklichung dieser Idee war keineswegs einfach, wie wir feststellen mussten, als wir Kontakt mit Wissenschatlern außerhalb von Westberlin aufnahmen, um das Interesse an der Gründung einer Vereinigung zu erkunden. Skepsis gab es sowohl unter den Sozialwissenschatlern, wie wir während des Trefens im Wissenschatszentrum Berlin im Frühjahr 1987 feststellten, als auch unter den Japanologen, wie sich während eines zweiten Trefens im Sommer 1987 am Rande des Japanologentages in Hamburg zeigte. Dennoch wurden in Hamburg die Weichen für eine konkrete Vorbereitung der Gründung der Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung gestellt, und von Anfang an wurde sie als interdisziplinäre Organisation konzipiert, die auch Studierende einschließt – Nachwuchsförderung ist ja zugleich auch Nachwuchsrekrutierung. Ich selbst hatte vom 1. September 1987 bis zum 31. August 1988 einen Forschungsaufenthalt am Institut für Sozialwissenschaten an der Universität Tōkyō und war von daher an der weiteren Vorbereitung der Gründung der Vereinigung nicht mehr direkt beteiligt. Ebenso wurden meiner aktiven Mitarbeit in der Vereinigung durch meine Übersiedlung nach Japan im Frühjahr 1989 enge Grenzen gesetzt. Doch wenn ich mir heute im Rückblick sowohl die Entwicklung der Japanforschung im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren als auch die Entwicklung der Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung anschaue, dann muss ich sagen, dass unsere Idee durchaus erfolgreich gewesen ist. 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 39 die VSJF und die Wirtschatswissenschaten Werner Pascha (Universität Duisburg-Essen) 25 Jahre Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung – Herzlichen Glückwunsch! –, das betrit auch die Rolle von Ökonomen und der Ökonomie in der VSFJ. Zunächst einmal, wie war die Situation Ende der 1980er Jahre? Japans Wirtschat war im scheinbar endlosen Aufwind, es war die Zeit der Finanzblase. (Auf der Gründungsversammlung wurde sogar kurz erwogen, die Vereinigung als »wirtschats- und sozialwissenschatliche« zu deklarieren). Die wenigen, die sich aus der Ökonomie heraus mit Japan beschätigten, waren über ganz Deutschland verstreut – ich selber kam von einem entwicklungsökonomischen Lehrstuhl. Die VSJF hatte gerade in den Anfangsjahren die wichtige Funktion einer Selbstvergewisserung, mit Angelika Ernst als ganz wichtigem Anker. In den folgenden Jahren habe ich mit Cornelia Storz einen vorgelagerten Workshop zu Wirtschatsthemen gestartet (zunächst zu Mittelstandsfragen), um den Ökonomen ein größeres Forum einzurichten. Letztlich muss man zugeben, dass sich das Engagement der Ökonomen und die Rolle der Ökonomie in der Vereinigung nicht wirklich verstärkt hat, eher im Gegenteil: der Workshop fand später in Tutzing am Rande einer jährlichen institutionenökonomischen Tagung statt, inzwischen alternierend in Duisburg und Frankfurt; die AG Wirtschat im Rahmen der Jahrestagung der VSJF ist kaum eine der lebhatesten. Positiv gewendet: hier liegt noch eine große Aufgabe. Woran liegt das? Einmal: Die kritische Masse ist klein. Im deutschen Sprachraum gibt es kaum eine Handvoll Universitätslehrstühle, die sich schwerpunktmäßig mit der japanischen Wirtschat beschätigen. Das eigentliche Problem ist aber wohl die methodenbasierte Verengung der modernen Wirtschatswissenschat mit ihren ot hermetisch anmutenden quantitativen Ansätzen. Sprachbeherrschung und Methodenkompetenz sind kaum zu vereinbaren, die Anschlussfähigkeit an andere sozialwissenschatliche, geschweige denn humanwissenschatliche Ansätze ist zurückgegangen, trotz mittlerweile quantitativ arbeitender Schulen auch in anderen Sozialwissenschaten. Gerade die Nachwuchsökonomen sehen ihre Bezugspunkte eher in den Gruppierungen der »normalen« Wirtschatswissenschaten und nicht zuletzt in Formaten, welche schwerpunktmäßig ihre Methodenkompetenz steigern. Wie kann darauf reagiert werden; ergeben sich Anknüpfungspunkte für die VSJF? Eine weitere Internationalisierung, um die Basis zu verbreitern? Ja natürlich, aber das methodische Problem ist in den anderen Ländern ähnlich. Eine institutionelle Lösung wäre die Etablierung einer »Politischen Ökonomie«, notfalls außer- 40 halb der wirtschatswissenschatlichen Fakultäten. So etwas passiert mancherorts bereits, und ich höre aus den europäischen Asienwissenschaten, dass das auch dort zunehmend thematisiert wird. Damit bleibt aber noch die Kernfrage, wie sich eine Politische Ökonomie deinieren kann, um wissenschatliche Qualität aufzubauen und Akzeptanz sicherzustellen. Die Suche nach geeigneten Methoden steht dabei im Mittelpunkt. Deren Anwendung müsste sich in wissenschatlichen Standards manifestieren, welche die Grundlage zur Beurteilung akademischer Qualität liefern. Diese bilden dann die Basis für eine Hierarchie wissenschatlicher Publikationen, einschließlich asienwissenschatlicher Zeitschriten, für die Begutachtung einzelner Arbeiten und von Lebensleistungen. Nur auf diesem Weg kann eine Beschätigung mit wirtschatlichen, vielleicht auch im weiteren Sinne gegenwartsorientierten hemen zu Japan längerfristig Legitimität als ein Mehrwert bietendes Fach im Kanon der Disziplinen inden – und zwar insbesondere dann, wenn sich die Sonderkonjunktur einer großen wirtschatlichen Relevanz der Region relativiert. Das »Jäger-und- Sammler«-Dasein der Japanstudien, also interessante Fakten aus einem fremden Kulturkreis zu liefern, ist in Zeiten der Globalisierung obsolet. Auch die Identiizierung interessanter und über die Region verweisender hemen (»Fukushima«) ist zu kurzatmig. Entscheidend wird die Ausbildung einer als Bereicherung wahrgenommenen analytischen Kompetenz sein, die belastbar und nachprübar Gutes von weniger guten wissenschatlichen Arbeiten trennt und so Erkenntnisfortschritt generiert. Hier kann sich die VSJF sehr nützlich machen, für die Ökonomen und die Ökonomie, aber auch darüber hinaus. 25 Jahre VSJF: tradition und dynamische diversiizierung Manfred Pohl (Universität Hamburg, Em.) Ein Geständnis soll am Anfang stehen: Als die VSJF organisatorisch Gestalt anzunehmen begann, war ich skeptisch – bei Gründung der Vereinigung hatte ich die Universität (Hamburg) längst verlassen und glaubte, das endgültige Ende jener Lebensstrecke erreicht zu haben, die ich für eine bedrohliche Gefahrenzone akademischen Aquaplanings hielt, weit entfernt von Realitätsbezügen. Forschungs- und Publikationstätigkeit meiner Lehrergeneration erstreckte sich über den gesamten vorstellbaren Horizont der Beschätigung mit Japan, allen voran aber den großen Bereich der Sprachwissenschaten, verknüpt mit einem weiten Feld von »Dienstwissenschaten«, die vor allem zum Textverständnis benötigt wurden. Es gab aber auch versprengte Einzelne wie mich, die das Verhältnis umkehren wollten: Texte 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 41 wurden für sie vom Forschungsgegenstand zum Hilfsmittel, zum Werkzeug für politikwissenschatliche, historiographische – ja auch: soziologische Ansätze; Unterstützer und Förderer fanden wir auch unter den traditionellen Japanologen. Trotzdem gab es keinen Zweifel: Gegenüber diesen Einzelnen wurde die Japanforschung noch beherrscht von Vertretern der »klassischen Japanologie«. Meine anfängliche Skepsis gründete also in dieser Erkenntnis, wobei die abfällige Herablassung, mit der damals in der traditionellen Japanologie sozialwissenschatliche Forschung mit Bezug auf Japan abgetan wurde, keinesfalls eine Generationsfrage war – auch in der Nachwuchsgeneration, zu der ich damals zählte, dominierte noch die hergebrachte Wissenschatstradition. Die Gründung der VSFJ markierte also nicht nur einen Durchbruch zu neuen Forschungsfeldern nach einem langen Emanzipationsprozess – letztlich konnte sich in der VSFJ aus (inzwischen doch zahlreichen) Solostimmen ein Chor bilden, der endlich auch mit seinem Repertoire gehört wurde. In meiner Vorstellung von der Japanforschung verbindet sich heute eine sorgfältige Fundamentarbeit an japanischen Texten aller Epochen mit Fragestellungen jener Wissenschatsbereiche, die aus der Hilfsfunktion herausgetreten sind und neben der traditionellen Japanologie gleichberechtigt neue Forschungsfelder und Lehrbereiche erschließen und dabei auch die Perspektiven verschieben bzw. erweitern. Hier gaben dann doch gerade jüngere Wissenschatlerinnen und Wissenschatler neue Anstöße: Die Diskussionen in den Japanwissenschaten – so könnte man in begründetem Plural wohl inzwischen sagen – sind durch die Arbeit der VSJF bunter geworden; ein wenig bin ich stolz darauf, dabei gewesen zu sein – und noch dabei sein zu können. 25 Jahre VSJF – ein rückblick Annette Schad-Seifert (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) Als die Vereinigung 1988 gegründet wurde, war das Ziel, eine interdisziplinär orientierte sozialwissenschatliche Japanforschung im deutschsprachigen Raum nach dem Vorbild der US-amerikanischen Area Studies zu etablieren. Ich selbst war seit 1982 Studentin der Japanologie am Ostasiatischen Seminar der Freien Universität Berlin und habe dort miterlebt, wie sich ein universitäres Fach, das bis dahin überwiegend als selbständige Japanologie mit sprachwissenschatlicher Ausrichtung existierte, zu einer gegenwartsbezogenen Japanwissenschat mit Ausrichtung an den großen sozialwissenschatlichen Mutterdisziplinen Soziologie, Politologie, 42 Wirtschatswissenschat und Erziehungswissenschat mutierte. In den 1980er Jahren stieg Japan zu einer wirtschatlichen Supermacht in Ostasien auf. Als Folge sah man international einen Niedergang der US-amerikanischen Hegemonie voraus und fragte sich, wie Japan als größter Schuldner der Welt seine außenpolitische Rolle ausfüllen würde. Die wissenschatliche Beschätigung mit Japan und seinen sozio-kulturellen und historischen Grundlagen sowie seiner Andersartigkeit gegenüber dem Westen wurde zur zentralen politischen Agenda aller westlichen Industrieländer. Als Folge erlebte die klassische Japanologie eine »loss of irrelevance« (Steinhoff 1993), da man dort die beste Japanexpertise vermutete. Angehende Betriebswirtschatler büfelten Japanisch in Sprachkursen der Japanologien, um auf dem Asienmarkt die Nase vorn zu haben. Gleichzeitig entwickelten die »Mutterdisziplinen« ihren eigenen Zugang zu einem modernen Japan auf Grundlage rein westlichsprachiger Literatur und eigenen Methoden, ohne das »obskure« Expertenwissen der klassischen Japanologie. Grabenkämpfe wurden ausgefochten, und der Vorwurf der »Rumpf-Japanologie« (Kracht 1990) gegenüber solchen JapanInstituten ausgesprochen, die ihre Studiengänge explizit am modernen oder gegenwärtigen Japan ausrichteten. Es ging um die Frage der Deinitionsmacht und der Orientierung darüber, was Japan politisch ausrichten wird, und der akademischen Verantwortung als berufsständische Japanforschung, die eine Qualität der Ausbildung zu sichern hat. Vor dem Hintergrund dieser Konlikte gründete sich die Vereinigung als Netzwerk solcher WissenschatlerInnen, die sich zum einen mit den oben genannten Fragen des »gegenwärtigen Japan« beschätigten, zum anderen eine kritische Relexion über den Universalanspruch sozialwissenschatlicher heorien und Methoden einforderten, die vornehmlich an westlichen Systemen entlang entwickelt worden waren. Mit dem Ethnozentrismus der Sozialwissenschaten hat sich die VSJF bereits früh beschätigt. Auch die Frage, wie Japan selbst seinen Aufstieg zur Nummer Eins der Industrieländer relektierte, war ein wichtiges hemenfeld. Japans Abstieg nach der Asienkrise und dem Platzen der Spekulationsblase in den 1990er Jahren hatte auch negative Folgen für die VSJF. Viele SozialwissenschatlerInnen der Gründungsjahre haben dem Verein den Rücken gekehrt und sahen keinen Anlass, nach den Jahren des Booms eine Forschung über den Niedergang anzustreben. Die Mitglieder der VSJF sind mittlerweile eher sozialwissenschatlich orientierte Japanologen als an Japan interessierte Sozialwissenschatler. Es gab daher immer wieder Avancen, die VSJF zu einer berufsständischen Abteilung der Gesellschat für Japanforschung zu machen, was vielleicht angesichts der veränderten Mitgliederstruktur nachvollziehbar ist, aber den multidisziplinären Charakter und den Gründungszweck der VSJF zunichte gemacht hätte. Die VSJF ist nach wie vor ein wichtiges Netzwerk und eine interdisziplinär arbeitende Organisation. Mit Englisch als 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 43 Konferenzsprache ermöglicht die VSJF den internationalen Austausch zwischen WissenschatlerInnen aus Japan und anderen Ländern. Das deutschsprachige Jahrbuch publiziert die aktuelle sozialwissenschatliche Japanforschung und fördert NachwuchswissenschatlerInnen im deutschsprachigen Raum. Die VSJF sichert mit diesen Aktivitäten die wichtige thematische, theoretische und methodische Diversiizierung in der sozialwissenschatlichen Beschätigung mit Japan, über die das Gründungsmitglied Ulrich Menzel im Jahr 1989 noch konstatierte: »Auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt, so bleibt das sozialwissenschatliche Feld von Japanologen doch weitgehend unbeackert; und wenn sozialwissenschatliche hemen von Japanologen behandelt werden, dann dominiert die philologische Methode, wenn überhaupt methodische oder gar theoretische Relexionen angestellt werden« (Menzel 1989: 14). Die Situation hat sich dank der VSJF grundlegend geändert. literatur Kracht, Klaus (1990), Japanologie an deutschsprachigen Universitäten, Wiesbaden: Harrassowitz. Menzel, Ulrich (Hg.) (1989), Im Schatten des Siegers, Japan: Kultur und Gesellschat (Band 1), Frankfurt: Suhrkamp. Steinhoff, Patricia (1993), »Japanese Studies in the United States: he Loss of Irrelevance«, in: International House of Japan Bulletin, 13 (1): 8–11. Japanologie und Sozialwissenschaten – auf augenhöhe! Wolfgang Seifert (Universität Heidelberg, Em.) 1987 sprachen Ulrich Möhwald (Soziologie-Professor, Chūbu-Universität, Nagoya) und ich im Ostasiatischen Seminar der FU Berlin darüber, dass man Gesellschatstheoretiker, Soziologen, die zu Japan forschen, und sozialwissenschatlich arbeitende Japanologen zusammenbringen müsse. Beide sollten eigentlich voneinander lernen, bewegten sich jedoch in getrennten Kreisen. Wer käme denn bei den Soziologen in Frage? Aus Sendai nach Berlin zurückgekehrt waren damals Christoph Deutschmann und Claudia Weber. In der Japanologie sprachen wir mit Gesine Foljanty-Jost, und bald kam es in meiner Kreuzberger Wohnung zu ersten Trefen. Möhwald ging kurz darauf nach Japan. Binnen kurzem wurden von uns mehrere Kolleginnen und Kollegen angesprochen, die dann gemeinsam auf die Gründung einer Vereinigung hinarbeiteten. Das hema der ersten Tagung 1988 in Loccum 44 lautete »Eurozentrismus in der sozialwissenschatlichen Japanforschung«; der Politikwissenschatler Rudolf Wolfgang Müller war intensiv beteiligt. Im Anschluss fand die konstituierende Mitgliederversammlung statt. Alle im Vorstand – ich war dort von 1988 bis 1995 für die Finanzen zuständig – haben engagiert um neue Mitglieder geworben, die dann ihrerseits die nächsten hemen festlegten. Die Soziologen Joachim Bergmann, Helmut Demes, Angelika Ernst, Friedrich Fürstenberg, Ulrich Teichler, Amrei hränhardt, der Erziehungswissenschatler Walter Georg, der Ökonom Werner Pascha waren einige der damaligen »Aktivisten«. Fruchtbar war die Zusammenarbeit mit Wien, vor allem Sepp Linhart und Ingrid GetreuerKargl. Die Wiener Japanologie war seit langem soziologisch orientiert. Aus diesem »Pool« speisten sich dann auch die ersten Jahrestagungen, die übrigens ohne die Unterstützung des JDZB kaum möglich gewesen wären. Wer zu Japan sozialwissenschatlich arbeitet, muss mühsam um eine doppelte Qualiikation kämpfen. Deutschmann und Weber haben, um ihr Buch Arbeitszeit in Japan: Organisatorische und organisationskulturelle Aspekte der »Rundumnutzung« der Arbeitskrat (Deutschmann und Weber 1987) zu schreiben, sich an die Sprache und an das japanische Schrittum gewagt. Klar wurde: Nicht nur erlaubt der Blick von außen ot eine neue Fragestellung und führt zu Ergebnissen, die auch die Fachwelt in Japan beachtet, sondern es wurde durch die Auseinandersetzung mit japanischer Forschung auch der Weg für gemeinsame Projekte geebnet. Diesen gefestigt zu haben ist wohl das größte Verdienst der VSJF. Zu solcherart »Sprachmühe« ist mir eine Szene in Erinnerung geblieben: Als 1992 auf der Tagung »Internationalisierung Japans im Spannungsfeld zwischen ökonomischer und sozialer Dynamik« der Arbeitsökonom und Soziologe Kumazawa Makoto (Prof. em. aus Kōbe; zuletzt: Kumazawa 2010) sein auf Englisch gehaltenes Referat beendet hatte, warf er erleichtert die Arme in die Höhe. Allen war klar, welche Anstrengung das Englische für einen Wissenschatler Jahrgang 1938 bedeutete, der die Arbeitswelt seiner eigenen Gesellschat vor Ort erforscht. In anderer Hinsicht hat die VSJF-Arbeit, wie ich denke, noch zu wenig Früchte getragen: Ergebnisse und Positionen japanischer Forscher und Forscherinnen werden zu selten als solche in die hiesigen Fachöfentlichkeiten eingebracht. Und in die über große hemen der Zeit räsonierende, breitere Öfentlichkeit hat sich bisher noch kein japanischer Name verirrt. Doch gibt es wirklich niemanden in Japan, der hierzu Einsichten zu vermitteln vermag? Auch ihre Aufgabe als Interessenverband hat die VSJF wahrgenommen: Im Oktober 2010 hat der Vorstand gegen den drohenden Abbau einer sozialwissenschatlichen Japanologie-Professur beim Rektor der Heidelberger Universität protestiert und einen Teilerfolg mitbewirkt. Die Ausdünnung von Japan-Forschung und -Lehre in den Fakultäten zugunsten von »Leuchttürmen«, die etwas versprechen, könnte allerdings wieder vorkommen. 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 45 literatur Kumazawa, Makoto (2010), Hatarakisugi ni taorete: Karōshi, Karō Jisatsu no kataru Rōdōshi [Umfallen durch Überarbeitung: Historie der Arbeit, welche Tod und Selbstmord durch Überarbeitung erzählt], Tōkyō: Iwanami. Deutschmann, Christoph und Claudia Weber (1987), Arbeitszeit in Japan. Organisatorische und organisationskulturelle Aspekte der »Rundumnutzung« der Arbeitskrat, Frankfurt: Campus Verlag. ein kaum zu erwartender erfolg – zur entstehung der Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung Ulrich Teichler (Universität Kassel) In den 1970er und 1980er Jahren wuchs das Interesse an Japan überall in der Welt enorm – als von »Japan Nr. 1« gesprochen wurde und das 21. Jahrhundert schon als das japanische Jahrhundert ausgerufen wurde. Japan wurde als das Symbol dafür angesehen, dass wirtschatlicher Erfolg und gesellschatliche Modernisierung auch anders möglich sind, als das vorher im »Westen« vermutet worden war. In Deutschland nahmen zum Beispiel populärwissenschatliche Publikationen über Japan in dieser Zeit rasch zu. Es gab auch deutliche Bewegungen in der Wissenschat: Bereits in den 1960er Jahren sollten mit der Gründung der Abteilung Ostasienwissenschaten an der Universität Bochum neue Akzente gesetzt werden. Die – damals so genannte – Stiftung Volkswagenwerk schuf einen Förderungsschwerpunkt »gegenwartsbezogene Ostasienforschung«, und die – damals so genannte – Deutsche Gesellschat für Ostasienkunde stärkte den Dialog von Wissenschat und Politik vor allem zu Japan und China. Die Zahl der Wissenschatlerinnen und Wissenschatler in den Geistes- und Sozialwissenschaten, die sich mit Japan als einer interessanten Region befassten, nahm deutlich zu. Jedoch die Japanologie – die Disziplin, deren Angehörige sich in der Regel ausschließlich auf Japan konzentrieren – schien gegenüber dieser Entwicklung zu eng, zu philologisch und zu amateurhat zu bleiben. Für das Japan-Handbuch von 1981 zum Beispiel, das noch von der Tradition der Japanologie geprägt ist, wurde nur ein einziger deutscher Professor aus dem Fächerspektrum Wirtschats- und Sozialwissenschaten zu Beiträgen eingeladen. Die Vordenkerinnen und Vordenker der Vereinigung für Sozialwissenschatliche Japanforschung (VSJF) hatten vor, für Japanolog(inn)en mit sozialwissen- 46 schatlicher Akzentsetzung und für Vertreter(innen) sozialwissenschatlicher Disziplinen, die sich eingehend, aber nicht ausschließlich, mit Japan befassen, ein gleichgewichtiges Forum in Deutschland zu schafen. Das war seitens der ersteren Gruppe vom Protest gegen den Status quo getragen, dass es bis Mitte der 1980er Jahre kaum Professuren der Japanologie mit sozialwissenschatlichen Schwerpunkten gab. Dass 1988 an der Evangelischen Akademie Loccum mit einer entsprechenden Fachtagung die VSJF gegründet wurde, signalisierte die Bereitschat für eine solche Kooperation zuvor getrennter Bereiche. Dass dem Vorstand fast ausschließlich berulich noch nicht voll etablierte Wissenschatler(innen) angehörten und nur ein Professor als Vorsitzender, zeigte allerdings auch, dass es noch um Akzeptanz und Konsolidierung zu ringen blieb. Die VSJF hätte aus vielen Gründen sehr bald scheitern können. In den ersten Jahren wurden die Rahmenbedingungen für diesen Forschungsbereich günstiger:2 Durch die Etablierung des Deutschen Instituts für Japanstudien (DIJ) in Tōkyō und des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin (JDZB) sowie durch die Einrichtung neuer Professuren in der Japanologie, durch die der Anteil der Sozialwissenschaten auf fast ein Drittel wuchs. Das alles hätte dazu führen können, dass die sozialwissenschatliche Japanforschung zu einem Zweig einer thematisch verbreiterten JapanForschung herabgesunken wäre; ebenso hätten die Sozialwissenschatler(innen), die sich unter anderem mit Japan befassen, ihre organisatorische Heimat allein in einem separaten Rahmen suchen können, etwa in der Deutsch-Japanischen Gesellschat für Sozialwissenschaten (DJGS). Sehr bald danach verschlechterten sich die Rahmenbedingungen gravierend: Mit der Wirtschatskrise Japans zu Beginn der 1990er Jahre sank international das öfentliche Interesse an Japan dramatisch ab, und dies blieb für wissenschatsbiographische Entscheidungen, Japan zum zentralen oder einem wichtigen hema zu wählen, nicht ohne Folgen: Man hätte befürchten können, dass der VSJF der Nachwuchs bald ausginge. So ist es bemerkenswert, dass sich die VSJF Schritt für Schritt weiter entwickeln konnte – sichtbar in Fachtagungen und Publikationen, die hohe Qualitätsansprüche und ein erstaunlich breites Spektrum von Expertise belegen. Der Autor dieses Artikels konnte dazu die ersten sechs Jahre als Vorsitzender einen Beitrag leisten. Er blieb der Forschungsthematik über die Jahre durch drei größere kooperative Forschungsprojekte mit Japan im Mittelpunkt oder als einer von verschiedenen nationalen Fallstudien verbunden (vgl. Teicher und Teichler 2000; Teichler 2007; Teichler, Ariomoto und Cummings 2013). Regelmäßige Blicke auf die Jahresprogramme und die Publikationen der VSJF fanden immer schnell Belege dafür, dass sich ungewöhnliche und schwierige Wege zum Aubau wissenschat2. Zur Situation der Japan-Studien in Deutschland von den 1970er Jahren bis etwa 2000 siehe Teichler (2003). 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 47 licher Kommunikation lohnen: Sozialwissenschaten sind in der wissenschatlichen Arbeit in Deutschland über Japan nicht mehr marginal, und intensive Kommunikation von Wissenschatler(innen), die Japan unter anderem behandeln, und solchen, die sich ganz auf Japan konzentrieren, sind zur Selbstverständlichkeit geworden. literatur Teicher, Kerstin und Ulrich Teichler (2000), Der Übergang von der Hochschule in die Berufstätigkeit in Japan, Opladen: Leske und Budrich. Teichler, Ulrich (2003), »Kenkyū Taishō toshite no Nihon: Doitsu ni okeru Nihon Kenkyū« [Japan als Gegenstand der Forschung: Japanforschung in Deutschland], in: Kokusai Kōryū Kikin [The Japan Foundation] (Hg.), Kunibetsu Bunka Jijō: Doitsu [Kulturen der Länder: Deutschland], Tōkyō: Kokusai Kōryū Kikin, S. 119–126. Teichler, Ulrich (Hg.) (2007), Careers of University Graduates: Views and Experiences in Comparative Perspectives, Dordrecht: Springer. Teichler, Ulrich, Akira Ariomoto und William K. Cummings (2013), he Changing Academic Profession. Major Findings of a Comparative Survey, Dordrecht: Springer. Gratulation zum 25jährigen Jubiläum der VSJF Gisela Trommsdorf (Universität Konstanz) Zu ihrem 25jährigen Jubiläum gratuliere ich der Vereinigung für Sozialwissenschatliche Japanforschung e.V. (VSJF) ganz herzlich und wünsche ihr für die Zukunt weiterhin die Produktivität und Aktivität, mit der ihre zahlreichen engagierten Mitglieder wichtige Aspekte des modernen Japan untersuchen und darüber auf eigenen Tagungen und Publikationen berichten. Die Aktivitäten der VSJF sind in den letzten Jahren zunehmend gewachsen, obwohl das Interesse an Japan bei gleichzeitig wachsendem Interesse an China vermeintlich gesunken ist, was sich u.a. daran zeigt, dass einige ehemals japanologische Institute durch die Integration in Ostasienwissenschatliche Zentren ihre Eigenständigkeit teilweise verloren haben. Die VSJF hat jedoch durch ihre vielfältigen Aktivitäten das Interesse an Japan wach gehalten, indem sie sich kontinuierlich mit aktuellen Entwicklungen in Politik, Wirtschat und Gesellschat in Japan befasst. Informationen über Forschungsarbeiten der Mitglieder und relevante wissenschatliche japanspeziische Programme werden auf den jährlichen Tagungen, im Newsletter und auf der Homepage vermittelt. Die VSJF hat sich damit als ein 48 produktives Netzwerk für junge Wissenschatler erwiesen, die für interdisziplinäre Fragen zum modernen Japan aufgeschlossen sind. Was mag wohl dazu geführt haben, dass fast gleichzeitig vor einem Vierteljahrhundert zwei wissenschatliche Vereine gegründet worden sind, die sozialwissenschatlichen Fragen des heutigen Japan nachgehen? In den 1980er und 1990er Jahren war das Interesse an einem besseren Verständnis der gegenwärtigen japanischen Kultur, Wirtschat und Gesellschat besonders groß. Japan galt ähnlich wie Deutschland als Sonderfall der Modernisierung und des wirtschatlichen Aufschwunges nach dem zweiten Weltkrieg – mit ganz ähnlichen Problemen der sehr stark von den USA gelenkten Neuorientierung in der Wirtschat, im Rechts- und Bildungswesen nach dem verlorenen Krieg. Da lag es für an diesen Entwicklungen interessierte Wissenschatler nahe, sich über einschlägige Forschungsergebnisse zu diesen Phänomenen jenseits der traditionellen Japanologie auszutauschen. In Deutschland wurde 1988 die VSJF gegründet, deren Mitglieder vor allem an japanologischen Instituten in der Lehre, in der Forschung oder im Studium tätig sind, und für die japanische Sprach- und Landeskenntnisse und Forschungsaufenthalte in Japan üblich sind. Die jährlichen Tagungen, die jeweils unter einem hemenschwerpunkt stehen, werden ergänzt von dem jährlich erscheinenden Japan Jahrbuch zu Politik, Wirtschat und Gesellschat mit einschlägigen Beiträgen. Aufgrund der sich diferenzierenden Forschungsschwerpunkte werden auf den Tagungen zudem thematisch fokussierte Workshops (z.B. zur Genderforschung) durchgeführt. Unabhängig von der Gründung der VSJF wurde zum gleichen Zeitpunkt in Japan die Deutsch-Japanische Gesellschat für Sozialwissenschaten e.V., German Japanese Society for Social Sciences, GJSSS) (http://www.psychologie.uni-konstanz. de/trommsdorf/deutsch-japanische-gesellschat-fuer-sozialwissenschaten-gjsss/) gegründet, die seit 1989 ein eingetragener Verein ist. Die Gründung dieser Gesellschat durch deutsche und japanische Wissenschatler geht auf eine Reihe von Kolloquien zurück, die von der Werner Reimers Stitung inanziert und abwechselnd in Japan und in Deutschland durchgeführt worden waren. Die Mitglieder sind je zur Hälte deutsche und japanische Professoren verschiedener Disziplinen (Soziologie, Politologie, Psychologie, Germanistik). Alle haben sich für den wissenschatlichen Austausch zwischen Japan und Deutschland über Kultur- und Fachgrenzen hinweg engagiert. Seit kurzem werden neben Hochschullehrern auch gezielt Nachwuchswissenschatler, wieder jeweils zu gleichen Teilen aus Deutschland und Japan, aufgenommen. Die Tagungen inden abwechselnd alle zwei Jahre in Japan oder Deutschland statt. Die daraus entstandenen Publikationen erscheinen seit einiger Zeit in Englisch. In den vergangenen Jahren hat sich in der GJSSS ein fruchtbarer 25 Jahre VSJF: Rückblicke und Reflexionen zur Zukunft 49 wissenschatlicher und persönlicher Austausch zwischen japanischen und deutschen Sozialwissenschatlern ergeben. So verfolgen die VSJF und die GJSSS bei allen Unterschieden in der Mitgliedschat und in den Tätigkeiten sehr ähnliche Ziele. Auch aus dieser Verbundenheit heraus verknüpfe ich mit meiner Gratulation zu dem 25-jährigen Jubiläum des VSJF die besten Wünsche für weitere Erfolge der VSJF und die Hofnung auf weitere gute Zusammenarbeit zwischen der VSJF und der GJSSS. Statement zum 25jährigen bestehen der VSJF Klaus Vollmer (Ludwig-Maximilians-Universität München) Die Vereinigung für sozialwissenschatliche Japanforschung besteht 2013 seit 25 Jahren und hat sich in dieser Zeit zu einem der größten Netzwerke der modernen Japanforschung in Europa entwickelt. Dabei spiegelt die Geschichte der VSJF die Interessen der deutschsprachigen Forschung zu Japan wider, deren Wandel zugleich eng in den zeitgeschichtlichen Kontext eingebettet war und ist. Wie an den seit 1988 regelmäßig publizierten Sammelbänden ersichtlich ist, wurde die Arbeit der VSJF vom Konsens getragen, inhaltliche Schwerpunkte mit einem jeweils speziischen disziplinären beziehungsweise methodischen Blickwinkel zu verbinden. Darin drückt sich das besondere Anliegen der Vereinigung aus, Japanforschung auch disziplinär zu verankern und ihre Ergebnisse methodisch für die Sozialwissenschaten anschlussfähig zu machen. Mit der Etablierung des Gender-Workshops zur Geschlechterforschung in den frühen 1990er Jahren wurde die VSJF ihrer Pionierrolle im Hinblick auf inter- und transdisziplinäre Fragestellungen gerecht. Zum zehnjährigen Bestehen der VSJF im Jahre 1998 ergrif der Vorstand die Initiative zu einer umfassenden Bestandsaufnahme, die zugleich Zukuntsperspektiven entwickeln sollte. Die damals entworfene Agenda hat Impulse gesetzt, die die weitere Arbeit der Vereinigung maßgeblich bestimmt haben: Hier wäre zum einen die konsequente Internationalisierung der Jahrestagungen zu nennen, die die Sichtbarkeit der VSJF über den deutschsprachigen Raum hinaus erhöhen und die hiesige Forschung stärker an die globalen Netzwerke sozialwissenschatlicher Japanforschung anschließen sollten. Zum anderen kontextualisierten zahlreiche Jahrestagungen Japan und die japanische Gesellschat nun stärker in ihrem ostasiatischen Umfeld oder in global vergleichender Perspektive. 50 Als VSJF-Mitglied seit den frühen 1990er Jahren und als Geschätsführer beziehungsweise Erster Vorsitzender von 1997 bis 2006, möchte ich an dieser Stelle drei Aspekte hervorheben, die aus meiner persönlichen Sicht wesentlich zur Attraktivität der Vereinigung beigetragen haben: Erstens: Jahrestagungen. Die Jahrestagungen sind das zentrale Element der Arbeit der VSJF; sie werden jedoch nicht nur durch das inhaltliche Programm geprägt, das in der Regel von 2–3 Mitgliedern verantwortet wird, sondern auch durch den Netzwerkcharakter der VSJF. Wie jede/r weiss, der/die regelmäßig die Mitgliederversammlungen besucht, folgen Planung und Organisation der Jahrestagungen einer sorgfältig durchkomponierten Dramaturgie, die viele verschiedene Interessen berücksichtigen muss. Hier sind die Fachgruppen zu nennen, die seit Gründung der VSJF mit je eigener Dynamik die Arbeit der Vereinigung als Netzwerk mitbestimmen. Manchmal stehen Tagungsprogramm und Fachgruppensitzungen in einem spannungsreichen, meist aber produktiven Verhältnis zueinander, sind die Fachgruppen Orte intensiven wissenschatlichen Austauschs, der gerade durch das ‚kleine‘ Format der Fachgruppe begünstigt wird. Zweitens: Nachwuchsförderung. Die VSJF hat seit jeher die Nachwuchsförderung als eine ihrer wichtigsten Aufgaben angesehen; nach 25 Jahren kann konstatiert werden, dass sich die Jahrestagungen und hier wiederum insbesondere die Fachgruppen zu einem unverzichtbaren Instrument der Nachwuchsförderung für die deutschsprachige Japanforschung insgesamt entwickelt haben. Drittens: Selbstrelexion. Es erscheint rückblickend programmatisch, dass sich bereits die Gründungstagung 1988 mit einem hema (»Eurozentrismus in der sozialwissenschatlichen Japanforschung«) befasste, das neben der inhaltlichen Debatte auch auf die kritische Selbstrelexion abzielte – in diesem Fall der Terminologie sozialwissenschatlicher Japanforschung Ende der 1980er Jahre. Neben der Jubiläumstagung von 1998, bei der die kritische Selbstrelexion auf institutioneller, programmatischer und inhaltlicher Ebene im Mittelpunkt stand, fällt mir die Heidelberger Tagung aus dem Jahr 2000 (»Japan im Vergleich«) ein, in der die komparative Japanforschung auch in wissenschatstheoretischer Hinsicht unter die Lupe genommen wurde. Weitere Beispiele aus jüngerer Zeit ließen sich nennen. Ich wünsche mir, dass die darin sichtbare lebendige und selbstkritische Diskussion über Strukturen, Inhalte und Formate auch in den kommenden Jahren dazu verhilt, die VSJF im globalen Netzwerk der sozialwissenschatlichen Japanforschung immer wieder neu zu positionieren. Japanische Innenpolitik 2012/13 Japanese Domestic Politics 2012/2013 Manfred Pohl Nothing ever changes in Japanese politics? Seemingly unchangeable voting behaviour and election results in 2012/13 tend to conirm this rather depressing conclusion: ater two national elections and a double regional ballot in Tokyo the LDP is safely back in power, controlling a two-third majority in both houses of Parliament. he DPJ, which triumphed in the 2009 elections, in turn took a terrible beating in the Lower House election of December 2012 and sufered another humiliating defeat in the Upper House election in July 2013. Also both the governorship and the majority of the city council in Tokyo fell to pro-LDP forces. Disappointed by its tax policies Japanese voters decided against the DPJ, but not principally for the LDP and its coalition partner New Kômeitô. While in the two years ater the Fukushima catastrophes of 2011 the antinuclear movement seemed to have grown in numbers and thus as a strong domestic political force, yet it could not transform this into signiicant election results. he colourful, motley (and split) movement never turned itself into an eicient political force. On the other hand fear of further economic decline and the loss of jobs ater a complete shut-down of nuclear plants made voters of all generations opt for alleged stability and continuity, i.e. in tendency for the pro-nuclear parties and candidates, even amongst young people and those voters who live close to nuclear power plants. 2012/13 was thus a year of »Abenomics« and a conservative revival. 52 1. Innenpolitik einleitung Zwei nationale Wahlgänge und wichtige Regionalwahlen prägten das Berichtsjahr: die Unterhauswahlen im Dezember 2012, die Regionalwahlen in Tōkyō vom Juli 2013 und die Oberhauswahlen kurz darauf. Verlauf und Ergebnisse der Wahlen unterstreichen eine Entwicklung, die für Japans Demokratie fast bedrohliche Züge annimmt: Die Wahlberechtigten verlieren sich politisch ofenbar zunehmend in einem potenziell letalen Dreieck aus Resignation, Zynismus und Gleichgültigkeit. Niedrige Wahlbeteiligung, eine Opposition, die sich selbst entmachtet hat (und sich ständig weiter schwächt) und dazu ein Wahlsystem, das politische »Platzhirsche« einseitig bevorteilt, hebeln demokratische Mechanismen aus. Ernst zu nehmende Protestparteien bleiben so Randphänomene ohne politischen Einluss; die hoch eingeschätzte Anti-Atombewegung konnte als politische Organisation in allen drei Wahlen keine Durchbrüche erzielen, die sich in Wahlerfolge umgesetzt hätten. 2. Unterhauswahlen 2012 Zu den Unterhauswahlen am 16. Dezember 2012 traten zwölf oiziell (staatlich) anerkannte (registrierte) Parteien und parteiähnliche Gruppen an, die größte Zahl seit der Wahlrechtsreform in den 90er Jahren. Bis kurz vor den Wahlen vollzog sich im atemberaubendem Tempo ein bunter Umgruppierungsprozess zwischen diesen »Parteien«: Abspaltungen von Spitzenpolitikern mit ihren Gefolgschaten und Neugründungen, Fusionen zwischen Parteien, brüchige organisatorische Absprachen, undurchsichtige Deals und nicht zuletzt der Ausverkauf politischer Grundsätze kennzeichneten die Lage vor den Wahlen. Die wichtigsten »Partnerschaten«: Tōru Hashimotos Nippon Ishin no Kai (Japan Restauration Party, gegründet im Oktober 2012, mit neun Unterhausabgeordneten aus schon bestehenden Parteien) verbündet sich mit der kurz vor den Wahlen gegründeten Sunrise Party des ehemaligen Gouverneurs von Tōkyō, Shintarō Ishihara; er wurde Präsident, Hashimoto Vorsitzender. Programmatisch war ein Konlikt fast unvermeidlich: Ishihara trat für die Atomkrat ein, Hashimoto will den Ausstieg bis 2040; Ishihara ist gegen ein Freihandelsbündnis mit den USA (Trans-Paciic-Partnership, TPP), Hashimoto dafür. Mühsam gefundene Gemeinsamkeiten: Gegen eine Beschneidung der Unabhängigkeit der Notenbank, Senkung von Körperschats- und Einkommenssteuern, radikaler Umbau der Sozialversicherung. Am 27. November 2012 gründete die Gouverneurin von Shiga, Yukiko Kada, die Nippon Mirai no Tō (Japan Future Party) mit einem strikten Umweltschutz- und Japanische Innenpolitik 2012/2013 53 Anti-Atomprogramm. Ihr schlossen sich die People’s Life Party Ichirō Ozawas (Seikatsu no Tō, gegründet im Juli 2012 mit 50 »Deserteuren« aus der DPJ), die Tax Cut Party des Bürgermeisters von Nagoya, Takashi Kawamura, und die Green Wind Party (ehem. DPJ-Parlamentarier) an. Hauptforderungen neben dem Atomausstieg: Höheres Kindergeld, gegen Mehrwertsteuer-Erhöhung, gegen die Macht der Ministerialbürokratie und für die Senkung der Staatausgaben. Frau Kada ging darüber hinaus ein lockeres, befristetes Bündnis mit der DPJ ein, das fallweise Absprachen vorsah. Der »Strippenzieher« hinter dieser Parteigründung war Ichirō Ozawa, der Gouverneurin Kada als Aushängeschild für eine tief gespaltene Gruppierung nutzte, die allein sein eigenes politisches Überleben sichern sollte; mit Ozawa war die »Zukuntspartei« schon bei Gründung zum Scheitern verurteilt (TAS 29.11.2012). Am 28. Dezember trennten sich Kada und Ozawa wieder, die Gouverneurin führt die Reste der Zukuntspartei, Ozawa geht mit der Seikatsu no Tō erneut seinen eigenen Weg. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung hatte die Mirai no Tō 61 Mandate, nach der Unterhauswahl nur noch neun. Kada verweigerte Ozawa eine führende Position in der Restpartei, darauf kam es zur erwarteten Spaltung. Von den zuletzt 17 Unter- und Oberhausabgeordneten blieb nur eine bei Kada, damit hat die Zukuntspartei ihren parlamentarischen Status verloren (TAS 29.12.2012). 2.1 Die Unterhauswahlen 2012 in Zahlen Die nackten Zahlen belegen einen überwältigenden Wahlsieg der LDP wie auch des Juniorpartners New Kōmeitō (KMT); gemeinsam kontrollierten beide Parteien jetzt eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus und konnten damit eine Blockade im Oberhaus überstimmen (Tabelle 1). Das Ergebnis lässt sich als »Straferlass« für die LDP werten, die 2009 nur 62 Mandate errungen hatte und so vom Wähler abgestrat worden war (DPJ: 221 von 300 Sitzen) – 2012 war es die DPJ, die vernichtend abgeurteilt wurde. Die neu entstandenen Gruppierungen zeigten sich in politischen Kernfragen zu unbeständig und uneins, sie konnten deshalb nicht so viele Stimmen erringen wie eigentlich erwartet (JT 18.12.2012). 54 Innenpolitik Tabelle 1: Die Wahlergebnisse im Überblick PARTEI Listen Listenmandate Direktmandate Gesamtzahl der Mandate (Mandate vor der Wahl) LDP (Jiyū Minshūtō) 27,6 % 57 237 294 (118) New Kōmeitō 11,8 % 22 9 31 (21) DPJ (Minshūtō) 16,0 % 30 27 57 (230) Nippon Ishin no Kai 20,4 % 40 14 54 (11) Japan Future Party (Nippon Mirai no Tō) 5,7 % 7 2 9 (61) Your Party (Minna no Tō) 8,7 % 14 4 18 (8) SDPJ (Shakai Minshūtō) 2,4 % 1 1 2 (5) KPJ 6,1 % 0 8 8 (9) Unabhängige/Sonstige 1,2 % 0 6 7 Quellen: Schoppa (18.12.2012); YS (17.12.2012). Der Wahlerfolg der LDP wird durch zwei Problempunkte relativiert: Die Wahlentscheidung iel gegen die DPJ, nicht für die LDP aus, und die Wahlbeteiligung lag erschreckend niedrig für solche Schlüsselwahlen (Schoppa 18.12.2012). Nur 59,31 % der Wähler gaben ihre Stimmen in den Einer-Wahlkreisen und für die Listenmandate ab, die niedrigste Rate der Nachkriegszeit. Die Beteiligung sank um 9,9 Prozentpunkte gegenüber 2009, die bisher niedrigste Rate lag 1996 bei 59,65 %, damals unterlag der Sozialist Murayama dem LDP-Chef Ryūtarō Hashimoto (JT 18.12.2012). Entscheidend für den Erfolg der LDP waren die zahlreichen Direktmandate, die der LDP wieder zuielen: 237 von den 294 Sitzen (79 %). Mit nur 31,7 % der Listenmandate erzielte die LDP fast das gleiche Ergebnis wie 2009 (30,6 %) – damals aber wurde das als »krachende Niederlage« gewertet (Miyano 25.12.2012). Noch immer also siegen die kanban, die bekannten Gesichter: Die hohe Zahl von Einzel-(Direkt-)Mandaten spiegelt nicht die Programmentscheidung über Listen wieder, sondern ist eine Entscheidung für Bewerber mit regionalen Wurzeln (jiban) (JT 18.12.2012; TAS 16.12.2012). Wechselwähler entschieden den Wahlausgang: 2009 waren sie zur DPJ abgewandert, 2012 zogen sie zurück zur LDP; trotzdem war das Ergebnis für LDP und KMT ernüchternd (»underwhelming«), beide Koalitionsparteien verzeichneten das schlechteste Ergebnis der Koalition (mit Ausnahme der noch größeren Niederlage von 2009) (World Elections 2012). Abe und die LDP konnten also von der heillosen Zersplitterung im Lager der Atomkratgegner proitieren: Nippon Mirai no Tō und DPJ spalteten ihren gemein- Japanische Innenpolitik 2012/2013 55 samen Stimmenblock – und verloren beide. Besonders krass zeigt das der Wahlkreis Aichi 12: Die LDP errang dort 32,3 % der gesamten Stimmen, die Nippon Ishin no Kai 24,4 %, die DPJ 29 %, die Nippon Mirai no To 10,9 % und die KPJ 3,4 % – gemeinsam hätten die Oppositionskräte also leicht die LDP schlagen können (JT 18.12.2012). Andererseits konnten die »dritten Kräte« trotz niedriger Wahlbeteiligung eine überraschend hohe Stimmenzahl erzielen, es stimmten mehr Wähler für Listen der Nippon Ishin no Tō und Minna no Tō sowie für die Nippon Mirai no Tō als für die LDP (34,8 %), so dass auch eine »verschobene« Perspektive möglich wäre: Die »dritte Krat« der neuen Parteien wird zur ersten Krat, die LDP zur zweiten und die DPJ zur dritten (Miyano 25.12.2012). Die Nippon Ishin no Kai ist mit 54 Sitzen in eine höhere parlamentarische Liga aufgerückt: Sie kann in Zukunt als Fraktion Misstrauensanträge gegen die Regierung einbringen und haushaltsbezogene Gesetzentwürfe vorlegen (erforderliche Fraktionsstärke in beiden Fällen: 51) (YS 17.12.2012). Die DPJ verlor 173 von 230 Mandaten vor der Wahl, darunter nicht weniger als acht amtierende Minister und den Regierungssprecher (kanbochōkan), sowie 23 Vizeminister und Staatssekretäre, ein bisher einmaliger Vorgang (YS 18.12.2012). Aufmerksam registriert wurde die Abwahl der Ministerin Makiko Tanaka (Erziehung), die als Tochter des legendären Kakuei Tanaka bisher stets unangefochten ihren Wahlkreis in Niigata gehalten hatte – sie reagierte mit völliger Fassungslosigkeit auf ihre Niederlage (JT 18.12.2012; YS 18.12.2012). Die weitaus meisten Unterhausabgeordneten konnten auf einen traditionellen Karriereverlauf zurückblicken: 144 Abgeordnete (30 %) begannen ihre politische Karriere ursprünglich als Bürgermeister oder Präfekturabgeordnete, 80 sind ehemalige Spitzenbürokraten der verschiedenen Verwaltungsebenen (16 %), 73 sind ehemalige Sekretäre von Politikern, 45 Mandatsträger stammen aus der Privatwirtschat, 21 sind Rechtsanwälte. Von den Abgeordneten übernahmen 114 »Erbmandate«, d.h. sie erbten ihre Wahlkreise von engen Verwandten, die vor ihnen das Mandat hielten (JT 18.12.2012). Von den 480 Abgeordneten sind 39 Frauen, nach 54 in 2009. Hier musste die DPJ besonders schwere Verluste hinnehmen, sie brachte nur drei Frauen durch, 2009 waren es 40; dagegen steigerte die LDP die Zahl weiblicher Abgeordneter deutlich von acht auf 23 (JT 18.12.2012). Nach Erhebungen der Interparlamentarischen Union liegt Japan mit jetzt 39 Frauen von 480 Abgeordneten (8,1 %) auf Rang 123 von 189 Staaten, weit hinter Ländern, die kaum als Demokratien gelten können (Deutschland: Rang 25) (IPU 01.07.2013). Von den 71 »DPJ-Deserteuren« unter Ichirō Ozawa gelang es keinem, erneut ein Direktmandat zu erringen, nur »der Zerstörer« selbst war in seinem Stammwahlkreis Iwate 4 erfolgreich. Einige der Deserteure waren jedoch auf einem Listenplatz abgesichert und zogen in das Unterhaus ein (JT 18.12.2012). 56 Innenpolitik Die Schlussfolgerungen aus den Wahlergebnissen – strategisch betrachtet: Japan hat keine politisch handlungsfähige Opposition mehr, ein Zwei-Parteien-System, das sich zwischen DPJ und LDP abzuzeichnen schien, hat sich als unrealistisch erwiesen. Kleinere Oppositionsparteien oder auch Parteigruppierungen, die dem Regierungslager nahestehen, gewinnen zunehmend an Bedeutung, büßen ihre Schlagkrat aber durch Zersplitterung ein. Aus der Sicht des Wahlsiegers LDP bleibt eine taktische Folge: Die Regierung Abe hatte jetzt die Möglichkeit, nach einem Sieg in den Oberhauswahlen 2013 »durchzuregieren« (Miyano 25.12.2012). 2.2 Das Kabinett Abe Nach seinem überraschenden Comeback als strahlender Sieger der Unterhauswahlen 2012 bekam Shinzō Abe, der Spross einer wohlhabenden alten Politikerfamilie, eine zweite Chance: er ist der siebte Ministerpräsident in sechs Jahren, war zuvor 2006/07 nur ein Jahr im Amt und musste u.a. wegen Skandalen im Kabinett und öfentlicher Empörung über verschlampte Rentenunterlagen zurücktreten; eine stressbedingte Erkrankung tat ihr Übriges. Am 26. Dezember 2012 wurde das zweite Abe-Kabinett vereidigt, erneut eine Koalition aus LDP und New Kōmeitō (KMT). Die Ministerrunde der LDP war personell eine Mischung aus engen Gefolgsleuten und potenziellen innerparteilichen Rivalen; Abe wollte so Vorwürfe der Vetternwirtschat abblocken. Von 19 Ministern gehören 14 zur »Vereinigung zum Besuch des Yasukuni-Schreins«; 13 unterstützen auch die Nihon kaigi, eine Vereinigung, die »traditionelle Werte« vericht und gegen die »Entschuldigungsdiplomatie« kämpt; neun Minister zählen zu einer Parlamentariergruppe, die Japans Schulbücher überarbeiten will, um die militaristische, aggressive Vergangenheit zu übertünchen. Drei Minister besuchten (als Privatpersonen, so Kabinettsekretär Suga) folgerichtig im April 2013 den Yasukuni-Schrein, darunter auch Vize-Regierungschef Tarō Asō; Regierungschef Abe sandte Opfergaben, darauhin sagte der südkoreanische Außenminister einen fest geplanten Besuch in Tōkyō ab, die Öfentlichkeit im Nachbarland und vor allem auch in China war empört. Auch Medien in Japan warnten vor Belastungen der japanischen Außenpolitik (TAS 26.04.2013). Unbeirrt handelte Abe im August 2013 ebenso: Oizielle Geschenke an den Yasukuni-Schrein vom LDP-Parteichef, aber kein persönlicher Besuch. Dafür erschienen drei Minister seines Kabinetts als »Privatpersonen« und über hundert Parlamentarier; Abe selbst hatte im August 2012 als Parteichef der LDP den Yasukuni-Schrein besucht (JT 15.08.2013). Japanische Innenpolitik 2012/2013 57 Das wenig glanzvolle, aber regierungstechnisch »lebenswichtige« Amt des Kabinettsekretärs iel an Abes alten Weggefährten Yoshihide Suga, der in dieser Funktion als Regierungssprecher autritt, vor allem aber auch die Arbeit im Kabinett koordiniert. Der neue Außenminister Fumio Kishida ist weitgehend unerfahren – mit einer Ausnahme: Im ersten Abe-Kabinett war er als Minister für die U.S.Basen auf Okinawa zuständig. Politisch rechts außen steht der alte Abe-Freund Hakubun Shimomura, der das Erziehungs- und Kultusministerium übernahm; in dieser Position ist er auch für Schulbücher zuständig. Er will die Entschuldigung Murayamas von 1995 gegenüber China (und Korea) annullieren und die Urteile des Kriegsverbrecherprozesses von Tōkyō 1946–48 auheben. Er vertritt exemplarisch die LDP-Aufassung, Japans Schulbücher seien geprägt von »ideologisch vorbelasteten Begrifen, gegründet auf einer selbstquälerischen Betrachtung der Geschichte« (WSJ 27.12.2012). Wichtige Kabinettsposten erhielten aber auch Abe-Gegner, so Sadakazu Tanigaki (Justiz), den Abe im September 2012 als Parteichef gestürzt hatte, Yoshimasa Hayashi (Landwirtschat) und Nobutera Ishihara (Umwelt/Nuklearproblematik). Der populäre Ex-Unternehmer und frühere Regierungschef (2008/09) Tarō Asō (Urenkel Shigeru Yoshidas) wurde Finanzminister und Staatsminister für inanzielle Dienstleistungen, zugleich auch stellvertretender Regierungschef. Der britische Economist kam bei der Charakterisierung der Regierung Abe zu folgendem Schluss: »his is a cabinet of radical nationalists« (Economist 05.01.2013; JT 14.06.2013; TDY 28.12.2012). Abe versprach eine weiterhin lockere Geldpolitik der Bank of Japan, bei gleichzeitigem Abbau der Staatsausgaben wegen der hohen Staatsverschuldung, die Förderung privater Investitionen – das wirtschatspolitische Ziel: Jährliches Wachstum verdoppeln. Kritik: Zu wenig Aufmerksamkeit war auf Wachstum bei rasch überalternder Bevölkerung gerichtet und keine Maßnahmen zur Stabilisierung der überlasteten Sozialsysteme umrissen. Drohungen gegen die Bank of Japan, ihre Unabhängigkeit zu beschneiden und Festlegung eines 2 %-Inlationsziels zur Bekämpfung der Delation, eine lockere Geldpolitik zur Yen-Abwertung und Exportsteigerung. Mitte 2013 war die Stimmung in der japanischen Wirtschat wieder gut, die tankan-Umfrage im Juni lag bei +4 gegenüber -8 im März, die großen exportorientierten Unternehmen proitierten ofenbar vom billigen Yen. Ganz anders die Klein- und Mittelunternehmen: Japans wirtschatliches Rückgrat stellt 99 % aller Unternehmen besonders im Dienstleistungsbereich, Bausektor und Immobilien, die Stimmung dort sank auf -6, jedoch besser als -15 im März; die nicht-verarbeitende Industrie dieses Sektors hat seit 1992 kein positives tankan- 58 Innenpolitik Ergebnis mehr gebracht. Japans Klein- und Mittelunternehmen können nicht von den »Abenomics« proitieren (WSJ 01.07.2013). Abe nimmt eine kompromisslose Haltung in den Inselkonlikten mit China (Senkaku-Inseln/Diaoyu) und Südkorea (Takeshima/Dokdo) ein, bei gleichzeitiger Stärkung des Bündnisses mit den USA. Er wollte ofenbar die Territorialstreitigkeiten zur Chefsache machen, denn das Außenministerium übernahm Fumio Kishida (vorher Vize im Okinawa-Ministerium), er gilt als »Taube«. Das Verteidigungsressort iel an Itsunori Onodera (Vize-Außenminister im ersten Abe-Kabinett) (Reuters 26.12.2012). Im Wahlkampf für die Oberhauswahlen 2013 rückte Abe äußerlich von seinen Revisionsplänen für die Verfassung wieder ab: Die LDP, so der Regierungschef, sei zur Überarbeitung der Vorschläge zur Verfassungsreform bereit und für alle Anregungen »ofen«. Die Vorschläge der LDP vom April 2012: Aus Jieitai (Selbstverteidigungsstreitkräte) wird Kokubo-gun (Armee der nationalen Verteidigung), ein Begrif, der »militärischer« sei; der Tenno wird Staatsoberhaupt, nicht mehr nur Symbol Japans (und der Einheit des japanischen Volkes, wie gegenwärtig), Verfassungsänderungen werden erleichtert. Diese Forderungen waren Teil der LDPWahlkampfplattform für 2013, während die New Kōmeitō diese Pläne eher ablehnte. Abe versuchte diese hoch umstrittenen Forderungen hinter den angeblichen Erfolgen der »Abenomics« zu verbergen. Harten Widerstand gegen die LDP-Ziele kündigten DPJ und KPJ an, während Hashimotos Nippon Ishin no Kai grundsätzlich zustimmte. Seikatsu no Tō und Midori no Kaze (Grüner Wind) zeigten ebenfalls eher Ablehnung (JT 07.07.2013). Besonders scharf kritisierte Ichirō Ozawa von der Seikatsu no Tō den Regierungschef: Vor dem Auslandspresseclub warf er ihm vor, sein rechtsgerichtetes Staatsverständnis eines »normalen Japan« mit starker Militärmacht, ausgeprägtem Nationalismus (minzokushugi) und Patriotismus isoliere Japan international und schafe im Inneren Unruhe (Jiji 17.07.2013; JT 07.07.2013). 2.3 Folgen und Einschätzung der Wahlergebnisse Wie nicht anders zu erwarten, bewertete der Keidanren den Wahlausgang überaus positiv; er belege die Erwartungen der Bevölkerung, dass nur die LDP in der Lage sei, die Wirtschat wieder schnell in Gang zu bringen. Zugleich verwies der Wirtschatsverband darauf, dass eine starke Führungsrolle Abes nötig sei, um die zahlreichen verschleppten Probleme anzupacken und Abschied von unrealistischen Zielen der DPJ zu nehmen, z.B. vom Atomausstieg bis 2030, von Stärkung der erneuerbaren Energien (lt. Verband der Elektroindustrie), von der Ablehnung des Japanische Innenpolitik 2012/2013 59 TPP mit den USA (Agrarverbände). Das Wahlergebnis sei ein vernichtendes Urteil über die DPJ-Regierung gewesen (JT 18.12.2012). KPJ und SDPJ laufen Gefahr, ihre Rolle als »dritte Krat« im politischen Spektrum an neu entstandene politische Gruppierungen zu verlieren: Die KPJ verlor einen Sitz (vor der Wahl neun, jetzt acht), die SDPJ drei von fünf Sitzen. Ihre Kernforderungen Auhebung der Steuererhöhungen, gegen Atomkrat und gegen die TPP wurden ofenbar von Nippon Ishin no Kai und Nippon Mirai no Tō überzeugender vertreten (JT 18.12.2012). Das gemischte Wahlsystem aus Direkt-(Einer-) und Listenmandaten, das vor 18 Jahren eingeführt wurde und die Mehrerwahlkreise ersetzte, zielte letztlich auf die Herausbildung eines Zweiparteien-Systems; dieser Versuch kann seit 2012 als fehlgeschlagen angesehen werden. Die DPJ ist an der Aufgabe als Regierungspartei gescheitert; die Öfentlichkeit erwartet jetzt, dass die Partei trotz ihrer parlamentarischen Schwäche sich umgehend als führende Oppositionspartei proiliert. Dazu muss sie die innerparteilichen Richtungskämpfe und Klientelinteressen überwinden, unrealistische Versprechungen wie im Wahlmanifest von 2012, die nicht inanzierbar sind, darf es nicht mehr geben. Zwei Initiativen der DPJ weisen in die richtige Richtung: Umbau der Sozialversicherung einschließlich einer Erhöhung der Verbrauchssteuern und Ausstieg aus der Atomenergie bis 2030, beides im Interesse zuküntiger Generationen (TAS 18.12.2012). Aufgrund krasser Unterschiede der Stimmengewichte in verschiedenen Wahlkreisen wurden auch nach diesen Unterhauswahlen Wahlergebnisse durch höchstrichterliche Entscheidung als in Teilen als verfassungswidrig, also tendenziell für ungültig erklärt. Vizeregierungschef Finanzminister Tarō Asō sagte vor den Abgeordneten seiner Faktion (habatsu – sic!), es gebe nirgendwo ein wirklich gerechtes Wahlsystem, Stimmunterschiede würden je nach Bevölkerungsverteilung immer bleiben, aber die Regierung werde sich bemühen, die Vorgaben des Gerichts zu erfüllen. Seit den Unterhauswahlen 1983 hat der Oberste Gerichtshof immer wieder Wahlen für verfassungswidrig erklärt und Beseitigung der Stimmenungleichgewichte zwischen kleinstem und größtem Einerwahlkreis gefordert, Ziel: Stimmengewicht von 2,3-fachem (2009), heute jedoch das 2,43-fache (2012), abbauen. Wahlergebnisse wurden in Wahlkreisen in Tōkyō, Sapporo, Hiroshima, Sendai, Kanazawa und Nagoya für verfassungswidrig erklärt (JT 26.03.2013). Bisher hat der Oberste Gerichtshof jedoch aber noch nie eine Wahl mit dieser Begründung für ungültig erklärt. Korrekturen sind laut höchstrichterlichem Spruch innerhalb eines Jahres gefordert, sonst könnte die Wahl doch noch als ungültig erklärt werden. Die LDP proitiert von den Ungleichgewichten (Bevorzugung ländlicher Wahl- 60 Innenpolitik kreise) und gibt stets Zeitmangel bei verschleppten Wahlrechtsänderungen vor (AS 29.03.2013; YS 18.12.2012). Umfragen der Asahi Shinbun ergaben ein widersprüchliches Bild nach dem Sieg der LDP (und KMT): 57 % waren über den Machtwechsel froh, aber 43 % empfanden Unbehagen über die Zweidrittelmehrheit der LDP; nur 7 % unterstützten ausdrücklich die LDP, aber 81 % gaben an, das Vertrauen in die DPJ verloren zu haben (Sasaki 04.02.2013). Eine nach den Oberhauswahlen gemeinsam mit der Tōkyō Universität durchgeführte Umfrage der Asahi Shinbun unterstreicht, dass die Kernkratgegner ihre potentiellen Stimmblöcke nicht mobilisieren konnten: 43 % der Befragten lehnten das Wiederanfahren der Kernkratwerke ab (2012: 37 %), nur 31 % (2012: 35 %) waren dafür (AS 23.08.2013). Die Zustimmungsrate zur Kernkrat ist in den Gebietskörperschaten mit Atomkratwerken aufallend hoch und verhindert dort Wahlerfolge der Kernkratgegner: Einseitige Abhängigkeit von der Atomwirtschat und Sorge vor Arbeitsplatzproblemen unter dortigen Jugendlichen (wie auch national) blockiert das Nachdenken über alternative Energien. Gouverneurin Kada scheiterte bei ihrem Vorstoß in die nationale Politik an ihrem Bündnispartner Ozawa und an der enttäuschten Hofnung auf Frauen und Jungwähler (TAS 28.11.2012). 2.4 Was bleibt von drei Jahren DPJ-Regierung? Die Kritik an der DPJ-Regierung zielte vor allem darauf, dass in den Jahren ihrer Amtszeit, vor allem unter Regierungschef Hatoyama, die Beziehungen Japans zu den USA schweren Schaden genommen hätten. Bezeichnenderweise kam diese Kritik vor allem aus den USA, weniger von der politischen Klasse oder gar aus der japanischen Bevölkerung. Vor allem unter Hatoyama verschob Tōkyō die Zielrichtung seiner Außenpolitik stärker nach Asien – so unterstützte Hatoyama eine East Asian Community (EAC) unter Ausschluss der USA. Washington hatte 1990 schon einmal einen ähnlichen Plan, den »East Asia Economic Caucus« (EAEC) des malaysischen Regierungschefs Mahathir (»East Asia – Except Caucasians« wurde das in den USA gelesen) mit Japans Hilfe zu Fall gebracht: Da der EAEC dezidiert anti-westlich war, lehnte Japan eine Teilnahme ab. Belastend für die japanisch-U.S.amerikanischen Beziehungen war auch Hatoyamas Kündigung eines Abkommens von 2006, die U.S.-Basis Futenma auf Okinawa zu verlegen und sie stattdessen gänzlich von Okinawa zu entfernen; dadurch wurden unter den Bewohnern Okinawas falsche Hofnungen geweckt. Hatoyama wollte auch die Zahlung von mehr als 6 Mrd. US$ für die Verlegung von 8.000 Marines von Okinawa nach Guam Japanische Innenpolitik 2012/2013 61 sowie das Japan-U.S. Status of Forces Agreement (SOFA) neu verhandeln. Wie ein Schock wirkte auf die bilateralen Beziehungen schließlich, dass Hatoyama das Autanken von U.S.-Marineeinheiten im Indischen Ozean einstellen wollte. Unter seinen Nachfolgern Naoto Kan und Yoshihiko Noda wurde das beschädigte Vertrauen zwischen den USA und Japan wieder repariert. Den Anfang machte Kan, der vom EAC abrückte, das Abkommen zu Futenma von 2006 akzeptierte, die Kostenbeteiligung an der Stationierung von U.S.-Truppen zusagte und das bilaterale Verteidigungsbündnis gegen China stärkte. Diese Politik setzte Noda fort, der die Asienstrategie der USA stützte und das Projekt einer TPP förderte. Die Entscheidung für U.S.-amerikanische F-35 (gegen europäische Angebote) als fünte Generation der Kamplugzeuge und die Lockerung der Rüstungsexporte ließ Washington hoch befriedigt; so waren drei Jahre DPJ-Regierung aus U.S.-Sicht doch keine »verlorenen Jahre« (Hornung 15.03.2013). Diese eher kritische Bewertung der DPJ-Regierungen aus strategischer Sicht der USA muss durch einen Blick auf die innenpolitische Bedeutung der DPJ-Kabinette erweitert werden. Fünf Faktoren verhalfen der DPJ zum Wahlerfolg 2012 – und begründeten danach ihren Niedergang: 1. Das Mehrheitswahlrecht hat die politischen Grundpositionen der beiden größten japanischen Parteien zusammenrücken lassen, 2. Die Auswechselbarkeit der Positionen beider Parteien geben der Wahlentscheidung nach »unpolitischen« Kriterien größere Bedeutung, 3. Große Wählerwanderungen haben die Mandatszeit jüngerer, unerfahrener Abgeordneter deutlich verkürzt, dadurch wurden innovative Politikansätze verhindert, 4. Wechselwähler haben die traditionellen Lager innerhalb der Parteien aufgelöst und 5. Der Einluss ländlicher Wahlkreise hat die Möglichkeit zu politischen Reformen durch die DPJ begrenzt. Schon früh scheiterte die DPJ am Widerstand der Ministerialbürokratie, die systematisch jeden Versuch einer »Politisierung« von Entscheidungen (gegen die Bürokratie) blockierte; der DPJ war es deshalb nicht möglich, ihr zentrales Wahlkampfversprechen, die Entmachtung der Ministerialbürokratie, einzulösen. Sparzwänge, die Katastrophen von Fukushima und innenpolitische Rückwirkungen der Außenpolitik (Konlikt mit den USA, Bedrohung aus China und Nordkorea) lähmten die DPJ, die »Normalbürger« betrachteten sie als Steuererhöhungspartei. Bei Wählerentscheidungen werden nationale Politikfragen zunehmend wichtiger als regionale (Partikular-)Interessen. Nicht die angenommene politische Erfahrung eines Kandidaten (und sein Gewicht in Tōkyō) beeinlussen die Wahlentscheidung, sondern immer häuiger das Parteiimage insgesamt. Schließlich hat die LDP ihre treuesten Wähler noch immer in der ländlichen Bevölkerung, wenn auch die DPJ eine starke ländliche Basis hat. Ländliche Politiker haben jedoch durch die 62 Innenpolitik Wahlrechtsreformen gegenüber städtischen Politikbossen der eigenen Partei mehr Gewicht, sie können sich auf eine grundsätzlich und verlässlich höhere Wahlbeteiligung in ländlichen Wahlkreisen berufen und ihren Einluss in LDP und DPJ verstärken; zuletzt bleibt noch die Drohung mit Parteiaustritt (Lipscy und Scheiner 2012). Nur wenige Tage nach der verheerenden Niederlage in den Unterhauswahlen wählte die Mehrheit der DPJ-Abgeordneten beider Kammern des Parlaments den ehemaligen Wirtschatsminister Kaieda zum neuen Parteichef. Seine Wahl belegte erneut die innere Zersplitterung der DPJ: Ehemalige Minshatō-Parlamentarier, alte Sozialisten und die Gruppe um den Programmchef Hosono stützten ihn, seine unterlegenen Gegner hatten sich um den Ex-Regierungschef Noda geschart. Kaieda beschwor in seiner Wahlansprache die nötigen Parteireformen, er betonte, die DPJ dürfe nicht aus dem politischen Leben Japans verschwinden. Generalsekretär wurde Hosono (AS 25.12.2012). 3. die Parteienlandschat in Japan 3.1 die ldP 2012/13 Japans Wähler haben sich längst vom »1955er-System« der unbestrittenen Alleinherrschat der LDP verabschiedet: Es gibt deutlich mehr Wechselwähler (loating votes), das Mehrheitswahlrecht bietet größere Auswahl, Japans Medien spielen im Wahlkampf eine größere Rolle (zunehmend auch soziale Netzwerke) usw. Die LDP muss darauf reagieren, obwohl sie sich in drei Jahren Opposition kaum gewandelt hat, der Machtverlust wurde noch nicht verwunden. Die LDP hat als Gegenspieler der DPJ-Regierung weniger Opposition als Obstruktion betrieben, nicht konstruktive Parlamentsarbeit, sondern ausschließlich der Sturz der DPJ-Regierungen war ausschlaggebend; die Erfolge in den Oberhauswahlen 2010 diente als Rechtfertigung dieser Taktik. Dabei hat die LDP stets sorgfältig den Eindruck vermieden, sie blockiere wichtige Gesetze, sie knüpte ihre Zustimmung aber an Bedingungen, die nicht im Interesse der Bürger lagen, sondern die Regierung schwächen sollten – oder aber sie verzögerte verfahrenstechnisch Gesetzesvorhaben. Die Fakten stützen diese Vorgehensweise nicht: In drei Jahren Opposition verlor die Partei 20 % ihrer Mitglieder, sie versäumte eine Zentralisierung der Parteiorganisationen und vor allem blieben Versuche erfolglos, die innerparteilichen Faktionen (habatsu) aufzulösen. Verwässerung von Gesetzentwürfen, Tadelsanträge gegen einzelne Minister und Verfahrenstricks ließen die LDP-Opposition erfolgreich erscheinen, zumin- Japanische Innenpolitik 2012/2013 63 dest wurde die Option auf erneute Machtübernahme nicht beschädigt (Pekkanen 13.02.2013). Strukturell und programmatisch hat sich die LDP in der Opposition nicht verändert: Nach den Wahlen 2012 inden sich unter den LDP-Parlamentariern wieder zahlreiche »Kronprinzen« alter Politikbosse neben Interessenvertretern spezieller Industriegruppen. Das LDP-Manifest setzt unverändert auf große öfentliche Bauprojekte als wirtschatlichen Stimulus; die Partei verliert junge Wähler, z.B. durch die Wiederaufnahme jener Politiker, die sich gegen die Privatisierung der Postbank 2006/07 gestemmt hatten und ausgeschlossen wurden – das schreckte junge Wähler ab und führte zur Niederlage der LDP in den Oberhauswahlen 2007. Abes Herausforderung: Traditionelle Wähler halten und Wählerbasis ausbauen (Ido 2013). 3.2 New Kōmeitō provoziert den Koalitionspartner In scharfem Gegensatz zum Koalitionspartner LDP hat die New Kōmeitō programmatische Grundpositionen bekrätigt, die reichlich Konliktstof für die Regierung bergen; die zwei Hauptforderungen: Ein Atomausstieg zum frühestmöglichen Zeitpunkt und gegen jede Verfassungsänderung. Für den Oberhauswahlkampf grif die KMT hier ihre Forderungen aus dem Wahlkampf 2012 auf, also Ausstieg aus der Atomenergie und kein Bau weiterer Atomkratwerke. Die KMT vermied eine Positionierung zum Export von Nukleartechnologie, das sei Sache der Regierung, betonte der Chef der politischen Grundsatzabteilung Keiichi Ishii, allerdings könne Japan hier einen »internationalen Beitrag« leisten. Im Gegensatz zur LDP will die KMT keine »Überarbeitung« des (Friedens)Artikels 9 der Japanischen Verfassung, stattdessen sollen neue Artikel zum Recht auf Umweltschutz und zu politischer Dezentralisierung eingefügt werden. Zur Abschwächung des Artikels 96, der eine Zweidrittelmehrheit in beiden Parlamentshäusern für eine Verfassungsänderung festlegt, bevor eine Volksabstimmung dazu stattinden kann, vermied die KMT eine feste Positionierung (gegen die LDP) (JT 28.06.2013). Während die LDP auf eine komplette Streichung des Absatzes 2 des Artikels 9 mit dem Verzicht auf Unterhaltung von Land-, See- und Lutstreitkräten sowie einem generellen Verzicht auf Kriegsführung und somit auf das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung zielt, wollen die meisten anderen Parteien diesen Absatz beibehalten, allerdings sollte die Existenz einer Armee festgestellt werden (JT 28.06.2013: Sankei 11.07.2013). 64 Innenpolitik 3.3 Die DPJ im Zersetzungsprozess Am 21. September 2012 wurde Yoshihiko Noda mit überwältigender Mehrheit erneut zum Parteichef der DPJ gewählt: Von 336 wahlberechtigten DPJ-Abgeordneten stimmten 218 für ihn, ebenso entschieden über 70 % der wahlberechtigten Regionalparlamentarier und anderer wahlberechtigter Parteimitglieder sich für ihn (TAS 21.09.2012). Trotz hetiger Kritik an Nodas Politik, die zu Massenaustritten in den Reihen der DPJ-Parlamentarier geführt hatte, konnte er sich behaupten, da seine drei Herausforderer die Gegenstimmen zersplitterten. Der innerparteiliche Wahlerfolg konnte die gewaltigen Probleme nicht verdecken, vor denen Noda sich sah: Revision der Atompolitik, nötige Wahlrechtsänderungen, Gesetzesvorlage zur Aulage von Staatsanleihen und als Grundlage jeder Lösung eine grundlegende Kooperation mit LDP und New Kōmeitō; der Preis: Neuwahlen. 3.4 Schrumpfen große Hofnungen zur Episode? Wahlenttäuschung der Anti-Nuklearpartei Knapp zwei Jahre nach den Fukushima-Katastrophen stellte sich eine Gruppierung den Wählern, die zumindest programmatisch gegen die Nutzung Atomkrat kämpte, im Ergebnis erlitt sie eine vernichtende Niederlage: Wieder einmal zeigte sich, dass im japanischen Wahlrecht noch immer die berüchtigten sanban (kanban/ bekanntes Gesicht, kaban/Finanzmittel, jiban/regionale Basis) wahlentscheidend sind, drei Voraussetzungen, auf die die Atomkratgegner nicht bauen konnten. Die Kleinstpartei Nippon Mirai no Tō hatte zwar in der Präfektur Shiga eine lokale Basis und mit der dortigen Gouverneurin Yukiko Kada ein bekanntes Gesicht – noch bekannter aber (und gefürchteter) war das andere Gesicht hinter ihr: Parteipartner Ichirō Ozawa. Nur einen Monat vor den Unterhauswahlen hatten Kada und Ozawa den Zusammenschluss vereinbart; allerdings war das Verhältnis zwischen der Gouverneurin von Shiga und Ozawas Getreuen von Anfang an gespannt: Man bezweifelte Kadas Fähigkeit der Doppelbelastung aus Präfekturregierung und Parteiführung gewachsen zu sein (TAS 01.12.2012). Das Wahlbündnis der Kernkratgegner mit dem ewigen »Zerstörer« von Parteien jeder »Färbung« war verhängnisvoll und ging wohl vor allem auf eine Fehlkalkulation der Nippon Mirai no Tō-Chein Yukiko Kada zurück. Ihre Sympathisantenbasis in Shiga und die LDP-Mehrheit im Präfekturparlament hatte dem Bündnis mit Ozawa nur unter lautem Murren zugestimmt, folgerichtig löste sich Kada kurz nach dem Wahldesaster von Ozawa. Die Nippon Mirai no Tō mit einem Mandat im Japanische Innenpolitik 2012/2013 65 Unterhaus (Tomoko Abe) besteht nur noch dem Namen nach und hat den Fraktionsstatus verloren. 15 Abgeordnete und die gesamte Organisation der Nippon Mirai no Tō gehen in Ozawas (wieder) neu gegründeten Seikatsu no Tō auf, deren Kern 15 Unterhausabgeordnete bilden, sie erhalten fortan die staatliche Parteienunterstützung; für 2013 wären das 865 Mio. Yen. Beide Gruppierungen wollen aber in politischen Kernfragen wie Atomausstieg, Ablehnung der Steuererhöhungen, für bezahlte Kinderbetreuung und Frauenrechte sowie gegen den zunehmenden Rechtstrend der Regierung Abe weiterhin zusammenarbeiten. Für Kada selbst ist die Zukunt ungewiss: Ihr halbherziger Auslug in die nationale Politik könnte sie per Abwahl das Gouverneursamt kosten; die einzige Chance der Nippon Mirai no Tō (und Kadas) ist ein neuer Partner, z. B. die Midori no kaze (Grüner Wind), mit dem zusammen eine Fraktionsstärke von fünf Mandaten erreicht würde – der »Grüne Wind« hat vier Sitze, aber die Chemie zwischen beiden Kleinparteien stimmt nicht. Die Haltung der japanischen Öfentlichkeit zur Kernkrat ist widersprüchlicher als die anfänglichen Massendemonstrationen gegen diese Energie suggerieren: So siegte in den Gouverneurswahlen von Yamaguchi ein ehemaliger Ministerialbürokrat und Befürworter der Kernenergie, unterstützt von der LDP, während drei Gegner – alle Kritiker der Atomkrat – untergingen. Yamaguchi gilt als LDPHochburg, dennoch konnten die Atomkratgegner beachtliche Stimmenzuwächse erzielen, aber weniger von organisierten Kernkratgegnern, als vielmehr von Wechselwählern (TAS 30.07.2012). Die Anti-Atombewegung vereint unter ihren Slogans parteilose Aktivisten, rechte und linke Randgruppen, Umweltschützer, schillernde Gestalten der Popszenen und andere »Selbstdarsteller«. Es wird schwierig sein, aus diesen bunten Gruppen eine Partei mit politischer Durchsetzungskrat zu formen – die Wahlen 2012 und 2013 waren zumindest kein sehr ermutigendes Zeichen. 4. Regionalwahlen in Tōkyō: Ishiharas Favorit wird Gouverneur – LDP gewinnt Mehrheit im Stadtparlament Am 1. November 2012 wurde Naoki Inose amtierender Gouverneur Tōkyōs, nachdem der schillernde Rechtsaußen Shintarō Ishihara sein Amt niedergelegt hatte, um vollends in die nationale Politik zu wechseln. Inose, ein Protegé Ishiharas, war seit 2007 stellvertretender Gouverneur, am 16. Dezember 2012 wurde er dann förmlich gewählt. Als gemeinsamer Kandidat von LDP und Kōmeitō erreichte er über 65 % der Stimmen – ein Erdrutschsieg. Inose gilt als erbitterter Gegner der traditionellen politischen Klasse, unter Koizumi war er einer der kompromissloses- 66 Innenpolitik ten Vorkämpfer der Privatisierung von Staatsunternehmen (Postdienstleistungen, Schnellstraßengesellschaten). Kandidaten für die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Tōkyō setzten auf den Wahlerfolg des Gouverneurs: LDP-Bewerber streuten in ihre Werbetexte den Namen Inose ein, erweckten den Eindruck großer Nähe zum Gouverneur, plakatierten Ermutigungsschreiben von Inose usw. Hinter vorgehaltener Hand meinten LDP-Politiker jedoch, Inose habe 2013 nur »Glück gehabt«, entscheidend sei die geringe Zahl von Kandidaten und die hohe Wahlbeteiligung gewesen. Dennoch verwendete rund ein Drittel der LDP-Kandidaten seinen Namen in Werbematerial, das alle Haushalte in Tōkyō erhielten. Auch Kōmeitō-Kandidaten und Bewerber der Nippon Ishin no Kai verwendeten Inoses Namen, letztere natürlich auch, weil der Ex-Gouverneur Tōkyōs, Shintarō Ishihara, Ko-Chef der Kleinpartei ist. DPJ und KPJ betonten ihre Opposition zu Inose; der viel Umworbene dagegen erklärte, er unterstütze keinen einzelnen Kandidaten, erlaube aber die Verwendung seines Namens. Allgemein wurden die Wahlen auch als erster Stimmungstest für die Regierung Abe und seine »Abenomics« gewertet. LDP und Kōmeitō errangen bei geringer Wahlbeteiligung (43,5 %) einen hohen Sieg, sie sicherten sich zusammen 82 von 127 Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung, d.h. alle Kandidaten von LDP und KMT waren erfolgreich. Abe hatte ein gutes Abschneiden der LDP als ermutigendes Vorzeichen und Vertrauensvotum für eine erfolgreiche Oberhauswahl gewertet. Die Niederlage der LDP in den vorangegangenen Stadtverordnetenwahlen 2009 wurde als Vorzeichen für die folgende Niederlage der LDP in den Unterhauswahlen und die Regierungsübernahme durch die DPJ gedeutet (JT 24.06.2013; TAS 23.06.2013). Unerwartet kam das schlechte Abschneiden der Ishin no Kai für ihre beiden Führer Ishihara und Hashimoto: Der Stern des Bürgermeisters von Ōsaka war zwar schon seit Sommer 2012 im Sinken, aber die Partei hatte große Hofnung auf die Anziehungskrat Ishiharas gesetzt. Aufällig war andererseits das gute Abschneiden der Kommunisten, die sich von 8 auf 17 Mandate verbesserten und als Fraktion jetzt Verordnungsentwürfe einbringen können. Die Kōmeitō verbuchte ebenfalls einen Rekord: Sie brachte zum sechsten Mal in Folge alle Kandidaten durch. Die Regierung wertete das Ergebnis umgehend als Vertrauensbeweis für Abe, besonders für seine Wirtschatspolitik und als gutes Vorzeichen für die anstehenden Oberhauswahlen (Kantei 24.06.2013). 67 Japanische Innenpolitik 2012/2013 5. Oberhauswahlen 2013: Die LDP kann »durchregieren«, Opposition zerrissen – und im Niedergang Das Kabinett entschied am 28. Juni 2013, die nächsten turnusgemäßen Oberhauswahlen auf den 21. Juli anzusetzen. Wichtigstes Ziel der LDP/Kōmeitō-Regierung Abes war eine Überwindung des Patts zwischen beiden Häusern, indem die Regierungskoalition gemeinsam über 122 Mandate verfügte. Regierungschef Abe begann seinen Wahlkampf in Fukushima; ursprünglich war der erste Wahlkampfautritt in Iwate geplant, aber er ließ den Plan fallen, da ein bereits geplanter Besuch des Tenno und seiner Gattin dort das Sicherheitspersonal überfordert hätte. Wirtschatsentwicklung und Beschätigung waren die zentralen Probleme, die Japans Wähler nach einer Umfrage der Yomiuri Shinbun mehrheitlich umtrieben: 31 % betrachteten diese Bereiche als zentrale Fragen, es folgten soziale Sicherheit (24 %) und Steuerreformen (einschl. Erhöhung der Mehrwertsteuern) (13 %), Kernkrat (13 %); 64 % der Befragten wollten unbedingt wählen, gegenüber 69 % in 2010. Die Zustimmungsrate für Regierungschef Abe lag bei 59 %, die zweithöchste Rate hinter Koizumi 2001 mit 72 %, als die LDP einen Erdrutschsieg in den Oberhauswahlen einfuhr (TDY 07.07.2013). Die Wahlerfolge von Tōkyō im Rücken verfolgte Abe beharrlich weiter seine Hauptziele: Anerkennung des Rechtes auf kollektive Selbstverteidigung und Reform der Verfassung, darüber hinaus eine vorsichtige Erhöhung der Mehrwertsteuern und gezielte Wachstumsstrategien. Stimmenzugewinne für die LDP und herbe Verluste für die DPJ galten als sicher, aber »Kopfschmerzen« bei diesen Zielsetzungen bereitete dem Regierungschef die mögliche Haltung der KMT nach den Oberhauswahlen: Sprecher der Partei deuteten recht unverhohlen an, dass nach Ansicht der KMT die »Abenomics« u. U. weniger wahlentscheidend sein könnten als Fragen der Gesundheitsversorgung, der sozialen Wohlfahrt oder der Müllbeseitigung – hier deuteten sich Meinungsverschiedenheiten zwischen LDP und KMT an (Jiji 16.07.2013). Tabelle 2: Parteienstärke im Oberhaus nach der Wahl 2013 Oberhauswahl 2013 Nicht zur Wahl Total LDP (Jiyū Minshūtō) 65 50 115 New Kōmeitō 11 9 20 Nippon Ishin no Kai 8 1 9 Your Party (Minna no Tō) 8 10 18 68 Innenpolitik Seikatsu 0 2 2 SDPJ (Shakai Minshūtō) 1 2 3 Midori 0 0 0 Kaikaku - 1 1 Daichi 0 0 0 Unabhängige/Sonstige 3 1 4 KPJ 8 3 11 DPJ (Minshūtō) 17 42 59 Quelle: AS (2013). Auch in den Oberhauswahlen hat die Anti-Atombewegung ofenbar die Bedeutung der Kernkrat als Mobilisierungsfaktor und wahlbestimmendes hema überschätzt: Die Mehrheit der Wähler interessierte sich nach Umfragen mehr für die weitere wirtschatliche Entwicklung, nur eine Minderheit von 13 % nannte die Atomfrage als wichtigstes hema. Rund die Hälte aller Japaner ist gegen ein vollständiges Wiederanfahren der Reaktoren, nach Fukushima dagegen waren es noch über 80 %. Aber: ca. 50 % der Bürgermeister in den Regionen mit Reaktoranlagen sprachen sich für ein Wiederanfahren der Meiler bei überzeugenden Sicherheitsmaßnahmen aus. Kandidaten von LDP und NKT vermieden im Wahlkampf um jeden Preis das hema Atomkrat, um sich alle Optionen ofenzuhalten (Squassoni und Gorman 15.08.2013). In diesen Wahlen hatte die Regierung auf Parlamentsbeschluss erstmals mit Einschränkungen den Wahlkampf über soziale Medien wie Facebook oder Twitter zugelassen, eine Entscheidung, die üblicherweise jüngeren Wählern und ihren Zielen entgegenkommt. Das Internet wurde aber für politische Informationen über Kandidaten und Programme kaum genutzt, nur ca. ein Viertel der Wähler gaben an, sich über das Internet zu informieren, Kyodo sprach von 10,2 % (JT 26.07.2013). Der Nutzungsgrad sozialer Netzwerke wurde vier Wochen nach den Oberhauswahlen von 16 Tageszeitungen unter ihren Lesern abgefragt: danach nutzten 70 % der Wähler Printmedien zur Wahlinformation vor dem Wahlgang, TV nutzten 36 %. Nur 16 % nutzten Homepages von Parteien und Kandidaten, Social Networks Accounts erreichten 4,3 %, die Mail-Nutzung lag mit 3 % am niedrigsten (JT 26.07.2013; YS 15.08.2013). Das Ergebnis der Wahl ist in Tabelle 2 zusammengefasst. Das Wahlergebnis führte zum scheinbar gewohnten Bild: Nach ihrer verheerenden Niederlage zeigen sich in allen Oppositionsparteien Spaltungstendenzen, die Generalsekretäre von DPJ, Minna no Tō und Nippon Ishin no Kai bildeten eine »Studiengruppe« zur Gründung einer gemeinsamen neuen Partei, zuvor hatte DPJ- Japanische Innenpolitik 2012/2013 69 General Hosono seinen Posten niedergelegt; teils weil er Verantwortung für die Wahlniederlage übernahm, teils wegen hetiger Kritik an seinen Vorstößen in Richtung neue Partei (JT 26.07.2013). Zeitgleich grifen die Sekretäre von Minna no Tō und Ishin no Kai einander öffentlich scharf an, innerhalb der Reformgesellschat standen sich schon länger die Gefolgschaten von Ōsakas Bürgermeister Hashimoto und Tōkyōs Ex-Gouverneur Ishihara unversöhnlich gegenüber; kurz vor der Unterhauswahl 2012 hatte Hashimoto bereits Spaltungsabsichten erkennen lassen (JT 26.07.2013). Auch die SDPJ zog personelle Konsequenzen aus ihrer schweren Niederlage: Parteichein Mizuho Fukushima legte nach zehn Jahren den Parteivorsitz nieder, die SDPJ hatte nur einen Sitz im Oberhaus und zwei in den Unterhauswahlen errungen. Die früher größte Oppositionspartei stürzt weiter in die Bedeutungslosigkeit (JT 25.07.2013). Der LDP-Sieg unterstreicht nicht die Präferenz für die größte Regierungspartei, sondern die tiefe Enttäuschung über die Opposition. Im Wahlkampf wurden entscheidende Fragen zurückgestellt, es ging den Wählern – wie schon 2012 – um »Bestrafung« der DPJ-Regierung und ein rasches Ende der parlamentarischen Blockade. Inhaltlich beherrschten die »Abenomics« den Wahlkampf, andere Probleme (z.B. Kernenergie) traten eher in den Hintergrund. Jetzt kann die LDP mit der NKT durchregieren; dazu muss sie aber diese Probleme anpacken, die zur wirklichen Belastungsprobe für Abes Regierung werden könnten: Wiederanfahren der Kernkratwerke, Verfassungsreformen, Mitgliedschat im Handelsbündnis mit den USA (TPP) und Grundreformen der Sozialversicherung (Sasaki 12.08.2013). Literatur AS (Asahi Shinbun) (25.12.2012), »Minshūtō shin Daihyō ni Kaieda-shi, 90-hyō kakuto, Mabuchi-shi ha 54-hyō« [Kaieda neuer Parteichef der DPJ mit 90 Stimmen, Mabuchi erhält 54 Stimmen] http://www.asahi.com/politics/update/1225/TKY201212250535.html (17.07.2013). 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Die Beschränkung des Erbpolitikertums als neues Nominierungsprinzip der DPJ he Restriction on Hereditary Candidacies within the DPJ: Commitments and Challenges to an Innovative Recruitment Policy Simone Kopietz Japanese political recruitment is well known for its democratic deicits. In terms of equal opportunities the dominance of a few chosen paths restrict the chances for newcomers to access national politics for a long time. he so called hereditary system represents the most famous privileged paths, drawing its advantage from the legacy of loyal voters and inancial strength within the context of a highly personalized and cost-intensive style of Japanese election campaigning. Political reform in 1994 aiming at a new pattern of electoral competition did have some impact on the hereditary system’s popularity with the Japanese voter as well as the major political parties, the DPJ and LDP, but did not translate into the complete disappearance of hereditary practices at national level elections. herefore still highly relevant in 2009 it became subject to a new recruitment policy set by the DPJ headquarters – which included a restriction on the nomination of hereditary candidates. When implementing this new counter measure, the focus was oicially put on the goal of democratization. his article asks whether this ambitious goal was realized or not. Does the restriction produce equal opportunities for all aspirants for state level candidacy regardless of one’s political ancestry? As this study will show, the party’s commitment to the realization of an efective restriction was exposed to the forces of intra-party opposition and the strive for electoral success. Whereas any such implementation can be considered an unprecedented commitment in itself, deeper investigation reveals a set of deicits and 76 Innenpolitik loopholes intended to undermine the newly implemented nomination principle, testifying to the DPJ’s lack of determination and underscoring the persistence of old patterns. 1. einleitung Im Juni 2009 hat der Parteivorstand der Demokratischen Partei Japans (DPJ) beschlossen, zuküntig keine Verwandten mehr als Nachfolger ausscheidender nationaler Abgeordneter zu nominieren. Der von diesem neuen Nominierungsprinzip betrofene Rekrutierungspfad des so genannten Erbpolitikertums wird in den japanischen Medien, aber auch in der sozialwissenschatlichen Japanforschung als Herausforderung für die japanische Demokratie angesehen. Die DPJ selbst ist bemüht, die Einführung im Kontext ihrer Verplichtung gegenüber demokratischen Prinzipien darzustellen, indem sie die Öfnung der politischen Elite Japans als Hauptmotiv kommuniziert. Im vorliegenden Artikel wird das neue Nominierungsprinzip – seine Vorgeschichte, sein Regeltext sowie die empirisch zu beobachtende Funktionsweise – vorgestellt und auf seine Wirksamkeit hin überprüt. Die Forschungsliteratur hat zahlreiche Deinitionen des Erbpolitikertums hervorgebracht, welche sich in der Regel entlang der berücksichtigten Verwandtschatsverhältnisse und Mandatsebenen unterscheiden. Darüber hinaus sind neuere Untersuchungen zunehmend bemüht, nur jene Personen zum Erbpolitikertum zu zählen, die aus ihrem familiären Hintergrund auch tatsächlich Vorteile im Kampf um ein politisches Mandat ziehen konnten (z.B. Smith 2012). Dennoch erfordert der häuig quantitative Anspruch gewisse Pauschalisierungen, um die Datenerhebungen im Rahmen des Umsetzbaren zu halten, weshalb beispielsweise Politiker mit Verwandten auf lokaler oder regionaler Ebene selten berücksichtigt wurden. In der vorliegenden qualitativen Untersuchung liegt der Fokus hingegen explizit auf diesem Vorteil, welchen es durch die Selbstbeschränkung auszugleichen gilt: Ist die dem neuen Nominierungsprinzip zugrundeliegende Deinition angemessen, um das damit verbundene Ziel einer ofenen Kandidatenrekrutierung zu erreichen? Der Ansatzpunkt der Selbstbeschränkung sind die als die drei ban (san ban) bekannten Ressourcen, welche Erbpolitiker von ihren Vorgängern übernehmen, nämlich die Finanzkrat (kaban), die Wählerbasis (jiban) in Form des Wahlkreises und der persönlichen Unterstützerorganisation – kōenkai – sowie der bekannte Name (kanban). Sie bringen ihnen große Vorteile im Wahlkampf (Blechinger 1996: 82), weshalb Erbpolitiker für politische Parteien attraktive Kandidaten darstellen und sich seit Mitte der 1960er Jahre als dominanter Rekrutierungspfad eta- Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 77 blieren konnten (Aoki 1991: 11–16). Diese Privilegien der Nachkommen politischer Akteure bedeuten gleichzeitig jedoch Barrieren, die andere Aspiranten vom Zugang zur politischen Elite ausschließen (Fukui und Fukai 1992: 30–31). Für die Qualität der japanischen Demokratie wurden daraus verschiedene Probleme abgeleitet. Der Sorge über eine mögliche Abkoppelung der politischen Elite und Entfremdung von Repräsentanten und Repräsentierten (Schmidt 2002: 105–106, Yoshino, Tanifuji und Imamura 2001: 233) liegt beispielsweise die Aufassung zugrunde, dass die soziostrukturelle Diferenziertheit einer Gesellschat nur begrenzt von einer abgeschotteten, homogenen Elite repräsentiert werden kann; eine Annahme, die etwa durch Wessels (1985) empirische Untersuchung gestützt wird. Neben dieser möglichen Auswirkung auf die substantielle Repräsentativität (responsiveness), ist die numerische Repräsentativität auch ein wichtiger Maßstab für die demokratische Legitimität eines politischen Systems. Ishibashi und Reed (1992: 366) sehen die Legitimität zudem dadurch gefährdet, dass den Wählern durch die bevorzugte Nominierung von Kandidaten in zweiter oder höherer Generation keine ausreichenden Wahlmöglichkeiten angeboten werden. Damit begeben sich die Autoren von der Ebene der Abgeordneten auf die der Kandidaten und leiten den Fokus auf den Rekrutierungsprozess. Als einen entscheidenden Faktor, der auf dieser Ebene die Qualität der Demokratie bestimmt, nennen Hazan und Rahat (2010: 31–32) die Partizipation (inclusiveness) – zum einen auf der Seite der Selektierenden, zum anderen auf der Angebotsseite. In diesem Kontext stellt bereits die durch das Erbpolitikertum bedingte Diskriminierung anderer Aspiranten an sich eine Schwächung der gesamtjapanischen als auch der jeweiligen innerparteilichen Demokratie dar. Prinzipiell gehen Hazan und Rahat (2010: 54) davon aus, dass es für eine Demokratisierung des Selektionsprozesses nötig ist, die Partizipationsmöglichkeiten auf beiden Seiten auszuweiten. Allerdings sehen sie auch die Möglichkeit, dass durch einen exklusiveren Selektierendenkreis Korrekturmaßnahmen ergrifen werden, die eine höhere Repräsentativität des Selektionsergebnisses garantieren (Hazan und Rahat 2010: 84, 122–123). Als eine solche Korrekturmaßnahme hat auch die Einführung eines neuen Nominierungsprinzips zur Beschränkung des Erbpolitikertums zumindest theoretisch das Potential, die innerparteiliche als auch gesamtstaatliche Demokratie Japans auf den Ebenen Chancengleichheit, Repräsentativität und Legitimität zu verbessern bzw. Hemmnisse zu beseitigen. Im politischen System Japans wurden bereits Anfang der 1990er Jahre auf gesamtstaatlicher Ebene Versuche unternommen, die Bedeutsamkeit der drei ban zu verringern. 1994 wurde unter anderem ein neues Wahlsystem für das Unterhaus sowie eine staatliche Parteieninanzierung eingeführt. Die Reformer erhoten sich mit dem Wandel des institutionellen Umfeldes auch einen Wandel des Wahlkamp- 78 Innenpolitik fes hin zu mehr Programmatik, einer Stärkung der Parteilabel sowie einer Reduzierung des hohen Geldbedarfs (siehe z.B. Klein 1998). Die Frage nach Erfolg oder Misserfolg ist nicht Gegenstand des Artikels, allerdings geht einer Beschätigung mit der Beschränkung des Erbpolitikertums die Frage voraus, inwiefern die neuen Rahmenbedingungen die Bedeutsamkeit dieses Rekrutierungspfades möglicherweise bereits verändert haben. In der bestehenden Forschungsliteratur zeigt sich diesbezüglich ein recht einheitliches Bild von einem Pfad, der durch die Reformen zwar geschwächt wurde und für die Parteien an Attraktivität verloren hat, gegenüber anderen Aspiranten aber dennoch Vorteile genießt (z.B. Donau 2005). Als Grund für das Fortbestehen des Erbpolitikertums muss vor allem die weiterhin hohe Wirkungskrat der drei ban gesehen werden, die trotz sich etablierender neuer Wahlkampfmethoden nicht gebrochen ist (Köllner 2009). Eine dieser Untersuchung vorangestellte Analyse des DPJ-Rekrutierungsprozesses, unter anderem anhand von Interviews mit DPJ-Abgeordneten1 sowie einer Auswertung von Kandidatenproilen, hat zudem gezeigt, dass die drei ban nicht ausschließlich ein Phänomen der Liberaldemokratischen Partei (LDP) sind, ebenso wenig wie das Erbpolitikertum selbst. Mehrere Gesprächspartner, darunter die Abgeordneten C, G, H und J, wiesen auf die Bedeutsamkeit einer gut geplegten Wählerbasis und in diesem Zusammenhang von Geld für einen erfolgreichen Wahlkampf hin, ähnliches gilt für einen hohen Bekanntheitsgrad des Namens (vgl. auch Idei 2010: 210–211). Da die Aussicht auf Wahlerfolg in der DPJ das oberste Auswahlkriterium darstellt (DPJ 08.11.2005), folgt, dass auch im Kampf um eine DPJNominierung Politikernachkommen einen Vorteil gegenüber Aspiranten ohne die drei ban haben. Der Anteil der Erbpolitiker an den DPJ-Unterhausabgeordneten nach den Wahlen 2005 belief sich nach Ueda (21.12.2006) beispielsweise auf ein knappes Sechstel. Die Beschränkung dieses Rekrutierungspfades hat folglich auch als Nominierungsprinzip der DPJ das Potential, die Zugangsmöglichkeiten zur politischen Elite Japans zu verbessern. Die Erwartungen an die neuen Richtlinien werden durch folgende Überlegungen beeinlusst: Zum einen wähnte sich die Partei 2009 kurz vor ihrer ersten 1. Die Interviews wurden im Herbst 2010 in Tōkyō geführt. Gesprochen wurde mit elf Unterhausabgeordneten der DPJ in erster bis zweiter Legislaturperiode. Bei der Auswahl der Gesprächspartner wurde versucht, möglichst verschiedene Rekrutierungspfade und Proile abzudecken. Unter ihnen beinden sich reine Verhältniswahlkandidaten, erfolgreiche Mehrheitswahlkandidaten sowie über die Parteiliste »wiederbelebte« erfolglose Mehrheitswahlkandidaten; außerdem ehemalige Ministerialbürokraten, Angestellte, Abgeordnetensekretäre und Regionalpolitiker sowie Unternehmer, Erbpolitiker und über das Ausschreibungsverfahren rekrutierte Abgeordnete. Im Folgenden wird auf die Abgeordneten in anonymisierter Form als Abgeordnete A bis K Bezug genommen. Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 79 Regierungsübernahme. Ihr direkter Gegner LDP ist bekannt für den hohen Anteil von Abgeordneten in zweiter oder höherer Generation und hatte zudem mit Shinjirō Koizumi, dem Sohn des ehemaligen Premierministers Jun’ichirō Koizumi, für 2009 einen prominenten Fall des Erbpolitikertums zu verzeichnen. Es bot sich für die DPJ folglich eine gute Gelegenheit, sich mit der Selbstbeschränkung auf positive Weise von der LDP abzugrenzen und so ihr Image als Reformpartei zu stärken. Auf der anderen Seite wirkte das bereits erwähnte Auswahlkriterium der Aussicht auf Wahlerfolg bzw. das dem zugrundeliegende Streben der Partei nach einem Wahlsieg einer konsequenten Umsetzung entgegen. Zudem sah sich die Parteiexekutive nicht nur parteiinternem Widerstand gegenüber, vielmehr befanden sich zum Zeitpunkt der Umsetzung mit Ichirō Ozawa und Yukio Hatoyama auch in der Parteispitze selbst etablierte Erbabgeordnete. Dies führt zu der Vermutung, dass die Öfnung der Partei als Motiv bei der Einführung der Selbstbeschränkung nur von sekundärer Bedeutung war und es stattdessen vielmehr um die Etablierung eines Wahlkampthemas ging. In jedem Fall ist zu erwarten, dass sich eine Schwerpunktsetzung auf das eine oder andere Motiv auch in der Umsetzung des neuen Nominierungsprinzips widerspiegelt. Die Untersuchung der Selbstbeschränkung wird daher nicht nur ein Urteil über ihren Beitrag zur Demokratisierung des politischen Systems Japans ermöglichen, sondern auch eine bessere Einordnung der DPJ in der japanischen Parteienlandschat. 2. Vorgeschichte Im Februar 2004 hatte der Parteivorstand unter dem Vorsitzenden Naoto Kan einen Ausschuss zum Vorantreiben von Parteireformen (tōkaikaku suishin i’inkai) eingerichtet und mit der Überprüfung neuer Richtlinien für die Kandidatennominierung beautragt (AS 16.02.2004). Vorsitzender des Ausschusses wurde Katsuya Okada, zu diesem Zeitpunkt DPJ-Generalsekretär (AS 18.02.2004). Der zweieinhalb Monate später bekannt gegebene Reformplan sah unter anderem eine Beschränkung des Erbpolitikertums für Wahlen auf nationaler Ebene und damit auch für die im Juli stattindenden Oberhauswahlen vor (AS 02.05.2004). Der nächste Schritt wäre der oizielle Beschluss im DPJ-Vorstand gewesen; bis zu den Oberhauswahlen 2004 kam es jedoch zu keiner Umsetzung und auch in das Wahlprogramm wurde das Vorhaben nicht aufgenommen (DPJ 25.06.2004). Erst einen Monat nach den Wahlen erneuerte Okada, inzwischen DPJ-Parteivorsitzender, die Zielsetzung. In seinem politischen Programm, mit dem er sich erfolgreich zur Wie- 80 Innenpolitik derwahl für das Amt des Parteivorsitzenden stellte, schrieb Okada (24.08.2004: Abschnitt 1, Absatz 6): Unter dem [neuen] Wahlsystem mit Einerwahlkreisen wird der Anteil der Erbpolitiker weiter steigen, wenn die Parteien nicht eine gewisse Beschränkung ansetzen. Da es aber für die DPJ extrem wichtig ist, möglichst vielfältige qualiizierte Personen zu sichern, bin ich für eine küntige Beschränkung bei der Aufstellung neuer Erbkandidaten für Unter- und Oberhauswahlen. Es sollen prinzipiell keine Verwandten innerhalb des dritten Verwandtschatsgrades (sowohl Blutsverwandte als auch angeheiratete Verwandte) für eine Kandidatur in direkter Folge im gleichen Wahlkreis anerkannt werden. Mit diesen Worten bietet Okada zwar eine bereits klar formulierte Beschränkung an, aber auch dieses Mal wurde sie weder realisiert, noch im DPJ-Wahlprogramm für die Unterhauswahlen 2005 erwähnt (DPJ 30.08.2005). Im Anschluss an die Wahlen, auf dem DPJ-Parteitag am 16. Dezember 2005, hielt der neue Generalsekretär Yukio Hatoyama schließlich fest: »Ein Nein zum Erbpolitikertum wurde vor einiger Zeit diskutiert, jedoch ohne Ergebnis« (DPJ 16.12.2005). Und der neue Parteivorsitzende Seiji Maehara antwortete auf weitere Fragen zur Kandidatennominierung: »In den Einerwahlkreisen bildet die Aussicht auf Wahlerfolg die Grundlage für die Kandidatenauswahl« (DPJ 16.12.2005). Mit dieser Klarstellung war die Beschränkung vorerst gescheitert und ist für die nächsten drei Jahre aus dem Blickfeld der Partei als auch der Medien gerückt. Auch im Wahlprogramm zu den Oberhauswahlen 2007 ist von einer Regulierung des Erbpolitikertums keine Rede (DPJ 09.07.2007). Die Asahi Shinbun bewertete die 2004 erfolgten Bemühungen der DPJ lediglich als Versuch, sich von der LDP abzusetzen und das Parteiimage aufzubessern (AS 02.05.2004). Tatsächlich lässt der Verlauf daran zweifeln, dass die Partei jemals an einer Umsetzung interessiert war. Die Bemühungen, die Kandidatenrekrutierung der DPJ zu öfnen, scheinen vielmehr an die Person Katsuya Okada gebunden gewesen zu sein – ein Streben, welches die Partei letztlich nicht trug, da sie die jeweilige Chance auf einen Wahlerfolg als wichtiger erachtete. Im Juni 2008 hatten sich diese Verhältnisse jedoch geändert; es eröfnete der gleiche Abgeordnete die Diskussion über eine Beschränkung des Erbpolitikertums, der sie mit seinen Worten auf dem Parteitag 2005 vorerst beendet hatte: Laut Yukio Hatoyama (DPJ-Generalsekretär) gäben die näher rückenden Wahlen Anlass, das Wahlgesetz zu überdenken und das viel diskutierte Erbpolitikertum zu hinterfragen (DPJ 12.06.2008). Auch dieses Mal wurde ein Reformausschuss eingesetzt, der Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 81 sich dieser Aufgabe widmete und dessen Vorsitzender wieder Katsuya Okada war. In den folgenden Monaten überprüte der Ausschuss die Möglichkeit eines gesetzlichen Kandidaturverbots für Erbpolitiker, befand ein solches aber für nicht vereinbar mit der in der Verfassung garantierten freien Berufswahl. Stattdessen wurde eine Gesetzesreform angestrebt, mit der das Vererben der Finanzkrat in Form von Finanzverwaltungsorganisationen verboten werden sollte. Bis zur nächsten regulären Parlamentssitzung plante die DPJ, einen solchen Antrag einzureichen (AS 18.09.2008). Die Kandidaturbeschränkung hingegen rückte Hatoyama in den Aufgabenbereich der Partei: »Ist bezüglich des Erbabgeordnetenproblems nicht auch außerhalb des Wahlgesetzes irgendeine Regulierung nötig? Es darf nicht sein, dass jemand einen Vorteil hat, weil er Erbpolitiker ist« (DPJ 17.09.2008). Ein halbes Jahr später stand die Entscheidung des Reformausschusses fest. Die DPJ werde eine fortführende Kandidatur von Familienangehörigen im gleichen Wahlkreis ihrer Vorgänger nicht akzeptieren. Wieder betrachtete die Asahi Shinbun die Initiative der DPJ zunächst nur als Kampagne gegen die LDP, mit der die DPJ versuchte, ihr Parteiimage, welches zuletzt unter einem Spendenskandal um den Parteivorsitzenden Ozawa gelitten hatte, wiederherzustellen (AS 23.04.2009a). Im Gegensatz zu 2005, als die Bemühungen auf dieser Stufe scheiterten, folgten dieses Mal jedoch schnelle Taten. Am 1. Juni 2009 wurde ein Gesetzesentwurf für eine Reform des Political Funds Control Law (seiji shikin kisei hō, PFCL) im Parlament eingereicht und eine Woche später, am 9. Juni 2009, folgte auf der Vorstandssitzung der DPJ der oizielle Beschluss zur Einführung eines neuen und sofort anzuwendenden Nominierungsprinzips, der Beschränkung des Erbpolitikertums (DPJ 01.06.2009, 09.06.2009). Tatsächlich spielte aber auch die Abgrenzung von der LDP eine wichtige Rolle. Zwar wurde als Motiv in der Regel die Öfnung der DPJ-Nachwuchsrekrutierung genannt, selten jedoch, ohne auf die diesbezüglichen Missstände in der LDP hinzuweisen. So schrieb Okada einen Tag bevor der Beschluss des Reformausschusses bekanntgegeben wurde: »[Das Erbpolitikertum] nimmt der Politik die Lebenskrat. Ich erhofe mir sehr, dass großlächig Kandidaten angeworben werden und so geeignete Menschen gefunden werden« (AS 23.04.2009a). Auf einer Ansprache einen Tag später führt er fort: »Das Erbpolitikertum ist für die LDP eine tödliche Krankheit« (AS 23.04.2009b). Ein weiteres Mal bringt er das hema drei Wochen später im Haushaltsausschuss auf. In den Einerwahlkreisen wäre es für Erbpolitiker ein Leichtes, gewählt zu werden. Die dadurch entstehende Einförmigkeit würde die japanische Demokratie schwächen. Zudem kritisiert er die Nominierung Shinjirō Koizumis als Nachfolger seines Vaters durch die LDP und hält abschließend fest: »Die DPJ ist eine Partei, in der es für ambitionierte und engagierte Menschen, die 82 Innenpolitik nationale Abgeordnete werden wollen und dafür kämpfen, [auch] die Chance gibt, nationale Abgeordnete zu werden« (DPJ 12.05.2009). Auf einer Pressekonferenz eine Woche später bekrätigt er: »Ein wichtiger Existenzgrund der DPJ ist, dass sie für Menschen ohne die so genannten jiban, kaban, kanban einen Weg geschafen hat, um nationale Abgeordnete zu werden« (DPJ 20.05.2009). Beide Maßnahmen wurden außerdem in das Ende Juli veröfentlichte Wahlprogramm für die Unterhauswahlen 2009 aufgenommen (DPJ 27.07.2009: 17). Diese Aussagen bei gleichzeitigen Angrifen auf die LDP werfen die Frage auf, welches Motiv ausschlaggebend gewesen ist. Wieder war Katsuya Okada die treibende Krat, weshalb eine gewisse Aufrichtigkeit glaubwürdig ist. Aber warum hat die Partei ihn dieses Mal unterstützt? Die neue Konstellation in der Parteiführung mit Ichirō Ozawa als Parteivorsitzenden und Yukio Hatoyama als Generalsekretär an der Spitze lässt eher noch schwierigere Bedingungen vermuten. Stimmen innerhalb der DPJ bestätigten dies: »Das ist eine schwierige Aufgabe, die Herr Okada sich gestellt hat« (Hoshi 03.03.2009). Und weiter: »Auch in der DPJ gibt es z.B. den Vorsitzenden Ichirō Ozawa als Abgeordneten in zweiter Generation und Generalsekretär Yukio Hatoyama in vierter Generation. Die Zahl der Erbabgeordneten nimmt stetig zu und die Opposition gegen eine Beschränkung ist tief verwurzelt.« Zudem hätten neben Ozawa auch der ehemalige Premierminister Tsutomu Hata und der Abgeordnete Kōzō Watanabe die Intention, ihren Wahlkreis an ihre Söhne weiterzugeben. Wie hat sich diese parteiinterne Situation ausgewirkt? Trägt das neue Nominierungsprinzip tatsächlich zu mehr Ofenheit in der DPJ-Kandidatenrekrutierung bei? Oder dient es ausschließlich dazu, sich von der LDP abzugrenzen und NegativKampagnen zu betreiben? Zur Bewertung dient folgende Leitfrage: Inwiefern verhindert die neue Regelung, dass Politikernachkommen ihre Vorteile, die sie durch das Erben der drei ban im Wahlkampf haben, im Kampf um die Parteinominierung geltend machen können? Bezüglich der Finanzkrat kann vorweggreifend gesagt werden, dass es im Parlament zu keiner Entscheidung über den von der DPJ eingereichten Gesetzesentwurf gekommen ist. Auf den weiteren Umgang der DPJ mit diesem Vorhaben wird in der Auswertung eingegangen. 3. das neue nominierungsprinzip Am 9. Juni 2009 wurde auf einer DPJ-Vorstandssitzung oiziell folgende Regelung beschlossen (DPJ 09.06.2009): Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 83 1. Streben Ehepartner oder Verwandte innerhalb des dritten Verwandtschatsgrades (Blutsverwandte sowie angeheiratete Verwandte der Haupt- oder Seitenlinie) eines amtierenden DPJ-Abgeordneten auf nationaler Ebene bei dessen Rücktritt oder Wechsel in ein anderes Amt bei den direkt daraufolgenden Wahlen eine Kandidatur im selben Wahlkreis (im jeweils identischen Einerwahlkreis oder Verhältniswahlkreis (bei reiner Verhältniswahlkandidatur) für das Unterhaus sowie Mehrerwahlkreis oder Verhältniswahlkreis für das Oberhaus) an, um das Mandat in direkter Folge zu übernehmen, wird die Partei diese Verwandten nicht nominieren. 2. Der vorangehende Paragraph gilt küntig als Auswahlkriterium für die Kandidatenrekrutierung für Wahlen auf nationaler Ebene und wird beginnend mit den nächsten (45.) Unterhauswahlen angewendet. Was bedeutet das für die Nominierung neuer Erbpolitiker durch die DPJ?2 Ein dahingehender Blick auf verschiedene Datenerhebungen für die Unterhauswahlen 2009 sorgt für Verwunderung und Unklarheit zugleich. Zum einen ist allen Erhebungen gemeinsam, dass keine zu dem Ergebnis kommt, die DPJ habe keine neuen Erbpolitiker nominiert. Zum anderen fällt die Anzahl je nach Erhebung unterschiedlich aus. Bereits die Zeitschrit AERA (27.07.2009), welche vor den Wahlen alle Kandidaten auf ihren Erbpolitikerstatus hin überprüt hat, hat zwei unterschiedliche Maßstäbe angesetzt. Dabei zählt sie nach einem strengeren Maßstab nur zwei Erbpolitiker unter den neuen DPJ-Kandidaten, nach einem gröberen Maßstab acht. Nach Zählung von Ueda (01.01.2011) sind wiederum sieben neue Erbabgeordnete für die DPJ ins Parlament eingezogen, wobei nur in drei Fällen eine Übereinstimmung mit den acht Personen der erstgenannten Untersuchung besteht. Und eine dritte Erhebung, ebenfalls in der AERA (25.10.2009), zählt schließlich gar 30 neue DPJ-Abgeordnete in der Kategorie »Erbe« (seshū). Wenn auch die Allgemeingültigkeit dieser ofenbar unterschiedlichen Deinitionen des Erbpolitikertums nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind, so stellen sich doch folgende Fragen: Wie war es möglich, dass trotz des neuen Nominierungsprinzips überhaupt neue Erbpolitiker für die DPJ kandidierten? Und wie sind die Verhältnisse derjenigen neuen Erbpolitiker, die scheinbar nicht im Anwendungsbereich der Beschränkung liegen? Einige ausgewählte Beispiele sollen helfen, 2. Mit einer »küntig[en]« Anwendung ist gemeint, dass sich dieses Nominierungsprinzip nur auf neue Kandidaten bezieht. Amtsinhaber oder auch jene, die ihr Mandat in der vorherigen Wahl verloren hatten, sind nicht Gegenstand der Beschränkung. Der Vorteil, den diese bei den Wahlen und der Nominierung haben, basiert weniger auf ihrem Status als Erbpolitiker, denn als etablierte Abgeordnete. 84 Innenpolitik die Funktionsweise der neuen Richtlinien zu erörtern und zu sehen, ob es Deizite oder Lücken gibt. 3.1 Toshirō Ishi’i – Wechsel des Einerwahlkreises Einer der sieben neuen Erbabgeordneten, die Ueda (01.01.2011) für 2009 zählt, ist Toshirō Ishi’i. Ishi’i kandidierte bereits 2005 für die DPJ. Anstatt den Wahlkreis seines Vaters, Hajime Ishi’i, zu übernehmen (Hyōgo 1), trat er im benachbarten Wahlkreis Hyōgo 7 an. Insofern ist genau das passiert, was aus dem Regeltext als Ziel herauszulesen ist: ein Wechsel des Einerwahlkreises (»Streben Ehepartner oder Verwandte […] eine Kandidatur im selben Wahlkreis […] an, […] wird die Partei diese Verwandten nicht nominieren.«). Auch die meisten Interviewpartner sind sich einig, dass ein solcher Wahlkreiswechsel die entscheidende Voraussetzung für die Kandidatur von Politikern in zweiter oder höherer Generation ist: »Dass Kinder von Politikern auch Politiker werden, ist in Ordnung. Das Problem ist der Wahlkreis. Wenn sie den Wahlkreis übernehmen, ist es nicht in Ordnung. Wenn sie in einem anderen Wahlkreis antreten, macht das überhaupt nichts.« (Abgeordneter E) Der Abgeordnete H nennt Ishi’i sogar als vorbildhates Beispiel und meint: »Wenn sie in einem anderen Wahlkreis antreten, spricht man korrekterweise nicht von Erbpolitikertum.« Auch in den Tageszeitungen Asahi Shinbun und Yomiuri Shinbun wurde Ishi’is Kandidatur nicht vor dem Hintergrund seiner Abstammung kritisiert. Doch ist diese Anforderung ausreichend, um den Vorteil einer innerfamiliären politischen Nachfolge aufzuheben? Durch den Wechsel in einen anderen Einerwahlkreis hat Toshirō Ishi’i auf eine der drei wichtigen Zutaten für einen Wahlsieg komplett verzichtet: die Wählerbasis. Ebenfalls verzichten musste er auf die möglicherweise angesammelten Finanzmittel des Ortsverbandes seines Vaters. Im Fall von Shinjirō Koizumi belief sich der Betrag, den er auf diesem Weg von seinem Vater erbte, auf 26,3 Millionen Yen und machte so mit Abstand den größten Teil seines inanziellen Erbes aus (AS 01.10.2009). Nicht Gegenstand der Beschränkung ist allerdings die Vererbung der Finanzverwaltungsorganisation bzw. das Übertragen ihrer Gelder an den Nachfolger durch Spenden. Diesen Aspekt hat die DPJ aus der parteiinternen Regelung ausgeklammert, da er Gegenstand des Reformgesetzes war. Außerdem ist die Vererbung von Finanzkrat durch private Spenden schwer zu kontrollieren, was jedoch auch Kandidaten mit einem starken inanziellen Hintergrund im Allgemeinen betrit. Der Wahlkreiswechsel verhindert also mindestens den einfachsten Weg, die an das Mandat gekoppelte Finanzkrat zu vererben. Was Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 85 den Namen angeht, so wird Ishi’i im unmittelbar benachbarten Wahlkreis zwar nicht vollkommen unbekannt sein, es stellt sich aber die Frage, wie die Grenzen alternativ gesetzt werden sollten. Für diejenigen Nachfolger, die wie Shinjirō Koizumi Vorfahren mit Amtserfahrungen als Minister oder Premierminister haben, ist unabhängig von der Region immer ein erhöhter Bekanntheitsgrad gegeben. Um diesen Vorteil aufzuheben, bliebe nur ein komplettes Nominierungsverbot für Politikerfamilien, welches dem eigentlichen Ziel des ofenen Zugangs vollkommen entgegenstünde. Der grundlegende Ansatz des Wahlkreiswechsels ist daher sinnvoll. Auch die zwei Maßstäbe der erstgenannten Datenerhebung basieren auf der Diferenzierung zwischen denjenigen Nachkommen, die die Wählerbasis (jiban) ihrer Vorgänger übernommen haben, und denen, die das nicht getan haben (AERA 27.07.2009). Auch Inaida (2009: 91–92) schließt diejenigen, die den Einerwahlkreis wechseln, aus diesem Grund gar nicht erst in seine Deinition des Erbpolitikertums ein. 3.2 hiroshi Sugekawa – Wechsel der Wahlkreisebene Hiroshi Sugekawa kandidierte bei den Unterhauswahlen 2009 für die DPJ im Einerwahlkreis Hiroshima 1. Sein Vater, Kenji Sugekawa, war von 1995 bis 2001 Oberhausabgeordneter für den Präfekturwahlkreis Hiroshima. Für die Nominierungsregelung werden die unterschiedlichen Wahlkreisebenen jedoch getrennt voneinander betrachtet. Das Nominierungsverbot für »[den]selben Wahlkreis« bezieht sich nur auf die »jeweils identischen« Wahlkreise, weshalb zwischen Oberund Unterhauswahlkreisen sowie auch zwischen Einer-, Mehrer- und Verhältniswahlkreisen innerhalb der beiden Kammern diferenziert wird. Aus diesem Grund stand einer Kandidatur Sugekawas nichts im Weg, obwohl sein Wahlkreis dem seines Vaters einbeschrieben ist. In Sugekawas Fall scheint dies unproblematisch, da ihm sein Vater mit nur einer Legislaturperiode Amtszeit keine starken ban vererben konnte. Gegen den Amtsinhaber der LDP erlitt er im Einerwahlkreis eine Niederlage und zog schließlich nur über die Verhältniswahlliste ins Unterhaus ein. Sein Status als Politikernachfahre wurde daher auch in den Medien kaum beachtet (siehe z.B. YS 01.09.2005). Ist also auch ein Wechsel der Wahlkreisebene ausreichend, um die Weitergabe der drei ban und damit die Bevorteilung der Politiker in zweiter oder höherer Generation zu verhindern? Zumindest der bekannte Name sowie bei sich überschneidenden Wahlkreisen die Wählerbasis können auch von Ober- zu Unterhausabgeordneten 86 Innenpolitik vererbt werden, oder umgekehrt.3 Als Beispiel für eine solche Quervererbung der Wählerbasis nennt die AERA (27.07.2009) den DPJ-Unterhausabgeordneten Mitsu Shimojō. Nach seinem ersten Wahlsieg 2003 urteilt die Asahi Shinbun: »Im Lager Shimojō führte die starke Wahlkampfstruktur, die mit dem jiban des Vaters, ehemaliger LDP-Oberhausabgeordneter, wiederbelebt wurde, zum Sieg« (AS 10.11.2003). Tamura (2007: 89) stut ein solches Erbe eines Oberhausabgeordneten für einen Kandidaten bei Unterhauswahlen sogar als möglicherweise gleichbedeutend mit der Übernahme eines Einerwahlkreises ein, sofern es sich um den übergeordneten Präfekturwahlkreis handelt. Ein Beispiel für den umgekehrten Fall, eine Quervererbung von Unter- zu Oberhausabgeordnetem, ist Yūichirō Hata (DPJ). Der Sohn des ehemaligen Premierministers Tsutomu Hata siegte 1999 bei einer Nachtragswahl für das Oberhaus im Präfekturwahlkreis Nagano mit deutlichem Vorsprung vor einem etablierten ehemaligen Präfekturabgeordneten der LDP. Einem Kandidaten ohne Erbpolitikerhintergrund wäre dieser vermutlich überlegen gewesen. In Hatas Fall schildert die Yomiuri Shinbun in mehreren Artikeln, wie Tsutomu Hata seine Wahlkampfmaschinerie in Gang setzt und seine persönliche Wählerbasis mobilisiert, um seinen Sohn zu unterstützen (YS 29.09.1999, 17.10.1999). Dadurch verfügte Yūichirō Hata neben seinem bekannten Namen auch über eine starke, wenn auch nur geliehene Wählerbasis, so dass auch diese Verbindung eindeutig dem Erbpolitikertum zugeordnet werden muss. Der Anreiz für Parteien, potentielle Kandidaten in einer der hier vorgestellten Konstellationen aufgrund ihrer hohen Chancen auf einen Wahlerfolg anderen Aspiranten im Wettbewerb um die Nominierung vorzuziehen, kann folglich hoch sein. Wenn die Beschränkung des Erbpolitikertums mit dem Ziel eingesetzt wurde, die Partei für Menschen ohne die drei ban weiter zu öfnen, müssen folglich auch sich überschneidende Ober- und Unterhauswahlkreise berücksichtigt werden. Diese beiden Interessen – die Rekrutierung starker Kandidaten und die ideologischen Bestrebungen – bringen die DPJ in einen Interessenskonlikt, auf den in der Auswertung Bezug genommen wird. 3. Eine weitere Möglichkeit, die sich durch diese Diferenzierung der Wahlebenen ergibt, ist eine reine Verhältniswahlkandidatur bei Vorfahren mit Direktmandat. Mit Hinblick auf die durch die drei ban entstehenden Vorteile scheinen Erbpolitiker als reine Verhältniswahlkandidaten unproblematisch bzw. sogar eine gute Lösung zu sein, da die Wähler bei der Verhältniswahl für das Unterhaus nicht für einen bestimmten Kandidaten, sondern für eine bestimmte Partei stimmen, so dass die drei ban für den Einzug über die Verhältniswahlliste keine so wichtige Rolle spielen. Es ist daher auch hier Inaida (2009: 19–20, 101–104) zuzustimmen, der reine Verhältniswahlkandidaten aus seiner Deinition ausschließt. Für das Oberhaus ist diese Deinition angesichts des dort gültigen Systems der Verhältniswahl mit Vorzugsstimme hinterfragbar. Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 87 3.3 daisuke Fujita – Wechsel der Wahlebene Daisuke Fujita trat 2009 im Wahlkreis Mie 5 für die DPJ als neuer Kandidat an. Die Familie Fujita war in der Präfektur Mie nicht unbekannt. Bereits Fujitas Großvater war Präfekturabgeordneter in Mie und sein Vater, Masami Fujita, war zum Zeitpunkt der Unterhauswahlen amtierender Präfekturabgeordneter und ehemaliger Vorsitzender des Präfekturparlaments. Unabhängig von der Frage nach der Wahlkreisebene wird das neue Nominierungsprinzip nicht auf Kandidaten mit Vorgängern auf lokaler oder regionaler Ebene angewendet, denn nur »Ehepartner oder Verwandte […] eines […] DPJ-Abgeordneten auf nationaler Ebene« sind Gegenstand der Beschränkung. Daisuke Fujitas Nominierung bleibt somit von der neuen Regelung unberührt. Da beide Vorfahren Fujitas LDP-Abgeordnete waren (AS 28.09.2009), scheint es zunächst ohnehin unwahrscheinlich, dass Masami Fujita seinem der DPJ angehörenden Sohn im Kampf um das Mandat für Mie 5 hätte behillich sein können. Zudem hob dieser hervor: »Die nationale und regionale Politik sind zwei verschiedene Dinge. Auch unsere jeweiligen jiban stimmen nicht überein, so dass mein Sohn von Null anfängt. Ich unterstütze ihn lediglich als Familienmitglied« (AS 28.09.2009). Dass diese Unterstützung mit einem Parteiaustritt aus der LDP einherging, lässt jedoch Zweifel daran aukommen, dass seine Stellung als Präfekturabgeordneter für den Wahlkampf des Sohnes unbedeutend war. Die Chūnichi Shinbun bezeichnet den Fall Fujita als »verstecktes Erbpolitikertum (kakure seshū)« (CS 16.08.2009). Handelt es sich bei der Ausklammerung von Kandidaten mit Verwandten auf lokaler oder regionaler Ebene tatsächlich um eine Lücke in den neuen Richtlinien? Die Datenerhebung der AERA (25.10.2009) ergibt, dass unter Berücksichtigung der lokalen und regionalen Ebene insgesamt 30 der neuen DPJ-Abgeordneten (20 %) Politiker in der Familie aufweisen. Über den Vorteil, den Kandidaten mit Verwandten auf Stadt- oder Präfekturebene haben, herrscht jedoch Uneinigkeit. Auf der einen Seite meint Tamura (2007: 89–90), dass dieser Vorteil ähnlich groß sein kann wie für diejenigen mit Vorgängern auf nationaler Ebene. Diese Vermutung liegt nahe, wenn man bedenkt, dass den Lokal- und Regionalpolitikern in der Forschungsliteratur eine wichtige Bedeutung als Stimmenmobilisatoren im Kampf um ein Mandat auf nationaler Ebene zugeschrieben wird (Scheiner 2006: 1–6). Auf der anderen Seite gibt Inaida (2009: 99) Folgendes zu bedenken: Bei Söhnen von Bürgermeistern oder lokalen oder regionalen Abgeordneten ist es so, dass diese, selbst wenn sie z.B. den jiban des Vaters übernehmen, im Wahlkampf ihren Einluss noch auf andere Städte und Gemeinden ausweiten müs- 88 Innenpolitik sen. Es ist zwar ein Vorteil, dass sie den Bekanntheitsgrad – kanban – und die politischen Fonds – kaban – erben können, der ausschlaggebende jiban ist jedoch klein. Im Vergleich zu nationalen Abgeordneten verfügen diese zudem nur über wenige angegliederte Präfekturabgeordnete oder lokale Abgeordnete. Ein weiteres Beispiel gibt diesem Gegenargument Inaidas Gewicht. 2009 kandidierte neben Fujita auch Hideyuki Takahashi für die DPJ. Sein Vater, Eikichi Takahashi, war bis April 2009 Bürgermeister der Stadt Yawatahama, welche wiederum in Hideyuki Takahashis Einerwahlkreis Ehime 4 liegt. Dadurch verfügte Takahashi trotz seines Debüts in Teilen seines Wahlkreises bereits über Beziehungen, eine Wählerbasis und einen bekannten Namen. In Yawatahama erzielte er mit über 55 % der Stimmen sein bestes Ergebnis im Wahlkreis (ESKI 31.08.2009). Die in Yawatahama abgegebenen Stimmen machten insgesamt jedoch nur 13 % aller in Ehime 4 abgegebenen Stimmen aus, so dass selbst 100 % bei Weitem noch nicht für einen Wahlsieg gereicht hätten. Es gab in Takahashis Fall also nur einen geringen Vorteil. Der Anreiz für die DPJ, ihn aufgrund seines familiären Hintergrundes zu bevorzugen, wird dementsprechend gering gewesen sein. Dass es sich hierbei dennoch um eine Lücke handelt, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass mit zunehmender Größe der jeweiligen Stadt auch der Wert eines solchen Erbes steigt. Durch die Richtlinien zur Wahlkreiseinteilung, welche vorsehen, dass Gemeinden und Städte möglichst nicht geteilt werden (SGSKS 2009 [2001; 1994]: 1. (2)), erhöht sich zudem die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Wahlkreise von nur wenigen Städten dominiert werden oder sogar nur aus einer einzigen Stadt bestehen, wie z.B. im Fall des Wahlkreises Akita 1, der mit der Stadt Akita identisch ist. Auch ein erneuter Blick auf den Fall Fujita stützt Tamuras Standpunkt. Obwohl Fujitas Vater lediglich Regionalpolitiker war und zudem ursprünglich der LDP angehörte, bestätigt ein Vorstandsmitglied aus Daisuke Fujitas kōenkai den Einluss seines Handelns auf die Wahlaussicht seines Sohnes: »In Ise [der jiban Masami Fujitas] sind die Leute weniger LDP-Anhänger als Sympathisanten der Person Masami [Fujita]. […] Deshalb wird er [Daisuke Fujita] nach und nach auch von denjenigen Unterstützern des Vaters unterstützt, die zunächst unschlüssig waren« (CS 16.08.2009). Mit diesem Erbe seines Vaters konnte Fujita das Direktmandat zwar letztlich nicht gewinnen, mit weniger als 3000 Stimmen Rückstand auf den etablierten LDP-Amtsinhaber schnitt er dennoch gut ab. Zumal Mie 5 als Wahlkreis mit starker LDP-Wählerbasis galt, weshalb die DPJ sogar Schwierigkeiten hatte, einen geeigneten Kandidaten zu inden, der bereit war, die Herausforderung anzunehmen (AS 28.09.2009). Fujita wurde daher erst relativ spät nominiert und konnte nur ein Jahr in die Wahlvorbereitung investieren – umso erstaunlicher sein Wahlergebnis. Er zog als bester Wahl- Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 89 verlierer über die Verhältniswahlliste »Tōkai« ins Unterhaus ein. Dieses Beispiel bestätigt nicht nur erneut, dass die Wählerbindung unter den aktuellen Rahmenbedingungen weiterhin stark personalisiert ist, es lässt auch erahnen, welches Potential in der Weitergabe solcher Wählerloyalitäten liegt – selbst, wenn der Vorgänger lediglich ein Mandat auf lokaler oder regionaler Ebene trägt. Es muss daher der Chūnichi Shinbun hinsichtlich des »versteckten Erbpolitikertums« zugestimmt und ein weiteres Deizit des neuen Nominierungsprinzips der DPJ festgehalten werden, wenn auch ein pauschales Urteil darüber, bis zu welcher Wahlebene das Erbe einen Vorteil im Kampf um die Nominierung bringt, schwer zu fällen ist. 3.4 Yōsaburō ishihara – zeitliche abfolge und amtsinhaberstatus Yōsaburō Ishihara wurde von der DPJ für eine Kandidatur im Wahlkreis Fukushima 1 nominiert. Im selben Wahlkreis kandidierten in den Jahren zuvor unter anderem folgende Personen: 1996 und 2000 Kentarō Ishihara (Liberal Party), Vater des Abgeordneten, 2003 und 2005 Shin’ichirō Ishihara (DPJ), Bruder des Abgeordneten. Dennoch ist Ishiharas Kandidatur nicht von den neuen Richtlinien betrofen, denn: »Streben Ehepartner oder Verwandte […] eines amtierenden DPJ-Abgeordneten […] bei den direkt daraufolgenden Wahlen eine Kandidatur im selben Wahlkreis […] an, um das Mandat in direkter Folge zu übernehmen, wird die Partei diese Verwandten nicht nominieren.« Obwohl Ishihara in direkter Folge kandidierte, zählt er im Rahmen der Beschränkung nicht zu den Erbpolitikern, da der letzte Amtsinhaber der Familie sein Vater Kentarō Ishihara im Jahr 2003 war. Während die Kandidatur seines Bruders unter dem neuen Nominierungsprinzip nicht möglich gewesen wäre, konnte Yōsaburō Ishihara dank dessen Wahlniederlage trotz der inzwischen eingeführten Regelung den Wahlkreis seiner Familie übernehmen, da er nun nicht mehr in direkter Folge auf einen Amtsinhaber antrat. Inwiefern die Nachfolge zu Ishiharas Wahlsieg beigetragen hat, ist schwer nachvollziehbar, da beide Vorfahren nicht sehr erfolgreich waren – auch sein Vater unterlag im Einerwahlkreis und musste über die Verhältniswahlliste wiederbelebt werden. Die Asahi Shinbun stellt Ishihara dennoch in den Kontext des Erbpolitikertums und schreibt dem Aushängeschild »Ishihara« einen großen Wiedererkennungswert zu (AS 09.07.2009); und auch die kōenkai des Vaters scheint Ishihara übernommen zu haben (AS 30.07.2009). Ein inanzielles Erbe über den Ortsverband gab es nicht (MIC 29.02.2008), dennoch stellt die Asahi Shinbun ihn aufgrund einer beträchtlichen privaten Spende von seinem Vater diesbezüglich auf eine Ebene mit Shinjirō Koizumi (AS 01.10.2009). 90 Innenpolitik Aus Sicht des Abgeordneten D hingegen, welcher einen ähnlichen Hintergrund aufweist, handelt es sich bei einer Wahlkreisübernahme nach einer Wahlniederlage des Vorgängers eindeutig nicht mehr um Erbpolitikertum, wie er auf die Frage nach seinem Hintergrund als vermeintlicher Erbpolitiker erklärt: Die Frage, ob ich Erbpolitiker bin … !? Wenn man nach Erbpolitikern fragt, dann ist da Shinjirō Koizumi. Sein Vater war der stärkste Premierminister in der japanischen Geschichte. […] Und mein Vater hatte bei den Wahlen verloren. Er war da schon mehrere Jahre in der Politik, ist aber bei den Wahlen schwach geworden und hat schließlich verloren. Also war es bei mir anders als bei dem so genannten Erbpolitikertum, bei dem man die Erbfolge antritt und weiß, dass man gewählt wird. […] ›Erbpolitikertum‹ heißt, dass man die vollkommene Macht [übernimmt]. Bringt tatsächlich nur die direkte Nachfolge auf einen Amtsinhabers Vorteile im Kampf um das entsprechende Direktmandat? Für die Frage nach einer möglichen Bevorteilung im Nominierungsprozess ist Ds Deinition des Erbpolitikertums zu streng. Er selbst schätzt, dass ihm von 100 % der früheren jiban-Stärke seines Vaters nach dessen Wahlniederlage noch etwa 10 % blieben – ein Vorteil der möglicherweise bereits für seine Bevorzugung als Kandidat ausreichend war. Ebenso verliert ein verzögertes Erbe nicht unmittelbar 100 % seines Wertes. Wie Donau (2005: 63–64) basierend auf verschiedenen Erhebungen schlussfolgert, übernahm Anfang der 1990er Jahre etwa ein Viertel der erfolgreichen Erbabgeordneten die Wählerbasis ihrer Vorgänger mit Verzögerung. Auch im bereits erwähnten Beispiel Shimojō endete die letzte Legislaturperiode des Vaters bereits 1995 und dennoch war es möglich, seine Wählerbasis wiederzubeleben und so zum Wahlsieg seines Sohnes 2003 beizutragen. Auch Inaida (2009: 161) und die AERA (27.07.2009) zählen Shimojō zum Erbpolitikertum mit jiban-Übernahme. Wenn auch der verbleibende Wert des Erbes von Faktoren wie der Stärke des Vorgängers oder der Länge der Übergangsphase beeinlusst wird, ist der Anwendungsbereich des neuen Nominierungsprinzips mit der Berücksichtigung von lediglich Übernahmen in direkter Folge auf Amtsinhaber zu eng gefasst, um eine Bevorzugung der Nachfolger auszuschließen. Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 91 3.5 auswertung Die vorgestellten Fallbeispiele von Kandidaten, die von der DPJ unter Einhaltung der Beschränkung des Erbpolitikertums für die Unterhauswahlen 2009 nominiert wurden, geben einen Einblick in die Idee und die Anwendungsweise des neuen Nominierungsprinzips. Der Ansatz ist, durch einen Wahlkreiswechsel die drei ban der Politikernachkommen als Anreiz für ihre Bevorzugung im Kampf um die Parteinominierung auszuhebeln, wobei jedoch drei Einschränkungen sichtbar wurden: Erstens werden die Wahlebenen voneinander getrennt betrachtet, so dass die Nominierung eines Kandidaten für das Unterhaus möglich ist, ungeachtet eventueller Verwandtschat mit Mandat für das Oberhaus. Zweitens werden nur Verwandte mit Mandat auf nationaler Ebene berücksichtigt – Kandidatenanwärter mit Vorfahren auf lokaler oder regionaler Ebene können nominiert werden. Drittens gilt für die Beschränkung der Wahlkreisübernahme nur die direkte Folge auf einen Amtsinhaber. Das heißt, dass Kandidaten für den Wahlkreis ihrer Vorgänger nominiert werden können, sofern zwischen dem Ausscheiden des Vorgängers und der Nominierung des Nachfolgers durch die DPJ Wahlen für die entsprechende Kammer stattfanden oder sich der Vorgänger nach einer Wahlniederlage aus der Politik zurückzog. Die Ausnahmen führen dazu, dass sich der Spielraum für die Nominierung von möglicherweise durch das Erbe der drei ban bevorteilten Aspiranten stark ausweitet, weshalb sie hinsichtlich der Leitfrage als Deizite bewertet werden müssen. Aufgrund der geschilderten Umstände bei der Einführung der Selbstbeschränkung wurde das Autreten solcher Deizite als ein Hinweis darauf betrachtet, dass das eigentliche Motiv der DPJ weniger die Öfnung der Partei als die Etablierung eines starken Wahlkampthemas zur Abgrenzung von der LDP ist. In diesem Zusammenhang ist die letztgenannte Einschränkung des Regeltextes hervorzuheben. Während die anderen beiden Ausnahmen darauf basieren, dass entlang der üblichen Deinitionslinien ganze Gruppen von Erbpolitikern kategorisch ausgeklammert wurden, scheint hier gezielt ein Schluploch für diejenigen geschafen worden zu sein, die innerhalb dieses Deinitionsbereichs verbleiben und denen die Nominierungsbeschränkung idealerweise gelten sollte, nämlich jene Nachfahren, die bestrebt sind, den Einerwahlkreis ihrer Verwandten zu übernehmen. Dieser grundlegende Ansatz wurde durch die Zusatzbedingungen »direkte Folge« und »Amtsinhaber« so stark aufgeweicht, dass der Verdacht naheliegt, die DPJ habe gezielt versucht, ihre eigene Maßnahme zu unterwandern, um das Ausmaß der für eine erfolgreiche Vermarktung notwendigen Eingeständnisse zu minimieren. 92 Innenpolitik Ähnlich verhält es sich mit dem Gesetzesentwurf zur Reform des PFCL, welche die Weitergabe sowohl von Finanzverwaltungsorganisationen, von Ortsverbänden als auch von kōenkai an Verwandte innerhalb des dritten Verwandtschatsgrades hätte verbieten sollen. Eventuelle Schluplöcher, wie die Neugründung von Organisationen zum Zweck der Weitergabe, wurden gewissenhat gestopt (Okada et al. 2009). Während es bereits vorhersehbar war, dass dieser Gesetzesentwurf das Unterhaus unter LDP-Herrschat nicht passieren würde (DPJ 24.06.2009), hat die DPJ auch ihre eigene Regierungszeit nicht genutzt, um die Umsetzung des Reformgesetzes nachzuholen (Shūgi’in o.J.: 172. bis 181. Sitzungsperiode). Ebenso deutet nichts auf eine nachträgliche parteiinterne Anwendung eines solchen Prinzips hin. Es kann daher nicht nur von einem weiteren Deizit in der Beschränkung des Erbpolitikertums gesprochen werden – zusätzlich zu bestimmten Personengruppen wurde auf diese Weise mehr oder weniger unbemerkt auch eines der drei ban aus den neuen Richtlinien ausgeklammert. Vielmehr wird an dieser Stelle das vermutete wahlstrategische Kalkül als entscheidendes Handlungsmotiv bestätigt. Als Ursache für die deizitäre Umsetzung kann zum einen der parteiinterne Widerstand einzelner Mitglieder angenommen werden, zum anderen der Interessenskonlikt zwischen dem Ideal einer ofenen und fairen Kandidatenrekrutierung und dem rationalen Interesse, an einem erfolgreichen und etablierten Rekrutierungspfad wie dem Erbpolitikertum festzuhalten. Dieser Konlikt spiegelt sich selbst in den Einstellungen der interviewten DPJ-Abgeordneten in erster und zweiter Legislaturperiode wider. Die wichtigste Anforderung Cs Meinung nach ist der Wahlsieg, weshalb Kandidaten auch im Wahlkreis ihrer Eltern antreten dürfen sollten. Der Abgeordnete E hingegen widerspricht dem energisch und meint, dass auch für einen Wahlsieg eine derart unfaire Bevorteilung nicht in Kauf genommen werden dürfe. Aber auch auf Seiten der prinzipiellen Befürworter einer Beschränkung inden sich Argumente, die den Interessenskonlikt verschärfen. Die Abgeordnete K sieht beispielsweise Probleme bezüglich der Rekrutierung alternativer guter Nachwuchskandidaten. Eine solche Situation hat sich auch im Fall Fujita gezeigt, als die DPJ Probleme hatte, einen geeigneten Kandidaten zu inden, der bereit gewesen wäre, gegen den starken LDP-Amtsinhaber anzutreten. Realistisch gesehen, meint K, sei es daher vielleicht nicht möglich, auf die Kinder von Politikern als Rekrutierungsquelle zu verzichten. Als weiteres Argument für Politikernachkommen im Allgemeinen wurde häuig auch das Hereinwachsen in den Beruf des Politikers genannt. Der Abgeordnete A ging sogar so weit, Politikerkinder als die qualiizierteren Politiker darzustellen, da sie früh ein Bewusstsein für Politik und politische Maßnahmen entwickelten und die Bildung erführen, die für den Beruf des Politikers wichtig sei. Diese positiven Aspekte erschweren die Rechtfertigung eines Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 93 pauschalen Ausschlusses aller Politikernachkommen von einer DPJ-Nominierung für ihren Heimatwahlkreis. So erscheint es in einem Fall wie dem Abgeordneten Hideyuki Takahashi nicht nur irrational, sondern gar diskriminierend, einen hervorragend qualiizierten Anwärter nicht für seinen Wunschwahlkreis zu nominieren. Es können daher nicht alle Deizite des neuen Nominierungsprinzips als reine Folgen eines der Beschränkung zugrunde liegenden wahlstrategischen Kalküls verstanden werden, sondern müssen auch im Kontext dieses Interessenskonliktes gesehen werden, der nicht zuletzt das Streben nach mehr Ofenheit beinhaltet. 4. ausblick Die Frage der vorliegenden Untersuchung war, inwiefern das 2009 innerhalb der DPJ neu eingeführte Nominierungsprinzip – die Beschränkung des Erbpolitikertums – zu mehr Ofenheit in der DPJ-Kandidatenrekrutierung beiträgt. Die Analyse der Selbstbeschränkung hat mehrere Deizite aufgezeigt, welche jedoch nicht ausschließlich auf ein mangelndes Streben nach einer Öfnung zurückgeführt werden konnten, sondern auch Folge eines Interessenskonliktes sind, in den sich die DPJ mit diesem Streben begibt. In dieser Schlussbetrachtung sollen folgende Fragen beantwortet werden: Welches Potential bleibt dem neuen Nominierungsprinzip für die Öfnung der Partei angesichts der genannten Deizite? Wie ist es abschließend zu bewerten? Und wie ist die Zukunt dieses Nominierungsprinzips einzuschätzen? Wenn auch die Analyse gezeigt hat, dass der Spielraum bei der Nominierung von Erbpolitikern auch unter den neuen Richtlinien groß ist, bleiben diese nicht ohne Auswirkungen. Die Abgeordnete J erwähnt in diesem Zusammenhang, dass der Abgeordnete Tsutomu Hata vor den Unterhauswahlen 2009 angekündigt hatte, seinen jiban für die daraufolgenden Wahlen seinem bereits erwähnten Sohn Yūichirō Hata übergeben zu wollen. Dieser Plan wurde vom damaligen Generalsekretär Okada kritisiert, so dass Hata zunächst wieder davon Abstand genommen hatte (YS 04.08.2009). Tatsächlich war der Widerstand gegen die Beschränkung damit aber noch nicht gebrochen: 2012 trat der Vorsitzende von Hatas kōenkai »Chikumakai« an den Präfekturverband Nagano heran und wünschte, dass schnellstmöglich überprüt werde, »ob es für Yūichirō [Hata] eine Möglichkeit gibt, die Richtlinien der Beschränkung des Erbpolitikertums zu überwinden« (AS 25.01.2012). Als aussichtsreichste Überwindungstaktik wurde die Umetikettierung der angestrebten Nachfolge in einen bloßen Wechsel des etablierten Oberhausabgeordneten auf eine andere Wahlebene angesehen. Erst knapp einen Monat vor den Unterhauswahlen 2012 beugten sich Vater und Sohn schließlich der unnachgiebigen Haltung 94 Innenpolitik des Parteivorsitzenden Noda und verzichteten endgültig auf die Weitergabe des Wahlkreises (AS 21.11.2012). Dieses Beispiel zeigt, welchem parteiinternen Druck das neue Nominierungsprinzip ausgesetzt ist. Wie bereits erwähnt, ist Hata zudem nicht der einzige Abgeordnete in der DPJ, der ursprünglich die Intention hatte, seinen Wahlkreis an einen Verwandten weiterzugeben. Mit zunehmender Alterung der Partei werden sich vermehrt Abgeordnete aus der Politik zurückziehen, die dann von der Beschränkung betrofen sein werden, so dass sie vor allem das Potential hat, eine küntige Abschottung der DPJ gegenüber Neuzugängen zu verhindern. In der LDP hingegen scheiterten die Bemühungen, ebenfalls mit einer Selbstbeschränkung nachzuziehen, schnell am innerparteilichen Widerstand und wurden direkt nach den Unterhauswahlen 2009 wieder verworfen (AS 05.06.2009, 23.10.2009). Die mit der Selbstbeschränkung gemachten Eingeständnisse dürfen daher nicht unterbewertet werden und sind ein Beweis für den politischen Willen der DPJ, parteiinterne Widerstände zu überwinden, um Veränderungen zu erreichen – eine wichtige Voraussetzung für die Demokratisierung parteiinterner und gesamtstaatlicher Strukturen. Was eine eventuelle Behebung der genannten Deizite angeht, scheint dennoch wenig Hofnung zu bestehen. Nicht nur die analysierten Rahmenbedingungen des Interessenskonliktes lassen die Einführung einer strengeren Selbstbeschränkung unwahrscheinlich erscheinen. Zusätzlich konnte in den Gesprächen mit den jungen DPJ-Abgeordneten keinerlei Problembewusstsein bezüglich eventueller Deizite erkannt werden. Die prinzipielle Bereitschat zu Veränderungen zeichnet die DPJ zwar aus und schürt die Hofnung in ihre Rolle im weiteren Reformprozess der japanischen Demokratie. Für die hier untersuchte Beschränkung des Erbpolitikertums bleibt als Ergebnis eines Spagats zwischen den beiden im Konlikt zueinander stehenden Interessen der Partei – dem Wahlsieg und dem Streben nach einer ofenen und fairen Kandidatenrekrutierung – jedoch lediglich die Realisierung eines innovativen Prinzips mit vorhandenen, aber begrenzten Eingeständnissen. Auch in Zukunt können viele Politikernachkommen ihren durch das Erbe der drei ban entstehenden Vorteil im Kampf um eine DPJ-Nominierung ausspielen, wodurch die Chancengleichheit verletzt und die Legitimität der innerparteilichen sowie gesamtjapanischen Demokratie geschwächt wird. Literatur AERA (27.07.2009), »Seiken Sentaku no Natsu: Burokku betsu Shūin Senkyo Yosoku« [Sommer der Regierungswahl: Wahlprognosen nach Verhältniswahlblöcken], 22 (33): 28–29. Beschränkung des Erbpolitikertums in der DPJ 95 AERA (25.10.2009), »Minshutō Shūin Gi’in + Kakuryō: 308 Nin kanzen Dēta« [DPJUnterhausabgeordnete und Kabinettsmitglieder: Alle Daten zu den 308 Abgeordneten], 22 (49): 37–72. Aoki, Yasuhiro (1991), »he Changing Recruitment Pattern of Japanese Political Elite: he House of Representatives 1947–1986«, in: Hyōron Shakai Kagaku, 41: 1–21. 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Von Noda zu Abe: Japans außenpolitische Reaktion auf wachsende Bedrohungswahrnehmung 2012/13 From Noda to Abe: Japan’s Foreign Policy Reaction to Increasing hreat Perception Wilhelm M. Vosse Because of increasing Chinese economic and military power, heightening territorial disputes concerning Senkaku, Takeshima, and the Kuril Islands, threat perceptions and a feeling of powerlessness have intensiied among the Japanese public. In addition to deep disappointments about the three DPJ governments between 2009 and 2012, this has led to landslide victories of the LDP now under Prime Minister Abe in the Lower House elections in December 2012 and the Upper House elections in July 2013. Developments are now leading to a major change towards more involvement of Japan not only in its own defence, but increasingly also in the security in the Asia-Paciic region. his chapter provides an overview of the recent development of the Japanese bi- and multilateral relations and three main foreign policy areas, namely security, trade and development policy. 1. überblick Nachdem die Außenpolitik der DPJ-Regierung seit August 2009 unter ihrem ersten Premierminister Hatoyama durch eine kritischere Haltung gegenüber den USA 102 Aussenpolitik und dem Versuch einer Neudeinition der bilateralen Beziehungen insbesondere im Bereich der Sicherheitspolitik gekennzeichnet war, wurde sie unter Premierminister Kan auch aufgrund der Dreifachkatastrophe vom 3. März 2011 entweder vernachlässigt oder war von einer engeren Zusammenarbeit beim Wiederaubau in Tōhoku geprägt. Unter Premierminister Noda und seinem Außenminister Gemba kehrte Japan wieder zu einer engeren Zusammenarbeit mit den USA zurück, was vor allem auf die erhöhte Wahrnehmung der möglichen Gefahren des nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramms, sowie des wieder aulammenden Territorialkonlikts um die von Japan und China beanspruchten Senkaku-Inseln zurück zu führen ist. Mit dem Wahlsieg der LDP in den Unterhauswahlen im Dezember 2012 und der Rückkehr von Shinzō Abe in das Amt des Premierministers ist die japanische Innen- und Außenpolitik nicht nur zur klassischen amerikafreundlichen und chinakritischen Außenpolitik zurückgekehrt. Abes Ziel ist es auch, Japan die volle Teilnahme an einem kollektiven Verteidigungsbündnis mit den USA und anderen Staaten zu ermöglichen. Er kehrt damit zu Zielen und Projekten zurück, die er während seiner ersten Amtszeit (2006–2007) nicht vollenden konnte. Viele sprechen daher von einem »back to the future«-Moment in der japanischen Außenpolitik. Im Folgenden werden die wichtigsten bi- und multilateralen Beziehungen, sowie die drei wichtigsten Teilbereiche japanischer Außenpolitik des letzten Jahres vorgestellt. 2. bilaterale beziehungen 2.1 uSa Unter DPJ-Premierminister Noda befanden sich die Beziehungen zwischen den USA und Japan fast wieder dort, wo sie auch schon während der LDP-Regierung waren. In seiner Regierungszeit gab es zahlreiche Gespräche und Vereinbarungen zwischen Noda und Obama und den jeweiligen Außen- und Verteidigungsministern. Ein wichtiger Grund dieser wieder engeren Zusammenarbeit ist sicherlich der an Schärfe und Provokationen zugenommene Konlikt zwischen Japan und der VR China um die Senkaku-Inseln, aber auch die zunehmende wirtschatliche und militärische Bedeutung die der VR China in Ostasien zukommt. Daneben fühlt sich Japan durch die Atom- und Raketentests Nordkoreas massiv bedroht. Bei der Zusammenarbeit der beiden Staaten geht es aber nicht nur um sicherheitspolitische, sondern auch um wirtschatliche und humanitäre Fragen. Ein Beispiel ist die Tōkyōter Afghanistankonferenz (Tokyo Conference on Afghanistan). Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 103 Während eines Trefens der beiden Außenminister Gemba und Clinton in Tōkyō am 8. Juli 2012 versprach Japan die multilateralen Bemühungen um Fördergelder und personelle Hilfe für Afghanistan auch nach 2014 fortzusetzen. Japan erklärte sich bereit über die nächsten fünf Jahre etwa 3 Mrd. US$ zur Verfügung zu stellen. Was die bilateralen Beziehungen betrit, so sprach Premierminister Noda bereits im April 2012 während seines Trefens mit Präsident Obama von einer Wertegemeinschat (shared values) der beiden Staaten (MOFA 2012a). Aus der HatoyamaAdministration sind aber die Fragen der Verlegung von etwa 5000 Marinesoldaten aus Okinawa nach Guam, die Rückgabe von Land südlich der Kadena-Airbase und die Verlegung des U.S.-Marinelughafens Futenma nach Henoko weiterhin ofen und wurden auch beim Clinton-Gemba Trefen am 8. Juli 2012 oder dem Besuch des U.S.-amerikanischen Verteidigungsministers Panetta am 14. September 2012 in Tōkyō thematisiert, aber nicht abschließend entschieden (MOFA 2012b). Das Bekenntnis zu einer noch engeren Partnerschat drückt sich aber auch in der Entscheidung der Noda-Regierung im November 2011 aus, Verhandlungen zum Transpaziischen Freihandelsabkommen (Trans-Paciic Partnership Agreement, TPP) aufzunehmen, dessen Bedeutung für Japan auch am 20. November 2012 bei einem kurzen Trefen mit Obama während des ASEAN Gipfels in Kambodscha von Premierminister Noda betont wurde. Noda nahm dieses Trefen aber auch zum Anlass um U.S.-amerikanische Unterstützung im Zusammenhang mit den weiterhin schwierigen Beziehungen zwischen Japan und der VR China zu erbitten, wobei er die besondere Bedeutung des im April 2012 unterzeichneten Abkommens über eine gemeinsame Zukuntsvision »U.S.-Japan Joint Statement: A Shared Vision for the Future« hervorhob (MOFA 2012c). Ein weiteres zentrales hema der bilateralen Beziehungen ist der Umgang mit Nordkorea. Das zentrale hema des am 4. Dezember 2012 in Washington stattindenden trilateralen Arbeitstrefens zwischen Japan, den USA und Südkorea war daher der befürchtete bevorstehende Abschuss einer Trägerrakete. Nordkorea hatte in den Wochen zuvor behauptet, dass es sich nur um einen Satelliten handelte. Alle drei Seiten mahnten Nordkorea, dass ein Abschuss gegen einen Beschluss des UN Sicherheitsrats verstoße und drohten in Kooperation mit der VR China und Russland mit schwerwiegenden Konsequenzen (MOFA 2012d). Nach dem Regierungswechsel im Dezember 2012 hatte der neue japanische Außenminister Kishida (LDP) am 18. Januar 2013 in Washington eine erste Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit U.S.-Außenministerin Clinton. Während die Beziehungen zwischen der Obama Administration und den drei DPJRegierungen, insbesondere wegen der U.S.-Basen in Okinawa und dem Drängen von Premierminister Hatoyama (2009–2010), den 2006 zwischen der Abe- und 104 Aussenpolitik Bush-Regierung abgeschlossenen Vertrag neu zu verhandeln, von Beginn an unter einem schlechten Stern standen, betonte Kishida, zu diesem Vertrag zurückzukehren, auch um die Belastung der Bürger in Okinawa zu verringern. Außenminister Kishida hob drei Kernanliegen der Abe-Administration hervor: nämlich die (1) Stärkung der Beziehungen zwischen Japan und den USA, die (2) engere Kooperation beim Umgang mit Japans Nachbarn, um die veränderten Kräteverhältnisse im Asiatisch-Paziischen Raum auszugleichen, und die (3) Wiederbelebung der japanischen Wirtschat. Die Abe-Administration sei bereit, eine größere Verantwortung bei der Bewahrung friedlicher und stabiler Verhältnisse zu übernehmen. Japan erhot sich von den USA nach dem weiteren Ruhen fast aller Kernkratwerke aber auch Unterstützung bei der Energiesicherung, was konkret eine Vorzugsbehandlung beim Verkauf von Gas aus den USA bedeutet (MOFA 2013a). Nur wenige Wochen später, am 22. Februar 2013, war Kishida zusammen mit Premierminister Abe wieder in Washington, dieses Mal, um den neuen U.S.-amerikanischen Außenminister John Kerry zu trefen. Während des 70-minütigen Gesprächs ging es um eine lange Liste von hemen, einen Schwerpunkt bildeten jedoch Fragen der Sicherheit im Asiatisch-Paziischen Raum, insbesondere aber um die wegen verschiedener Zwischenfälle um die von Japan und der VR China beanspruchten Senkaku-Inseln und die Provokationen Nordkoreas. Die ObamaAdministration hatte wiederholt betont, dass die USA Japans Position unterstützen und Senkaku als japanisches Hoheitsgebiet betrachten, was Kerry auch bei dieser Gelegenheit ein weiteres Mal unterstrich. Die USA teilten Japans Sorgen über die seit Anfang des Jahres 2013 beginnenden Provokationen Nordkoreas und sagten Tōkyō volle Unterstützung zu. Als Vertreter der Abe-Regierung nutzte Kishida diese Gelegenheit aber auch dazu, eines der Kernthemen der ersten Abe-Administration wieder in das Gedächtnis der Amerikaner zu holen, nämlich das Schicksal der in den 1970er und 1980er Jahren von Nordkorea entführten Japaner (MOFA 2013b). Während Abe in seiner ersten Amtszeit nur sehr wenige Gelegenheiten hatte sich mit dem damaligen Präsidenten Bush zu trefen, hatte er am 22. Feburar 2013 zum ersten Mal die Gelegenheit zu einem langen Gespräch mit Präsident Obama im Weißen Haus. Neben den von Kishida besprochenen hemen betonte Abe den Willen seiner Regierung mehr Verantwortung in Sicherheitsfragen zu übernehmen und die U.S.-japanische Allianz zu stärken. Wichtig sei in diesem Zusammenhang eine Erweiterung des Rahmenvertrags zur Verteidigungskooperation (Guidelines for Japan-U.S. Defense Cooperation). Das lange und ausführliche Gespräch und das Versprechen zu einer engeren Kooperation der beiden Länder verdeutlichte bereits zu Beginn der gerade gewählten Abe-Administration, dass Japan die Beziehungen zu den USA intensivieren will, auch um seine eigene Position gegenüber Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 105 der VR China und Nordkorea zu stärken und mehr diplomatischen Spielraum in anderen Bereichen zu haben (MOFA 2013c). Dieses wird auch dadurch deutlich, dass U.S.-Außenminister Kerry nur sechs Wochen später, am 14. April 2013, Kishida zu weiteren Gesprächen in Tōkyō traf, unter anderem um über die Entwicklungen in der VR China und Nordkorea zu sprechen, aber auch um das Freihandelsabkommen (TPP) voran zu bringen (MOFA 2013d). 2.2. china Obwohl die Beziehungen zu der VR China neben denen mit den USA zu den wichtigsten außenpolitischen und wirtschatlichen Beziehungen Japans gehören und es im September 2012, 40 Jahre nach Abschluss der Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen, eigentlich einen Grund zum Feiern gegeben hätte, werden die bilateralen Beziehungen auch 2012 und 2013 von den Territorialkonlikten um die von beiden Seiten beanspruchten aber von Japan verwalteten Senkaku-Inseln zwischen Okinawa und China dominiert. Japan steht vor dem Dilemma, dass China in den letzten zehn Jahren zu seinem wichtigsten Außenhandelspartner geworden ist und Japans Wirtschat damit existentiell auf eine friedliche Kooperation angewiesen ist. Chinas Gesamtwirtschat ist aber im gleichen Zeitraum sehr stark gewachsen. Sein Bruttosozialprodukt lag Ende 2012 bei 8,22 Bill. US$ und ist damit weitaus größer als das Japans, das bei 5,96 Bill. US$ lag (Alle Daten: Weltbank), Japan ist daher inzwischen für China weniger wichtig als noch vor wenigen Jahren. Während China mit 20 % Japans größter Exportpartner ist, ist Japan Chinas drittgrößter Handelspartner, nach den USA und der EU (s. Teil zu Japans Handelspolitik). Mit diesem Wachstum stieg aber auch Chinas Energiehunger sowie seine Militärausgaben, die 2012 mit 166 Mrd. US$ etwa dreimal höher waren als die von Japan mit 59 Mrd. US$ (SIPRI 2012). Auf diplomatischer Ebene versuchen beide Seiten seit Jahren den beiderseitigen Nutzen ihrer Beziehungen zu betonen, so auch beim Trefen der beiden Außenminister, Koichiro Gemba und Zang Jiechi am 11. Juli 2012 in Kambodscha (MOFA 2012e). Gleichzeitig hat aber der Territorialkonlikt um die Senkaku-Inseln an Bedeutung gewonnen. Die Jahre 2012 und 2013 sind gekennzeichnet von einer Welle von Entscheidungen und Maßnahmen, die jeweils von der anderen Seite als ernsthate Provokationen wahrgenommen werden. Die Situation wurde wieder bedrohlicher, nachdem sich die japanische Regierung im September 2012 dazu gezwungen sah, die Senkaku-Inseln von einem privaten Besitzer zu kaufen, um dem möglichen Verkauf an eine nationalistische Gruppe um den damaligen Gouverneur von Tōkyō, 106 Aussenpolitik Shintaro Ishihara, zuvor zu kommen. Seitdem kam es nicht nur in China und Japan zu teilweise gewaltsamen Demonstrationen auf der Straße, sondern auch zu Protestnoten zwischen den Regierungen. Kurz vor dem Kauf hatten die USA und Japan im Japanischen Meer gemeinsame Militärübungen durchgeführt, und bereits die Regierung Kan hatte China im Verteidigungs-Weißbuch deutlich als Gefahr für Japan und die Stabilität in der Region herausgestellt (MOD 2012a; WP 21.09.2012). Schife der japanischen Küstenwache trefen in der Nähe der Senkaku-Inseln regelmäßig nicht nur auf chinesische Fischerboote, sondern nunmehr auch vermehrt auf Schife der chinesischen Küstenwache und Flugzeuge, die in japanische Hoheitsgebiete eindringen. Zu einem der gefährlichsten Zwischenfälle kam es am 30. Januar 2013 als eine Fregatte der chinesischen Marine sein Zielradar auf ein Schif der japanischen Marine gerichtet hatte. Japan hatte diesen Vorfall zunächst geheim gehalten, Premierminister Abe bezeichnete dies jedoch am 4. Februar 2013 im japanischen Unterhaus als gefährliche Aktion, die zu einer unvorhersehbaren Situation hätte führen können. Der japanische Verteidigungsminister Onodera erwähnte bei der Veröfentlichung dieses Vorfalls am 4. Februar 2013, dass es bereits am 19. Januar 2013 zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen sei, damals sei das chinesische Zielradar auf einen japanischen Militärhubschrauber gerichtet gewesen (AS 05.02.2013, 08.02.2013; BBC 05.02.2013; MOFA 2013e). Nicht nur die japanische, U.S.-amerikanische und südkoreanische Marine und Lutwafe, sondern auch die chinesische Armee führt nun militärische Übungen und Manöver vor der eigenen Küste und im paziischen Ozean durch, wie etwa im Januar und Februar 2013, als die chinesische Marine ein umfassendes Manöver auf hoher See im westlichen Paziik durchführte (Reuters 30.01.2013). Wegen der Verschärfung des Senkaku-Konlikts verschlechtern sich nicht nur die diplomatischen Beziehungen und das Ansehen Japans in der chinesischen Bevölkerung, sondern auch die Handelsbeziehungen. Im September 2012 war der japanische Außenhandel um mehr als 10 % zurückgegangen, was unter anderem auch auf chinesische Vergeltungs- und Boykottmaßnahmen gegenüber Japan zurückzuführen war (JT 02.11.2012). In den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit und trotz seiner eindeutigen Präferenz für ein auch militärisch starkes Japan, versuchte die Abe-Regierung trotzdem die diplomatischen Beziehungen zu China und Russland zu verbessern. Das geschieht auch vor dem Hintergrund, dass Japan gerade wegen des U.S.-japanischen Sicherheitsvertrages zu Zurückhaltung in seinen Auseinandersetzungen mit China gedrängt wird, und es nicht in Japans Interesse sein kann, eine militärische Konfrontation mit China zu riskieren (AS 01.05.2013; Nikkei 23.03.2013). Es bleibt nur zu hofen, dass es bald zu einem Trefen der beiden Regierungschefs kommt. Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 107 2.3 Südkorea Die bi- und trilateralen Beziehungen zwischen Japan, Südkorea und China waren um die Jahreswende 2012/13 von Regierungswechseln in allen drei Ländern bestimmt, die die Beziehungen für die nächsten Jahre bestimmen können. Am 20. Dezember 2012 wurde Geun Hye Park, die Kandidatin der konservativen Partei, zur neuen Präsidentin Südkoreas gewählt und trat am 25. Februar 2013 als Nachfolgerin von Myung Bak Lee ihr Amt an. Unter Präsident Lee hatten sich die Beziehungen der beiden Länder kaum weiterentwickelt, daher setzte man in Japan große Hofnung auf eine Verbesserung der Beziehungen unter Park, auch wegen der guten Beziehungen während der Regentschat ihres Vaters, des 1979 ermordeten Diktators Chung Hee Park (JT 21.12.2012). Die Beziehungen der beiden Länder hatten nicht nur wegen der anhaltenden Streitigkeiten über die Insel Takeshima oder Tokdo, die von Südkorea verwaltet, aber weiterhin von Japan beansprucht wird, sondern vor allem auch wegen verschiedener Äußerungen japanischer Provinzpolitiker, wie dem ehemaligen Gouverneur der Präfektur Ōsaka und jetzigen Bürgermeister von Ōsaka, Toru Hashimoto, weiter verschlechtert. Hashimoto hatte im September 2012 in Interviews die Rolle der japanischen Armee bei der Rekrutierung von Zwangsprostituierten, den sogenannten Trösterfrauen, bestritten und damit die zwischenstaatlichen Beziehungen schwer belastet (JT 23.08.2012). Am 10. August 2012 hatte der damalige südkoreanische Präsident Lee die Insel Takeshima besucht, was Japan als Provokation verstand und nicht nur viel Kritik auslöste, sondern sogar zu einer Protest-Resolution im japanischen Unterhaus führte. Premierminister Noda kritisierte den Besuch Lees mit harschen Worten und wiederholte die japanische Position, dass Korea die Inseln illegal besetzt und endlich auf den japanischen Vorschlag eingehen solle, den Fall vor dem internationalen Gerichtshof zu klären, was Seoul weiterhin ablehnt (JT 26.08.2012). Am 27. September 2013 kam es dennoch zu einem kurzen Gespräch der beiden Außenminister Gemba und Sung-hwan aus Anlass der UN-Vollversammlung in New York, in dem beide deutlich machten, dass Japan und Südkorea trotz des Takeshima-Konlikts die Handels- und Kulturbeziehungen und ihre Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen weiter ausbauen müssten (MOFA 2012f). Die wachsende Sorge um die Entwicklung in Nordkorea war dann auch das zentrale hema auf dem trilateralen Gipfeltrefen von Vertretern der USA, Japan und Südkorea am 4. Dezember 2012 in Washington. Es ging dabei insbesondere um eine gemeinsame Reaktion auf einen eventuell bevorstehenden Abschuss einer nordkoreanischen Rakete (MOFA 2012g). Eine Woche später startete Nordkorea 108 Aussenpolitik dann wie vorher angekündigt eine Rakete, angeblich mit einem Satelliten an Bord, was der japanische Außenminister Gemba und sein südkoreanischer Amtskollege Sung-hwan mit deutlichen Worten verurteilten und weitere Sanktionen gegenüber Nordkorea androhten (MOFA 2012h). Bereits kurz nach seiner Wahl ließ Premierminister Abe verlauten, dass die LDP trotz gegenlautenden Wahlversprechen nicht den sogenannten Takeshima-Tag (22. Februar) in der Präfektur Shimane unterstützen wird. Abe schien damit klar machen zu wollen, dass er nicht der Falke ist, für den ihn viele halten, und er die Beziehungen zu Südkorea verbessern will (JT 22.12.2012). Trotzdem nahmen dann 18 Abgeordnete, inklusive dem stellvertretenden LDP-Generalsekretär Hiroyuki Hosono und der Sohn des ehemaligen Premierministers Jun’ichiro Koizumi, Shinjiro Koizumi, aber kein oizieller Vertreter der Regierung, an der Zeremonie zum Takeshima-Tag teil (JT 19.02.2013). Im April kam es dann aber doch zu den erwarteten Provokationen Abes, als er, gefragt nach seiner Meinung zu der 1995 vom damaligen Premierminister Murayama geäußerten Entschuldigung für den japanischen Aggressionskrieg, während einer Parlamentsdebatte am 23. April 2013 im Oberhaus in Frage stellte, dass Japan in den 1930er und 40er Jahren einen Aggressionskrieg geführt habe. Abes Antwort löste umgehend Kritik in Seoul aus (JT 25.04.2013), und die südkoreanisch-japanischen Beziehungen wurden wieder einmal von einem Statement eines führenden Politikers belastet. Es ist daher nicht erstaunlich, dass das Ansehen Japans unter der südkoreanischen Bevölkerung in den letzten Jahren weiter gelitten hat. Nach Angaben einer gemeinsamen Umfrage eines japanischen und eines südkoreanischen Meinungsforschungsinstituts hatten fast 80 % der Südkoreaner ein negatives Bild von Japan, während 40 % der Japaner angaben, ein negatives Image von Südkorea zu haben (JT 08.05.2013). Zu ähnlichen Ergebnissen kam im Juli 2013 auch eine Umfrage von Pew International (Pew Research Center 2013). Trotz der Bedeutung, die Südkorea für Japan haben sollte, trafen sich der neue japanische Außenminister Kishida und sein südkoreanischer Amtskollege Byung-se erst am 1. Juli 2013 zu ihrem ersten kurzen Gespräch am Rande des ASEAN-Gipfels, indem aber nur allgemeine Standpunkte ausgetauscht wurden (MOFA 2013e). Die Beziehungen der beiden Länder hängen weiterhin weit hinter den Erwartungen zurück. Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 109 2.4. nordkorea Die Beziehungen zu Nordkorea gehören weiterhin zu den schwierigsten, und Nordkorea wird weiterhin als eine der größten Bedrohungen für Japan angesehen. Obwohl die internationale Staatengemeinschat Nordkorea über Wochen davor gewarnt hatte einen geplanten Raketenstart durchzuführen (JT 08.12.2012), schoss Pjöngjang am 12. Dezember 2012 eine Unha-3-Rakete, angeblich mit einem Satelliten an Bord, erfolgreich in eine Umlaubahn. Die Rakete log über Okinawa und die zweite Raketenstufe stürzte 300 km östlich der Philippinen in den Paziik. Der japanische Verteidigungsminister Morimoto sah in dem erfolgreichen Abschuss einen großen Fortschritt der nordkoreanischen Raketentechnologie und somit einen Anstieg der Gefahr für die Sicherheit in Ostasien (JT 13.12.2012a). Obwohl der Raketenstart keine Schäden in Japan angerichtet hatte, sah auch Premierminister Noda den Abschuss als Provokation und kündigte weitere Wirtschatssanktionen und koordinierte Reaktionen mit der internationalen Staatengemeinschat an. Nach Meinungen vieler Experten bedeutet der erfolgreiche Raketenabschuss auch, dass Nordkorea bald in der Lage sein könnte mit seinen Raketen das U.S.-amerikanische Festland zu trefen (JT 13.12.2012b). Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser Entwicklung und seiner technologischen Fortschritte, stieß der nordkoreanische Führer Kim Jong-Un in einer Neujahrsansprache im nordkoreanischen Fernsehen dann versöhnlichere Töne an. Unter anderem sprach er von der Hofnung, dass Nord- und Südkorea in Zukunt enger zusammen arbeiten sollten, Nordkorea aber an der Politik eines stärken Militärs festhalten werde (JT 09.01.2013). Alle Hofnungen auf ein friedlicheres Jahr 2013 wurden aber bereits am 12. Februar 2013 zunichte gemacht, als Nordkorea um 11:57 mittags erneut einen erfolgreichen unterirdischen Atombombentest (vergleichbar mit 6kt TNT) durchführte. Nach den Tests in den Jahren 2006 und 2009 war dieses bereits der dritte Atomwafentest, aber der erste unter Kim Jun-Un. Der VN-Sicherheitsrat hatte am 22. Januar 2013 eine Resolution verabschiedet, in der Nordkorea aufgefordert worden war, keine weiteren Atomwafentests durchzuführen und an den Verhandlungstisch zurück zu kehren. Der Test löste umgehend Reaktionen und Versprechen zu einer engeren Kooperation bei der Implementierung weiterer Sanktionen gegen Nordkorea aus (MOFA 2013f, 2013g, 2013h; JT 13.02.2013). Am 7. März 2013 verabschiedete der VN-Sicherheitsrat eine weitere Resolution (No. 2094) in der der nordkoreanische Atomwafentest als ernste Gefährdung des Friedens und der Sicherheit verurteilt wird. Premierminister Abe und Außenmi- 110 Aussenpolitik nister Kishida begrüßten diese Resolution und forderte Nordkorea nochmals auf, weitere Provokationen zu unterlassen (MOFA 2013i). Nordkorea reagierte auf die Resolution des Sicherheitsrates und die Einführung weiterer internationaler Sanktionen mit Kriegsdrohungen gegenüber Südkorea, der Aberkennung des Wafenstillstandsabkommens von 1953, militärischen Übungen im Grenzgebiet zu Südkorea und im April 2013 dem Abzug aller 53.000 nordkoreanischen Arbeiter aus der zusammen mit Südkorea betriebenen Sonderwirtschatszone Kaesong. Die USA reagierten darauhin mit der Entsendung von B-52 Flugzeugen und B-2 und F-22 Jagdlugzeugen für eine bereits vorher geplante Militärübung mit den südkoreanischen Streitkräten (JT 01.05.2013). Für Abe hatte das Schicksal und die Frage des Verbleibs der von Nordkorea entführten Japaner bereits während seiner ersten Amtszeit als Premierminister (2006–2007) eine ganz besondere Bedeutung. Dies ist wohl mit ein Grund, warum Abe im Mai 2013 den ehemaligen japanischen Botschater Isao Iijima, der auch Premierminister Koizumi bei seinem damaligen Besuch in Nordkorea zur Seite stand, überraschend zu geheimen Gesprächen nach Pjöngjang schickte. Nordkorea nutzte die Gespräche jedoch gleich zu Propagandazwecken und zeigte die Ankunt Iijimas im nordkoreanischen Fernsehen (JT 16.05.2013, 22.05.2013). Konkrete Ergebnisse dieser Gespräche wurden aber nicht veröfentlicht. 2.5 aSean ASEAN ist inzwischen nach China zu Japans zeitgrößtem Handelspartner geworden. Während Japan lange ein Vorbild für viele ASEAN-Staaten darstellte, steht China heute im Mittelpunkt des Interesses. Viele ASEAN-Staaten sehen in der dominierenden Rolle Chinas jedoch inzwischen auch eine Bedrohung der eigenen Selbständigkeit und beobachten sehr genau, wie die USA ihre Rolle in Südostasien ausbauen wollen (JT 12.12.2012). Im November 2012 fand das 15. ASEAN plus Drei-Gipfeltrefen in Phnom Penh, Kambodscha, statt. Für Japan sind diese Trefen nicht nur eine Gelegenheit die Führer der ASEAN-Mitgliedsstaaten zu trefen, sondern fast ebenso wichtig sind die Gespräche mit Regierungsvertretern Südkoreas und der VR China. Für Premierminister Noda standen bei diesen Trefen die Kooperation bei der Finanzpolitik, Handelspolitik und Nahrungsmittelsicherheit im Vordergrund (MOFA 2012i). Die Abe-Regierung sieht Japans Rolle gegenüber den ASEAN-Staaten insbesondere im Aubau und der Festigung gemeinsamer Werte wie Freiheit und Demokratie, der Sicherung der Seewege für den Handel und der wirtschatlichen Stär- Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 111 kung der ASEAN-Mitgliedsstaaten. Abe bezieht sich hierbei ganz bewusst auf die »Fukuda-Doktrin« aus dem Jahr 1977, die eine »heart to heart« (von Herzen enge) Beziehung zwischen Japan und ASEAN propagierte (MOFA 2013k). 2.6 australien Seit dem Abschluss der »Gemeinsamen Japanisch-Australischen Erklärung zur Zusammenarbeit im Bereich der internationalen Sicherheit« (Japan-Australia Joint Declaration on Security Cooperation) im Januar 2007 unter dem damaligen Premierminister Abe hat sich Australien zu einem der wichtigsten sicherheitspolitischen Partner Japans entwickelt. Am Abschluss der 4. australisch-japanischen außen- und sicherheitspolitischen Konsultationen am 14. Juli 2012 in Sydney, den sogenannten 2 plus 2-Trefen der Außen- und Verteidigungsminister der beiden Länder, vereinbarten beide einen Entwurf zur Weiterentwicklung der sicherheitsund verteidigungspolitischen Kooperation mit dem Titel »Australien und Japan: Kooperation für Frieden und Stabilität« (MOFA 2012j). Australien und Japan werden darin als »natürliche strategische Partner« bezeichnet, die sich durch »gemeinsame Werte und Interessen«, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der Menschenrechte auszeichnen. In der Vereinbarung wird u.a. die engere Sicherheitszusammenarbeit in der asiatisch-paziischen Region, aber auch der Schutz der internationalen Sicherheit, sowie die bi- und trilaterale Zusammenarbeit (mit den USA) festgelegt. Insgesamt werden fast 50 Einzelpunkte behandelt. Wegen dieser engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, aber auch im Zusammenhang mit den Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommens der beiden Staaten und den TPP-Verhandlungen, gibt es inzwischen eine große Zahl von Trefen der beiden Regierungen. Am 25. September 2012 trafen sich die Staatschefs Noda und Gillard daher in New York (MOFA 2012k) und einen Monat später, am 19. November 2012, während des ASEAN-Gipfels in Kambodscha (MOFA 2012l). Nach dem Regierungswechsel zeigte sich Premierminister Abe während eines ersten Telefongesprächs mit Premierministerin Gillard am 28. Dezember 2012 erfreut über die enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit der beiden Länder und betonte seinen Willen die 2 plus 2-Konsultationen zu stärken und die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommens möglichst schnell zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen (MOFA 2012m). Bereits zwei Wochen später, am 13. Januar 2013, traf dann der neue LDP-Außenminister Kishida mit seinem Amtskollegen Bob Carr zu Gesprächen zusammen, bei denen es vor allem um die Zusammenarbeit bei der Sicherheit im asiatisch-paziischen Raum, aber auch um die Inten- 112 Aussenpolitik sivierung der wirtschatlichen und diplomatischen Zusammenarbeit ging (MOFA 2013l, 2013m). 2.7 eu Das Japan-EU Gipfeltrefen bietet in der Regel einmal im Jahr die Möglichkeit über Fortschritte in den Beziehungen zwischen der EU und Japan zu sprechen. Obwohl diese Gipfel in der Regel im Frühjahr entweder in Tōkyō oder in Brüssel stattinden, wurde das Trefen des Jahres 2012 erst am 5. November 2012 im Anschluss an das Asia-Europa Trefen (ASEM) in Laos abgehalten. Das große hema zwischen der EU und Japan sind seit einigen Jahren die Vorverhandlungen zu einem Freihandelsabkommen. Während des kurzen Gesprächs zwischen Premierminister Noda, EU-Ratspräsident Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident Barroso ging es daher neben den langsamen Fortschritten der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen auch um die EU-Finanzkrise (MOFA 2012n). Am 25. März 2013 trafen sich die drei dann zum 21. regulären EU-Japan-Gipfel in Tōkyō. Kernthema dieses Trefens war dann die endgültige Aufnahme der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen, nachdem in den Vorrunden festgelegt worden war, über welche hemenbereiche überhaupt verhandelt werden soll und welche ausgenommen sind (DEUJ 2013a, 2013b). Einen Monat später, zwischen dem 15. und 19. April 2013, begann dann die erste Runde der Verhandlungen zum EU-Japan-Freihandelsabkommen in Brüssel (MOFA 2013j). Man kann davon ausgehen, dass diese Verhandlungen einige Jahre in Anspruch nehmen werden. Das liegt nicht nur daran, dass Verhandlungen zu Pharmaprodukten, medizinischen Geräten und Produkten der Auto- und Chemieindustrie von vielen Lobbygruppen kritisch betrachtet werden, sondern auch weil die EUSeite nach dem Abschluss des Freihandelsabkommens mit Südkorea sehen konnte, dass die südkoreanische Automobilindustrie inzwischen zu einem weiteren ernsthaten Konkurrenten der europäischen Autohersteller geworden ist. 2.8 indien Die Beziehungen zu Indien sind gerade aufgrund der steigenden Konfrontationen mit der VR China und auch wegen der Handelsbeziehungen für Japan zunehmend wichtig geworden. Beim Trefen der beiden Außenminister Gemba und Krishna am 8. Juli 2012 in Tōkyō wurden unter anderem die erste gemeinsame Marine-Mili- Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 113 tärübung, Gespräche zur IT-Sicherheit, die japanische Entwicklungshilfe für Indien (ODA) und die Steigerung des bilateralen Handels hervorgehoben (MOFA 2010o). Im Jahr 2012 war das Japanisch-Indische Freihandelsabkommen (Japan-India Comprehensive Economic Partnership Agreement, CEPA) in Krat getreten. Am 16. November 2012 wurde ein Abkommen zur Anerkennung von Rentenansprüchen von Bürgern beider Staaten (Japan-India Social Security Agreement) unterschrieben (MOFA 2012p). Indien ist damit das 16. Land, mit dem Japan ein solches Abkommen abgeschlossen hat (JT 17.11.2012). Auch die Beziehungen zu Indien war eine der Prioritäten unter der ersten AbeAdministration, deshalb wurde allgemein erwartet, dass Abe insbesondere die Sicherheitspartnerschat zwischen Tōkyō und Neu Delhi weiter ausbaut. Bereits in seinem 2006 erschienenen Bestseller »Utsukushī kuni he« (»Hin zu einem schönen Land«) hatte Abe die Stärkung der indisch-japanischen Beziehungen hervorgehoben (JT 14.01.2013). Während des 7. strategischen Dialogs der beiden Außenminister Kishida und Khurshid am 27. März 2013 in Tōkyō vereinbarten beide daher bereits einen engeren Dialog in Fragen der internationalen Sicherheit, insbesondere die Etablierung eines regelmäßigen 2 plus 2-Trefens der Vize-Außenminister und Spitzenbeamten der Ministerien, als auch trilaterale Gespräche mit den USA (MOFA 2013n). Japan ist weiterhin ein wichtiger ODA-Partner Indiens und inanziell maßgeblich an Infrastrukturprojekten in Bangalore und Mumbai beteiligt. 2.9 russland Die Beziehungen zu Russland bleiben weiterhin schwierig und häuig von Handlungen geprägt, die jeweils von der anderen Seite als Provokation verstanden werden, wie zum Beispiel im Juli 2012, als der russische Premierminister Medvedev die zu den Kurilen-Inseln gehörende Insel Kunashiri besuchte, was in Japan zu entschiedenen diplomatischen Protesten führte (YS 31.07.2012). Bei einem Trefen zwischen Premierminister Noda und dem russischen Präsidenten Putin im September 2012 am Rande des APEC-Gipfels erinnerte Noda Putin daran, dass Russland das öfentliche Bewusstsein in Japan mit bedenken sollte und provokante Aktionen wie der Besuchs Medvedev kontraproduktiv für den Aubau vertrauensvoller Verhandlungen seien (YS 11.09.2012). Russland ist am 22. August 2012 das 156. Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) geworden, was Japan sehr begrüßt, auch weil es hot, dass sich dadurch die Handelsbeziehungen der beiden Staaten verbessern (JT 06.09.2012). 114 Aussenpolitik Am 30. April 2013 trafen sich Premierminister Abe und Präsident Putin dann zum ersten Mal im Kreml. Bei diesem ersten Staatsbesuch eines japanischen Premierministers in Russland in zehn Jahren ging es vornehmlich um die Territorialfrage, deren Lösung eine der Grundvoraussetzungen für den Abschluss eines Friedensvertrages zwischen Japan und Russland ist. Russland hatte den japanischen Friedensvertrag von 1951 nicht unterschrieben. Am Ende des Trefens verkündeten beide Seiten eine aus 53 Punkten bestehende gemeinsame Erklärung, in der alle gegenwärtigen Streitpunkte angesprochen und auf eine engere politische, wirtschatliche, und sicherheitspolitische Zusammenarbeit hingearbeitet werden soll (YS 01.05.2013). Für Japan sind bessere und kooperativere Beziehungen mit Russland auch wegen des wachsenden Einlusses Chinas in Ostasien sehr wichtig. 3. Politikfelder 3.1 Sicherheitspolitik Entgegen dem Trend der letzten zehn Jahre, in denen die Verteidigungsausgaben in jedem Jahr leicht zurück gegangen sind, stieg das Verteidigungsbudget im Jahr 2013 im Vergleich zu 2012 um etwa 0,8 % auf 4,68 Bill. Yen (etwa 35,7 Mrd. Euro). Einen Teil dieser Steigerung ist aber auf die Sonderausgaben für den Wiederaubau in Tōhoku nach dem Erdbeben vom 11. März 2011 in Höhe von 68,9 Mrd. Yen (etwa 520 Millionen Euro) zurückzuführen (MOD 2013a). Während die Raketentests Nordkoreas und die steigenden Militärausgaben der VR China in Japan zu einer Debatte über die Intensivierung der Verteidigungsbemühungen geführt haben, wird die Modernisierung der U.S.-Truppen in Okinawa weiterhin kritisch betrachtet. Dieses betraf insbesondere die Einführung von Osprey-Hubschraubern ab Oktober 2012 auf der U.S.-Marines-Flugbasis Futenma. Während der Entwicklungsphase dieses Hubschraubertyps war es zu einer Reihe von Abstürzen gekommen, bei der zwischen 1991 und 2000 30 Menschen ums Leben kamen. Die Asahi Shinbun berichtete von 58 Unfällen zwischen 2006 und 2011. In Okinawa, aber auch in anderen Teilen Japans, gab es daher eine Reihe von Demonstrationen (JT 24.07.2012). Die japanische Regierung argumentiert dagegen, dass das SOFA-Abkommen (1960) zwischen Japan und den USA letzteren weitgehende Freiheit bei der Einführung neuer Militärtechnologie einräumt und es vor der Einführung der Osprey Hubschrauber Verhandlungen über deren Sicherheit zwischen beiden Regierung gab (JT 31.07.2012). Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 115 Einen wichtigen Grund für den weiteren Ausbau der militärischen Infrastruktur der japanischen und U.S.-amerikanischen Streitkräte sind zweifelsohne das Nuklearprogram Nordkoreas, vor allem aber auch die chinesischen Militärausgaben und die Provokationen durch das Eindringen von Schifen der chinesischen Küstenwache in die japanischen Gewässer rund um Senkaku. Das im August 2012 herausgegebene Verteidigungs-Weißbuch 2012 macht diese Einschätzung der Regierung ein weiteres Mal deutlich. Hier heißt es, dass die chinesischen Militärausgaben und -maßnahmen nicht nur in Japan sondern in der gesamten Region für Beunruhigung sorgen. Dies betrit nicht nur das wiederholte Eindringen von chinesischen Schifen in japanische Hoheitsgewässer, insbesondere um Okinawa. Der damalige Verteidigungsminister Morimoto betonte, dass solche Selbstbehauptungsstrategien der chinesischen Regierung natürlich die japanischen Alarmglocken erklingen lassen (JT 01.08.2012; MOD 2012). Das Verteidigungs-Weißbuch 2013 der neuen LDP-Regierung macht die Situation noch deutlicher. Hier heißt es, dass China zwar zu einer politisch, ökonomisch und militärisch bedeutenden Krat in Asien aufgestiegen ist, seine Machtstrategien und die Gründe für seine militärische Modernisierung aber weiter im Dunkeln bleiben (MOD 2013b: Section 2). Japan hot, dass es durch eine engere bilaterale aber auch multilaterale Zusammenarbeit mit der Regierung Xi Jinping, die vor großen internen Problemen steht, die zum Teil bedrohliche Situation entschärfen kann (MOD 2013b). Mit dem Antritt der Abe-Administration im Dezember 2012 tritt auch ein weiteres verteidigungspolitisch relevantes hema wieder in den Vordergrund, nämlich die Reform der japanischen Verfassung und insbesondere des Artikels 9. Im Februar 2013 setzte Abe eine Regierungskommission (government policy advisory panel) zu Verteidigungsfragen unter der Führung des ehemaligen japanischen Botschafters in den USA, Shunji Yanai, ein, um den Artikel 9 der Verfassung so umzudeuten, dass er Japan die Teilnahme an kollektiven Verteidigungsmaßnahmen ermöglicht, um so Japan eine efektivere Teilnahme an U.S.-japanischen Verteidigungsstrategien zu ermöglichen. Abe betont in diesem Zusammenhang insbesondere die veränderte Sicherheitsarchitektur im Ost- und Südchinesischen Meer (JT 09.02.2013). Abe schließt damit an Überlegungen aus seiner ersten Regierungszeit (2006–2007) an. Bereits einen Monat nach seinem Amtsantritt ordnete Abe auch eine Revision der Verteidigungsrichtlinien (defense guidelines) an. Bereits am 25. Januar 2013 werden die Grundelemente dieser Reform und die Richtlinien für die Kommission vom japanischen Sicherheitsrat veröfentlicht (MOD 2013c). Die DPJ-Regierung hatte erst im Dezember 2010 die Grundlagen zur Verteidigung Japans für 116 Aussenpolitik die nächsten fünf Jahre (2011–2015) den veränderten Bedingungen im asiatischpaziischen Raum angepasst und neben Nordkorea insbesondere auch China als Bedrohung für Japan herausgestellt. Nachdem die Verteidigungsausgaben Chinas aber in den letzten drei Jahren weiter gestiegen waren und sich die Territorialstreitigkeiten weiter verschärt hatten, sah Abe es als notwendig an, die japanischen Verteidigungsanstrengungen bis Ende 2013 klarer heraus zu stellen. Am 26. Juli 2013 veröfentlichte das japanische Verteidigungsministerium dann einen Zwischenbericht (Interim Report) zur Verteidigungsstrategie, in dem die gegenwärtige Sicherheitslage als angespannt bezeichnet wird. Neben der Bedrohung durch die Raketentests und das Atomprogramms Nordkoreas wird noch deutlicher die Bedrohung durch die gestiegenen Verteidigungsanstrengungen Chinas und die Provokationen um die Senkaku-Inseln hervorgehoben. Japan wird daher angehalten, seine eigenen Verteidigungsanstrengungen insbesondere auf hoher See weiter auszubauen. Neben der weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit mit den USA will Japan aber auch seine Partnerschaten mit Australien, Südkorea und der NATO vertiefen. Der Zwischenbericht erwähnt insbesondere den Ausbau eines Frühwarnsystems (ISR-Kapazitäten), aber vor allem auch eine Verbesserung der Verteidigung von weiter entfernt liegenden Inseln durch die schnellere Entsendung von Truppenkontingenten und Material. Neben diesen militärischen Maßnahmen, die insbesondere in China und Südkorea genau verfolgt werden, erwähnt der Zwischenbericht, dass Japan vor allem auf Gespräche mit China und Russland setzt (MOD 2013d). Letzteres wurde von Verteidigungsminister Onodera in einer Pressekonferenz am 26. Juli 2013 nochmals bekrätigt. Obwohl der U.S.-japanische Sicherheitsvertrag weiterhin die Grundlage der japanischen Verteidigungspolitik bildet, hat Japan in den letzten Jahren damit begonnen, mit weiteren Staaten begrenzte Kooperationsabkommen, zum Beispiel über die gemeinsame Entwicklung oder den Ankauf von Militärtechnologie, sowie den Austausch von Geheimdienstdaten abzuschließen. Nachdem Abe im Januar 2007 der erste japanische Premierminister war, der im NATO-Hauptquartier eine Rede gehalten hatte, knüpte seine neue Regierung an diese Zusammenarbeit an und unterzeichnete am 15. April 2013 beim Japanbesuch des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen eine gemeinsame Vereinbarung zu einer stärkeren politischen Zusammenarbeit (Joint Political Declaration between Japan and the North Atlantic Treaty Organisation) (NATO 2013a). Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 117 3.2 handelspolitik Nachdem der japanische Außenhandel bereits seit der globalen Finanzkrise 2008 zurückgegangen war, hatte er im Jahr nach der Naturkatastrophe vom 11. März 2011 noch einmal deutlich abgenommen. Lagen die japanischen Exporte im Jahr 2011 noch bei 65,5 Bill. Yen (etwa 510 Mrd. Euro), sanken diese 2012 auf 63,7 Bill. Yen (etwa 490 Mrd. Euro). Diese Entwicklung setzte sich 2013 fort. Wegen der Entwertung des japanischen Yen zwischen Winter und Frühjahr 2013 von 80 auf etwa 100 Yen pro US$ sind japanische Exportprodukte günstiger geworden, was zu einer leichten Steigerung der Exporte zwischen Januar und Juni 2013 auf 33,95 Bill. Yen führte, eine Steigerung von 4,1 % im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum (MOF 2013a). Wegen der gestiegenen Energiekosten sind Japans Importe 2012 auf 70,6 Bill. Yen gestiegen und betrugen im ersten Halbjahr 2013 38,8 Bill. Yen, eine Steigerung von 9,2 % im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum. Japans Handelsdeizit betrug daher 2012 fast 7 Bill. Yen. Im ersten Halbjahr 2013 betrug Japans Handelsdeizit bereits 4,84 Bill. Yen und könnte am Jahresende 2013 daher bei über 9 Bill. Yen liegen (JETRO 2013; MOF 2013b). Sollten die Maßnahmen der Abe-Regierung nicht ausreichen, um Japans Exporte wesentlich zu steigern und sich die Abhängigkeit von ausländischen Energieressourcen nicht verringern, wird das steigende Außenhandelsdeizit mittelfristig sehr negative Konsequenzen für die Volkswirtschat haben. Im November 2012 hatte Japan der Aufnahme von Verhandlungen zum transpaziischen Freihandelsabkommen (TPP), dem neben den USA noch zehn weitere Staaten angehören, zugestimmt. Am 26. Mai 2013 hatten diese Staaten einem Verhandlungsbeitritt Japans zugestimmt und die nächste Verhandlungsrunde zwischen dem 15. und 25. Juli 2013 in Malaysia angesetzt. Bereits die Bereitschat an den TPPVerhandlungen teilzunehmen, hatte in Japan zu einer Reihe von Protesten, u.a. von Bauern, geführt, die die japanische Selbständigkeit oder gar den japanischen Wohlstand und Lebensstil bedroht sehen. Da die Verhandlungen zwischen den anderen Staaten aber bereits seit 2010 stattinden, ist Japan bereits jetzt in einem gewissen Nachteil, die Verhandlungen zu seinen Gunsten zu beeinlussen (YS 27.05.2013). Shinzō Abe hatte bereits im Wahlkampf im Dezember 2012 angekündigt, dass er und die LDP es für richtig halten, dass Japan an den TPP-Verhandlungen teilnimmt. Er war sich seines Sieges bei den Unterhauswahlen so sicher, dass die ot lauten Proteste von Bauernverbänden und Vertretern des japanischen Mittelstandes, die beide traditionell wichtige Klientelgruppen der LDP sind, keine Rolle mehr spielten (YS 11.12.2012). 118 Aussenpolitik Obwohl die LDP und vor allem einige Abgeordnete des Oberhauses, dessen Wiederwahl im Juli 2013 anstand, sich zu Beginn des Jahres 2013 zunehmend kritisch gegenüber einem Beitritt Japans zu den TPP-Verhandlungen geäußert hatten und auch Abe zeitweise den Eindruck erzeugte, als wolle er die endgültige Entscheidung vor sich her schieben, entschied eine Parteikommission der LDP am 14. Februar 2013, Japan solle an den Verhandlungen teilnehmen (YS 15.02.2013). Bei Abes Besuch bei Präsident Obama wenige Tage später (23. Februar 2013) versuchte der Präsident, die Gemüter in Japan zu beruhigen und sagte, dass von Japan nicht unbedingt verlangt werde, alle Handelsschranken und Zölle fallen zu lassen (JT 24.02.2013). Wegen der großen Hofnungen auf einen Erfolg der von Abe vorgeschlagenen Wirtschatsreformen zur Beendigung der Delation (u.a. das 2 %-Inlationsziel), des weithin als Abenomics bezeichneten Maßnahmenbündels, konnte Abe seine Zustimmungswerte seit seiner Wiederwahl im Dezember 2012 zumindest bis zum August 2013 bei über 60 % halten. Unter anderem wegen dieser hohen Zustimmungsrate stieg auch die Zustimmung zum TPP in der Bevölkerung. Bei einer Umfrage der Yomiuri Shinbun im März 2013 stimmten 62 % der Befragten einem Beitritt Japans zu den TPP-Verhandlungen zu (YS 19.03.2013). Japan ist gegenwärtig aber auch in weiteren Verhandlungen über Freihandelsabkommen. Neben einem möglichen bilateralen Abkommen mit Australien und Südkorea verhandelt es auch mit Südkorea und China über ein trilaterales Abkommen. Die erste Verhandlungsrunde dazu fand vom 26. März 2013 in Seoul statt (MOFA 2013o; YS 28.03.2013). 3.3 entwicklungspolitik Spielte bilaterale Entwicklungshilfe für Japan insbesondere in den 1990er Jahren noch eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung von diplomatischen Zielen und beim Aubau von Anerkennung insbesondere unter den Entwicklungsländern in Südostasien, so hat Japan seine Priorität in den letzten 10 Jahren von bilateralen auf multilaterale Projekte verschoben. Das Budget für bilaterale Entwicklungshilfe ist in den letzten 10 Jahren entscheidend zurückgegangen. Diese Entwicklung hat sich auch zwischen 2012 und 2013 fortgesetzt. Nachdem das ODA-Budget 2012 um 2 % auf 561 Mrd. Yen (etwa 4,3 Mrd. Euro) gefallen war, hat sich dieser Trend 2013 fortgesetzt. Im Finanzjahr 2013 ging das ODA-Budget noch einmal um 0.75 % auf nunmehr 557 Mrd. Yen (etwa 4,3 Mrd. Euro) zurück (MOFA 2013p). Reaktion auf Bedrohungswahrnehmung 119 Auf der anderen Seite ist Japan stolz auf seine multilateralen Initiativen. Insbesondere sind hier der im Jahr 1993 angestoßene und heute 20 Jahren laufende TICAD-Prozess und die im Jahr 2001 begonnenen Afghanistan-Geber-Konferenz zu nennen. Im Jahr 2011 hatte Japan insgesamt etwa 1,8 Mrd. US$ für ODA-Projekte in Afrika ausgegeben (Summe von Darlehen und Hilfsgeldern). Zum Vergleich, die Zahlungen Deutschlands betragen etwa 2,3 Mrd. US$, und die von Frankreich und Großbritannien etwa 3,4 Mrd. US$. Japan hatte auf der 4. TICAD-Konferenz in Yokohama im Jahr 2008 versprochen, seine Zahlungen im Vergleich zum Zeitraum 2003 bis 2007 zu verdoppeln. Damals lag er im Schnitt bei 0,9 Mrd. US$, Japan hat sein Versprechen daher eingelöst (MOFA 2013q). Insgesamt zieht Japan über die Fortschritte in den afrikanischen Ländern, die von den TICAD-Projekten proitieren, eine sehr positive Bilanz. In einem Regierungsbericht wird deutlich, dass sich sowohl die wirtschatliche, technische, gesundheitliche als auch die soziale Situation in den meisten Empfängerländern über die letzten 20 Jahre deutlich verbessert hat (MOFA 2013p). 4. ausblick Japan sieht sich in den letzten Jahren einer wachsenden Zahl von regionalen Bedrohungen für seine Sicherheit ausgesetzt. Aufgrund seiner weiter wachsenden Wirtschatsleistung und gleichzeitig ansteigenden Militärausgaben fühlt sich China immer weniger vom U.S.-japanischen Sicherheitsvertrag abgeschreckt, was in den Jahren 2012 und 2013 zu einer Vielzahl von Provokationen rund um die Senkaku-Inseln geführt hat. Durch seine Atomwafen und die inzwischen immer erfolgreicheren Raketentests ist Nordkorea inzwischen zu einer ernsthaten militärischen Bedrohung für Japan und die Stabilität in Nordostasien geworden. Dies hat zur Steigerung des Bedrohungsgefühls und eines Gefühls der Machtlosigkeit in der japanischen Bevölkerung geführt, was mit ein Grund ist, warum die LDP seit den Unterhauswahlen im Dezember 2012 und den Oberhauswahlen im Juli 2013 inzwischen wieder beide Kammern des japanischen Parlaments unter Kontrolle hat. Shinzō Abe hat die Situation in den ersten sechs Monaten auch wegen seiner nationalistischen Grundeinstellung, einigen provokanten Aussagen und mangelnder Zusammenarbeit mit Südkorea und China bisher eher noch verschärt. Es ist zu befürchten, dass sich die Sicherheitssituation insbesondere in Nordostasien in nächster Zeit eher noch verschärt. 120 Aussenpolitik literatur AS (Asahi Shinbun) (05.02.2013), »China, Japan Seek to Dial Down Tensions, but Risks Remain«, http://ajw.asahi.com/article/behind_news/politics/AJ201302050001 (26.07.2013). 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By using a theoretical frame of a regime- and systemic oriented approach from the area of International Relation heory, this paper will show that Japan did engage in a more pro-active security policy within and outside this bilateral alliance since 1990 and mainly ater 2001. his analysis will conclude that due to a fear-of-abandonment and to a changing security architecture, Japan had to take up more responsibility in International Security to strengthen its security regime with the U.S. and to counter-balance emerging powers in East Asia. 1. hintergrund Während die japanische Außen- und Sicherheitspolitik zur Zeit des Kalten Krieges hauptsächlich durch die Prinzipien der Yoshida-Doktrin geprägt war und sich Japan – geschützt durch den U.S.-amerikanischen nuklearen Sicherheitsschirm – seinem Wirtschatswachstum widmen konnte, wandelte sich dieses Bild in den 1990er 126 Aussenpolitik Jahren und verstärkte sich nach 2001. Das Versprechen der Koizumi-Administration, den USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 uneingeschränkte Unterstützung zuzusichern, belebte die bilaterale Allianz. Durch die Implementierung neuer Gesetze in den 1990ern und ihre Modiizierungen in den 2000er Jahren, wurden die Befugnisse der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte sukzessive ausgebaut, ihre globalen Einsatzmöglichkeiten erweitert sowie der Fokus der japanischen Außenpolitik und die Rolle der japanischen SDF nachhaltig neu deiniert. Dieses vermehrt pro-aktivere sicherheitspolitische Engagement Japans – zunächst im institutionellen Rahmen der UNO und später im Rahmen der bilateralen Allianz mit den USA – resultierte vor allem aus den neuen Bedrohungsperzeptionen, die sich mit den veränderten Variablen in Ostasien ergaben. 2. zum analytischen und inhaltlichen rahmen Ausgehend von den politikwissenschatlichen Konzepten eines strukturellen Systemansatzes nach Stephen Walt und Randall Schweller sowie dem regimetheoretischen Ansatz, welcher eine politikfeldorientierte Kooperation zur Maximierung der eigenen Sicherheit bzw. zur Umsetzung der nationalen außenpolitischen Agenda vorsieht, wird im Folgenden die japanische Außenpolitik untersucht (Keohane 1984; Schweller 1994). Hierbei wird zunächst gezeigt, dass Japan auch nach Ende des bipolaren Systems des Kalten Krieges am bilateralen sicherheitspolitischen Regime, in Form einer starken Anlehnung an die USA, weiter festhielt. Dies war vor allem darauf zurückzuführen, dass die strukturelle Verlechtung dieser Sicherheitspartnerschat auch mit dem Wegfall der (potentiellen) atomaren Bedrohung durch Russland weiterhin eine Reduktion von Transaktionskosten und relative gains erwarten ließ. In Anlehnung an die neo-funktionalistische Konzeption, allen voran den Überlegungen von Ernst B. Haas, wird davon ausgegangen, dass Integrationsformen – wie die bilaterale Allianz zwischen Japan und den USA – relative gains, also erwartbare und messbare Gewinne für beide Beteiligten, bargen.1 1. In der Integrationsforschung, die im deutschen Forschungsraum vor allem durch Arbeiten von Ernst B. Haas vorangetrieben wurden, wird davon ausgegangen, dass voranschreitende Kooperation zwischen Akteuren Transaktionskosten minimiert, Erwartungssicherheit generiert und sektorale Kooperationsformen, d.h. auf einen Bereich beschränkte Kooperationsformen zwischen Staaten, auf einen anderen Bereich »überspringen« können und so Kooperation in anderen Politikfeldern fördern und den Integrationsgrad der Allianz erhöhen kann (vgl. Haas 1970: 607–646; Mitrany 1966: 25–99). Japanische Sicherheitspolitik 127 Zudem kann zumindest für Ostasien auch nach 1990 in weiten Teilen eine bipolare Struktur konstatiert werden, mit einem kommunistischen und wirtschatlich mächtigen China sowie einem international weitgehend abgeschlossenen kommunistischen Nordkorea auf der einen und kapitalistischen Systemen wie Süd-Korea und Japan sowie deren Sicherheitspartnerschat mit den USA auf der anderen Seite. Innerhalb dieses Systems blieb auch in den 1990er Jahren eine ofensichtliche (später auch atomare) Bedrohung durch Nordkorea und eine potentielle Bedrohung durch ein zunehmend wirtschatlich wie militärisch expandierendes China für Japan weiterhin bestehen (McDougall 2012; Schweller 1994; Walt 1985). Vor dem Hintergrund einer möglichen Destabilisierung der bilateralen Allianz mit den USA aufgrund einer veränderten Sicherheitsarchitektur des nun unipolaren Systems wird daran anknüpfend gezeigt, dass Tōkyō bereits Mitte der 1990er Jahre politische Maßnahmen einleitete, die bilaterale Allianz mit den USA zu stärken. Durch eine Ausdehnung seiner Sicherheitsbemühungen legte Japan somit bereits knapp fünf Jahre vor seinem Engagement im Kampf gegen den Terror die Grundlagen für eine Erweiterung der Aufgaben der Selbstverteidigungsstreitkräte. Die politischen Maßnahmen Tōkyōs werden hierbei mit Hilfe der Konzepte des fear of abandonment und fear of entrapment erklärt2 (Cha 2000). Konkret soll der vorliegende Aufsatz helfen, die folgenden Fragen zu beantworten: Wenn davon ausgegangen wird, dass die bilaterale Kooperation mit den USA vor allem einer stark anlehnenden Strategie Japans als kleiner Kooperationspartner im Kalten Krieg geschuldet war, deren Hauptziel es war, sich vor der nuklearen Bedrohung und einer möglichen Invasion durch potentielle Atommächte wie Nordkorea, China oder gar Russland zu schützen, warum wurde diese Allianz dann auch nach dem Ende des bipolaren Systems in den 1990er Jahren aufrecht erhalten? Wenn Japan in den 1990er Jahren vor allem im Rahmen von multilateralen Kooperationen und Internationalen Organisationen sicherheitspolitisch kooperierte – und sich dezidiert nicht an direkten militärischen Handlungen im Golf-Krieg 1990/91 beteiligte – warum leistete Japan dann nach dem 11. September 2001 vermehrt Unterstützung im Rahmen von Anti-Terror-Missionen unter Führung der USA? Warum leistet Japan vor allem in jenen militärischen Konlikten Unterstützung, die vornehmlich kein direktes sicherheitspolitisches Interesse für 2. Während fear of abandonment die nach dem Ende des Kalten Krieges zeitweilig sehr wahrscheinliche Gefahr der Aufgabe der bilateralen Sicherheitskooperation zwischen den USA und Japan beschreibt, deiniert fear of entrapment die gestiegene Gefahr für Japan, in militärische Konlikte, die vorrangig nicht Bestandteil seiner sicherheitspolitischen Agenda sind, als Kooperationspartner der USA verwickelt zu werden und dabei vornehmlich zum cost-sharer im Regime zu werden. Zum Verständnis dieser Termini und ihrer Bedeutung für Japans Außenpolitik vgl. Midford (2011: 41–63). 128 Aussenpolitik Japan dargestellt haben dürten, weil aufgrund der geographischen Entfernung von diesen Konlikten kein relevantes Bedrohungspotential für Japan zu erwarten war? Diese Hauptfragen sollen mit Hilfe von IB-heorien beleuchtet werden. Hierbei stößt die Analyse allerdings auf das Problem, ob entweder die traditionellen (neo-)realistischen heorien und ihre Modiikationen oder die konstruktivistischen heorien zu favorisieren sind. Da eine (neo-)realistische heorie die jahrzehntelange Kooperation mit den USA und gleichzeitig den hohen Stellenwert von Internationalen Organisationen in der japanischen Außenpolitik sowie Tōkyōs Engagement in ostasiatischen Sicherheitsregimen kaum erklären kann, muss für die Untersuchung ein anderer Analyserahmen herangezogen werden. Bei der Auswahl der gängigen heorien ist daher zu berücksichtigen, ob die japanische Sicherheitspolitik nach 1990 und im Besonderen nach 2001 durch das system-konstruktivistische Analyseframe des bandwagoning for proits oder des regime-theoretischen (und in der Folge daran anknüpfenden neo-funktionalistischen) heorems der politikfeldspeziischen Kooperations-Analyse erklärt werden kann (Keohane 1982, 1984; Müller 1993). Zwei Gründe sind hierfür verantwortlich: Wenn davon ausgegangen wird, dass die Kooperationsleistungen Japans im Zuge des Kampfes gegen den Terror, wie beispielsweise die Beteiligung der japanischen Maritime Self-Defense Forces (MSDF) an Anti-Piraterie-Missionen im Indischen Ozean 2001, vor allem einer (vorausgeplanten) Stärkung der bilateralen Allianz mit den USA geschuldet waren und Erwartungssicherheit bzw. Kooperationsgewinne im Rahmen dieses verteidigungspolitischen Regime fördern sollten, so ergeben sich hieraus Erklärungsdeizite für traditionelle heorien. Weder der neo-realistische Ansatz noch konstruktivistische Konzepte können die eigenen sicherheitspolitischen Anstrengungen erklären, die Japan außerhalb dieser Allianz unternahm wie beispielsweise die Errichtung Japans erster Militärbasis in Übersee in Djibouti 2011 und die ofeneren Kooperationsbemühungen gegenüber dem Iran (im Hinblick auf den Erwerb von Öl-Förderrechten im Azadegan-Ölfeld) (JT 02.07.2011; MOD 2006: 74). In einem ersten Schritt kann den Annahmen des „systemischen“ Konstruktivismus von Alexander Wendt u.a. gefolgt werden, da er deiniert, dass sich die (sicherheitspolitische) Identität von Staaten in der Interaktion konstituiert und ferner Staaten auf das jeweilige System einwirken und es transformieren können. Somit kann Anarchie überwunden werden und Kooperation stattinden. Diese Voraussetzungen könnten die Kooperation in Ostasien zwischen Japan und anderen asiatischen Staaten wie auch die bilaterale Allianz mit den USA erklären (Wendt 1994, 1996). Insofern hat Wendt recht, wenn er davon ausgeht, dass Akteure auf das In- Japanische Sicherheitspolitik 129 ternationale System (also die Struktur) einwirken und es transformieren können, die Struktur des Systems gleichzeitig aber auch das Handeln der Akteure determiniert (Wendt 1999: 165–178). In Formen der Kooperation ist der anarchische Zustand somit zu überwinden, wie dies auch durch die funktionierende bilaterale Kooperation zwischen den USA und Japan (im Rahmen eines Sicherheitsregimes) bestätigt wird. Im Hinblick auf die Berücksichtigung von kulturellen Identitäten für die Konstituierung einer sicherheitspolitischen Identität von Staaten ist dieser Ansatz jedoch zu voraussetzungsreich. Die Regime-heorie hat sich hingegen besonders seit den 1990er Jahren weiterentwickelt und geht heute durchaus davon aus, dass Staaten Regime instrumentell einsetzen, um ihre außenpolitischen Interessen umzusetzen und gleichzeitig diese Regime auch auf die außenpolitische Identität des Staates wirken und seine außen- und innenpolitischen Agenden konstituieren. Somit konkurrieren beide heorieschulen nicht zwangsläuig miteinander, sondern Wendts konstruktivistische Elemente ergänzen in der heutigen heoriediskussion den regime-theoretischen Ansatz (Zangl und Zürn 1996, 1999). Für die folgende Analyse soll daher der regime-theoretische Ansatz, um die genannten konstruktivistischen Elemente ergänzt, genutzt werden.3 Im Folgenden soll daher gezeigt werden, dass sich Japans Sicherheitspolitik in den 2000er Jahren diversiiziert und in gewissem Sinne emanzipiert, sodass Tōkyō zwar weiterhin vor dem Hintergrund potentieller nuklearer Bedrohungen an einer Kooperationsstrategie im Rahmen des sicherheitspolitischen Regimes mit den USA festhält, da der Abbruch dieser Kooperation zum einen den Wegfall von gewonnener Erwartungssicherheit hinsichtlich außenpolitischen Handlungen beider Akteure bedeutet hätte (i.e. Verlässlichkeit im Internationalen System wäre nicht mehr hinreichend gegeben). Zum anderen bedeutete das potentiell nukleare Aufrüsten Nordkoreas und das aufstrebende China als regionalem Hegemon auf der anderen Seite eine Gefahr für Japans Sicherheit in Ostasien und rechtfertigte das Sicherheitsregime mit den USA, ließ aber auch zunehmend Raum für die militärische Expansion der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte (Kliman 2006: 166–169; MOD 2006: 81). 3. Als Weiterentwicklung des Interdepenz-Ansatzes von Robert Keohane und Joseph Nye werden Regime als institutionell verregeltes Politikfeld betrachtet, in dem Akteure durch einen festgesetzten Verhandlungsrahmen und mit feststehenden Verhandlungspartnern (hier: Japan und USA) die Verfahren, Regeln und grundlegenden Ziele der Kooperation festlegen. Durch die Festlegung von Zielen und Rahmenbedingungen der Kooperation sind die einzelnen Handlungen der Kooperationspartner erwartbarer und reduzieren durch die bestehende Kooperation Transaktionskosten, die bei nur zeitlich begrenzter issue-orientierten Kooperation (wie vom Neo-Realismus vorgeschlagen) bei erneuter Kooperation stets von neuem entstehen würden (vgl. Keohane 1982: 325–355; Krasner 1983: 1–21; Müller 1993). 130 Aussenpolitik Dies erklärt das ansteigende Engagement der Jieitai (der Japanese Self-Defense Forces, SDF) in (kooperativen wie unilateralen) militärischen Operationen seit den 2000er Jahren und die Aufrüstung ihres militärischen Equipments. Welche Folgen dieses Beharren auf der Sicherheitskooperation (positive relative gains, Erwartungssicherheit und Transaktionskostenreduktion) mit den USA einerseits und das Ausbleiben der Entwicklung einer eingehenden emanzipierten sicherheitspolitischen Strategie Tōkyōs andererseits hatte, soll im Folgenden gezeigt werden. Dabei wird deutlich, dass das sicherheitspolitische Regime mit den USA teilweise hohe Kooperationsverplichtungen für Japan produziert, die a) nicht immer der sicherheitspolitischen Agenda Tōkyōs entsprechen, und b) häuig die Gefahr des entrapments bedeuten. Diese Gefahr der Verwicklung in Konlikte, die zwar sicherheitspolitische Interessen der USA tangieren, nicht aber im außenpolitischen Interesse Japans sind, tritt dafür immer häuiger auf. 3. Fear of Abandonment – Japans Sicherheitspolitik in den 1990er Jahren Die japanische Außenpolitik der 1980er Jahre war geprägt durch eine sich hauptsächlich an den USA anlehnende Sicherheitsstrategie bei konstant niedrigen militärischen Ausgaben. Viele Beobachter sehen auch noch die japanische Sicherheitspolitik der 1990er Jahre häuig dieser Strategie folgen und weisen darauf hin, dass Japan seine sicherheitspolitischen Ziele hauptsächlich in multilateraler Kooperation oder in UN-Missionen verfolgte (Yoshihara 2008). In den 1990er Jahren beteiligte sich Japan vermehrt militärisch, d.h. im Sinne einer Entsendung von Personal der SDF, an Friedensmissionen der UNO. Die damit einhergehende Debatte, wie der Beitrag der SDF im Rahmen der UN Peace Keeping Operationen (UNPKO) verfassungsrechtlich legitimiert werden kann, führte zu einer Reihe von Gesetzen, die sukzessiv die Befugnisse des jieitai-Personals ausdehnen und Japan eine aktivere größere Rolle bei UN-Missionen ermöglichen (Ishizuka 2004). 4 Trotz der Verfolgung dieser multilateralen Strategie (im Bereich der UNPKO), die Internationalen Organisationen weiterhin eine wichtige Rolle in der japanischen Außenpolitik zuschrieb, zeigten die 1990er Jahre, dass Japan keineswegs die Sicherheitskooperation mit den USA gegen eine multilateraler ausgerichtete sicherheitspolitische Strategie eintauschte (Hughes 2004: 118). Ein Aukündigen des Sicherheitsvertrages hätte für Japan die ohnehin durch den Wegfall des bipo4. Zu nennen wären hier u.a. Gesetzes für die Zusammenarbeit bei UN-Friedensmissionen (kokusai rengō heiwa iji katsudō nado ni taisuru kyōryoku ni kansuru hōritsu) am 19. Juni 1992. Japanische Sicherheitspolitik 131 laren Systems nach 1990 entstandenen neuen geopolitischen Unsicherheiten noch erhöht. Daneben dürfen die bereits erwähnten Faktoren einer weiterhin unsicheren Bedrohungslage in Ostasien zu einem Festhalten an der bilateralen Allianz geführt haben. Außerdem darf bei der Betrachtung der japanischen Sicherheitspolitik in den 1990er Jahren nicht übersehen werden, dass die militärischen Kosten für Japan relativ niedrig waren und Japan hauptsächlich noch eine free-riding-Politik5, geschützt durch das nukleare Abschreckungspotential der USA, verfolgen konnte. Durch die von Premierminister Satō eingeführten und mit Japans Beitritt zum Non-Proliferations-Vertrag implementierten drei Nicht-Nuklearen-Prinzipien, die Japan den Besitz, die Produktion und die Stationierung von Nuklearwafen auf seinem Territorium untersagen, ist im Hinblick auf Nordkorea auch in mittelbarer Zukunt keine Alternative für das U.S.-amerikanische nukleare Abschreckungspotential in Sicht (Campbell und Sunohara 2004). 3.1 die Golf-krise und ihre verfassungsrechtlichen Folgen Ausschlaggebend für die Einführung des UN-Peace Keeping Laws 1992 durch die Miyazawa-Regierung, welches den Einsatz von SDF-Personal in UN-Friedensmissionen erlaubte, war die internationale Isolation Japans und die nachhaltige Beeinträchtigung des U.S.-japanischen Verhältnisses im Zuge der Dessert Storm-Mission 1990/91 zur Befreiung Kuwaits. Mit der beginnenden Militärofensive einer internationalen Koalition unter Führung der USA im Januar 1991 wurde die Frage nach der Entsendung von SDF-Personal zur Kampfunterstützung durch die Bereitstellung von jieitai-Flugzeugen zur Evakuierung von Flüchtlingen ersetzt. Diese Option stieß zwar bei der Bevölkerung auf breite Unterstützung, ließ jedoch die Frage aufkommen, ob diese Maßnahmen in Einklang mit der Verfassung stünden (Yamaguchi 1992: 166). Das nur zögerliche Handeln brachte der japanischen Außenpolitik den Vorwurf der Scheckbuch-Diplomatie ein und stigmatisierte sie bei vielen Koalitionspartnern, allen voran den USA, als too little, too late (Watts 20.09.2001). Der Golf-Krieg stellt daher für die japanische Außenpolitik eine Zäsur dar, die ausschlaggebend für die Revision außenpolitischer Richtlinien, wie z.B. der National Defense Programm Guidelines (NDPG) 1995/97, und die beginnende Auslotung einer proaktiveren Verteidigungspolitik war (MOD 2005: 83). Die Golkrise hatte den Antizipationslevel des bilateralen Kooperationsregimes nachhaltig beein5. Free-riding bezeichnet hier den Proit Japans von der nuklearen Abschreckungskapazität der USA bei gleichzeitig niedriger Integration in eine Kooperation mit wenig eigenen militärischen Verplichtungen. 132 Aussenpolitik trächtigt und den Grad der Kooperationserwartung unter den Beteiligten signiikant gemindert. An Japans Weigerung, sich militärisch an der Befreiung Kuwaits zu beteiligen, zeigte sich auch, dass durchaus Zweifel an der Integrierbarkeit der jeweiligen außenpolitischen Interessen-Agenden der USA und Japans angebracht waren. Folgt man diesem Gedanken, so kann man annehmen, dass sich an der Golkrise letztlich sogar die generelle Inkompatibilität der U.S.-Außenpolitik und der – durch Washington favorisierten – Rolle Japans innerhalb der bilateralen Kooperation auf der einen Seite sowie den außenpolitischen Interessen Japans in den 1990er Jahren auf der anderen Seite gezeigt hatte. Vor diesem Hintergrund war unter dem gegebenen außenpolitischen Selbstverständnis Japans in den 1990er Jahren eine langfristige Schwächung des bilateralen Regimes sehr wahrscheinlich. Würde man diese Situation durch eine konstruktivistische Brille betrachten und die Werte und Interessen der beiden Akteure in ihrer Außenpolitik der 1990er Jahre gegeneinander abwägen, so hätte diese Analyse schwerlich einen derart hohen Integrationsgrad der Kooperation gerechtfertigt, wie er durch die neuen gesetzlichen Implementierungen und vor allem durch den japanischen Beitrag nach 2001 bestanden hatte. Schließlich lagen die grundsätzlichen Parameter in der Außenpolitik beider Länder zu weit auseinander (Wendt 1992, 1994, 1995). Die kulturelle Diversiizierung (auch in ihrer außenpolitischen Kultur), unterschiedliche Regeln, wie den japanischen Artikel 9 oder die Präambel der japanischen Verfassung, welche proaktives militärisches Handeln verbieten, sowie Japans langes Ignorieren der Entwicklung eigener sicherheitspolitischer Interessen in Ostasien und die starke Fixierung auf multilaterale Institutionen hatten dazu geführt, dass Japan bis Mitte der 1990er Jahre kaum eigene sicherheitspolitische Interessen außerhalb der bilateralen Allianz artikulieren konnte. Diese Entwicklungen schwächen eine sozialkonstruktivistische Untersuchung der japanischen Außenpolitik. Die Erfahrungen der Golf-Krise dürten vor diesem Hintergrund für die weniger zögerliche Kooperationszusage Japans an die USA in Folge des 11. September 2001 konstituierend gewesen sein. Die Weigerung, sich mit der Entsendung weiterer jieitai-Fahrzeuge, Flugzeuge und Personal auf dem Höhepunkt der Mission Desert Storm zu beteiligen, führte darauhin zu Verärgerung in Washington (Okamoto 2002: 63). Neben der Bereitstellung inanzieller Hilfen entsandte Japan zwar sechs Minensuchboote der Selbstverteidigungsmarine (kaijō jieitai) in den Persischen Golf, betonte jedoch, dass diese Operationen nicht militärischer Natur sei, da sie im Rahmen einer Friedensmission entsandt wurden, nachdem die militärischen Kamphandlungen Japanische Sicherheitspolitik 133 bereits eingestellt worden waren (Oros 2008: 86–87). Durch diese Maßnahmen verstieß die Entsendung von jieitai-Personal und -Equipment nicht gegen die Verfassung, führte jedoch zu einer neuen Interpretationspraxis des Artikels 9 und zu einer Veränderung der Aufgaben der SDF. Bestand ihre Aufgabe zuvor ausschließlich in der Verteidigung des japanischen Territoriums gemäß der Richtlinien des japanisch-U.S.-amerikanischen Sicherheitsvertrages, konnten die jieitai nun aktiv an Maßnahmen zur Erhaltung des internationalen Friedens teilnehmen – wenn auch hierfür immer noch ein UN-Mandat notwendig war (Yamaguchi 1992: 167). In den 1990er Jahren überwogen in Japan noch die Befürchtungen eines Rückzugs der USA aus Asien nach dem Ende des Kalten Krieges und eines damit verbundenen fear-of-abandonment, d.h. einer Aukündigung der engen sicherheitspolitischen Kooperation. Die Gefahren eines fear-of-entrapment, einer Angst, in militärische Konlikte der USA verwickelt zu werden, waren in Japan hingegen weniger präsent und führten dazu, dass Japan seine eigene Rolle im Internationalen System dahingehend überdachte, mittelfristig größere Verantwortung zu übernehmen. Diesem fear-of-abandonment geschuldet verblieb Japan daher im sicherheitspolitischen Regime mit den USA, elaborierte seine eigene Sicherheitspolitik durch neue Security Agreements und stärkte die bilaterale Verteidigungskooperation. Am 17. April 1996 unterzeichneten Premierminister Hashimoto und U.S.-Präsident Clinton die Gemeinsame Erklärung zur Sicherheitsallianz im 21 Jahrhundert (nichi-bei anzen hoshō kyōdō sengen), welche eine größere Rolle Japans in der gemeinsamen Verteidigungskooperation festlegte und ihre Aufgaben auf Verteidigungsplanung, verstärkte geheimdienstliche Aktivitäten, Raketenabwehr und die Planung einer gemeinsamen China-Politik ausweitete (Yamaguchi 1992: 83–84). Diese Maßnahmen können als deutlicher Schritt zur weiteren Verregelung des sicherheitspolitischen Politikfeldes gewertet werden und stützen die hese eines Strategiewandels in Japan, von einer Politik des reinen Anlehnens an die USA hin zu einem unabhängigeren Agieren als sicherheitspolitischer Akteur. Die Bedeutung der Sicherheitskooperation wurde somit auch für die Zeit nach dem Kalten Krieg bekrätigt und beinhaltete die japanische Unterstützung von U.S.-Militärmissionen, Kooperation bei Flüchtlingshilfe, zivile Evakuierungsmaßnahmen sowie eine Verständigung über wirtschatliche Sanktionen gegenüber Drittstaaten (Akiyama 1998: 8). Durch die Verabschiedung des 1997er Gesetzes für die amerikanisch-japanischen Leitlinien für Verteidigungskooperation (nichi-bei bōei kyōryoku no tame no shishin kanrenhō) wurden die Aufgaben der jieitai im Falle eines »emergencies near Japan« auf die Bereitstellung logistischer Unterstützung für U.S.-Streitkräte außerhalb des japanischen Staatsgebietes (auf die Kooperation 134 Aussenpolitik um »die Gegenden um Japan herum«, nihon no shūhen) erweitert und so abermals die Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren des Sicherheitsregimes neu kodiert. Beispielsweise sind die SDF nun autorisiert, die USA in einem militärischen Krisenfall logistisch außerhalb der Kampfzone zu unterstützen und nicht identiizierte Schife zu inspizieren. Die nutzbare Ausrüstung zur Evakuierung japanischer Staatsbürger aus Krisengebieten wurden von Flugzeugen nun auch auf Schife erweitert. Kooperationsmaßnahmen außerhalb des japanischen Territoriums sind z.B. die Unterstützung bei Minensuch- und Räumungsaktionen durch die jieitai (MOD 2005: 21–26). Die Erweiterungen der Befugnisse japanischer Außenpolitik und eine zunehmend veränderte Bedrohungsperzeption in Ostasien, verbunden mit der Angst, die USA zögen sich langfristig aus Ostasien zurück (also einem fear of abandonment), legten damit den Grundstein für die Wandlung der sicherheitspolitischen Parameter des bilateralen Regimes, deren Veränderungen sich besonders nach 2001 messbar zeigen. Gründe für diese Annahme sind u.a. auch Japans Beteiligung an Missionen im Indischen Ozean (2001), die strategische Neubewertung des Horns von Afrika sowie eine Neuaulage der 2009er Anti-Piraterie-Einsätze im Golf von Aden im Jahr 2013 (JT 22.06.2013; Till 2012: 163–216). Die Beteiligung am Krieg gegen den Terror zeigt, dass die enge Sicherheitskooperation mit den USA Japan dazu zwang, auch im militärischen Bereich eine größere Rolle zu übernehmen und so die während des Kalten Krieges herrschende MachtAsymmetrie zwischen beiden Staaten zunehmend auszugleichen (Singh 2008: 319). Die Entwicklungen nach 2001 markieren insofern eine Trendwende, als dass zwar lange vor dem 11. September 2001 einige rechtliche Rahmenbedingungen für die Erweiterung der militärischen Partizipation Japans in der bilateralen Sicherheitskooperation gelegt wurden – die Beteiligung Japans am Krieg gegen den Terror brachte diese neuen Kooperationsmöglichkeiten auf militärischer Ebene jedoch zum ersten Mal zur Anwendung. Die Entsendung von jieitai-Einheiten in internationale Konliktgebiete, die amerikanisch-japanischen Leitlinien für Verteidigungskooperation sowie verteidigungspolitische Maßnahmen, wie der Kauf eines Spionage-Satelliten und eines Raketenabwehrprogramms von den USA nach 2001, intensivierten in der Folge die japanische Außenpolitik maßgeblich und wiesen ihr eine neue, selbstbewusstere Rolle zu (Oros 2008: 175). Die Emanzipation der jieitai als Instrument einer gestalterischen Außenpolitik ist daher ein neuer Aspekt japanischer Sicherheitspolitik innerhalb eines jahrzehntelang bestehenden Kooperationsrahmens. Die Beteiligung an Missionen unter Führung der USA nach 2001 und die Qualität des japanischen Beitrages zu diesen Japanische Sicherheitspolitik 135 Missionen zeigen, dass nun vermehrt die in den 1990ern getrofenen bilateralen Sicherheitsabkommen in Anspruch genommen wurden, Japan statt inanzieller nun militärische Hilfe leisten musste und sich Tōkyōs Rolle zunehmend vom logistischen Partner für die USA hin zu einem strategischen Akteur im Internationalen System wandelte. Allerdings führen diese neuen Ansprüche an die U.S.-japanische Allianz dazu, dass sich Japan ot in dem Balanceakt wiederindet, einerseits zu vermeiden seine Nachbarstaaten durch eine zu aktive Rolle in internationalen Sicherheitsfragen zu provozieren und andererseits durch eine gänzliche Verweigerung der Beteiligung an bilateralen militärischen Missionen seinen Hauptbündnispartner potentiell zu verärgern (Yoshihara 2008: 84). Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die nordkoreanische Bedrohungslage wird der folgende Abschnitt den Fragen nachgehen, inwieweit die Flexibilisierung und Erweiterung des außenpolitischen Verständnisses Japans einem fear-of-abandonment gegenüber den USA geschuldet sind und inwieweit neue Bedrohungsperzeptionen Tōkyōs ausschlaggebend für die stärkere Beteiligung innerhalb des Verteidigungsregimes mit den USA waren. 4. Japans außenpolitik nach 9/11 Unter der Koizumi-Administration verabschiedete Japan drei Gesetze, welche die Rolle Japans innerhalb der bilateralen Kooperation stärken sollten und überwiegend den gleichen Gründen geschuldet waren, wie die gesetzlichen Erweiterungen im Rahmen der UN-Peace-Keeping-Operationen in den 1990er Jahren. Während sich Japan nach dem Kalten Krieg hauptsächlich bei internationalen Friedenseinsätzen im Rahmen der UNO beteiligte und das Ende der bipolaren Weltordnung die bandwagoning-Strategie Japans in eine Legitimitätskrise brachte (mindestens bis zum nordkoreanischen Raketentest, bekannt als Taepedong-Vorfall 1998), eröfnete sich mit der Revision der Verteidigungsrichtlinien 2004 und der 2006 formulierten Strategie der efektiven Gegenmaßnahme (jikkōtekina taiō) die Möglichkeit für umfassendere militärische Beiträge (MOD 2006: 81–93). Die Revision des Japan-U.S. Acquisition and Cross-Serving Agreement (ACSA) erlaubte beispielsweise die Kooperation bei der Bereitstellung von Kratstof und Notfallgütern nun auch in Notstands- und nicht mehr (wie bisher) nur in Friedenszeiten. Die Regeln des Sicherheitsregimes wurden somit erneut geändert und erweitert (MOD 2004). 136 Aussenpolitik Darüber hinaus wurden durch das ACSA die Befugnisse der jieitai ausgedehnt und umfassten nun auch Evakuierungsmaßnahmen japanischer Staatsbürger aus dem Ausland, den Einsatz von Wafengewalt zur Selbstverteidigung bei rear-areaEinsätzen sowie die Beteiligung an search-and-rescue-Einsätzen zur Befreiung von U.S.-Soldaten (Singh 2002: 89). Vor diesem Hintergrund scheinen die Beiträge der SDF in den 2000er Jahren, wie das Engagement im Irak, besonders als Beitrag zur Stärkung des Regimes erfolgt zu sein. Kliman beurteilt beispielsweise die Beteiligung am Irak-Einsatz in Form von Nachschublieferungen hauptsächlich als Strategie, die U.S.-japanische Allianz unter dem Eindruck der nordkoreanischen Nuklearbedrohung zu stärken (Kliman 2006: 139). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Ishibashi, die Umfragen in der japanischen Bevölkerung anführt, welche zeigen, dass der nordkoreanischen Bedrohung mit 74 % eine wesentlich höhere Relevanz für die Sicherheit Japans beigemessen wird als den Sicherheitsinteressen im Mittleren Osten bzw. dem Irak (mit 33,9 %) (Ishibashi 2007: 780). Ob die stärkere Beteiligung Japans als Bündnispartner der USA jedoch ausschließlich als Antwort auf die nukleare Bedrohung durch Nordkorea und einer seit den 1990er Jahren bestehenden fear of abandonments geschuldet sind, ist zu bezweifeln. Erstens hatte der Taepedong-Vorfall 1998, bei dem Nordkorea erfolgreich eine Atomrakete testen konnte, Japan seine Verwundbarkeit und die Alternativlosigkeit des U.S.-amerikanischen nuclear security umbrella vor Augen geführt. Zweitens stellte das seit den 1990er Jahren wirtschatlich und militärisch stark expandierende China für Japan eine potentielle Bedeutung dar. Zur Abwehr dieser Bedrohungen war ein funktionierendes Sicherheitsregime mit den USA weiterhin notwendig. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass japanische Firmen 2001 Förderrechte am iranischen Azadegan-Ölfeld erworben und dessen Förderung mit rund 3 Mrd. U.S.-Dollar übernommen hatten (Samuels 2007: 153). Außerdem hat Japan im Jahr 2011 die erste Übersee-Basis der SDF in Djibouti für Anti-Piraterie-Einsätze am Horn von Afrika eröfnet (JT 02.07.2011). Vor dem Hintergrund der anhaltenden Bemühungen der USA, den Iran international zu isolieren und zur Aufgabe seines Atomprogramms zu bewegen, lässt sich dieses außenpolitische Handeln Japans schwerlich mit der neo-realistischen Annahme eines bloßen bandwagoning verbinden, sondern illustriert die Emanzipation eigener japanischer Sicherheitsinteressen. Japanische Sicherheitspolitik 137 4.1 der 11. September 2001 und seine auswirkungen auf die außenpolitischen Parameter Japans Premierminister Koizumi ist mit der Beteiligung Japans an der Mission im Indischen Ozean 2001 und der Einführung des Iraq Special Measures Law 2003 zur Stärkung der bilateralen Allianz größere Gefahren einer Verwicklung (potential entrapment) in kriegerische Auseinandersetzungen – die vor allem den Zielen der USA dienten – eingegangen als alle vorigen Premierminister. Die Erfahrungen der internationalen Isolation Japans aufgrund seiner checkbook-Diplomatie im Golfkrieg 1990/91 und die Sicherheitsbedenken hinsichtlich eines nuklear aufrüstenden Nordkoreas hatten Japans rein inanzielle oder maximal logistische Beteiligung am bilateralen Regime hin zu einer anvisierten Partnerschat »auf Augenhöhe« mit den USA gewandelt. Dies sollte Washington die Verlässlichkeit Tōkyōs als Sicherheitspartner in Ostasien vor Augen führen (Watts 20.09.2001; Yoshihara 2008). Japan sah sich nun durch ein wirtschatlich und militärisch aufrüstendes China und ein weiterhin potentiell nuklear bedrohliches Nordkorea gezwungen, die Sicherheitskooperation mit den USA weiter zu stabilisieren und zu vertiefen. Die Entsendung von 600 Mann Bodentruppen in den Süd-Irak zu Wiederaubaumaßnahmen und medizinischer Unterstützung zwischen 2004 und 2008 ist daher vor allem im Hinblick auf Japans Bedrohungsperzeption gegenüber Nordkoreas nuklearen Ambitionen zu beurteilen, welche Tōkyō die Notwendigkeit des U.S.-amerikanischen nuklearen Abschreckungspotentials verdeutlichte (Shinoda 2011: 26–27). Ob sich dieses »vorsorgliche« Engagement innerhalb der bilateralen Allianz durch den, von der Obama-Administration angekündigten, pivot to Asia im »Paziischen Jahrhundert« auszahlen wird, ist hingegen noch fraglich. Präsident Obama hatte Ende 2011 eine Hinwendung der U.S.-Sicherheitspolitik gen Asien mit der Konsequenz angekündigt, sich küntig von Europa und dem Nahen Osten abzuwenden und sich auf Ostasien zu konzentrieren (JT 17.02.2012). Hierbei ist jedoch vor allem eine Erhöhung der Kooperationsleistungen von Washingtons Sicherheitspartnern, allen voran Japan, zu erwarten.6 Die angekündigte Verlagerung der U.S.-Einheiten von Okinawa nach Guam und Hawaii im April 2013 sowie die seit 2006 geplante Schließung der Basis Futenma und ihre Verlagerung an die Küste von Henoko bei Nago bis 2014 lassen Raum für Spekulationen über die Ausgestaltung der japanischen Rolle innerhalb dieser neuen Ostasien-Strategie der USA (JT 13.04.2013). 6. Für die vermeintliche »Überbewertung« des angekündigten pivot to Asia vgl. auch Sakaki (2012: 1–7). 138 Aussenpolitik In diesem Zusammenhang birgt die Wiederwahl Shinzō Abes zum Premierminister im Dezember 2012 für die USA die Hofnung auf eine Rückkehr Japans als verlässlichen strategischen Partner. Unter der DPJ-Regierung waren zuweilen Zweifel an diesem Image aufgekommen. Beispielsweise war die Beendigung des SDF-Einsatzes im Indischen Ozean letztlich eine politische Maßnahme Premierminister Hatoyamas gewesen (JT 13.04.2013). Zwar hatte Shinzō Abes erste Amtszeit auch nur ein Jahr (26. September 2006 – 26. September 2007) angedauert, allerdings könnte sich durch Abes Ankündigung, die Verfassungsrevision sei neben der Stärkung der japanischen Wirtschat oberstes Ziel seiner Administration, die bilaterale Allianz und damit Japans Rolle als militärischer Partner für die USA nachhaltig verändern. Zu diesem Zweck hatte Abe angekündigt, zunächst Artikel 96 der japanischen Verfassung ändern zu wollen, wonach eine Zweidrittelmehrheit aller Mitglieder beider Kammern für eine Verfassungsänderung notwendig ist. Durch die Senkung dieser Hürde würde die angestrebte Änderung des Artikels 9, der Japans Einsatzmöglichkeiten der Selbstverteidigungsstreitkräte (trotz der Erweiterungen durch die oben genannten Gesetze) zumindest verfassungsrechtlich bislang stark reglementiert, für Abes LDP sowohl im Shūgiin (dem japanischen Unterhaus) wie auch im Sangiin (Oberhaus) in greibare Nähe rücken (JT 10.05.2013). Ob Abe weitere Versuche einer Verfassungsrevision unternehmen wird, bleibt abzuwarten. Die Ambitionen der 2012 gewählten Abe-Administration zeigen jedoch, dass die neue LDP-Regierung durchaus beabsichtigt, den Integrationsgrad Japans als sicherheitspolitischer Akteur innerhalb wie außerhalb der bilateralen Allianz weiter auszubauen. Anzeichen für diese Absicht sind die in den am 26. Juli 2013 veröfentlichten Nationalen Verteidigungsrichtlinien festgelegten neuen militärischen Ambitionen der SDF. Das Papier identiiziert als sicherheitspolitisches Kerninteresse Japans für die kommenden zehn Jahre die Amphibien-Kapazitäten der MSDF auszubauen, um seine 6000 Inseln (einschließlich der Senkaku-Inseln) zu verteidigen (JDP 24.05.2013). Unabhängig davon, wie wahrscheinlich eine tatsächliche Besetzung des gesamten Senkaku Archipels durch Japan ist, zeigt diese Entwicklung, dass Japan in Zukunt umso mehr daran interessiert sein wird, in Ostasien auf konventionelle Weise unabhängiger von den USA agieren zu können. In diesem Zusammenhang kündigt Japan die verstärkte Durchführung von Lutabwehrmanövern mit F-15-Jagdlugzeugen an, die auf Okinawa stationiert sind und im Radius bis zu den SenkakuInseln operieren sollen (MOD 2013: 114–115). Diese Anstrengungen können auch damit erklärt werden, dass die USA sich in Zukunt im militärischen Sektor aufgrund der anhaltenden Wirtschatskrise Kürzungen gegenüber sehen, die mögli- Japanische Sicherheitspolitik 139 cherweise auch Auswirkungen auf die bilaterale Allianz haben könnten. Daher ist Japan momentan bemüht, auch außerhalb dieser Verteidigungskooperation, seine militärischen Kapazitäten massiv zu erhöhen, was als weiterer major step beim Ausbau seiner eigenen sicherheitspolitischen Strategie gewertet werden kann (JT 01.08.2013). Neben diesen jüngsten Versuchen, die Möglichkeiten japanischer Außenpolitik hinsichtlich eines proaktiveren Beitrages innerhalb der bilateralen Kooperation mit den USA zu erweitern, markierte die Verabschiedung des Anti-Terrorism-SpecialMesuares-Gesetzes am 29. Oktober 2001 unter Premier Koizumi eine grundlegende Trendwende. Während die USA nach dem 11. September hauptsächlich von Japan erwartet hatten, neben einem inanziellen Beitrag von 40 Millionen U.S.-Dollar auf der diplomatischen und geheimdienstlichen Ebene eine größere Rolle zu spielen, wurden mit dem Anti-Terror-Gesetz der rechtliche Rahmen zu umfassenden Nachschublieferungen und medizinischer Versorgung durch SDF-Personal geschafen (Ishizuka 2004: 137–157). Premierminister Abe konnte zwar mit der Entscheidung vom 26. Dezember 2007, das japanische Verteidigungsamt (bōeicho) in die Funktion eines Ministeriums zu erheben, Japans Verteidigungspolitik in eine proaktivere Richtung steuern, scheiterte jedoch mit seinem Versuch, eine rechtliche Grundlage für die Entsendung der SDF ohne UN-Mandat zu schafen (Chanlett-Avery 2011: 4). Der im März 2003 gemeinsam formulierte Entschluss, die japanisch-U.S.-amerikanische Sicherheitsallianz im globalen Kontext zu erweitern, führte im November 2004 zu einem Gipfelgespräch für die U.S.-japanische Sicherheit (nichi-bei bōei shunō kaidan) bei dem sich der japanische Generaldirektor des Verteidigungsamtes Ōno und U.S.-Verteidigungsminister Rumsfeld trafen und weitere Zusammenarbeit auf dem Feld der Sicherheitspolitik vereinbarten (MOD 2005: 137). Ein Ergebnis dieser weiteren Zusammenarbeit war beispielsweise eine gemeinsame Übung japanischer und U.S.-amerikanischer Streitkräte im November 2004, an der sich insgesamt 11.300 Mann beteiligten und die zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses bei der strategischen Koordination und taktischen Abstimmung der Einheiten führen sollte. Dies mündete 2006 in der Einrichtung eines ständigen bilateralen Dialogs zur aktuellen globalen Sicherheitslage und etablierte so kontinuierliche strategische Parameter als Verfahrensregeln für das Sicherheitsregime (MOD 2005: 139). Die angeführten Änderungen in der japanischen Sicherheitsstrategie sind einerseits vor einem in der ostasiatischen Region selbstbewusster autretenden China und einem nordkoreanischen Nuklearrisiko zu bewerten, was Japan zu einer Stärkung der bilateralen Sicherheitskooperation mit den USA bewegte. Gleichzeitig 140 Aussenpolitik stieg mit dieser – besonders unter Premierminister Koizumi forcierten – Ausweitung der japanischen Sicherheitsinteressen in Regionen, die nicht mehr in Japans unmittelbarer geographischer Nähe liegen, die Gefahr des entrapment, d.h. die Gefahr, zunehmend in militärische Belange der USA verwickelt zu werden. Die Untersuchung des Wandels der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte von einer rein »beschützenden« Armee hin zu einer umfassend einsetzbaren speziellen Eingreitruppe wird im folgenden Abschnitt verdeutlichen, dass Tōkyōs Sicherheitsperzeption durch die veränderte globale Sicherheitsarchitektur nach dem 11. September, auch im Hinblick auf Nordkorea und China, einem Wandel unterliegt, der sich auch außerhalb bestehender Kooperationsverplichtungen gegenüber den USA manifestiert. 5. die SdF als instrument einer gestalterischen außenpolitik? Mit den Verteidigungsleitlinien von 2004 erhöhte Japan seinen Beitrag innerhalb des Verteidigungsbündnisses und formte seine Streitkräte zu einem Instrument gestalterischer Sicherheitspolitik. Diese neuen Verteidigungsrichtlinien lexibilisierten die japanische Sicherheitspolitik und intensivierten Tōkyōs Verteidigungsbemühungen auf globaler Ebene (Berkofsky 2005: 322). Eine anfängliche Abkehr von dieser Politik ließ sich erst nach der Ankündigung des neu gewählten Premierminister Hatoyama erkennen, der nach dem Wahlsieg der Demokratischen Partei Japans 2009 das Ende der Mission im Indischen Ozean ankündigte. Gleichzeitig betonte Hatoyama jedoch, dass die japanisch-U.S.-amerikanische Allianz weiterhin einen wichtigen Aspekt in der Außenpolitik Japans ausmachen würde. Hatoyama kündigte in diesem Zusammenhang an, Japan würde unter seiner Führung wieder vermehrt humanitäre Einsätze zum Fokus seiner Außenpolitik machen (Klinger 2009: 2). Momentan (Mitte 2013) beteiligt sich Japan mit Einsätzen auf den Golan-Höhen (seit 1996), auf Haiti (seit 2010), in Ost-Timor (seit 2010) und im Süd-Sudan (seit 2011) an vier andauernden Peace Keeping Missionen im Rahmen der UNO (MOD 2012: 310). Die Beteiligung der SDF im Rahmen internationaler Missionen mit UNMandat kann als Versuch interpretiert werden, die noch immer im Bewusstsein japanischer Außenpolitik verwurzelten Erfahrungen der internationalen Isolierung (im Zusammenhang mit seiner sehr unzureichenden Beteiligung an der internationalen Mission zur Befreiung Kuwaits 1990) zu überwinden. Gleichzeitig komplementiert die Beteiligung an multilateraler Kooperation die stark auf die bilate- Japanische Sicherheitspolitik 141 rale Sicherheitskooperation angelegte Außenpolitik Japans. Politikwissenschatlich stellt Japans Engagement in Internationalen Organisationen einen weiteren ebenfalls im Rahmen multilateralen Regimen ausgeführten Aspekt seiner sicherheitspolitischen Strategie dar (Cooney 2005: 145; Yoshihara 2008: 74). Inwieweit Japan küntig diesem Anspruch der Rückbesinnung auf multilaterale bzw. humanitäre Einsätze als Kern seiner Außenpolitik nachkommen wird bzw. nachkommen kann, bleibt abzuwarten. Vor diesem Hintergrund wäre die gestiegene Beteiligung an UN Peace Keeping Operations mit SDF-Personal als Stärkung internationaler Regime und damit als eine Rückkehr zur multilateral ausgerichteten Außenpolitik zu werten, die Japan dafür nutzen könnte, sich außerhalb der Sicherheitskooperation mit den USA zu proilieren. Anzeichen für diesen Trend ist auch die gestiegene internationale Entwicklungshilfe Japans (ODA) 2010 um 16,4 % im Vergleich zum Vorjahr auf 643,9 Mrd. Yen. Diese Zahlen werden sich jedoch im Hinblick auf die anhaltende weltweite Finanzkrise und die Dreifachkatastrophe im Zusammenhang mit dem Erdbeben 2011 voraussichtlich weiter verringern. Der Jahresbericht des Außenministeriums von 2011 weist das ODA-Budget mit 618,7 Mrd. Yen und damit mit einem Rückgang um -7,9 % zum Vorjahr aus (MOFA 2011: 154). Die Stärkung Internationaler Organisationen war und ist somit weiterhin ein wesentlicher Bestandteil der Außenpolitik Tōkyōs und komplementiert seit Ende der 1990er Jahre Japans intensivierte an der bilateralen Sicherheitskooperation ausgerichtete Außenpolitik. Darüber hinaus baut die japanische Marine seit einigen Jahren verstärkt ihre Kapazitäten aus, seit mit der Entsendung der AEGIS-Kampfschife in den Indischen Ozean 2001 ein Präzedenzfall hinsichtlich Japans maritimer Aktivitäten außerhalb seiner unmittelbaren geographischen Umgebung geschafen wurde. Allerdings birgt dieser Schritt hin zu einer emanzipierteren Sicherheitspolitik für Japan nun vermehrt die Gefahr einer Verwicklung in die außenpolitischen Unternehmungen der USA und könnte es in Zukunt erschweren, die Kooperationsgesuche Washingtons für militärische Missionen weit ab von Japans geostrategischen Interessen zu verweigern, da die zu erwartenden Reputationskosten hoch sein dürten. Ein proaktiveres Japan als außenpolitischer Akteur innerhalb solcher Missionen würde indes bestehende Unsicherheiten reduzieren und die Erwartungsverlässlichkeit stützen (Keohane 1984: 79–105). In der Vergangenheit war Tōkyō stets bemüht, das japanische Engagement innerhalb dieser Missionen als logistische Hilfestellung und nicht als militärischen Beitrag verstanden zu wissen. Die mittlerweile beendete Beteiligung an der Mission im Indischen Ozean ist vielmehr als Ausdruck des japanischen fear-of-abandonment zu 142 Aussenpolitik interpretieren, mit der einer Schwächung der bilateralen Allianz entgegengewirkt werden sollte. Die Identiizierung Nordkoreas als potentielle Bedrohung durch die USA, die U.S.-Präsident Bush durch seine Einbeziehung Pjöngjangs in die „Achse des Bösen“ in seiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002 nannte, war vor diesem Hintergrund ein wichtiger Hinweis in Richtung Tōkyō (Miller Center 2002). Diese Einschätzung wird dadurch untermauert, dass auch Nachbarn wie Südkorea eine ähnliche Bedrohungsperzeption gegenüber Nordkorea teilen, und Seoul plant, bis zum Jahr 2020 seine eigenen militärischen Kapazitäten massiv zu erhöhen. Allerdings kann die japanisch-südkoreanische Beziehung in der Nordkorea-Frage eher als militärische „Zweck-Koalition“ interpretiert werden, da es in beiden Staaten Diferenzen hinsichtlich gesellschatspolitischer Kontroversen, wie der japanischen Geschichtsinterpretation, gibt. Nicht nur aus diesem Grund ist die militärische Zusammenarbeit auf bilateraler Ebene eher Ausdruck einer geteilten Bedrohungsperzeption, als Ausdruck einer vertrauensvollen Partnerschat (Sheen 2003: 10). Das japanische Blaubuch (gaikō seisho) listet Nordkorea bereits seit 2003, neben Terrorismus und Massenvernichtungswafen, als die stärkste Bedrohung für Japans Sicherheit (MOFA 2003: Kapitel 1, Abschnitt 1). Auch das Weißbuch des Verteidigungsamts (bōeichō) desselben Jahres identiiziert Nordkorea als größte Gefahr Japans (MOD 2003: 44–45, 149). Neben diesen politischen Entscheidungen zur Entsendung von SDF-Einheiten leitete die Koizumi-Administration auch strukturelle Änderungen in Japans Verteidigungspolitik ein (Samuels 2007: 77). Bei der nordkoreanischen Nuklearkrise zeigte sich, dass die japanischen Marineselbstverteidigungsstreitkräte (kaijō jieitai, MSDF) erhebliche Deizite in der Abwehr potentieller Angrife auf Japans Küstenregionen aufwiesen. Durch die Umgestaltung der japanischen Küstenwache (kaijō hoan chō) zur de facto vierten Abteilung innerhalb der Selbstverteidigungsstreitkräte zur Sicherung der japanischen Landesgrenzen, erhielt die Küstenwache weitreichendere Befugnisse, sodass ihre Kompetenzen zur Landesverteidigung sogar noch umfassender wurden als diejenigen der MSDF (MOD 2005: 101). Sollten beispielweise verdächtige Schife die von der Küstenwache abgegeben Warnschüsse ignorieren, ist sie befugt, die Schife durch Wafengewalt zu stoppen und notfalls auch zum Sinken zu bringen. Diese erweiterten Bestimmungen sind auch insofern als graduelle Erweiterung ihrer Funktion zu verstehen, weil die japanische Küstenwache als Polizei- und nicht als Militäreinheit deiniert ist (Samuels 2007: 252). Diese Maßnahmen verdeutlichen, dass eine veränderte Bedrohungsperzeption gegenüber Nordkorea nicht nur zu einem Überdenken hinsichtlich der Frage führte, ob die Sicherheitsgarantie durch das bilaterale Verteidigungsregime ausreichen Japanische Sicherheitspolitik 143 würde. Darüber hinaus erkannte Japan die Notwendigkeit an, eigene militärische Anstrengungen zu fördern und die militärische Außenpolitik robuster zu machen. Während ein unabhängiges außenpolitisches Handeln auf globaler Ebene außerhalb der bilateralen Kooperation bis heute keine hinreichend realistische Option darstellt, deutet diese Politik jedoch auf einen weiteren Schritt hin zu einem gewandelten außenpolitischen Selbstverständnis Japans, welches nun über die Parameter des ursprünglichen Verfahrensrahmen des bilateralen Regimes hinausgeht und die militärische Kooperation erweitert bzw. die Regeln des Regimes neu festlegt.7 Im Juli 2001 wurde zudem angekündigt, eine 70 Mann starke Marine-Spezialeinheit (tokubetsu keibikai) einzurichten, sowie mit der Planung einer tausend Mann umfassenden Spezialeinheit zu beginnen, die für den schnellen lexiblen Einsatz im Ausland vorgesehen war. Im Zuge dieser Umstrukturierung fand im selben Jahr eine gemeinsame Übung mit U.S.-Einheiten statt, wobei Einsätze auf kleinen, abgelegenen Inseln trainiert wurden. Diese Umstrukturierungsmaßnahmen der jieitai hin zu einer lexibel agierenden Eingreitruppe sind vor allem auch eine politische Reaktion auf Territorialstreitigkeiten mit China. Die gemeinsamen Übungen mit den USA sowie die Erweiterung der japanischen Flotte durch den Kauf eines 13.500 Tonnen-Kreuzers, der für den Transport von Panzern vorgesehen ist, sind jedoch nicht nur eine Airmation der bestehenden bilateralen Allianz, sondern explizit als Demonstration militärischer Stärke in Richtung Peking zu verstehen (Samuels 2007: 103). Insofern emanzipiert sich die japanische Sicherheitsstrategie – wenn auch nur in Teilen – durchaus von einer rein auf Bündnisstabilität ausgerichteten Außenpolitik. Hatten in den Verteidigungsetats der Jahre 1997 – 2000 die Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung kontinuierlich abgenommen, stiegen diese Ausgaben seit 2001 um 2,4 % sowie 3,6 % im Jahre 2005 wieder an (Kliman 2006: 23). Um eine übermäßige Ausdehnung der verteidigungspolitischen Anstrengungen zu verhindern, ist der Umfang des japanischen Wehretats auf 1 % des Bruttonationaleinkommens beschränkt (Singh 2002: 86). Die Gesamtstärke der SDF-Bodentruppen umfasste 2011 140.000 Mann, 134 Marineschife (kaijō heiryoku) und 430 Militärjets (sakusenki). Im Hinblick auf den Umfang der Bodentruppen lag Japan damit weit hinter den führenden militärischen Großmächten des Paziikraumes, wie China mit 1,6 Millionen Soldaten, Nordkorea mit 1,02 Millionen sowie den USA mit 640 000 Soldaten (MOD 2011: 445). Diese Indikatoren verweisen deutlich auf eine eingehende sicherheitspolitische Expansion Japans. 7. Für die Bewertung dieser Regime-Komponenten für die bilaterale Sicherheitskooperation zwischen Japan und den USA siehe die theoretischen Vorüberlegungen in Kapitel 1. 144 Aussenpolitik Diese Entwicklung muss vor der Neubewertung der Terrorismusbekämpfung betrachtet werden, die Japan seit den Anschlägen am 11. September 2001 und seiner Beteiligung an der Allianz zum Kampf gegen den Terrorismus als eine Kernaufgabe der jieitai ansieht (MOD 2006: 84–85). Zu diesem Zweck stimmte Tōkyō einer Stationierung von rund 7000 Angehörigen der japanischen Marine (kaijō jieitai) auf Guam zu, um die bisher dort stationierten U.S.-Soldaten abzulösen, die nun in sicherheitsrelevantere Regionen verlegt werden konnten. Darüber hinaus befürwortete Japan letztlich die Stationierung eines nuklearbetriebenen U.S.-Flugzeugträgers, worin manche Beobachter eine Abkehr Japans von seiner jahrzehntelang verfolgten Anti-Atomwafen-Politik sehen wollen (Yoshihara 2008: 64). Mit dem Hinweis auf Japans große Verwundbarkeit hinsichtlich seiner weitestgehend auf Informations- bzw. Computertechnologie basierenden Wirtschat, erweiterte das Verteidigungsamt im Jahr 2000 zum ersten Mal seine sicherheitspolitischen Maßnahmen auf die Entwicklung von Cyber-Abwehr-Technologien (Brooke 2001: 5). Die Entwicklungen eigener Abwehrkapazitäten auf dem Gebiet von Cyber-Angrifen wurden darauhin bis zum Jahr 2006 in erheblichem Maße intensiviert (MOD 2005–2011). Insgesamt lassen sich diese Maßnahmen zur organisatorischen Umgestaltung der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte (Umstrukturierung der Küstenwache, Terrorismusbekämpfung als eine Kernaufgabe der SDF sowie die Genehmigung zur Stationierung eines nuklearbetriebenen U.S.-Flugzeugträgers) als klaren Schritt Japans deuten, sich von seiner in den 1990er Jahren einerseits aktiv in Institutionen partizipierenden und passiv auf die Sicherheitsallianz mit den USA vertrauenden Außenpolitik zu verabschieden. Neben der weiterhin für Japan wichtigen Außenpolitik im Rahmen der UNO traten nach 2001 jedoch vermehrt Verteidigungsleistungen, die als Zugeständnis an die bilaterale Allianz vor dem Hintergrund eines bestehenden fear-of-abandonment zu verstehen sind. 6. Fazit Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags war die Überlegung, die jüngeren Entwicklungen der japanischen Sicherheitspolitik zu beleuchten und diese Entwicklungen theoretisch anschlussfähig zu machen. Wie beschrieben, wurden durch neue rechtliche Bestimmungen, wie beispielsweise durch das ACSA, die Befugnisse der jieitai ausgedehnt und die Regeln des bilateralen Sicherheitsregimes breiter deiniert. Auch wenn in den 1990er Jahren zeitweilig ein Legitimationsdeizit für die Aufrechterhaltung der bilateralen Allianz mit den USA bestanden hatte, konnte Japanische Sicherheitspolitik 145 diese Lücke recht schnell vor dem Eindruck einer potentiellen Bedrohung durch Nordkorea geschlossen werden. Daneben stellte, wie beschrieben, das seit den 1990er Jahren wirtschatlich und militärisch stark expandierende China für Japan eine potentielle Bedrohung dar, zu deren Abwehr ein funktionierendes bilaterales Sicherheitsregime notwendig erschien. Eine Aukündigung des bilateralen Regimes wäre in diesem Zusammenhang mit hohen Transaktionskosten verbunden gewesen. Gleichzeitig wird zunehmend deutlich, dass Japan in unterschiedlichen Politikfeldern gegenüber China verschiedene Politiken betreibt. Hier stehen sich die im Hinblick auf einen zuküntigen Bedeutungsverlust der U.S.-Wirtschat immer wichtiger werdende wirtschatliche Interdependenz mit China und bestehende ungelöste Territorialstreitigkeiten gegenüber. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sowie des stets drohenden fear-ofentrapments im Rahmen der U.S.-Außenpolitik wäre Japan gut beraten, funktionierende Sicherheitsregime mit paziischen (und Marine-!)Regionalmächten zu implementieren und andere bilaterale Allianzen weiter auszubauen (Australien, Kanada) um vor allem seine Bündnisverplichtungen gegenüber den USA zu entlasten. Hierdurch könnte Japan die Transaktionskostenübernahme auf mehrere Kooperationspartner streuen und neue sicherheitspolitische Perspektiven generieren, die weniger anfällig für ein potentielles entrapment sind. Allerdings wird sich Japan in diesem Fall mit der Möglichkeit einer Revision seiner nuklearen Prinzipien auseinandersetzen müssen. literatur Akiyama, Masahiro (1998), »Japan’s Security Policy toward the 21st Century«, in: he RUSI Journal, 143 (2): 5–9. Berkofsky, Axel (2005), Die neuen amerikanisch-japanischen Leitlinien für Verteidigungskooperation: Implikationen für Japans regionale Sicherheitspolitik, Münster: LIT Verlag. Brooke, Micool (2001), »Japan’s Strategic Interests in the Asia-Paciic«, in: Asian Defense Journal, 6: 4–10. 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It argues that the cooperation of these two forces strengthened the U.S.-Japan relationship. he triple catastrophe (earthquake, Tsunami and meltdown in Fukushima No. 1 nuclear reactor) represented a unique and extreme scenario for Japanese and U.S.-disaster management systems. he combination of two natural disasters with the imminent danger of wide-spread nuclear contamination resulted in the necessity to redeine and reinterpret existing standards and guidelines in the ield of disaster and consequence management. Procedures that would have been applied by the U.S.-Government in case of a chemical, biological, radiological or nuclear assault had to be redesigned in a broader legal framework. he article discusses the procedures and problems within the process of creating a legal basis for a disaster relief mission. Furthermore, Operation Tomodachi was the countries’ irst joint military operation, in which the SDF and the U.S.-Forces worked under emergency conditions. Although the U.S. and Japan came to no resolution regarding the relocation of the Futenma military base, the article shows that Operation Tomodachi improved the overall perception of the U.S.-Forces and the SDF, but had no long-term consequences 150 Aussenpolitik for the plan to relocate Futenma. Although it could not remove the obstacles within the negotiations, it nevertheless gave new momentum for Japan’s security cooperation. 1. Einleitung Die Operation Tomodachi stellte eine gemeinsame Mission der U.S.-amerikanischen Streitkräte und der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte dar, die vom 12. März 2011 bis zum 4. Mai 2011 durchgeführt wurde (YS 01.05.2011). Sie lässt sich chronologisch in zwei Hauptphasen unterteilen: Vom 12. März bis zum 8. April 2011 fanden Such- und Rettungsmissionen statt. Während die logistische Unterstützung mit Hilfsgütern kontinuierlich fortgeführt wurde (Zielonka 2011), lag der Fokus der U.S.-Streitkräte ab dem 8. April auf der weiteren Beseitigung von Geröll (Operation Soul Train) (Mizokami 21.04.2011; AS 22.04.2011) und der Unterstützung bei den Geschehnissen um das Atomkratwerk Fukushima Nr. 1. Bei der Umsetzung einer Operation, die sich mit den Nachwirkungen einer mehrstuigen Katastrophe befasst, treten zahlreiche juristische und organisatorische Problem- und Arbeitsfelder auf. Lokale Polizei- und Feuerwehreinheiten sind aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten nicht in der Lage, einer Katastrophe dieses Ausmaßes zu begegnen. Übersteigt jedoch die Größendimension der Katastrophe sogar jene der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte, wird ausländische Hilfe erbeten – in diesem Falle die der U.S.-amerikanischen Regierung. Das U.S.-Militär kann jedoch aufgrund des internationalen Rechts nicht eigenständig eine Hilfsoperation in einem fremden Land initiieren. In Anbetracht dieses Aktionsradius ergeben sich einige wichtige Fragestellungen: Wann dürfen die SVS und die U.S.-Streitkräte entsendet werden? Welche Behörde auf welcher Regierungsebene kann eine solche Entsendung anfordern? Inwiefern unterscheiden sich die japanischen und U.S.-amerikanischen Klassiikationen von Katastrophen und somit auch die Maßnahmen, die zur Linderung eingeleitet werden? Wie genau verlief die Kooperation der U.S.- und japanischen Streitkräte? Welche langfristigen Auswirkungen ergaben sich? Anhand einer deskriptiven Darstellung werden zunächst die unterschiedlichen organisatorischen Abläufe, Hierarchieebenen und rechtlichen Standards bei der Durchführung eines Katastrophen- und Nachwirkungsmanagements dargelegt. Nach einer komparativen Betrachtung sollen die Problemfelder und Fortschritte, die aus der gemeinsamen Kooperation resultierten, herausgestellt und in einem abschließenden Schritt zu einer Bewertung der U.S.-japanischen Allianz herangezogen werden. Katastrophenmanagement 151 Die Verwendung von Fachtermini aus den Bereichen des Katastrophenmanagements und des auswärtigen Nachwirkungsmanagements (ANM) orientiert sich bei der deutschen Übersetzung an dem Glossar des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK 2011). Alle weiteren englischen oder japanischen Termini, deren deutsche Entsprechungen nicht in dem Glossar enthalten sind, wurden vom Autor sinngemäß ins Deutsche übersetzt. 2. Die Struktur des japanischen Katastrophenmanagements Das Katastrophenmanagementsystem in Japan lässt sich in drei Verwaltungsstufen (Regierungs-, Präfekturial- und Kommunalebene) unterteilen. In den vergangenen 60 Jahren wurden Desastermanagement-Räte auf jeder Ebene eingerichtet, die sich mit der Implementierung von Desastermanagementmaßnahmen beschätigen. Darüber hinaus wurde ein umfassendes Koordinations- und Kommunikationssystem aufgebaut, um eine ganzheitliche und eiziente Handhabung zu erreichen (Nazarov 2011: 11). Es handelt sich um ein Top-Down-System ausgehend vom Büro des Premierministers auf der nationalen Regierungsebene über die Präfekturebene mit einem entsprechenden Rat, bis hin zur Kommunalebene. Der nationale Rat zum Katastrophenmanagement besteht aus dem Premierminister, dem Minister für Katastrophenmanagement, allen Ministern des Kabinetts, hochrangigen Vertretern diverser Ministerien und einem wissenschatlichen Fachgremium. In diesem Rat werden der grundlegende Katastrophenmanagementplan und Pläne für Nachwirkungsmaßnahmen bei Erdbeben formuliert (CAO 2011). Der grundlegende Katastrophenmanagementplan basiert auf drei Gesetzen für Katastrophengegenmaßnahmen (Disaster Relief Act (1947), Disaster Countermeasures Basic Act (1961; 1997), Large Scale Earthquake Countermeasures Act (1978)). Dabei wird zwischen zwei Arten von Katastrophen unterschieden, den Natur- und Unfallkatastrophen. Während in der ersten Kategorie Maßnahmen zur Begrenzung von Schäden durch Erdbeben, Stürme und Überlutungen, Vulkanausbrüche und Winterstürme aufgelistet werden, umfasst die Einordnung, in die Kategorie der Unfallkatastrophen Maßnahmen bei maritimen und nuklearen Katastrophen, Unfällen mit Gefahrengütern, großlächigen Bränden, Waldbränden und Straßen-, Flug- und Bahnunglücken (Nazarov 2011: 12). 152 Aussenpolitik 2.1 Der Prozess der Informationsakkumulation und Entscheidungsindung Im Katastrophenfall wird ein Problem im Bereich der Entscheidungsindung deutlich: Die tatsächlichen Entscheidungsträger in der Politik sind in der Regel keine Wissenschatler. Sie sind somit zumeist nicht in der Lage, hochtechnische Berichte und die entsprechenden Daten sofort vollständig zu verstehen. Daher können Hindernisse bei der Informationsübermittlung und anschließenden Entscheidungsindung entstehen (Fabbri und Chung 2009: 286). Zur Unterstützung von Entscheidungsträgern werden Kalkulationen und Projektionen von Gefahren durchgeführt, um Katastrophenszenarien besser einschätzen zu können. Simulationen alleine sind jedoch nicht ausreichend, um im Falle einer tatsächlichen Katastrophe die Umsetzung absolut präziser und situationsbedingter Maßnahmen zu garantieren (Arena et al. 2009: 381). Es müssen Informationen vor Ort gesammelt werden, selbst wenn das Gebiet nicht erreichbar oder durch Gefahrenstofe kontaminiert ist. Arena et al. (2009: 382) beschreiben zu diesem Zweck das so genannte Juan Chedan-System, in dem Roboterdrohnen zum Sammeln von Informationen in gefährlichen Gebieten verwendet werden. Einen solchen Einsatz haben die U.S.-Streitkräte auch im Falle des beschädigten Atomreaktors Fukushima Nr. 1 durchgeführt. Zum einen haben sie die Flugdrohne Global Hawk eingesetzt, um das Gebiet zu fotograieren und zum anderen Roboter in das Atomkratwerk entsendet (Zielonka 2011). 2.2 Die unterschiedlichen digitalen Datenstandards bei U.S.-amerikanischen und japanischen Systemen Für den Rettungsdienst liegt eine der größten Herausforderungen darin, nicht nur gute und authentische Daten zu erhalten, sondern auch Daten, die direkt analysieren werden können. Das Fehlen von bestimmten Standards führt zu einer Streuung von verschiedenen Formaten und dies wiederum zu einem Hindernis bei der erneuten Zusammenführung von Daten und der Kommunikation zwischen verschiedenen Dienststellen (Molarius et al. 2009: 56). Heutzutage existieren hoch entwickelte Analyse- und Darstellungsprogramme für jegliche Datenart (CDC 2007: 46), die sich mit der Observation der Erde beschätigen. Das Problem ist jedoch, dass es sich hierbei um Stand Alone Complexes handelt, d.h. in sich abgeschlossene Systeme. Eine Vermischung verschiedener Daten aus verschiedenen Ursprüngen kann nicht nur zu Verzögerungen führen, sondern die Daten aufgrund von Formatunterschieden auch unbrauchbar machen. Dies kann z.B. zu Problemen führen, wenn es sich um Echtzeit-Darstellungen einer Katastrophe handelt, da Rettungs- Katastrophenmanagement 153 dienste optimale Daten benötigen, um schnellstmöglich handeln zu können. Gemeinsam genutzte Informationen können dazu führen, dass im besten Fall eine strukturelle Änderung bei der Ausführung der Rettungsmaßnahmen durchgeführt wird. Sequentiell angelegte Maßnahmen können in parallel ausgelegte abgeändert werden, um eine eizientere Verwendung der Ressourcen und vor allem eine Zeitersparnis in Krisenzeiten zu ermöglichen (Molarius et al. 2009: 56–57). 2.3 Die drei Ebenen des japanischen Nachwirkungsmanagements Die Ausführung von Nachwirkungsmanagementmaßnahmen (Löschaktionen bei Bränden, Rettungsmissionen und medizinische Versorgung) liegt in der Verantwortung der japanischen Gemeinden, während die Präfekturregierungen dazu angehalten werden, unterstützend beizustehen. Die japanische Regierung hat die Funktion, diese Aktion zu überwachen und zu koordinieren und den Lokalregierungen Informationen über die Bedrohung zur Verfügung zu stellen. Die lokalen Regierungen versorgen im Gegenzug die Regierungsstellen mit Schadensmeldungen. Überschreitet das Schadensausmaß eine gewisse Kapazitätsgrenze, so leitet die japanische Regierung als Reaktion darauf eigenständige Maßnahmen ein (CAO 2011). Die japanische Regierung sammelt 24 Stunden am Tag Katastropheninformationen im Informationszentrum des Kabinetts. Geschieht eine Katastrophe, indet sich das Team umgehend zur Notfall- und Gefahrenabwehr im Krisenmanagementzentrum ein. Es inden zwischenministeriale Zusammenkünte statt (BBK 2011: 15), in denen über angemessene politische Gegenmaßnahmen beraten wird. Entsprechend des Schadensgrades kann sich die Regierung dazu entschließen, ein Hauptquartier unter der Führung des Ministers für Katastrophenmanagement direkt vor Ort einzurichten. Die Präfekturregierungen sind nicht unmittelbar in die Katastrophenabwehrmethoden involviert, sondern agieren als beratende und koordinierende Autorität auf der kommunalen Ebene. Sie besitzen jedoch die Autorität, Polizeieinsätze festzulegen oder die Bitte um Mobilmachung der SVS bei Notfällen weiterzuleiten. Dies geschieht per vorheriger Anfrage durch einen Bürgermeister auf der kommunalen Ebene, die dann an die Präfekturregierung herangetragen wird. Findet eine Katastrophe im Handlungsrahmen einer Präfekturverwaltung statt, so kann diese die Kommunen in ihrem Einlussbereich dazu aufordern, Hilfe zu leisten (Nazarov 2011: 14). 154 3. Aussenpolitik Die Reformen des japanischen Katastrophenmanagementsystems nach dem Hanshin-Awaji-Erdbeben Am 17. Januar 1995 ereignete sich das große Hanshin-Awaji-Erdbeben, aufgrund der Nähe des Epizentrums zur Stadt Kōbe auch Kōbe-Erdbeben genannt. Es hatte eine Stärke von 7.2 auf der Richterskala und führte zum Tod von ca. 6.440 Menschen (Fukushima 1995). Im Anschluss an das Hanshin-Awaji-Erdbeben wurde das ineiziente Krisenmanagement der japanischen Regierung stark kritisiert. Zunächst war es der Regierung nicht möglich gewesen, zuverlässige Informationen über das Ausmaß der Katastrophe zu erhalten. Als die Informationen schließlich vorlagen, konnte die Regierung keine adäquaten Maßnahmen einleiten, da die Zuständigkeitsbereiche für Katastrophenlinderungsmaßnahmen innerhalb der zentralen, regionalen und lokalen Regierungsstellen nicht eindeutig formuliert waren. Die Existenz einer vertikal stark aufgesplitterten Verwaltung (tatewari gyōsei) behinderte die Koordination von Hilfsmaßnahmen erheblich (Fukushima 1995). Aus diesen Deiziten haben die nachfolgenden japanischen Administrationen gelernt. Bis 2004 wurde ein umfassendes Koordinations- und Kommunikationssystem aufgebaut und ein Top-Down-System mit dem Premierminister als oberstem Entscheidungsträger etabliert (CAO 2011). Eines der Hauptprobleme bei der medizinischen Versorgung der Opfer beim großen Hanshin-Awaji-Erdbeben war die Errichtung eines medizinischen Versorgungssystems. Schätzungen zufolge hätten ca. 500 Personen (10 % der Verletzten) gerettet werden können (Ono 2012: 1), wenn es keine Verzögerung bei der Versorgung gegeben hätte. Als Konsequenz wurde 2005 auf Initiative des Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt das Disaster Medical Assistance Team (DMAT) gegründet. Hierbei handelt es sich um ein spezielles Einsatzteam, das innerhalb der ersten 48 Stunden nach Eintreten der Katastrophe entsendet wird, um Knochenbrüche und Traumata zu behandeln. Zusätzlich wurden 500 medizinische Einsatzteams des japanischen Roten Kreuzes für den Katastrophenfall gegründet (Ono 2012: 1). Während der großen Erdbebenkatastrophe in Ostjapan kam es aufgrund der neu gegründeten Teams nicht zu Verzögerungen bei der medizinischen Versorgung. Im direkten Vergleich umfasste die Zahl des eingesetzten medizinischen Personals in Tōhoku direkt im Anschluss an die Erdbeben-Tsunami-Katastrophe eine Marge, die erst nach drei Wochen bei dem großen Hanshin-Awaji-Erdbeben erreicht werden konnte (Ono 2012: 2). Katastrophenmanagement 155 3.1 Die Integration der U.S.-Japan-Allianz in die Katastrophenabwehrplanung Sowohl im U.S.-japanischen Sicherheitsvertrag (MOFA 1960) als auch im gemeinsamen Sicherheitsabkommen zwischen Japan und den U.S.A. (MOFA 1996b) werden lediglich die sicherheitspolitischen Kooperationsbereiche aufgeführt. Der Fokus liegt primär auf der Abwehr von militärischen Bedrohungen. In Paragraph 3, Art. 3, Abs. 2(a) der nationalen Verteidigungsrichtlinien (MOFA 1996a) wird jedoch die Katastrophenabwehr zum ersten Mal als sicherheitspolitisches Ziel identiiziert. Das bedeutet, dass der Rolle der japanischen Verteidigungskapazitäten, in diesem Fall die der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte, eindeutig auch der Einsatz von Katastrophenlinderungsmaßnahmen zugeschrieben wird. Dieses Element wird nun beibehalten und auch in die Richtlinien für die Japan-U.S.-Verteidigungskooperation von 1997 integriert. McNerney et al. (2011: 31) unterstreichen, dass im Hinblick auf die Nachwirkungen vom Hanshin-Awaji-Erdbeben diese Richtlinien explizit durch Maßnahmen zur Katastrophenabwehr, wie die Errichtung eines bilateralen Koordinationsmechanismus (BCM) und bilateraler Koordinationsverbindungsstellen (bilateral coordination liaison cells, BCATs) erweitert wurden. Die Zusammenarbeit der U.S.-amerikanischen Streitkräte und der japanischen SVS fußt somit auf Paragraph 3, Art. 2 (MOFA 1997), wodurch die U.S.-Japan-Allianz in die japanische Katastrophenabwehr integriert wird: When either or both Governments conduct emergency relief operations in response to requests from governments concerned or international organizations in the wake of large-scale disasters, they will cooperate closely with each other as necessary. 4. Die Mobilisierung der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte beim großen ostjapanischen Erdbeben vom 11. März 2011 Am 11. März 2011 wurde die japanische Ostküste durch ein Erdbeben der Stärke 9 auf der Richterskala und den darauf folgenden Tsunami verwüstet. Die Beschädigungen des Atomreaktors Fukushima Nr. 1 zogen zusätzlich eine radioaktive Kontamination der direkten Umgebung nach sich. Innerhalb weniger Stunden wurden die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte mit einer Truppenstärke von 8.400 Einsatzkräten und 190 Flugzeugen mobilisiert. Bis zum 16. März wurden 76.000 Mitarbeiter, davon 45.000 Bodenselbstverteidigungsstreitkräte, 31.000 Lut- und 156 Aussenpolitik Meeresselbstverteidigungsstreitkräte, 194 Hubschrauber, 322 Flugzeuge und 58 Schife entsendet (MOD 2011e). Der Einsatz der SVS bei einer Naturkatastrophe wurde 1954 im 83. Artikel des Selbstverteidigungsstreitkrätegesetzes festgehalten. Er legt fest, dass die japanischen SVS auf Wunsch des Präfekturgouverneurs im Katastrophenfall unterstützend tätig werden müssen. Dies geschieht bei der Feuerbekämpfung, bei Erdbebenkatastrophen, Such- und Rettungsmissionen und der Sicherstellung von Wasser und dem Transport von Personen und Gütern (MOD 1954). Erhält der japanische Verteidigungsminister eine Anfrage zur Entsendung der SVS, so verfügt er über die Vollmacht, sofort die Mobilmachung von SVS-Truppen zu genehmigen. Dafür muss jedoch der Erbeben- oder Nuklearbedrohungsalarm ausgelöst werden. Dieser Alarm wird durch den Premierminister verkündet, der gleichzeitig der Vorsitzende des zentralen Hauptquartiers für Erdbeben- und Nuklearkatastrophen ist. Unter dringenden Umständen, die keinerlei Zeitverlust zulassen, kann der japanische Verteidigungsminister (oder durch ihn bevollmächtigte Mitarbeiter) auch eine außergewöhnliche Entsendung autorisieren (Nazarov 2011: 24). 5. Die Operation Tomodachi als gemeinsamer Einsatz der U.S.-Streitkräte und der SVS Die Richtlinien für eine U.S.-amerikanische und japanische Verteidigungskooperation legen fest, dass der Allianzpartner in einer Notfallsituation aktiv wird (MOFA 2013a, 2013b). Zum Zeitpunkt der Tsunami-Katastrophe war Admiral Patrick M. Walsh Oberbefehlshaber der U.S.-Paziiklotte und wurde kurzfristig nach Japan entsendet, um an dem Yokota Lutwafenstützpunkt eine gemeinsame Einsatztruppe (Joint Support Force) aus U.S.-amerikanischen Soldaten und den japanischen Selbstverteidigungsstreitkräten aufzubauen und die U.S.-amerikanischen Einsatzkräte bei den darauf folgenden Hilfsmaßnahmen zu kommandieren (Pellerin 2011). Die Operation Tomodachi umfasste drei Kernbereiche (auswärtige humanitäre Hilfe und Katastrophenlinderung, auswärtiges Nachwirkungsmanagement, Evakuierung von U.S.-Personal), die wiederum spezielle rechtliche Hindernisse beinhalteten (Odom 2011: 6–10). Der rechtliche Handlungsspielraum der U.S.-Truppen und der Marine ist für traditionelle Militäroperationen durch internationale und nationale Gesetze genau festgelegt. Die Anwälte des Verteidigungsministeriums sind mit der Rechtsgrundlage in Bezug auf die Verhatung und Behandlung von Kriegsteilnehmern vertraut. Sie verfügen über das theoretische Wissen, ihnen fehlt jedoch die Praxiserfahrung, wenn es sich um humanitäre Unterstützung und Katastrophenlinderungsmissi- Katastrophenmanagement 157 onen handelt. Jene Anwälte, die die Ausübung von auswärtiger humanitärer Unterstützung und Katastrophenlinderung unterstützten, agierten häuig in juristischen Grauzonen, in denen sie unpräzise Formulierungen (»andere humanitäre Zwecke«) in Satzungen sehr weiträumig auslegten. Zusätzlich stützten sie sich auf vorangegangene Präzedenzfälle, in denen die U.S.-Streitkräte an Hilfsoperationen beteiligt waren (Tsunami 2004 in Indonesien (Ellemann 2007), Erdbeben 2010 in Haiti (Usaid | Haiti 2012)). Die japanische Regierung formulierte ihr Unterstützungsanliegen an die U.S.-Regierung zu Beginn der Operation Tomodachi. Um der japanischen Regierung eine Militäreinheit im Rahmen der U.S.-Japan-Allianz zur Verfügung zu stellen, wurden die Japanese Joint Staf (JJS) und die U.S. Forces Japan (USFJ) zur Joint Support Force (JSF) zusammengefasst. Die Hauptaufgabe der U.S.-Streitkräte innerhalb der JSF lag darin, die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte zu unterstützen. Sie war somit keine Einsatztruppe (Task Force), sondern eine Unterstützungstruppe (Support Force) (Odom 2011: 7). Die juristische Seite der Operation gründete auf dem Steuer- und Vertragsrecht. Die primäre Finanzierungsquelle für Katastrophenlinderung ist eine spezielle Hilfsfondkategorie, die für humanitäre Unterstützung und zivile Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Ein Großteil der juristischen Arbeit des U.S. Paziik-Kommandos und der JSF wurde zur Beantwortung der Frage aufgewendet, ob die Ausschüttung des humanitären Hilfsfonds (AS 19.07.2011) aufgrund eines besonderen Hilfsgesuchs mit dem Steuerrecht vereinbar ist. Zahlreiche Hilfsgesuche wurden als rechtsgültig erklärt und die U.S.-Streitkräte wurden angewiesen, die japanische Regierung zu unterstützen (Odom 2011: 7). 6. Deinitionen des auswärtigen Nachwirkungsmanagements (ANM) durch das U.S.-amerikanische Außen- und Verteidigungsministerium Die U.S.-amerikanischen Ministerien und Behörden verwenden verschiedene Deinitionen des ANM. Die Hauptunterschiede inden sich bei der Auslegung, Kategorisierung und Verortung eines Katastrophenfalls. 6.1 Die ANM-Deinition des U.S.-amerikanischen Außenministeriums Im Hinblick auf die Kategorisierung eines Katastrophenfalls deiniert das Außenministerium ANM anhand der folgenden drei Punkte (DTRA 2007: 3): 158 Aussenpolitik 1. Jegliche Form eines internationalen Ereignisses, das eine chemische, biologische, radiologische oder nukleare Ursache aufweist und das Potential besitzt, katastrophale menschliche Verluste zu verursachen. 2. Jegliche Freisetzung von Gefahrenstofen, die in der Lage ist, die bestehenden Gegenmaßnahmen des betrofenen Gastgeberlandes zu übersteigen und das Ersuchen um unmittelbare internationale Unterstützung notwendig macht. 3. Die Durchführung von Maßnahmen, um auf ein mögliches chemisches, biologisches, radiologisches oder nukleares Ereignis zu reagieren und seine Auswirkungen einzudämmen, wobei das Gastgeberland während der gesamten Operation stets die vollständige Führungsautorität beim Einsatz der Gegenmaßnahmen behält. Der Ausdruck »jegliche Freisetzung« beschränkt die Deinition des Außenministeriums auf das ANM für chemische, biologische, radiologische und nukleare Ereignisse (CBRN) und schließt Fälle, die großlächige Explosionen (E) beinhalten, aus (BBK 2011: 10). Hilfsanfragen ausländischer Regierungen, die an das U.S.-amerikanische Außenministerium im Falle einer großlächigen Explosion gestellt werden, werden durch die U.S.-Behörde für Internationale Entwicklung und das Amt für Auslandskatastrophenhilfe in die Kategorie einer Naturkatastrophe eingestut. Entsprechend werden die jeweiligen Linderungsmaßnahmen eingeleitet. Wenn es sich auf der anderen Seite um CBRN-Ereignisse handelt, reagiert die ANM-Abteilung des U.S.Außenministeriums darauf. Weitere U.S.-Behörden wie das Ministerium für Gesundheit und Sozialdienste und das Energieministerium leiten spezielle Hilfsmaßnahmen für Vorfälle im Ausland ein, die dann auch eine biologische oder nukleare Gefahrenabwehr beinhalten. Sie verwenden hierzu jedoch nicht den übergeordneten Term des auswärtigen Nachwirkungsmanagements (DOD 2002). 6.2 Die ANM-Deinition des U.S.-Verteidigungsministeriums Die Deinition von ANM in den Unterlagen und Richtlinien des U.S.-Verteidigungsministeriums unterscheidet sich von der vorhergehenden, da sie Ereignisse mit großlächigen Explosionen (E) einschließt (CBRNE). Die Anordnung Nr. 2000.18 des U.S.-Verteidigungsministeriums deiniert Operationen des auswärtigen Nachwirkungsmanagements als Reaktion auf ein chemisches, biologisches, radiologisches, nukleares oder weiträumig-explosives Ereignis (DOD 2006: 2). Diese Deinition gründet jedoch auf einer Anweisung vom 25. Katastrophenmanagement 159 Oktober 2001 und nimmt Bezug auf eine terroristische Bedrohung (NSPD 2001). Die Anordnung Nr. 2000.21 erweitert den Aktionsrahmen noch durch interministerielle Koordinierungsgruppen (BBK 2011: 15) und Maßnahmen für Auslandseinsätze, um auf CBRN-Ereignisse zu reagieren und Schäden zu lindern (DOD 2002: 3). 6.3 Die ANM-Deinitionen unter Berücksichtigung des Katastrophenortes Innerhalb der Deinition für ANM des U.S.-amerikanischen Außenministeriums ist der tatsächliche Katastrophenort unerheblich. Die einzige Voraussetzung, die gegeben sein muss, ist, dass es sich bei dem Ereignis um einen internationalen Katastrophenfall handelt. Das Verteidigungsministerium hingegen, schließt bestimmte ausländische Einsatzorte in der ANM-Deinition aus1 (DTRA 2007: 4). Für das U.S.-Verteidigungsministerium fällt ein Ereignis nicht in den Handlungsbereich des ANM, wenn es sich auf eine militärische Einrichtung außerhalb des Festlands der Vereinigten Staaten von Amerika bezieht. Zudem werden Fälle nicht mit einbezogen, die als unmittelbare Folge von U.S.-amerikanischen Militäroperationen in Ländern autreten, in denen das Außenministerium keine dauerhate Vertretung hat (DOD 2006: 3). Ein solches Ereignis kann seitens des U.S.-Verteidigungsministeriums als ANM-Szenario reklassiiziert werden, sofern ein weiterer Staat beteiligt ist (USCJCSI 2008: 1). Das Auswärtige Amt unterscheidet bei der Deinition von ANM nicht zwischen Ländern mit bzw. ohne dauerhater Vertretung. Darüber hinaus kann unter bestimmten Umständen die Klassiikation eines Ereignisses unter dem Oberbegrif von ANM zusammengefasst werden, wenn sich z.B. die Kontamination eines U.S.Militärstützpunktes im Ausland auf Gebiete des Gastgeberlandes ausbreitet. Die exakte Klassiikation, ob es sich bei einem Katastrophenfall um ein Ereignis im Rahmen des auswärtigen Nachwirkungsmanagements handelt, hängt folglich sowohl vom Katastrophenort als auch von den Auswirkungen des Zwischenfalls ab (DTRA 2007: 4). In drei essentiellen Punkten stimmen die U.S.-Behörden und Ämter überein (DOD 2006: 4): 1. Beide Behörden sind sich einig, dass ANM-Maßnahmen nicht für die folgenden Gebiete gelten: nord- u. südamerikanische Gebiete (CONUS), Alaska, Hawaii, Commonwealth of Puerto Rico, U.S. Virgin Islands, Guam, das amerikanische Samoa und das Commonwealth der nördlichen Marianen. 160 Aussenpolitik 1. Das Gastgeberland trägt in erster Linie die vollständige Verantwortung bei der Umsetzung von Gegenmaßnahmen im Falle eines CBRN-Ereignisses. 2. Das ANM beinhaltet Maßnahmen, um auf Auswirkungen von CBRN-Ereignissen auf fremdem Terrain zu reagieren und sie abzuschwächen. 3. Das U.S.-amerikanische Auswärtige Amt ist die leitende Behörde, die die gesamten Gegenmaßnahmen der U.S.-Regierung koordiniert. Es reagiert dabei auf eine Bitte um Unterstützung, die von dem Gastgeberland im Anschluss an ein CBRN-Ereignis gestellt wird. Das Auswärtige Amt verfügt solange über diese Führungsautorität bis der U.S.-Präsident etwas anderes anordnet. Sowohl das U.S.-Verteidigungsministerium als auch das Auswärtige Amt lassen allumfassende Gegenmaßnahmen bei der Deinition vom ANM außer Acht (DTRA 2007: 5), sodass diese der Situation entsprechend speziiziert werden müssen. Folglich können Hilfsleistungen bei Naturkatastrophen oder humanitären Krisensituationen, die kein CBRN-Ereignis darstellen, nicht im Rahmen des ANM erfolgen. Das Auswärtige Amt unterscheidet bei der Bewilligung von Hilfsleistungen anhand bestimmter Faktoren, die jedoch nicht näher speziiziert werden, zwischen ANM und humanitärer Hilfe. Das U.S.-Verteidigungsministerium ergänzt ANM jedoch als Subkategorie humanitärer Hilfe. Dabei kann ANM sowohl traditionelle auswärtige Katastrophenlinderungsmaßnahmen (Rettungsaktionen, Bereitstellung von Lebensmitteln, Zuluchtsorten, medizinischer und logistischer Unterstützung) als auch einzigartige Maßnahmen im Hinblick auf ein ANM-Szenario (Durchführung einer Dekontamination, Handhabung von Gefahrengütern) beinhalten (DTRA 2007: 5). 6.4 Die Ausdiferenzierung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Gastgeberland und den U.S.-Behörden Die gesamte Verantwortung des Nachwirkungsmanagements liegt bei der Gastgebernation. Dabei ist das Auswärtige Amt die leitende U.S.-Behörde, die auf die Bitte um ANM-Unterstützung einer anderen Regierung reagiert. Sie verfügt jedoch nicht über die Autorität, andere Behörden in ihren Kontroll- und Handlungsbereich einzugliedern und für die Operation zu verplichten. Gleichzeitig ist die Zustimmung des Auswärtigen Amtes und des U.S.-amerikanischen Botschaters im betrofenen Land notwendig, damit U.S.-Streitkräte in ANM-Linderungsaktionen tätig werden können. Wenn das Auswärtige Amt ein ANM-Hilfsgesuch an das U.S.Verteidigungsministerium stellt, muss dieses zunächst vom Verteidigungsminister Katastrophenmanagement 161 abgezeichnet werden. Erst dann kann das Ministerium das Auswärtige Amt bei den ANM-Aktionen unterstützen (DTRA 2007: 6–7). Im Handlungs- und Verantwortungsrahmen des U.S.-Verteidigungsministeriums können die U.S.-Streitkräte auch auf ein CBRNE-Ereignis reagieren, um den Verlust von Menschenleben zu verhindern oder auf der Grundlage der Befehlsgewalt des führenden Kommandanten unverzügliche Maßnahmen einzuleiten (Clinton 14.07.1995). 6.5 Die Umsetzungsprozesse des auswärtigen Nachwirkungsmanagements Tritt ein ANM-Ereignis ein, so muss zunächst das Gastgeberland explizit mitteilen, ob es über ausreichend eigene Ressourcen verfügt, um mit der Situation umzugehen und um festzulegen, welche speziellen Hilfsleistungen benötigt werden. Dem Gastgeberland stehen drei Kontaktkanäle zur Verfügung, um ein Hilfegesuch zu stellen: Zunächst über die U.S.-Botschat, anschließend direkt bei dem U.S.-Verteidigungsministerium oder in dringenden Fällen, in denen Menschenleben auf dem Spiel stehen, mit einem direkten Hilfegesuch bei den vor Ort stationierten U.S.Streitkräten (DTRA 2007: 7–8). Für den Fall, dass es sich um ein ANM-Ereignis beträchtlichen Ausmaßes handelt, kann der U.S.-Botschater eine Katastrophen-Deklaration verabschieden, auf deren Grundlage das Ministerium für Internationale Entwicklung Katastrophenteams (Disaster Assistance Response Teams, DART) entsenden kann. Somit ist es möglich, unverzüglich Spezialisten in die Katastrophengebiete zu schicken, die bestehenden U.S.-Truppen zu unterstützen und sich gleichzeitig an den vorgegebenen Standards zu orientieren (DOS 1995). 6.6 Die Kooperationsplanung für einen Einsatz am beschädigten Atomkratwerk Fukushima Nr. 1 Während der Erarbeitung juristischer Grundlagen für den Einsatz am Atomkratwerk Fukushima Nr. 1 wurden weitere U.S.-Behörden, deren Mitarbeiter Fachwissen über nukleare und radiologische Fälle haben, hinzugezogen. Mitarbeiter der Behörde für Gefahrenreduktion (Defense hreat Reduction Agency), des Energieministeriums und der nuklearen Regulierungskommission (Nuclear Regulatory Commission) wurden der JSF und der U.S.-Botschat in Tōkyō auf Abruf zugeteilt (MOD 2011a: 19). 162 Aussenpolitik Außerdem wurden Nuklearexperten, medizinisches Fachpersonal und Anwälte innerhalb des U.S.-Paziik-Kommandos und der JSF damit beautragt, entsprechende Maximalgrenzen für eine radioaktive Belastung festzulegen. Die Rechtsberater waren damit beschätigt sämtliche, existierenden Strahlungsrichtwerte von Bundes- und Militärbehörden zusammenzutragen. Es stellte sich heraus, dass sich jede Behörde an unterschiedlichen Belastungsstandards orientierte. Folglich galten zuvor für jedes Szenario eigene Richtwerte. So wurde z.B. der Marinestandard für Personal, das seinen Dienst 20 Jahre in der Nähe von Nuklearreaktoren oder Unterseebooten leistet, festgelegt. Das Belastungsrisiko, das sich aus der zwanzigjährigen Dienstzeit ergab, entspricht jedoch nicht dem Risiko eines Wartungsdienstmitarbeiters der U.S.-Lutwafe, der mit der Dekontamination von an Hilfsmissionen in nuklear kontaminierten Gebieten eingesetzten Flugzeugen beautragt war (Odom 2011: 8). Letztendlich entwickelten die Experten des U.S.-Paziik-Kommandos und der JSF Richtlinien, die sich an einer rationalen Einschätzung der vorhandenen Risiken der Operation und den vorangegangenen Standards orientierten. Darüber hinaus sollte das Team auch Richtlinien für sämtliche U.S.-Streitkräte festlegen, damit eine gefahrenfreie Dekontamination von Flug- und Fahrzeugen und anderen eingesetzten Ausrüstungsgegenständen gewährleistet werden kann (DTRA 2012, 2013). Während die Gesundheitsschutzstandards der U.S.-Truppen sich aus vorher existierenden Bestimmungen zusammensetzten, erwiesen sich die Dekontaminationsstandards als weitaus komplexer. Zunächst mussten die japanischen Dekontaminationsstandards herausgearbeitet und mit den U.S.-amerikanischen verglichen werden. Anwälte im Dienste der dauerhat stationierten U.S.-Streitkräte, die bereits mit den japanischen Umweltgesetzen und -regulierungen vertraut waren, erarbeiteten gemeinsame Dekontaminationsstandards, die sowohl mit dem amerikanischen als auch dem japanischen Recht vereinbar waren. Dadurch war es möglich, die Sicherheit der entsendeten Truppen zu garantieren und gleichzeitig internationale Standards einzuhalten (Odom 2011: 8–9). 6.7 die operation Paciic Passage In einem weiteren wichtigen Teilbereich der Gesamtoperation, die das Erdbeben, die Tsunami- und Atomreaktorkatastrophe beinhaltete, wurden Familienmitglieder der U.S.-Streitkräte aus Japan evakuiert. Unmittelbar nach dem Erdbeben lag das Hauptanliegen der U.S.-Streitkräte zunächst im Bereich der Truppensicherung (force protection). Im Hinblick auf den bevorstehenden Tsunami wurden daher Katastrophenmanagement 163 Marine- und Lutfahrzeuge, Familienangehörige und zivile Mitarbeiter des U.S.Verteidigungsministeriums verlegt (Feickert und Chanlett-Avery 2011: 2). Am 17. März autorisierte der U.S.-Verteidigungsminister im Anschluss an die Dreifach-Katastrophe die Ausreise von Zivilpersonal und Familien von der Hauptinsel Honshū. Dabei handelte es sich um zwei U.S.-Marinebasen (Yokosuka und Atsugi), zwei U.S.-Lutwafenstützpunkte (Yokota und Misawa) und das Heereslager Zama. Die Ausreise der Familienmitglieder in die U.S.A. wurde inanziell unterstützt und erhielt den Titel Operation Paciic Passage (Smith 2011). Zur Durchführung einer geordneten Abreise wurde eine Joint Task Force gegründet und mit der logistischen und rechtlichen Abwicklung beautragt. Die Rechtsanwälte des Region Legal Service Oice Japan und des Naval Legal Service Oice Paciic in Yokosuka assistierten bei den rechtlichen Belangen der Abreise. Sie stellten Verknüpfungspunkte zu verschiedenen U.S.-Behörden dar, wie dem U.S.-Zoll- und Grenzschutz um den Familien eine einfache Ausreise zu ermöglichen. Dadurch wurde es möglich, bis zu 10.000 Personen pro Tag zu evakuieren (Feickert und Chanlett-Avery 2011: 2). Eine besonders wichtige Aufgabe lag darin, eine dauerhate Aktualisierung der neusten Meldungen zu ermöglichen und eine Internetseite für häuig gestellte Fragen einzurichten, die die Familien über sämtliche Formalitäten zur Evakuierung informiert (Wilson 2011). 7. Die Operation Tomodachi: Chronologischer Ablauf der U.S.- japanischen Zusammenarbeit Die Operation Tomodachi begann am 12. März und endete am 4. Mai 2011. Die Kernaufgaben der Operation sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Unmittelbar nach dem Eintritt der Katastrophe am 11. März 2011 wurden 8.400 Einsatzkräte der japanischen SVS mobilisiert, die am 13. März die Marke von 50.000 Einsatzkräten überstieg. Am 14. März wurde eine Joint Support Force zwischen den SVS und den U.S.-Streitkräten eingerichtet, die unter dem Oberbefehl der Boden-Selbstverteidigungsstreitkräte (BSVS) in der Tōhoku-Region stand. Am 16. März mobilisierte Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa zusätzlich die Reserve-Einheiten der SVS (McNerney et al. 2011: 36). Zum 17. März 2011 waren bereits 14 U.S.-Marineschife und Flugzeuge, ebenso wie 17.000 Matrosen und Soldaten des Marinekorps damit beschätigt, humanitäre Unterstützung, Such- und Rettungsmissionen und Katastrophenlinderungsmaßnahmen einzuleiten. Dabei wurden 132 Hubschrauber und 641 Flugzeuge mit dem Transport von Personen und Gütern beautragt. Die U.S.-Luteinsätze erwiesen 164 Aussenpolitik sich vor allem für die Erreichbarkeit von Überlebenden in abgeschnittenen Gebieten als wertvoll. Der U.S.-Lutwafenstützpunkt Misawa in der Präfektur Aomori wurde sowohl für die U.S.-Truppen als auch SVS als Operationsbasis genutzt. Darüber hinaus hatte die japanische Regierung den U.S.-Truppen die Nutzung des Yamagata-Flughafens genehmigt. Dieser wurde ebenfalls in Kooperation mit den SVS verwendet (MOD 2011c). Der Einsatz von Hubschraubern gestaltete sich schwierig, besonders wegen des schlechten Wetters und der damit einhergehenden geringen Sichtweite. Sämtliche U.S.-Truppenbestände für Such- und Rettungsmissionen wurden von Okinawa an den U.S.-Lutwafenstützpunkt Yokota in der Nähe von Tōkyō verlegt (Feickert und Chanlett-Avery 2011: 3–4). Tabelle 1: Aufgabengebiete und Aktionen der Operation Tomodachi Aufgabengebiete Inhalte bzw. Aktionen 1. Such- und Rettungsmissionen: Rettung von 19.000 Personen 2. Unterstützung beim Transport von: 2.1 Gütern- und Hilfsmitteln: 2.2 medizinischen Einsatzkräften: 2.3 Patienten: 3. 12.000 Tonnen 20.000 Personen 170 Personen Versorgung des Lebensunterhalts durch: Trinkwasser: Mahlzeiten: Benzin: Unterstützung beim Waschen und Baden: 33.000 Tonnen 4.7 Mio. Mahlzeiten 1.400.000 Liter 1 Mio. hilfsbedürftige Personen 4. Unterstützung bei Notfallsanierungsarbeiten: Wiederaufbau von Flug- und Schifshäfen Beseitigung von Geröll und Ablagerungen 5. Maßnahmen zur Eindämmung der radioaktiven Verseuchung durch den Fukushima-Atomreaktor: Einspeisung von Frischwasser durch Industriepumpen Dekontaminationsprozeduren Datenanalyse und Überwachung fortlaufender Prozesse Quellen: McNerney et al. (2011: 36); MOD (2011d). Anm.: Darstellung vom Autor leicht modiiziert. Als sich die Krise um die Atomreaktoren in Fukushima zu verschärfen drohte, intensivierte die U.S.-Regierung ihre Unterstützungsleistungen gegenüber der japanischen Regierung. Am 16. März überlog die Erkundungsdrohne Global Hawk das Reaktorgebiet und sammelte Bildmaterial und weitere Daten. Am 17. März lieferte die 7. U.S.-Marinelotte fünf Hochdruckwasserpumpen und 100 NBC-Anzügen Katastrophenmanagement 165 und Masken (nuklear, biologisch, chemisch) an die japanische Regierung, damit diese im Fukushima-Reaktor genutzt werden konnten. Es wurden zusätzlich 2.000 Dosimeter, die radioaktive Kontamination in Menschen feststellen können, ebenso wie zwei Feuerwehrfahrzeuge nach Japan geliefert (MOD 2011a). Die Flugzeugträgergruppe mit dem Hauptträgerschif USS Ronald Reagan, dem Kreuzer USS Chancellorsville, dem Zerstörer USS Preble und dem Kampfunterstützungsschif USS Bridge wurde direkt am 11. März 2011 von militärischen Übungen aus Südkorea abgezogen und mit Operationen an der Ostküste Japans beautragt. Die USS Ronald Reagan sollte unter anderem als Wiederbetankungsplattform für Hubschrauber der japanischen SVS, der japanischen Küstenwache und ziviler Hilfsorganisationen bei Rettungs- und Bergungsmissionen dienen (Feickert und Chanlett-Avery 2011: 5). Die USS Essex, die USS Harpers Ferry und die USS Germantown trafen am 20. März an der Westküste Japans ein. Es war ihnen dadurch möglich, vom Westen her auf eine unbeschädigte Infrastruktur zurückzugreifen, um eine Verteilung von Hilfsgütern zu ermöglichen. Eine der Hauptaufgaben der dortigen U.S.-Truppen stellte jedoch die Wiederinbetriebnahme des Sendai-Flughafens am 26. März dar (GOJ 2012: 12; Zielonka 2011). Die U.S.-Marinesoldaten landeten auf einem schwer beschädigten Flugfeld der Lutselbstverteidigungsstreitkräte (LSVS) und luden gemeinsam mit den LSVS Hilfsgüter aus, die an das Flüchtlingszentrum in der Nähe von Kesennuma, einer Stadt nördlich von Sendai geliefert werden sollten. Am 27. März erhielt das Kinderheim in Shichinohe Biko-en von Angehörigen der U.S.-amerikanischen Soldaten des Misawa-Lutwaffenstützpunktes zahlreiche Decken, Pullover und Kinderspielzeug für japanische Erdbebenwaisen (Dow 27.03.2011). Zusätzlich wurde die technische Oberschule in Ishinomaki am 31. März von Schlamm und Geröll befreit und zu einem Hilfszentrum für die Bewohner der Stadt umgewandelt (Fisher 2011: 6; YS 30.03.2011). Am 1. April brachten U.S.-Matrosen und Soldaten von der USS Essex Hilfsgüter auf die Insel Oshima in der Stadt Kesennuma. Sie halfen auch bei der Beseitigung von Geröll. Dabei wurden größere Räumfahrzeuge wie Planierraupen, Trucks und amphibische Schife eingesetzt, um Überreste zerstörter Häuser von den Straßen und vom Hafen zu entfernen. Durch die Tsunami-Katastrophe wurde der Hafen in Oshima so stark beschädigt, dass die Insel von der Außenwelt abgeschlossen war (Zielonka 2011). 166 7.1 Aussenpolitik Die Such- und Rettungsmissionen Am 1. April startete eine dreitägige Suchmission an der Küste von Iwate und der Fukushima-Präfektur durch die U.S.-Streitkräte und die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte. Obwohl die SVS mit fortlaufenden Such- und Rettungsmissionen betraut waren, galten 16.000 Personen weiterhin als vermisst. Um eine noch intensivere Suche mit einer größeren Truppenstärke und Luteinheiten zu ermöglichen, wurde eine gemeinsame Suchoperation mit den U.S.-Streitkräten in einem Radius von 30 km um das Fukushima-Kratwerk in der nördlichen Iwate- und in der südlichen Fukushima-Präfektur eingeleitet. Neun Divisionen und Brigaden der BSVS, 65 Schife und 120 Flugzeuge und Helikopter wurden eingesetzt. Bis zum 4. April wurden 78 Tote geborgen (MOD 2011c). 7.2 Die Endphase der Operation Tomodachi Am 4. April hielt der japanische Verteidigungsminister Kitazawa Toshimi eine Rede auf der USS Ronald Reagan und überbrachte auch eine Dankesbotschat von Premierminister Kan Naoto (MOD 2011a: 20). Die Dankbarkeit der japanischen Bevölkerung fand zudem Ausdruck auf zahlreichen Bannern und Plakaten. Im Anschluss begannen die U.S.-Truppen, sich aus der Tōhoku-Region zurückzuziehen. Das gemeinsame Kooperationszentrum von U.S.-Truppen und SVS in Sendai wurde am 7. April geschlossen. Die Verfügungsgewalt weiterer Operationen am Boden wurde an die SVS übergeben. Die USS Ronald Reagan und alle weiteren beteiligten U.S.-Schife legten nach Abschluss ihrer Such- und Versorgungsmissionen am 8. April 2011 wieder ab (YS 19.04.2011). Die logistische Unterstützung von Seiten der U.S.-Streitkräte und die Hilfe für das Atomkratwerk Fukushima liefen bis zum oiziellen Ende der Operation Tomodachi am 4. Mai 2011 weiter (McNerney 2011: 37). 8. die auswirkungen und ergebnisse der operation tomodachi Die abschließende Betrachtung der Operation Tomodachi lässt einen ausreichenden Freiraum zur politisch, ungewollten und gewollten Instrumentalisierung von Seiten der U.S.-amerikanischen Regierung zu. Die Frage, ob die U.S.-Regierung ihren Einsatz in Japan als Instrument zur (außen)politischen Proilierung genutzt hat, bleibt vorerst unbeantwortet und kann durch weiterführende Untersuchungen Katastrophenmanagement 167 aufgearbeitet werden. Es steht jedoch fest, dass im Anschluss an die Operation sowohl die Sympathie für die SVS, die Zustimmung zur U.S.-Japan Allianz als auch die Vorstellung, dass diese Allianz zur Sicherheit und Stabilität Japans beiträgt, gestiegen sind (MOD 2012). Laut einer Studie des Pew Research Centers vom 1. Juni 2011 waren 95 % der Befragten der Ansicht, die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte hätten »gut« auf die Katastrophe reagiert, wobei 62 % sogar mit einem »sehr gut« urteilten. Weiterhin hat die U.S.-amerikanische Großzügigkeit an Gütern und Finanzhilfen die allgemeine Wahrnehmung der U.S.A. stark aufgewertet. Während noch 2010 66 % der Befragten angaben, ein positives Bild von den USA zu haben, waren es 2011 85 %. 57 % der Befragten waren der Meinung, dass die U.S.-Streitkräte eine »sehr gute« Leistung zur Unterstützung Japans erbracht hätten. 32 % antworteten, es sei eine »angemessene« Leistung gewesen. Unter jenen Befragten, die den U.S.-Streitkräten eine »sehr gute« Leistung bei der Operation Tomodachi zusprachen, hatten 93 % ein positives Bild von den U.S.A. (PRC 2011). Andererseits wurde die Leistung der japanischen Regierung von 78 % der Befragten als »schlecht« und von 33 % sogar als »sehr schlecht« eingestut. Die Handhabung der Krise durch die japanische Regierung, die Ministerien und führende Politiker wurde stark kritisiert (PRC 2011). 8.1 Die Relokalisation der U.S.-Militärbasis Futenma Die Verlagerung der Militärbasis Futenma wurde im Zeitraum der Dreifach-Katastrophe nicht thematisiert. Doch als sich im Mai 2011 die U.S.-Truppen langsam zurückzogen, rückte der Termin für einen Beratungsausschuss über Sicherheitsfragen zwischen den U.S.A. und Japan immer stärker in den Vordergrund (MOD 2011b: 6). Richard L. Armitage und Joseph S. Nye (2012: 14–18) halten fest, dass die »Operation Tomodachi der U.S.-Japan-Allianz ein wenig Zeit gekaut hat«. Sie ließ gleichzeitig den ursprünglichen Kern der Allianz wieder auleben. Dies stellte aufgrund der Abkühlung der Beziehungen in den letzten drei Jahren einen wichtigen Impuls dar. Im Hinblick auf die Relokalisation des Futenma-Stützpunktes, der Konstruktion neuer Militäreinrichtungen und einer »V«-förmigen Landebahn im Henoko-Gebiet, waren die Verhandlungen aufgrund ständiger Verzögerungen von Seiten der japanischen Regierung oder Unstimmigkeiten mit der Präfekturregierung in Okinawa stagniert (Brooks 2011: 5–43). Wie aus einer empirischen Untersuchung des NHK Culture Research Institutes hervorgeht, bestätigten 2012 56 % der befragten Einwohner Okinawas die Notwen- 168 Aussenpolitik digkeit der U.S.-amerikanischen Militärbasen, während lediglich 21 % die Militärpräsenz als »unnötig« und 17 % als »gefährlich« einstuten. Im direkten Vergleich zu Gesamtjapan (74 %), iel jedoch der Zuspruch für die Militärbasen mit 56 % sehr viel schwächer aus (Kono und Kobayashi 2013: 23–24). Gleichzeitig wurde von der Bevölkerung in Okinawa ebenso gefordert, dass die Militärbasen entweder vollständig abgezogen (22 %) oder zumindest stark reduziert werden sollten (56 %). Lediglich 1 % wünschte eine Erweiterung der U.S.-militärischen Präsenz (Kono und Kobayashi 2013: 27). Weiterhin sprachen sich die Bewohner von Okinawa gegen die Verlagerung der Futenma-Militärbasis nach Henoko aus (72 %), wobei 66 % eine Verlagerung außerhalb von Okinawa wünschten (Kono und Kobayashi 2013: 33, 35). An dieser Stelle muss hervorgehoben werden, dass viele auf Okinawa lebenden Japaner, die Ansicht vertreten, dass die Restbevölkerung des Festlandjapans die Probleme und Belange Okinawas nicht wirklich verstehen würde. Beginnend im Jahr 2002 zeichnete sich ein Negativtrend ab, der 2012 seinen Zenith mit 72 % für die Kategorie »Festländer verstehen uns nicht« erreicht hat (Kono und Kobayashi 2013: 38, 39). Ausgehend von den Inhalten des aktuellen Weißbuches des japanischen Verteidigungsministeriums (MOD 2013: 196–198, 212) und dem revidierten RoadmapAbkommen (MOFA 2006, 2011) zur Futenma-Verlagerung zeigt dies, dass die Zentralregierung in Tōkyō nahezu vollständig die Wünsche der Bewohner Okinawas ignoriert hat. Sie opferte sie zur Wahrung einer funktionierenden U.S.-japanischen Allianz und der militärischen Kapazität für den Verteidigungsfall. Die positive Zustimmung zum Einsatz der U.S.-Streitkräte während der Operation Tomodachi darf jedoch nicht generalisierend auf die sicherheits- und innenpolitische Situation in Okinawa übertragen werden. Trotz der positiven Resonanz der japanischen Bevölkerung auf die gemeinsame Katastrophenlinderungsmission gab es keine langfristigen Auswirkungen auf die Herausforderungen bezüglich der Relokalisation des Futenma-Militärstützpunktes. Die Missverständnisse, Unstimmigkeiten und Probleme, die über Jahre in diesem Bereich entstanden sind (Brooks 2011: 5–43), ruhten während der Operation Tomodachi lediglich. Zahlreiche Fragen zum Aubau von Militäreinrichtungen und zur Unterhaltung der U.S.-Marinetruppen bleiben weiterhin ungeklärt (Chanlett-Avery et al. 2013: 15). Katastrophenmanagement 169 8.2 Ein Ausblick auf die weitere Entwicklung der U.S.-japanischen Allianz Armitage und Nye (2012: 14–18) sind unabhängig von der Operation Tomodachi der Ansicht, dass die Allianz der Verlagerung der Militärbasis Futenma in den letzten Jahren zu viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. Sie investierte Zeit und Energie, die stattdessen in die optimale Planung und Strukturierung der Streitkräte hätte investiert werden können. Nun gehe es darum, die U.S.-japanische Kooperation zu stärken und den Handlungsrahmen der SVS und des japanischen Verteidigungsministeriums im Hinblick auf die U.S.-Japan-Allianz zu erweitern. Nishihara (2011) betont, dass es sich bei der Zusammenarbeit der U.S.-Truppen und SVS um eine Joint Support Force und nicht um eine Joint Task Force handelte. Die U.S.-Truppen haben die japanischen unterstützt und nicht als eigenständige Einsatztruppe eine Mission durchgeführt. Ein Charakteristikum der Operation Tomodachi war, dass in der Vergangenheit die U.S.- und die Selbstverteidigungsstreitkräte stets gemeinsame Übungen durchgeführt haben, es jedoch zum ersten Mal in der Geschichte der U.S.-Japan-Allianz tatsächlich zu einer gemeinsamen militärischen Operation gekommen ist. Zudem war es für die japanischen SVS der bislang größte Einsatz, da sämtliche Teilkontingente (Boden-, Lut- und Meeresselbstverteidigungsstreitkräte) aktiv waren. Durch die Aufräumarbeiten und humanitäre Hilfe der SVS und U.S.-Truppen direkt nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe veränderte sich das Image der Einsatzkräte in der japanischen Bevölkerung. Der japanischen Öfentlichkeit wurde gezeigt, dass Japan über ein professionelles und funktionierendes Militär verfügt, das im Notfall der Bevölkerung hilt und sie beschützt. Hierin liegt ein Potential, das den SVS in Zukunt eine größere Rolle und mehr Verantwortung bei der Verteidigung Japans zukommen kann (Nishihara 2011). Yoichi Funabashi lobt den schnellen Einsatz der U.S.-Streitkräte und ihre Unterstützung bei der kontinuierlichen Überwachung z.B. durch die Drohne Global Hawk während der Geschehnisse um das Atomreaktor Fukushima Nr. 1 (AS 13.03.2013). Wenn die U.S.-Regierung ihre Botschat in Tōkyō wie zahlreiche andere Länder ebenfalls geschlossen hätte, hätte dies die japanisch-amerikanischen Beziehungen tief erschüttert. Umso mehr muss herausgestellt werden, dass die U.S.-Streitkräte da waren, als sie gebraucht wurden. Funabashi kritisierte aber auch den schwachen Führungscharakter der japanischen Regierung (insbesondere des japanischen Innenministeriums und der Behörde für Feuer- und Katastrophenhilfe). Während der Hilfsmaßnahmen war es nicht immer eindeutig, von welcher zentralen Organisationsstelle die SVS, die Polizei und die Feuerwehr ihre Anweisungen erhalten sollten. 170 Aussenpolitik McNerney et al. (2011: 34) kritisieren zusätzlich die Schwächen der technischen bilateralen Kommunikationsstruktur. Während der Operation Tomodachi wurden hauptsächlich kommerzielle ungesicherte Kommunikationsmedien (ungesicherte Telefonanschlüsse und E-Mails) verwendet. Im Falle eines komplexeren militärischen Verteidigungsszenarios wäre es einem Angreifer möglich gewesen, die Kommunikation abzufangen oder durch gezielte Cyberattacken die bestehenden Netzwerke zu kompromittieren. Satoshi Amako (21.05.2011) sieht in der Katastrophe auch eine regionale Perspektive, da auch aus dem ostasiatischen Raum Hilfe für die Katastrophenopfer geleistet wurde. Durch die enge wirtschatliche Verknüpfung Japans mit kleineren ostasiatischen Staaten zeigte sich auch die gegenseitige Anteilnahme (PRC 2011). Japans wissenschatliche und technologische Erkenntnisse und ein Austausch im Bereich der Früherkennung von Erdbeben und Tsunami könnten zu einer tieferen Vertrauensbildung innerhalb der Region beitragen. Diese Form des Wissens- und Technologietransfers im Katastrophenmanagement könnte zu einer weiteren Säule der japanischen Außenpolitik werden. Die Operation Tomodachi hat gezeigt, dass trotz unterschiedlicher digitaler Datensysteme und juristischer Richtlinien eine gemeinsame Militäroperation in einem Notfallszenario durchgeführt werden kann. Inwiefern die Resonanz der Operation innerhalb der Sicherheitsallianz zwischen den U.S.A. und Japan zur dauerhaten Implementierung von gemeinsamen Streitkräten (Joint Forces) beitragen wird, lässt sich an dieser Stelle noch nicht einschätzen. Wenn eine solche Kooperation bereits nach einer Dreifach-Katastrophe möglich ist, wird sie auch im Verteidigungsfall wahrscheinlich möglich sein. literatur Akiyama, Nobumasa, Heigo Sato, Kaoru Naito und Tadahiro Katsuta (2012), he Fukushima Nuclear Accident and Crisis Management: Lessons for Japan-U.S. Alliance Cooperation, Final Report of the SPF Research Project on »Assessment: Japan-US Response to the Fukushima Crisis«, Tōkyō: he Sasakawa Peace Foundation (SPF), http:// www.spf.org/jpus/img/investigation/book_fukushima.pdf (09.08.2013). 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Japan’s ODA to Afghanistan has focused on three main areas of intervention: a) strengthening the capacities to implement security in the country (focused mostly on training and paying the salaries of the police); b) disarmament, demobilization and reintegration of former Taliban soldiers; and c) supporting Afghanistan in achieving self-led sustainable development, an umbrella category encompassing projects in education, health, agriculture, energy, etc. Japan traditionally pitches its ODA engagements as contributions to enhancing human security worldwide. he intervention in Afghanistan is prominently described as part of a Japanese counter-terrorism strategy and as such clearly shows the limited military cooperation possibilities Japan has in dealing with an unstable and insecure state like Afghanistan. However, the last ODA White paper from 2012 signals a shit in the ODA goals for Afghanistan in that greater emphasis is being put on boosting the Afghan economy and investing in infrastructure. Both these points seem to illustrate a diferent strategic interest of Japan in Afghanistan. he region of Central Asia is economically interesting for Japan because of its energy re- 178 Aussenpolitik sources. A stable Afghanistan (which the MOFA counts to the Middle Eastern region) not only means more safety for the transport of energy supplies from the Central Asian states, the investment in Afghan infrastructure can actually be used as a segment in the route of transportation of this energy to Japan. he latest Japanese pledge for ODA to Afghanistan during the Tokyo 2012 Conference was accompanied by a pledge to invest even more money in the surrounding states. Japan’s interest in a stable Afghanistan is thus only secondary in terms of counter-terrorism, the primary strategic goal is securing energy resources from the Central Asian region. 1. einleitung: Japans engagement in afghanistan Japan als eines der größten Geberländer öfentlicher Entwicklungszusammenarbeit (EZ)1 leistet nach den USA den inanziell zweitgrößten Beitrag zum Wiederaubau des durch jahrzehntelange Konlikte zerrütteten Afghanistans (OECD 2013). Mit dem Ziel, Afghanistan in seiner Selbständigkeit zu unterstützen, hat die japanische Regierung mehr als 4 Mrd. U.S.-Dollar an inanzieller und technischer Zusammenarbeit zwischen Oktober 2001 und März 2012 bereitgestellt (MOFA 2012b: 19). Bis Ende 2014 – was mit dem Abzug eines Großteils der internationalen Truppen von afghanischem Boden zusammenfällt – hat Japan weitere 2,5 Mrd. U.S.-Dollar für Sicherheit, Wiederaubau, Reintegration und Kapazitätsaubau zugesagt (MOFA 2012b: 2). Hinweise darauf, was die japanische Regierung zu einem inanziell so umfangreichen Engagement motiviert, lassen sich aus oiziellen Aussagen zu den strategischen Zielen der geleisteten Unterstützung ableiten. Bislang wurde primär die Strategie zur Eindämmung des internationalen Terrorismus als prominente Begründung für ein japanisches EZ-Engagement in Afghanistan verwendet. Vergleicht man die Zielformulierungen im EZ-Weißbuch 2011 mit denen des Folgejahres 2012, scheint sich eine Reduzierung im Umfang ziviler Projekte zur Eindämmung des Terrorismus anzukündigen. Die strategische Zielsetzung bewegt sich von der 2009 für Afghanistan (und Pakistan) veröfentlichten Anti-Terror-Strategie weg und setzt einen stärkeren Schwerpunkt auf die Wirtschatsförderung. Zudem rückt durch die 1. Öfentliche Entwicklungszusammenarbeit nach OECD-DAC Kriterien, bestehend aus bilateraler EZ für die direkte Unterstützung von Entwicklungsländern und multilateraler EZ durch internationale Organisationen. Bilaterale EZ kann in Zuschüsse und Kredite aufgeteilt werden, Zuschüsse wiederum in die Kategorien technische und inanzielle Zusammenarbeit. Multilaterale Zusammenarbeit erfolgt u.a. über UN-Institutionen wie z.B. dem United Nations Children’s Fund (UNICEF) und dem United Nations Development Programme (UNDP) sowie über Beitragszahlungen an die Weltbank (MOFA 2012a: X). Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 179 Annäherung der japanischen Regierung an die Staaten Zentralasiens wirtschatliches Kalkül deutlicher ins Blickfeld. Hinsichtlich der Motivation Japans werfen einige Kommentatoren die Frage auf, inwiefern Japan nicht lediglich als Verfechter der eigenen Energiesicherheit agiert und die Abhängigkeit von Energieimporten ein politisches Interesse an Zentralasien und Transportwegen durch Afghanistan erzeugt (Dobrinskaya 13.09.2012; Len 2005: 130). Der vorliegende Artikel geht der Frage nach, welche Veränderung sich in der Argumentationsstruktur der japanischen Regierung feststellen lässt. Lässt sich beobachten, dass das Herausstellen der Eindämmung des internationalen Terrorismus ersetzt wird durch die Betonung der wirtschatlichen Interessen Japans an der Region Zentralasien und damit auch an einem stabilen Afghanistan? Deutet sich damit ein außenpolitisches Umdenken und eine neue Zielsetzung innerhalb der japanischen Regierung an? Oder indet statt einer grundlegenden Umdeutung des Einsatzes in Afghanistan lediglich eine Schwerpunktverschiebung innerhalb bereits existierender Prämissen statt? Die hier vertretene Hypothese lautet, dass die japanische Regierung aus strategischer Überlegung heraus die bisher verfolgte Argumentation, der EZ-Einsatz in Afghanistan diene in erster Linie der Eindämmung des internationalen Terrorismus, immer weniger anwendet. Einhergehend mit dem Abzug der internationalen Truppen und dem erwarteten Rückgang an EZ-Geldern dient diese veränderte Argumentationsstrategie dazu, das Herunterfahren des eigenen Engagements im Land zu rechtfertigen und Japan gleichzeitig stärker aus der Sicherheitsdebatte zu ziehen, die unweigerlich mit dem hema Terrorismus zusammenhängt. Der Artikel vertritt die hese, dass die Eindämmung des Terrorismus in der Region in erster Linie als Solidaritätsbekundung an die USA galt und neben der Legitimation der EZ insbesondere für die Legitimation der Wiederautank-Missionen im Indischen Ozean diente. Implizit war die Eindämmung von Terrorismus jedoch auch immer mitgedacht im Konzept der japanischen Energie-Diversiizierungsstrategie. Das japanische Interesse an Energielieferungen aus den zentralasiatischen Staaten richtet sich unweigerlich auf Afghanistan, wenn Transportwege nicht über Russland oder China führen sollen – und damit auch auf die Sicherheit eventueller Transportrouten durch das Land. Mit einer nun stärkeren Betonung der Interessen an Energielieferungen aus Zentralasien öfnet sich argumentativ die Tür für eine stärkere Ausrichtung der japanischen EZ in Afghanistan auf Infrastruktur- und Wirtschatsförderungsprojekte, die in direkterem Zusammenhang mit den strategischen Überlegungen zur Energiesicherheit stehen. 180 2. Aussenpolitik Japans ez in entwicklungs- und Sicherheitspolitischen diskursen Betrachtet man die Anfänge und ersten Jahrzehnte der japanischen EZ, lassen sich fünf Ziele identiizieren, die mit der Vergabe von EZ verfolgt wurden: das Steigern des Ansehens Japans in der Welt, das Ziehen ostasiatischer Staaten aus dem sozialistischem Machtbereich, die Sicherung von Rohstofe für Japan, sowie die Förderung von Exportwirtschat und die Produktentwicklung. Die Ausrichtung der EZ orientierte sich damit vor allem am wirtschatlichen Interesse Japans (Rohde 2003: 92). Miriam Rohde (2003: 92) bewertet die japanische Haltung gegenüber der Entwicklung im Empfängerland als sekundäres Ziel und konstatiert, dass lange Zeit keine ausdiferenzierte Strategie für die japanische EZ existierte, mit der Ausnahme, dass die selbstauferlegte Beschränkungen hinsichtlich der Lieferung von Wafen und der Unterstützung von deren Produktion stets respektiert wurde.2 Im Juni 1992 wurde erstmals, nach anhaltender Kritik an dieser Ausrichtung und dem Fehlen einer strategischen Vision der japanischen EZ, eine EZ Charta vom japanischen Kabinett verabschiedet, um die japanische Zusammenarbeit stärker in der neuen politischen Weltordnung zu verankern und sichtbar auf entwicklungspolitische Ziele hin auszurichten. Zentrale Anliegen der Charta sind die Verbindung von Umweltschutz mit Entwicklungsmaßnahmen, die Vermeidung des Einsatzes von EZ für militärische Zwecke und für den Erhalt von Konlikten, die Förderung von Demokratisierungsprozessen im Empfängerland, die Einführung der Prinzipien freier Marktwirtschat, sowie die Einhaltung der Menschenrechte und Gewährleistung individueller Freiheiten (Furuoka und Oishi 2003: 906; Rohde 2003: 97). Die Verabschiedung dieser Charta begleitend, proilierte sich die japanische Regierung Anfang bis Mitte der 1990er Jahre als größter Unterstützer multilateraler EZ Organisationen, vor allem von UN-Institutionen. Damit sollte auf die Vorwürfe reagiert werden, dass EZ weiterhin nur als Instrument des nationalen Interesses für die Außenwirtschatsförderung genutzt werde (Rohde 2003: 70; Yasutomo 1995: 4-6, 20). Gleichzeitig ermöglichte eine Unterstützung des UN-Systems eine von 2. Dieses grundlegende Prinzip der japanischen EZ sieht vor, dass diese mit großer Vorsicht im Hinblick auf militärische Entwicklungen und etwaige militärische Verwendung im Empfängerland zu vergeben ist. Japan unterstützt keinerlei Militär oder militärisches Personal direkt durch seine EZ-Zahlungen an Entwicklungsländer (MOFA 2012a: 55, 135). Daher inanziert Japan auch keine Entwafnungsmaßnahmen in Afghanistan, insbesondere das Einsammeln schwerer Wafen, auch wenn es einem bisherigen Fokusbereich der japanischen EZ in Afghanistan direkt zuträglich wäre. Durch die Nutzung koordinierter Kooperation auf lokaler Ebene von zivilen, durch Japan inanzierten Maßnahmen und der NATO konnte Japan überdies eine direkte Finanzierung von NATO Operationen vermeiden (Miyahara 2009b: 127). Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 181 den USA unabhängigere Entwicklungspolitik und das Einlösen von EZ-Zusagen trotz der personell schwachen Aufstellung japanischer EZ Organisationen (Hu et al. 2011: 28). Die Charta wurde 2003 revidiert und im Nachhall der Verabschiedung der Millennium-Entwicklungsziele durch die UN im Jahr 2000 und die Ereignisse um den 11. September 2001 auf das neue übergeordnete Ziel ausgerichtet, Japans EZ für die Schafung von Frieden und Entwicklung in der Welt einzusetzen, um somit Japans Sicherheit und Wohlstand zu gewährleisten (MOFA 2003). Diese beiden Seiten einer Medaille – Sicherheit und Wohlstand – werden deutlich in den beiden Strategien widergespiegelt, die Einluss auf die Vergabe japanischer EZ an Afghanistan nehmen. Zum einen wird Afghanistan explizit in den strategischen Überlegungen zur Eindämmung des Terrorismus angesprochen (MOFA 2012a: 96), zum anderen bezüglich der wirtschatspolitischen Beziehungen Japans mit der Region Zentralasien (MOFA 2006; Yuasa 2007: 80–81). Auf diese beiden Dimensionen des japanischen EZ-Einsatzes in Afghanistan soll im Folgenden stärker eingegangen werden. Entwicklungspolitische Debatten hinsichtlich des internationalen EZ Einsatzes in Afghanistan überlappen unweigerlich mit internationalen, aber auch nationalen, Sicherheitsdiskursen (Kevenhörster 2006: 38). Besonders für Japan ist dies der Fall, da die japanische Regierung menschliche Sicherheit explizit als Säule der japanischen Außenpolitik benennt (MOFA 2012a: 12) und Entwicklungszusammenarbeit ausdrücklich in dieses Konzept eingliedert (in der 2003 revidierten ODACharta) (Atanassova-Cornelis 2005: 68). Das japanische Außenministerium sieht sich als internationaler Verfechter des Konzepts der menschlichen Sicherheit3 (ningen no anzen hoshō): [he] concept of integrating and enhancing people-centered eforts to protect people from a wide range of serious threats to human life, livelihood, and dignity, and to achieve the abundant potential of individuals (MOFA 2012a: 12). Damit begründet die japanische Regierung das Engagement in der EZ insbesondere in Krisenregionen und –Staaten gegenüber der japanischen Öfentlichkeit (Er 2006: 143). Seit 2003 werden die japanischen Interventionen in u.a. Afghanistan, 3. Unter japanischer Initiative wurde 1999 der United Nations Trust Fund for Human Security geschafen, zu dem Japan für die Stärkung des Konzepts der menschlichen Sicherheit bis 2011 insgesamt ca. 360 Mio. U.S.-Dollar eingezahlt hat (MOFA 2012a: 31). 182 Aussenpolitik Sri Lanka, Kambodscha und Osttimor4 im Rahmen dieses Konzepts verortet (Er 2006: 149). Als prominentes Konzept in japanischen Sicherheitsdiskursen entwickelte es sich aus dem Anfang der 1980er Jahren aufgekommenen Modell der umfassenden Sicherheit. Dieses weitete die Deinition von staatlicher Sicherheit über den Aspekt des militärischen hinaus aus und begann die politischen, sozialen und insbesondere wirtschatlichen Dimensionen von Sicherheit für Japan mit in Betracht zu ziehen (Atanassova-Cornelis 2005: 62). Menschliche Sicherheit weitet dieses Verständnis noch weiter aus, indem es den singulären Fokus von nationalstaatlicher Sicherheit auf die Sicherheit des einzelnen Individuums verschiebt (Hsiung 2004: 4). Nachdem der damalige Premierminister Keizō Obuchi in zwei Reden 1998 das Konzept der menschlichen Sicherheit als zentrales Anliegen der japanischen Außenpolitik formulierte, fand dieses Eingang in die diplomatischen Blaubücher der japanischen Regierung und wurde als Argumentationslinie von den beiden nachfolgenden Premierministern Mori und Koizumi aufgegrifen. Letzterer zog das Konzept der menschlichen Sicherheit insbesondere für die Begründung des japanischen Einsatzes gegen den internationalen Terrorismus heran. Koizumi nutzte diese Argumentationsstruktur um das bis heute umstrittene Gesetz zur Entsendung von Betankungsmissionen für vornehmlich U.S.-amerikanische Flugzeugträger im Indischen Ozean5 – für deren militärischen Einsatz in Afghanistan – zu rechtfertigen (Atanassova-Cornelis 2005: 66). Seine Begründung, dass sozioökonomische Faktoren, insbesondere Armut und Unsicherheit, der Nährboden für Terrorismus seien, wurde in die EZ-Weißbücher der japanischen Regierung übernommen und bildete bis 2011 explizit die Rechtfertigung für den EZ-Einsatz in Afghanistan (Atanassova-Cornelis 2005: 66; MOFA 2012e: 198). Die starke Betonung eines Eintretens für ein vermeintlich am Individuum ausgerichtetes Sicherheitskonzept steht allerdings auch im Verdacht, eine Ausrichtung der Außenpolitik, 4. Darunter Einsätze, die unter dem Act on Cooperation for United Nations Peacekeeping Operations and Other Operations (PKO-Gesetz; kokusai rengō heiwa iji katsudō-tō ni tai suru kyōryoku ni kan suru hōritsu) von 1992 durchgeführt wurden (Stengel 2008: 39). 5. Der Einsatz der japanischen maritimen Selbstverteidigungskräte für Tankaufüllungen U.S.amerikanischer Flugzeugträger im Indischen Ozean stand in direktem Zusammenhang mit der Stabilisierung der Sicherheitslage in Afghanistan. Der Einsatz dient in erster Linie der Prävention von Wafen- oder Drogenschmuggel (Miyahara 2009b: 119). Sie wurden im November 2001 zur Unterstützung der Koalition gegen den Terrorismus in Afghanistan und der angrenzenden Region entsandt. Das Gesetzt verlor im November 2007 Gültigkeit, wurde aber im Januar 2008 mit einer Parlamentsmehrheit leicht abgeändert erneuert (Replenishment Support Special Measures Law). Diese Einsätze wurden jedoch 2010 von der neuen DPJ Regierung eingestellt (Hu et al. 2011: 29). Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 183 die über rein nationalen und wirtschatlichen Interessen steht, zu signalisieren und somit eben jene Interessen zu verschleiern (Er 2006: 144). Die verschiedenen Interventionsebenen, die dem Konzept menschlicher Sicherheit inhärent sind, rechtfertigt die explizite Einbindung der Privatwirtschat, sowie regionaler und lokaler Politikeinheiten und der Zivilgesellschat in EZ-Prozesse. Diese Beteiligung nichtstaatlicher und subnationaler staatlicher Akteure wird unter dem Stichwort »full-cast diplomacy« (furukyasuto dipuromashii) von der japanischen Regierung eingefordert (MOFA 2012e: I). Dies mag einerseits dazu dienen, die öfentliche Kasse zu entlasten, andererseits ermöglicht es auch die Legitimierung einer bereits seit langem gehandhabten Praxis der japanischen EZ: Seit den 1970er Jahren stieg das Budget von JICA (Japanese International Cooperation Agency, Kokusai Kyōryoku Kikō) kontinuierlich an, während gleichzeitig nur ein minimaler personeller Ausbau erfolgte. Einzelne JICA-Mitarbeiter entschieden somit über einen größeren Finanzrahmen, während gleichzeitig zu wenig Kapazität für die Projektindung, sowie deren Vorbereitung und Evaluierung vorhanden war. Diese Tätigkeiten wurden daher häuig von der japanischen Privatwirtschat übernommen (Rohde 2003: 87), der Kritiker daher eine hohe Entscheidungsgewalt bei der Vergabepraxis von Entwicklungsgeldern zuschreiben (Furuoka und Oishi 2003: 891). 3. Japans rolle und Selbstverständnis im Wiederaubauprozess afghanistans Japans Stärke als Geber wird in der Rolle als politischer Mediator gesehen, ein politischer Akteur, der die verschiedenen am Wiederaubauprozess Afghanistans beteiligten Parteien, national wie international, zusammenbringen und das Finden von gemeinsam erarbeiteten und für alle zufriedenstellende Lösungen fördern kann (Dobrinskaya 13.09.2012; Furuoka und Oishi 2003: 893; Mie 2013).6 Mohammad Nagizadeh (2009: 88) sieht in der Mediatorenrolle gar das »versteckte Kapital« Japans. Japans Vorteil liege darin, dass es ein Vertrauensverhältnis mit den Staaten, welche es über EZ unterstützt, aubaue, was nicht zuletzt daran liege, dass otmals eine eigene politische Agenda hinter dem EZ-Engagement fehle (eine Einschätzung, die dieser Artikel hinsichtlich des Engagements in Afghanistan nicht teilt) (Nagizadeh 2009: 89). 6. Vali Nasr, der Senior Berater von U.S. Secretary of State Hillary Clinton für Strategien im Mittleren Osten, Afghanistan und Pakistan von 2009 bis 2011, sieht Japan in der Rolle des Moderators, der in der Lage ist, Geberstaaten und politische Akteure Afghanistans und der Region zusammenzubringen, um zu einem Friedensbeschluss zu kommen (Mie 2013). 184 Aussenpolitik Die japanische Regierung nimmt dieser Einschätzung entsprechend eine prominente Rolle als Moderatorin im Wiederaubauprozess Afghanistans ein. Dies zeigt sich durch die Ausrichtung diverser Gipfeltrefen, mit welchen Japan seine Sichtbarkeit im international abgestimmten Prozess sicherstellte (Dobrinskaya 13.09.2012). Seit dem Sturz der Taliban 2001 hat die japanische Regierung zu sechs internationalen Konferenzen hinsichtlich der Entwicklung Afghanistans in Tōkyō eingeladen. Im Januar 2002 fand die Tōkyō Konferenz für den Wiederaubau Afghanistans statt, im Februar 2003 eine Konferenz zu Entwafnung, Demobilisierung und Reintegration, Juli 2006 und Juli 2007 jeweils Konferenzen zur Aulösung illegaler bewafneter Gruppierungen und im Februar 2008 das Joint Coordination and Monitoring Board, ein Zusammentrefen der afghanischen Regierung mit den Geberländern für die Evaluierung des bisherigen Wiederaubauprozesses (MOFA 2012b: 14). Die letzte Konferenz fand im Juli 2012 statt und markierte einen entscheidenden Punkt im Hinblick auf die Bewertung der bisherigen Wiederaubaubemühungen. Die internationale Gebergemeinschat diskutierte die Pläne der Übergabe des Kommandos an afghanische Streitkräte und Polizei und erneuerte Zusagen zur zuküntigen Zusammenarbeit. Damit markierte die Tōkyō Konferenz 2012 einen Wendepunkt der Wiederaubaukonferenzen vor dem Übergang in eine neue Entwicklungsdekade 2015–2024, in welcher die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (International Security Assistance Forces, hiernach: ISAF) nicht mehr die Sicherheitsverantwortung für das Land innehat, sondern diese an die afghanischen Streitkräte übergeben haben wird (MOFA 2013a: 112). Auch für die japanische Regierung ist die 2012er Konferenz ein Wendepunkt. Im EZ Weißbuch 2012 wird die Zielsetzung für EZ in Afghanistan neu deiniert. Mit Blick auf die anstehenden Veränderungen in Afghanistan werden drei neue Säulen der Zusammenarbeit beschrieben (MOFA 2013: 112): 1) strategisches Wachstum und Entwicklung, 2) Landwirtschat und ländliche Entwicklung, 3) Instandsetzung und –haltung der Infrastruktur. Im direkten Vergleich mit der Zielsetzung im Vorjahr zeigt sich eine deutliche Veränderung in der Prioritätensetzung. Im EZ Weißbuch 2011 wurden noch folgende drei Hauptanliegen formuliert (MOFA 2012a: 2): 1) Aubau afghanischer Kapazitäten zur Gewährleistung von Sicherheit, 2) Re-Integration von ehemaligen Taliban-Kämpfern und Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 185 3) Unterstützung für nachhaltige und selbstgetragene Entwicklung (was wiederum u.a. Bauprojekte, Capacity Building Maßnahmen und Projekte in den Bereichen Gesundheit und Bildung umfasst). Erklärtes übergeordnetes Ziel war die Unterstützung afghanischer Eigenständigkeit und die Verhinderung einer Rückentwicklung Afghanistans zu einem Nährboden für internationalen Terrorismus. Der Fokus verschiebt sich zwischen den beiden Weißbüchern weg von einem Schwerpunkt auf Sicherheit 2011 hin zu wirtschatlichen Förderbereichen in 2012. Japan bekrätigte allerdings auch seine fortdauernde Unterstützung bis über das Jahr 2017 hinaus und kündigte zusätzliche 3 Mrd. U.S.-Dollar ab 20127 für die neuen Schwerpunktbereiche an. Auch für die zentralasiatischen Nachbarstaaten Afghanistans wurde umfassende EZ zugesagt (MOFA 2013b: 4). Die japanische Regierung sieht sich weiterhin in Afghanistan und der gesamten Region aktiv. Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, in welchem Umfang die Argumentationslinie der Terrorismusbekämpfung bis 2012 zum Einsatz kam und inwiefern sie weiterhin eine Rolle in der Formulierung der japanischen Entwicklungspolitik für Afghanistan spielt. Anschließend daran wird das Zusammenspiel der Identiizierung der neu gesetzten Schwerpunktbereiche mit den energiepolitischen Interessen an der Region Zentralasien näher untersucht. 4. Japans anti-terror-Strategie und ez zur eindämmung des terrorismus in afghanistan Die japanische Regierung bemüht sich mit ihrem EZ Engagement in Afghanistan um die Eindämmung terroristischer Aktivitäten. Drei außenpolitische Initiativen belegen dies deutlich: Zum einen hat Japan 2006 einen Topf für Zuschüsse zur Kooperation in AntiTerror Maßnahmen und Sicherheitsförderung (Grant Aid for Cooperation on Counterterrorism and Security Enhancement; tero taisakutō jian mushō) geschafen. Es nutzt diesen seither für die Unterstützung von Entwicklungsländern in ihren Maßnahmen gegen Terrorismus, da diese otmals nicht die ausreichenden Kapazitäten zu dessen Bekämpfung haben. 7. Vermutlich wird hier eine Verrechnung mit den 2009 zugesagten 5 Mrd. U.S.-Dollar bis 2014 stattinden. 186 Aussenpolitik 2011 beteiligte sich Japan zudem mit 1,75 Mio. U.S.-Dollar an der UNODC (United Nations Oice on Drugs and Crime) Terrorismuspräventions-Zweigstelle für AntiTerror Maßnahmen in Afghanistan und angrenzenden Ländern (MOFA 2012a: 92). Zuletzt sind in diesem Zusammenhang die Schwerpunktbereiche der japanischen EZ in Afghanistan bis 2012 zu sehen, insbesondere die ersten beiden Fokusbereiche, also die Stabilisierung und Förderung der Sicherheit durch Ausbau der Kapazitäten der afghanischen Polizei8 und die Reintegration ehemaliger Taliban-Kämpfer in zivilgesellschatliche Strukturen.9 Diese Maßnahmen dienen der Festigung funktionierender Sicherheitsstrukturen und –institutionen, damit ein von Afghanistan geführtes Vorgehen gegen terroristische Aktivitäten und Gruppierungen realisiert werden kann. Als vierte von fünf Prioritäten der Entwicklungszusammenarbeit für das Haushaltsjahr 2010 identiizierte Japan die Unterstützung Pakistans und Afghanistans bei der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten (MOFA 2012a: 56). Damit unterstrich Japan die Bedeutung Afghanistans in den EZ Planungen und stellte EZ-Aktivitäten in den direkten Zusammenhang mit der Strategie der Terrorismusbekämpfung. Das japanische Außenministerium formuliert die EZ-Maßnahmen als zielführend 8. Japan unterstützt den Kapazitätsaubau der afghanischen Polizei durch die Zahlung von Polizistengehältern im Umfang von etwa 200 Mio. U.S.-Dollar pro Jahr (Hu et al. 2011: 29). In Kooperation mit der UNESCO (United Nations Educational, Scientiic and Cultural Organization) entwickelt Japan Lehrmaterialien und Richtlinien für den Polizeidienst und inanziert thematisch abgestimmte Alphabetisierungsprogramme (die Alphabetisierungsrate unter afghanischen Polizisten beträgt ca. 30 %) (House of Lords 2011: 17). Japan inanziert darüber hinaus Baumaßnahmen für das afghanische Innenministerium, für die Grenzpolizei an den Grenzen zu Pakistan, Iran und Tadschikistan, sowie für Gerichte in diversen Provinzen. Zudem werden Trainingsmaßnahmen für juristisches Personal inanziert (MOFA 2012b: 3). Japan hat es weitestgehend vermieden, die öfentliche EZ auf den Sicherheitsaubau über das Militär auszuweiten, mit der Ausnahme von der inanziellen Unterstützung für Munitionsverwaltung der afghanischen Sicherheitsstreitkräte 2008 (Miyahara 2009b: 120). 9. Als federführende Nation in Kooperation mit UNAMA (UN Assistance Mission in Afghanistan) und UNDP (UN Development Program) war Japan eine der Hauptantriebskräte hinter der Implementierung des Afghanistan’s New Beginning Programme (ANBP, Afuganisutan shinsei keikaku) für die Planung und Durchführung von DDR-Maßnahmen (Disarmament, busō kaijō – Entwafnung; Demobilization, dōin kaijō – Demobilisierung; Reintegration – shakai fukki; Wakai 2008: 40; Seya et al. 2006: 3). Japan inanziert Ausbildungsmaßnahmen und Programme zur Schafung von Arbeitsplätzen für die Reintegration von ehemaligen Taliban-Kämpfern u.a. in den Bereichen Trinkwasserversorgung, Straßenbau, Bewässerungssysteme und Bildung auf Distriktebene, welche durch JICA implementiert werden (MOFA 2012b: 2, 4). Japan setzte sich für Quoten in Projekten ein, die durch Japan inanziert und auf lokaler Ebene implementiert werden. Diese sollen eine gewisse Prozentzahl der Projektstellen für ehemalige Taliban-Kämpfer reservieren (Miyahara 2009b: 122). Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 187 für ein Hauptanliegen (MOFA 2013a: 110): »Afghanistan soll nicht erneut Nährboden für Terrorismus werden« (Afuganisutan o futatabi tero no onshō to shinai tame). Das Weißbuch Entwicklungszusammenarbeit des japanischen Außenministeriums von 2011 identiiziert Terrorismus als direkten Einlussfaktor auf den Wohlstand und die Existenz Japans als Nation (MOFA 2012a: 93). Die instabile Sicherheitslage in Afghanistan und Pakistan wird von Japan als Bedrohung für die gesamte Welt deiniert. Dabei wird deutlich benannt, dass beide Länder sich gegenseitig beeinlussen und wechselseitig zu ihrer Instabilität beitragen. Daher stehen diese beiden Staaten im Fokus der im November 2009 vom MOFA veröfentlichten Neuen Sicherheitsstrategie zur Bekämpfung der Bedrohung durch Terrorismus (New Strategy to Counter the hreat of Terrorism, tero no kyōi ni taishō suru tame no shin senryaku) (MOFA 2012c: 267). Diese Anti-Terror Strategie ist jedoch kein ausgereites Dokument, welches das EZ Engagement gegenüber identiizierten Krisenstaaten in den breiteren Rahmen des internationalen Engagements Japans und konkreten Gefahren für den japanischen Staat einbettet. Das auf der Website des MOFA verfügbare Dokument identiiziert lediglich Afghanistan und Pakistan als wichtigste strategische Punkte im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Für Afghanistan werden zusätzliche 5 Mrd. U.S.-Dollar für fünf Jahre zugesagt und die drei oben beschriebenen Hauptbereiche der japanischen EZ-Intervention bestärkt. Als Begründung für das japanische Engagement verweist die Regierung auf die Bereitschat moderater Taliban-Gruppierungen zu Verhandlungen mit der afghanischen Regierung. Ein ziviles Engagement für die Verbesserung der Lebenssituation der afghanischen Bevölkerung trage zu besseren Verhandlungsrahmenbedingungen bei. In Kombination mit afghanischer Verantwortungsübernahme für die Implementierung von Wiederaubauprozessen werden diese Rahmenbedingungen als wichtige Faktoren für die Friedensbildung und damit als besonders förderungswürdig eingestut (MOFA 2009: 1–2). Die von der japanischen Regierung so bezeichnete Anti-Terror Strategie folgt der Logik eines umfassenden Sicherheitsdenkens, lässt sich aber ohne weiteres auch als andere Darstellungsform des EZ-Engagements verstehen. Mit dem Dokument werden gleichzeitig zwei Ziele bedient: Zum einen stellt es eine Argumentationshilfe für die EZ-Aktivitäten und deren Legitimation in Afghanistan dar, zum anderen wird mit der Betonung des Anti-Terror- und damit des Sicherheitsaspekts eine Einreihung in internationale Sicherheitsdiskurse unternommen und zu verstehen gegeben, dass auch Japan seinen Beitrag leistet. Mit der Strategie wird signalisiert, dass Japan weiterhin der NATO-Linie folgt und durch die Intervention in Afghanistan versucht, Frieden und Sicherheit in der Welt herzustellen. Dieses 188 Aussenpolitik Argumentationsmuster greit das U.S.-amerikanische auf und dient gleichzeitig auch dazu, den japanischen Beitrag zu unterstreichen, ohne ein anderes Feld der Unterstützung anzusprechen: die militärische Seite des NATO-Einsatzes und der internationalen Bemühungen gegen ein Erstarken des islamistischen Terrorismus in Afghanistan. 4.1 Problemfeld terrorismusbekämpfung: Sicherheit und Militär Terrorismus ist unweigerlich eine Sicherheitsfrage und führt vor allem im Falle Afghanistans zu einer engen Verbindung von entwicklungs- mit sicherheitspolitischen Überlegungen. Im Vergleich mit anderen Geberstaaten zeigt sich hier für Japan eine deutliche Diskrepanz zwischen der Ambition, international gegen Terrorismus vorzugehen und der limitierten Einsatzmöglichkeit japanischen Militärs in Afghanistan. Während hier andere Nationen über die ISAF-Truppen einen wesentlichen Teil ihres Beitrags leisten, bleibt die japanische Unterstützung auf zivile Kooperation beschränkt. Die japanische Regierung hat den Versuch unternommen, dies zu kompensieren und über zivile Sicherheitsakteure wie die Polizei Strukturen zu stärken. Dieses Engagement, sowie die Betonung des Anti-Terror Aspekts des EZ-Einsatzes, werfen die Frage auf, inwiefern hiermit die Strategie verfolgt wird, vorbeugend auf den potentiellen Vorwurf der »Scheckbuchdiplomatie« zu reagieren. Diese seit dem ersten Golkrieg vehement gegenüber der japanischen Außenpolitik formulierte Kritik, lediglich inanziell Verantwortung zu übernehmen, indet ihren Widerhall in den wiederholten Auforderungen der U.S.-amerikanischen Regierung, Japan solle sich stärker auch militärisch in die Stabilisierung der Sicherheitslage in Afghanistan miteinbringen (Tanter 2008).10 Japan wurde gebeten eine Helikopterstafel für logistische Unterstützung der ISAF bereitzustellen und weitere 20 Mrd. U.S.-Dollar für Sicherheitsmaßnahmen zuzusagen (Miyahara 2009b: 119). Im Januar 2008 schien die japanische Regierung unter Yasuo Fukuda ernsthat eine Entsendung militärischen Personals nach Afghanistan auf Basis des PKO Gesetzes von 1992 zu erwägen (Kawato 2011: 26), was jedoch aus mangelndem Rückhalt in Bevölkerung und beim Koalitionspartner New Komeito sowie aufgrund von Protest von Organisationen der EZ nicht verwirklicht wurde (Penn 2008; Tanter 2008).11 10. »We want contributions in other forms, not just refuelling« (homas Shiefer, U.S.-Botschater in Japan, zitiert nach Tanter 2008). 11. Zwei Optionen wurden diskutiert: Boden- und Luttruppen der Selbstverteidigungskräte nach Afghanistan zu entsenden, oder, als klar wurde, dass diese Option zu unrealistisch war, Zerstörer Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 189 Eine Strategie von Befürwortern innerhalb der USA und der LDP-geführten japanischen Regierung für ein stärkeres militärisches Engagement Japans ist die stärkere Einbindung Japans in eine Partnerschat mit der NATO. Politikdialoge auf höchster Ebene unter den Premiers Shinzō Abe und Yasuo Fukuda 2007 und 2008 führten zur Entsendung eines Liaison Oicers für die Bewertung potentieller Projekte an das Büro des NATO Senior Civilian Representative in Kabul und zu der Übereinkunt für zivile Kooperation mit den NATO/ISAF Provincial Reconstruction Teams (PRTs, chi’iki fukkō chīmu;12 Tanter 2008). Die Kooperation mit den PRTs hat es Japan seit 2007 erlaubt, das zivile Engagement dorthin auszuweiten, wo japanisches EZ-Personal keinen direkten Zugang hat.13 Diese Projekte, von Japan inanziert, deckten Bereiche von humanitärer Hilfe, über Grundbildung, Berufsbildung, Basisgesundheitsversorgung und Hygiene, sowie Brunnenbauten ab (MOFA 2012b: 2). In Kooperation mit insgesamt 16 PRTs wurden so 143 Graswurzel-Pround Lutauklärer in den Indischen Ozean zu schicken, um die Ölrouten japanischer Tanker vor Piraterie zu schützen. Am 1. Juni 2008 erklärte Premierminister Yasuo Fukuda der Presse, dass die japanische Regierung erwäge, Bodentruppen nach Afghanistan zu entsenden (zitiert nach Tanter 2008): »If conditions on the (Afghan) ground allow, Japan can ofer its cooperation in activities on the ground«. Beamte der Außen- und Verteidigungsministerien, gemeinsam mit Oizieren der Selbstverteidigungskräte, wurden nach Afghanistan entsandt, um mit der ISAF eine mögliche Mission Japans zu planen. Einen Monat später meldete die LDP jedoch, dass aufgrund fehlenden Rückhalts für die Pläne in der Bevölkerung und beim Koalitionspartner New Komeito diese auf Eis gelegt seien (Tanter 2008). 12. Im Jahre 2010 gab es ein Maximum von 27 Teams in verschiedenen afghanischen Provinzen, jeweils von einem ISAF Mitgliedsstaat geleitet. Diese sind zusammengesetzt aus Militäroizieren, diplomatischen Vertretern und Experten für technische Zusammenarbeit und Wiederaubau zur Herstellung von Sicherheit und Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen mit dem Ziel die Legitimität der Zentralregierung auch in den Provinzen zu stärken und den Einluss der Taliban zurückzudrängen. An dem Format wurde vor allem von NGOs und zivilen Wiederaubauexperten Kritik geübt, da die enge Verbindung zum Militär einen schlechten Eindruck bei der Bevölkerung hinterlasse, zudem dadurch zivile Organisationen und Individuen in der Zusammenarbeit eher zu Zielen von Anschlägen werden (Imamura 2007: 47–49). 13. Trotz der inanziellen Stärke der japanischen EZ in Afghanistan ist sie personell nur relativ gering vertreten. Im April 2012 waren ca. 30 Botschatsmitarbeiter und 60 Angestellte von JICA in Afghanistan tätig. Zusätzlich reisen immer wieder Kurzzeitexperten (Fachleute, die mit einem befristeten Gutachter-Vertrag spezielle Beratungs- und Trainingsleistungen erbringen) ins Land (2010 insgesamt 269) (MOFA 2012b: 18). Außerdem befanden sich nochmals etwa 30–50 japanische Mitarbeiter von diversen Nichtregierungsorganisationen (NRO) im Land (Hu et al. 2011: 29). Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde die Zahl der Botschats- und JICA-Mitarbeiter im Juli 2013 drastisch auf lediglich 7 verbleibende Mitarbeiter reduziert (persönliche Kommunikation). Ein japanischer EZ Mitarbeiter wurde 2008 entführt und ermordet (Hu et al. 2011: 29), was zur Folge hatte, dass JICA und japanische NRO ihre Programme und Personalstrategien überdachten. Der Vorfall sorgte dafür, dass JICA Mitarbeiter nicht mehr in ländlichen Gebieten arbeiten durten und sich der Radius der personellen Unterstützung auf die großen Städte im Zentrum und Norden Afghanistans eingrenzte (Miyahara 2009: 9). 190 Aussenpolitik jekte für den direkten Nutzen der lokalen Bevölkerung initiiert. Seit Mai 2009 sind Repräsentanten des japanischen Außenministeriums mit an das von Litauen geführte PRT in der Provinz Chaghcharan als Zivilvertreter entsandt (MOFA 2012b: 12, 2013b: 15). Japan wurde immer wieder aufgefordert, Entwicklungsexperten an die verschiedenen PRTs zu senden, entschied sich aber stattdessen für eine enge Koordinierung der bilateralen Projekte mit den ansässigen PRTs auf lokaler Ebene (Miyahara 2009b: 126). Neben einer höheren Sichtbarkeit des japanischen Staates in Wiederaubaumaßnahmen hat dies für Japan den Vorteil, weniger eng mit militärischen Operationen in Zusammenhang zu stehen und so deutlich die selbstgesetzte Grenze zum Militär in der EZ zu wahren. Japan unternimmt ernsthat Bemühungen, mit nichtmilitärischen Mitteln Terrorismus einzudämmen. Die Frage nach der intrinsischen außenpolitischen Motivation bleibt jedoch bestehen, da diese Bemühungen sich aus den Folgen des 11. September 2001 entwickelt haben und auch im Laufe der Folgejahre der Ausbau von Anti-Terror-Aktivitäten und Überlegungen zu militärischer Beteiligung otmals auf Druck der USA erfolgten, oder als explizite Solidaritätsbekundung mit den USA und deren Initiativen verstanden werden können. Das argumentative Betonen der Anti-Terror-Aspekte japanischer EZ diente dem doppelten Efekt, auf der einen Seite Bedenken anderer Regierungen, Japan bediene sich erneut nur der Scheckbuchdiplomatie, um internationale politische Verantwortung zu schultern, zu zerstreuen. Dirk Nabers (2005: 3) bemerkt, dass es Japans Politik sei, »sich als »zivile Macht des Friedens« in globalen Krisengebieten zu engagieren, ohne dort militärisch aktiv zu sein,« da nur so »langfristig eine Mitgliedschat im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen denkbar« sei, ein lange verfolgtes außenpolitisches Ziel der japanischen Regierung. Zum anderen ermöglichte es die Betonung der AntiTerror-Aspekte der japanischen Regierung das umfangreiche inanzielle Engagement in Afghanistan innenpolitisch zu rechtfertigen, indem die Anbindung an den Diskurs um menschliche Sicherheit verfolgt wurde. Damit bewegt sich das Argument jedoch auf einer relativ oberlächlichen globalen Dimension. Konkret geht von Afghanistan auch hinsichtlich terroristischer Aktivitäten keine belegbar gesteigerte Gefahr für den japanischen Staat aus, während das Argument, internationalen Terrorismus zum Schutz der japanischen Bevölkerung durch EZ-Engagement einzudämmen auch für andere Staaten herangezogen werden kann (was im Falle Pakistans in der Anti-Terror-Strategie auch geschieht). Dies wirt wiederum die Frage auf, was der eigentliche Beweggrund hinter dem umfangreichen Engagement ist. Ist es ein erneutes außenpolitisches Einlenken in den Kurs des wichtigsten Bündnispartners, den USA, eine Übernahme von Verantwortung innerhalb der NATO Verplichtungen, einhergehend mit dem Wahren des Status als eine der größten Ge- Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 191 bernationen – oder sind es doch speziisch japanische Interessen an einem stabilen Afghanistan? Und wenn das Interesse an einem stabilen Afghanistan nicht aus einer militärischen Sicherheitslogik plausibel scheint, welche andere Motivation könnte dann dahinter stehen? Diese Fragen richten den Blick auf Japans Beziehungen zu den afghanischen Nachbarn und japanische Interessen an Energielieferungen aus den zentralasiatischen Staaten. 5. Japans zentralasien-Strategie 2004 riefen die zentralasiatischen Staaten14 gemeinsam mit Japan die Central Asia Plus Japan Initiative (CAPJ, Chuō Ajia purasu Nihon taiwa) ins Leben. Als eine Säule der Zusammenarbeit in dieser Initiative wird die Stabilisierung eines friedlichen Afghanistans – und damit Stabilisierung der Region – benannt (MOFA 2012d). In multilateralen Verhandlungen, zuletzt auf dem vierten Trefen auf Ministerebene im November 2012 mit einer Zusage über 700 Millionen U.S.-Dollar für die kommenden Jahre, bekrätigte Japan seine Unterstützung für die Förderung der regionalen Entwicklung. Die inanzielle Zusage konzentriert sich auf fünf Schwerpunktbereiche: Neben der Förderung von Handel und Investitionsklima in den zentralasiatischen Staaten auch die Zusammenarbeit in den Feldern Umweltschutz, Energieeizienz und Nutzung alternativer Energiequellen. Zudem taucht in diesem Kooperationsforum ebenfalls das Konzept der menschlichen Sicherheit auf und hierbei wird insbesondere auf die Notwendigkeit der Stabilisierung Afghanistans und der Grenzregionen in den zentralasiatischen Staaten angesprochen, über welche auch der NATO Truppenabzug abgewickelt werden wird. Der fünte Bereich konzentriert sich auf Katastrophenschutz und –vorsorge. Dieses Hilfspaket verfolgt also als primäre Ziele eine Stärkung der wirtschatlichen Beziehungen der Region mit Japan und die Stabilisierung Afghanistans, auch über intraregionale wirtschatliche Kooperation, um nichtmilitärisch im Sinne der Idee der menschlichen Sicherheit zur Friedensbildung beizutragen (Dobrinskaya 25.11.2012). Teil dieser Zielformulierung ist die Absicht, die zentralasiatische Region mit Afghanistan infrastrukturell zu verbinden und so Verkehrsrouten für einen besseren Zugang zum Indischen Ozean zu schafen. Neben dem Straßenausbau sollen diese Maßnahmen den Bau von Pipelines umfassen, was sich für Japan mit dem Wiederaubau der Transportwege in Afghanistan über EZ Maßnahmen potentiell verbinden lässt (Kazakh Foreign Ministry 2012). Der damalige Außenminister Tarō 14. Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Tadschikistan und inzwischen auch Turkmenistan (MOFA 2013c). 192 Aussenpolitik Asō stellte 2006 das Konzept Chūō Ajiao »heiwa to antei no kairō« ni (Zentralasien als Korridor des Friedens und der Stabilität) vor (MOFA 2006b), welches zusätzlich zu den zentralasiatischen Staaten auch Afghanistan und Pakistan miteinbezog. Die Festigung eines solchen Regionalverständnisses sollte über ein Infrastrukturnetzwerk erfolgen, durch eine so genannte Transport-Südroute inklusive Pipeline, welche Turkmenistan, Afghanistan und Pakistan miteinander verbinden würde (Asō 2009a) – ähnlich dem U.S.-amerikanischen Konzept eines »Greater Central Asia«. 2009 wurde dieses Konzept umbenannt in Yūrashia kursosurōdo kōsō (Eurasian crossroads) und bezog nun neben Transportrouten von Zentralasien über Afghanistan zum Arabischen Meer auch eine Erweiterung in Richtung Westen über die Kaukasusstaaten nach Europa mit ein (Asō 2009b). Unter der DPJ intensivierte sich der Dialog mit Zentralasien insbesondere im Hinblick auf die 2009 veröfentlichte Anti-Terror-Strategie, deren Ziele auf dem dritten Trefen auf Ministerebene 2010 bekrätigt wurden. Japan sagte Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel vor allem über die Grenze von Afghanistan zu Tadschikistan und Infrastrukturprojekte, welche die Rehabilitierung von Transportrouten mit Anbindung an Afghanistan einschlossen, zu. Beim ersten multilateralen Wirtschatsforum für Zentralasien in Tōkyō im Juli 2011 betonte Japan auch die Bedeutung der wirtschatlichen Entwicklung Zentralasiens als Region für den Wiederaubau und die Entwicklung Afghanistans (Dobrinskaya 25.11.2012). Im Hintergrund existierende politische Interessen an der Zusammenarbeit mit Zentralasien umfassen potentiell die japanische Hofnung, Verbündete für die eigenen Territorialansprüche gegenüber den Regionalmächten China und Russland zu schafen, aber eventuell auch langfristig die Schafung eines politischen Forums unter Einbezug der USA, um den Einluss der beiden Regionalmächte auszubalancieren (Hu et al. 2011: 25, 30). Die konzeptionellen Ähnlichkeiten der intensivierten Bemühungen der USA um die Region deuten an, dass Japan auch hier bis zu einem gewissen Grad außenpolitisch seinem wichtigsten Bündnispartner folgt (Dobrinskaya 25.11.2012). Eine weitere politische Motivation könnte die Suche nach Unterstützung für Japans Bestrebungen um einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sein. Diese wurde von den vier direkt in der CAPJ Initiative beteiligten Staaten zugesagt (Kevenhörster 2006: 49; Masaki 2006). Aber in all diesen Zusammenhängen spielt Afghanistan keine unmittelbare Rolle in japanischen Erwägungen. Japans Interesse an der Region konzentriert sich stark auf die Lieferung von Rohstofen, insbesondere Energie, was in der Fokussierung auf Pipeline-, Energieförderungs- und Energiesparprojekte zum Umweltschutz seinen Ausdruck indet. Afghanistan hat an diesen Lieferungen und energiepolitischen Überlegungen kei- Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 193 nen Anteil – bzw. taucht in den Diskussionen auf, da es als Streckenabschnitt als Unsicherheitsfaktor Einluss auf die Transport- und Lieferwege hat. Mohammad Nagizadeh (2009: 85) benutzt für das Interesse Japans an Afghanistan das Schlagwort »Pipelineistan«. Zwar wird in dem Forum für die Sicherheit der Region argumentiert, doch der starke wirtschatliche Schwerpunkt der Zusammenarbeit impliziert ein Hauptaugenmerk auf die Sicherheit der Wirtschatsbeziehungen und Lieferwege. In diesem Zusammenhang wurde Afghanistan auch als Beobachter zu den Gesprächsforen der CAPJ Initiative eingeladen (Masaki 2006). 5.1 Japans interesse an zentralasiatischer energie Bereits zu Beginn der japanischen EZ zwischen 1953 und 1961 im Zusammenhang mit den Reparationszahlungen, die Japan zu leisten hatte, zeigte sich die Bestrebung, diese politische Verbindung wirtschatlich zu nutzen, indem die Reparationen v.a. als Aubauhilfe für die japanische Exportindustrie genutzt wurden. In den 60er Jahren wurde in diesen Verbindungen dann die Möglichkeit zur Sicherung von Rohstofquellen für das exportgestützte Wachstum der japanischen Wirtschat erkannt (Rohde 2003: 57). Bis Anfang der 1990er Jahre war diese Haltung auch massiver Kritik u.a. des OECD-DAC und von Nichtregierungsorganisationen ausgesetzt, die eine hauptsächliche Verwendung der EZ für Außenwirtschatsinteressen verurteilten. Die 1992 verabschiedete EZ Charta kann als Bemühung gewertet werden, auf diese Kritik zu reagieren, indem der Versuch unternommen wurde, einen Schwerpunkt auf gute Regierungsführung der Empfängerstaaten zu legen und sich so vermeintlich westlichen Vergabepraxen anzunähern (Rohde 2003: 11). Aber auch im Weißbuch zur öfentlichen Entwicklungszusammenarbeit 2011 legt Japan sein Bestreben dar, EZ für die Schafung von Wirtschatskorridoren einzusetzen und das wirtschatliche Wachstum von Entwicklungsländern zu stimulieren und den internationalen Handel zu fördern (MOFA 2012a: 43). Im JICA Jahresbericht 2011 wird explizit auch auf den Zusammenhang zwischen EZ und Energielieferungen eingegangen. Der Export natürlicher Ressourcen wird als wichtige Einnahmequelle für Entwicklungsländer identiiziert, jedoch wird auch darauf hingewiesen, dass dies otmals immense Investitionen in die Infrastruktur zur Extraktion, Verarbeitung und zum Transport dieser Ressourcen erfordert. Es wird betont, dass japanische EZ eben jene Strukturförderung leiste und angemerkt, dass Japan somit Unterstützung bereitstelle, die gleichzeitig für die Rohstof- und Energiesicherung Japans dienlich sei (JICA 2012: 10). 194 Aussenpolitik Japan benennt wenig überraschend den Mittleren Osten (Afghanistan wird innerhalb JICA dieser Region zugeordnet) als besonders wichtig im Hinblick auf die Energiesicherheit Japans (MOFA 2012a: 11). Japan bezieht etwa 90 Prozent seiner Rohölimporte aus dem Mittleren Osten, weswegen Frieden und Sicherheit auf den Transportwegen in der Region eine zentrale Bedeutung zugesprochen werden. Das Schafen eines friedlichen Afghanistans soll diese Sicherheit erhöhen (MOFA 2012a: 120). Zentralasien und der Kaukasus sind für Japan strategisch besonders interessant, da sich hier Energie und Rohstofe (Öl, Gas, Uran, seltene Metalle) in großen Mengen inden. Vor der Küste von Kasachstan und Aserbaidschan beinden sich einige der größten Ölfelder weltweit, an deren Erschließung und Förderung auch japanische Firmen beteiligt sind. Die Stabilität in dieser Region hat auf ganz Eurasien inklusive Japan Auswirkungen in Sachen Energiesicherheit. Daher bemüht sich Japan, dort die Stabilisierung der politischen Systeme zu unterstützen und für nachhaltige Entwicklungsimpulse zu sorgen. Afghanistan und Pakistan rücken dabei als Unsicherheitsherde mit in die strategischen Überlegungen. Die Förderung von Entwicklung mit Fokus auf Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie und Markwirtschat in der Region soll für die Stabilität sorgen, die für eine verlässliche Energieversorgung und einen berechenbaren Energiemarkt erforderlich sind (MOFA 2012a: 113). Neben der zentralen Stellung als Unsicherheitsfaktor hat Afghanistan in japanischen strategischen Überlegungen auch eine besondere Rolle hinsichtlich der Transportwege für Energielieferungen aus der Region Zentralasien. Für Japan ist ein Transport über Afghanistan und Pakistan daher relevant, da dies den einzigen Weg aus den Binnenstaaten Zentralasiens darstellt, der nicht über China oder Russland führt. Beides sind starke Regionalmächte mit denen sich Japan durchaus in einem außenpolitischen Rivalitätsverhältnis über eine Vormachtstellung im asiatischen Großraum sieht. Darüber hinaus hat Japan mit beiden Staaten noch immer andauernde Territorialdispute. Im Falle Chinas kommt noch hinzu, dass der steigende Energieverbrauch Chinas zu einem direkten Interessenskonlikt mit Japan führt, welches hier seine Strategie zur Diversiizierung der Energielieferanten bedroht sieht. China hat erst kürzlich als großes regionales Projekt eine Pipeline aus Turkmenistan nach China inanziert und umgesetzt (Bhadrakumar 2009). Die Hofnung Japans, mit Hilfe der zentralasiatischen Staaten den politischen Einluss Chinas innerhalb Asiens auszubalancieren, wird sich voraussichtlich nicht erfüllen, da Zentralasien die Zusammenarbeit mit und Investitionsbereitschat von China sucht. China ist zudem einer der wenigen Staaten, die größere wirtschatliche Investitionen in Afghanistan leisten Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 195 (so z.B. der Erwerb der Schürfrechte für die Kupfervorräte in Aynak für 3,5 Mrd. U.S.-Dollar) (Cobban 2008). 5.2 Wirtschatliches interesse an afghanistan? Aufgrund der politischen Instabilität, der weitverbreiteten Korruption und mangelnder Sicherheit gibt es in Afghanistan kaum Investitionsanreize für den japanischen Privatsektor. Bis 2011 hat noch keine einzige japanische Firma in Afghanistan investiert, während in Pakistan bereits 50 Firmen Investitionen getätigt hatten (Hu et al. 2011: 28). Der Anreiz für japanische Investoren liegt viel mehr in der Großregion Zentralasien und deren Rolle als Energielieferant. Investitionen in afghanische Infrastruktur stehen in engem Zusammenhang mit der strategischen Herangehensweise Japans an die gesamte Region. Der Ausbau der Ringstraße in Afghanistan, welche die großen Städte miteinander verbindet, der Bau der Brücke zwischen Tadschikistan und Afghanistan und die Eisenbahnanbindung Afghanistans an Usbekistan sorgen für neue Transportwege, die für Energieexporte aus Zentralasien genutzt werden können (Hu et al. 2011: 28). Japans Zusagen an Afghanistan im Zuge der Geberkonferenz in Tōkyō 2012 weisen deutlich auf Japans wirtschatliches Interesse an Zentralasien und Afghanistan als erweiterter Transportweg und Sicherheitsgarant hin. So wurden zusammen mit weiteren 3 Mrd. U.S.-Dollar für die Aufrechterhaltung der öfentlichen Sicherheit und für den wirtschatlichen Aubau an die afghanische Regierung auch 10 Mrd. U.S.-Dollar als Wirtschats- und Handelsförderung für die umliegenden Nachbarstaaten in Zentralasien und Pakistan angekündigt (MOFA 2013: 112). Die von der japanischen Regierung unterstützten Projekte zur Eindämmung von Terrorismus und zur sicherheitspolitischen Stabilisierung Afghanistans sind durchaus zentrale Anliegen in der strategischen EZ-Ausrichtung. Mit Blick auf den Abzug der internationalen Truppen und die Zeit nach 2014 scheint die Antwort auf die Frage nach einer potentiellen strategischen Umorientierung jedoch in den wirtschatlichen Interessen Japans an der Region Zentralasien zu inden sein. Die Neuformulierung der Fokusbereiche in der EZ mit Afghanistan und die Zusage an die Nachbarstaaten betonen den Aubau von Wirtschat und Infrastruktur in Afghanistan und der gesamten Region. Die japanische Regierung wird also in den kommenden Jahren voraussichtlich die in Afghanistan aufgebaute EZ-Präsenz umorientieren und auf die Bedürfnisse der Strategie hinsichtlich der zentralasiatischen Staaten anpassen. 196 6. Aussenpolitik Fazit: länderstrategie afghanistan? Die Tōkyō Konferenz im Juli 2012 hatte zum Ziel, Afghanistan zu zeigen, dass die internationale Gemeinschat dem Land ab 2015 nicht den Rücken zukehren wird (MOFA 2013: 112). Während die militärische Intervention drastisch reduziert und den afghanischen Sicherheitsstreitkräten die Verantwortung für das Land übergeben wird, haben die Gebernationen bekrätigt, auch weiterhin EZ-Leistungen auf hohem Niveau für das Land und dessen zivilen Wiederaubau zu leisten. Dabei gehen Beobachter davon aus, dass vor allem die USA ein weiter bestehendes Interesse an politischer und militärischer Einlussnahme im Land und damit auch in der Region haben. Aber welches Interesse verfolgt Japan mit seinem EZ Engagement in Afghanistan? Die Frage nach der bisherigen Motivation ist auch gültig für die Zukunt: Hat Japan eine Strategie für den Einsatz der EZ in Japan, und falls ja, welche Ziele verfolgt diese? Akio Kawato (2011: 26) hält ein anhaltendes japanisches Engagement in Afghanistan für wahrscheinlich, da gerade im Hinblick auf den ISAF Truppenabzug seiner Meinung nach das geopolitische Interesse Japans an der Region wachsen werde. Freundschatliche Beziehungen zu funktionierenden staatlichen Systemen in einer der instabilsten Regionen der Erde könnte Japan bei der politischen Positionierung gegenüber Russland und China zuträglich sein. Diese Bewertung geht allerdings von zwei fragwürdigen Prämissen aus: zum einen ist ein stabiles Afghanistan auch in den kommenden Jahren nicht zu erwarten, eher das Gegenteil wird befürchtet. Zum anderen scheint Japans Interesse an politischen Verbündeten in dieser Region relativ schwach ausgeprägt. Das Interesse an guten Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten in Relation zu China scheint eher auf den Versuch zu deuten, dass die Einlussnahme Chinas im Hinblick auf die Rohstofe und Lieferwege zurückgedrängt werden soll. Tatsächlich macht die stagnierende japanische Wirtschat große oder gar wachsende Ausgaben für EZ in Afghanistan schwer haltbar, insbesondere in Anbetracht der zuküntig wesentlich geringeren internationalen Präsenz im Land, die mit einem sinkenden öfentlichen Interesse einhergehen dürte (Miyahara 2009: 3). Der zentrale Faktor für Japans Engagement in Afghanistan mit Blick auf die Bekämpfung des Terrorismus ist nach wie vor das Interesse des wichtigsten politischen Bündnispartners USA (Hu et al. 2011: 29) und dieser wird mit dem allmählichen Rückzug und der signiikanten Reduzierung U.S.-amerikanischer Truppen an Bedeutung verlieren, zumindest was die Erwartungshaltung der USA gegenüber Japan hinsichtlich einer militärischen Beteiligung am Friedenssicherungs-Einsatz betrit. Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan 197 Afghanistan hat große Teile der gesamten japanischen EZ absorbiert. Unter allen Empfängerländern japanischer EZ belegte Afghanistan im Fiskaljahr 2012 Platz drei (nach Vietnam und Indien) (MOFA 2013a: 198).15 Seit 2001 hat Japan ca. 4,797 Mrd. U.S.-Dollar an öfentlicher EZ für den Wiederaubau in Afghanistan ausgegeben (MOFA 2013b: 20). Ein politisches Scheitern – was mit wachsender Unsicherheit und unklarer politischer Zukunt wahrscheinlich scheint – kann innenpolitisch massive Kritik nach sich ziehen. Japans eigene Schwierigkeiten im Umgang mit dem Desaster im Zuge der Erdbebenkatastrophe im März 2011 hatten ebenfalls eine Reduktion von Hilfszusagen an Entwicklungsländer zur Folge. Der Druck, die Hilfe nach Afghanistan signiikant zu reduzieren, wird also auch innenpolitisch weiter wachsen (Hu et al. 2011: 31). In der strategischen Prioritätensetzung der EZ in Afghanistan deuten sich schon jetzt tiefgreifende Veränderungen an, auch wenn diese innerhalb bereits existierender Prämissen des japanischen EZ Engagements erfolgen. Der Fokus verschiebt sich weg von Sicherheitsfragen hin zu wirtschatlichen Fragen, und dies gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen soll die afghanische Wirtschat aufgebaut werden (und diese zu Stabilität zu Frieden beitragen), zum anderen betont Japan erneut eines seiner klassischen Felder der EZ, Infrastrukturmaßnahmen. Deren Ausbau wird für die Rohstoferschließung in Zentralasien und insbesondere die als wichtig betrachtete Lieferanbindung gefördert und vorangetrieben. Eine japanische Länderstrategie für den Umgang mit Afghanistan wird sich also zuküntig in erster Linie aus den strategischen Überlegungen in Bezug auf Zentralasien ableiten. Die Bedeutung dieser Region, unterstrichen durch regelmäßige Dialogtrefen im Rahmen der Central Asia plus Japan Initiative und das Japan-Central Asia Economic Forum, speist sich aus Japans energiepolitischen Interessen. Im Hinblick auf die Entwicklung Afghanistans und mit der von Japan zugesagten EZ gewinnen diese Überlegungen zur Energiesicherheit an Bedeutung. Der bisherige argumentative Schwerpunkt, dass das Engagement vor allem der Bekämpfung des internationalen Terrorismus diene, hat zwar noch immer Gültigkeit, aber in deutlich nachgeordneter Form. Wird die terroristische Gefahr rhetorisch auch weiterhin auf die globale Ebene projiziert, so ist es doch insbesondere die Gefahr für die stabilen wirtschatlichen Beziehungen zu den energiereichen Nachbarstaaten, die größere Sorge hervorrufen dürten. 15. Platz zwei hinsichtlich ungebundener Zuschüssen nach dem Kongo, noch vor Indonesien. Außerdem Platz vier hinsichtlich der Empfänger japanischer technischer Zusammenarbeit nach China, Vietnam, Indonesien und vor den Philippinen (gleichbleibend bei Berücksichtigung bzw. NichtBerücksichtigung von Schuldenerlassen) (MOFA 2013a: 198). 198 Aussenpolitik Die Motivation, sich in der Region einen Rückhalt für japanische Energiesicherheit zu schafen, wird in den kommenden Jahren vermutlich deutlicher zutage treten und Japans EZ Intervention in Afghanistan nachhaltig prägen. literatur Asō, Tarō (2009a), Gurobaruna Kadai o Kokufuku suru Nichiō no Pātonashippu [Eine japanisch-europäische Partnerschat zur Überwindung globaler Probleme], http://www.mofa. go.jp/mofaj/press/enzetsu/21/easo_0505.html (25.08.2013). Asō, Tarō (2009b), Anzen to Hanei o Kakuho suru Nihon Gaikō [Japanische Außenpolitik, die Frieden und Wohlstand sichert], http://www.kantei.go.jp/jp/asospeech/2009/06/30speech. html (25.08.2013). Atanassova-Cornelis, Elena (2005), »Japan and the Human Security Debate: History, Norms and Pro-active Foreign Policy«, in: Graduate Journal of Asia-Paciic Studies, 3 (2): 58–74. Bhadrakumar, M.K. 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Amidst these ongoing developments, however, we propose a paramount perspective on what might be considered the ›market that makes society‹, i.e., the market where labour is exchanged for wages. Two recent discourses have attracted public interest: allegedly low executive pay levels and declining general wage levels. his paper investigates into: 1) What does explain the low level of Japanese executive pay in international comparison, and what role does culture play? 2) Did the structural changes in the labour market during the last 20 years really result in generally lower wage levels? With regards to 1), we ind that existing management theories ofer a number of potential explanations, questioning any moderating impact of Japanese culture on executive pay. With regards to 2), we ind that lower employee pay levels can only be found for a limited number of age cohorts. Furthermore, between 1988 and 2010 the gender wage gap as well as the pay gap between regular and non-regular employees signiicantly narrowed. Moreover, the share of labour compensation in national income increased by six percentage points during the investigation period. As these indings do not warrant the received negative 204 Wirtschaft perception of the Japanese labour market, we propose two lines of argument aimed at explaining this obvious misperception. 1. einleitung Die Liberaldemokratische Partei (LDP) von Ministerpräsident Abe Shinzō hat Ende Juli 2013 wie erwartet die Oberhauswahlen für sich entschieden und zusammen mit ihrer Koalitionspartnerin Kōmeitō das absolute Mehr erreicht. Gemäss Zoll (22.07.2013) ist es Abe seit seinem Amtsantritt als Ministerpräsident im Dezember 2012 gelungen, die japanische Wirtschat zum Hauptthema und die Oberhauswahlen zu einem Plebiszit über seine Wirtschatspolitik zu machen. So nannte vor den Wahlen mehr als ein Drittel der von der Nachrichtenagentur Kyōdō befragten Personen die Wirtschat als entscheidendes hema; die Frage, ob die nach der Atomkatastrophe von Fukushima stillgelegten Reaktoren wieder hochgefahren werden sollten, bewegte weniger als 7 %. Kernstück von Abes Wirtschatspolitik sind die Abenomics. Abenomics ist ein Zusammenzug von Abe und economics (Englisch für Ökonomie) und emuliert den Begrif der Reaganomics, die seinerzeit erfolgreiche Wirtschatspolitik der USA unter Präsident Ronald Reagan. Abbildung 1: In aller Munde: Abenomics Bild: Georg Blind. Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 205 Abenomics verfolgt drei Hauptziele: die Überwindung der Delation, eine gezielte Abwertung des Yen, und das Erreichen einer nominalen jährlichen Wachstumsrate von 3 %. Oberste Priorität hat die Bekämpfung bzw. die Beendigung der milden, jedoch seit der zweiten Hälte der 1990er Jahre andauernden Delation. Als Ursache wird in der Regel das Platzen der spekulativen Blase am Anfang der 1990er Jahre angesehen. Die hohen Vermögensverluste, die durch das Platzen der spekulativen Blase entstanden, resultierten in einer starken Konsumzurückhaltung der japanischen Konsumenten, was wiederum zu einer Unterauslastung der Produktionskapazitäten führte. Delation bedeutet ein Rückgang des Preisniveaus und kann aus zwei Gründen negative Auswirkungen auf eine Volkswirtschat haben. Erstens werden Anschaffungen und Investitionen in Erwartung noch günstigerer Konditionen aufgeschoben, was die gesamtwirtschatliche Nachfrage ins Stocken bringt. Zweitens verschärfen sinkende Preise die Lage der Schuldner, weil die reale Last ihrer Schulden steigt. Zumindest in der heorie lässt sich Delation mittels einer antizyklischen Wirtschatspolitik überwinden. Um also der Verunsicherung der Märkte entgegenzuwirken, können etwa die staatlichen Ausgaben und Investitionen erhöht, die Unterstützung privater Haushalte durch Lohnsteuerentlastungen oder Zuschüsse verstärkt, oder anderweitig verbrauchsfördernde Rahmenbedingungen geschafen werden. In diesem Zusammenhang wird gerne auf das Japan der 1930er Jahren verwiesen, als der damalige japanische Finanzminister Takashi Korekiyo mit dem Einsatz seiner antizyklischen Wirtschatspolitik Erfolg hatte. Die gezielte Abwertung des Yen ist das zweite Hauptziel von Abenomics. Der Yen war im Zuge der U.S.-amerikanischen Finanzkrise von 2007/2008 aus verschiedenen Gründen stark gestiegen (Blind und Lottanti von Mandach 2012). Proitieren von einer Abschwächung des Yen würde vor allem die von der Yen-Stärke direkt betrofene Exportindustrie. 2011 hatte Japan erstmals seit 31 Jahren einen Fehlbetrag in der Aussenhandelsbilanz ausgewiesen, und 2012 rutschte die japanische Handelsbilanz noch tiefer in die roten Zahlen: waren es 2011 noch 2,6 Bill. Yen, so stieg dieser Betrag auf 6,9 Bill. im Jahr 2012 an (JETRO 2013). Allerdings gilt hier anzumerken, dass der starke Yen nur eine Ursache für das Handelsbilanzdeizit darstellt. Eine schwächere Auslandsnachfrage sowie gestiegene Energieimporte aufgrund der Substitution von Kernenergie durch fossile Brennstofe nach dem Reaktorunfall von Fukushima haben ebenfalls zum Handelsbilanzdeizit beigetragen. Drittens soll die japanische Wirtschat zurück auf den Wachstumspfad gebracht werden und eine jährliche nominale Wachstumsrate von 3 % erreichen. Während des Koizumi-Booms der Jahre 2003 bis 2007 hatte die mittlere reale Wachstumsrate noch bei 1,7 % gelegen, bedingt durch die Finanzkrise und die Dreifachkatastrophe 206 Wirtschaft vom März 2011 sank dieser Wert im Mittel um -0,2 Prozentpunkte und betrug 2012 zuletzt bescheidene 1,2 % (CAO 2013a, 2013b). Zur Erreichung der drei Ziele der Abenomics sollen einerseits iskalpolitische und geldpolitische Instrumente eingesetzt werden, andererseits soll die Wirtschat weiter dereguliert und neue Industrien gefördert werden. Zudem richtete Abe die seitens eines LDP-Ministerpräsidenten eher unkonventionelle Forderung an die Japan Business Federation (Keidanren) und andere Wirtschatsinteressenverbände, dass Unternehmen ihren Angestellten höhere Löhne zugestehen sollten, um so ihren Beitrag zum Gelingen des ersten Anliegens von Abenomics zu leisten. Hintergrund der Forderung ist der seit Jahren beklagte Rückgang der Reallöhne und die damit verbundene Rückkopplung auf die ohnehin delationären Konsumentenpreise, welche es zu beenden gilt. Mit dem hema Löhne werden wir uns in Kapitel 3 näher beschätigen. Zunächst betrachten wir in Kapitel 2 die aktuelle wirtschatliche Entwicklung und richten unser Augenmerk insbesondere auf die Zeit seit Abes Amtsantritt und die Frage, welche Resultate Abenomics bis jetzt vorzuweisen hat. 2. überblick über die aktuelle wirtschatliche entwicklung in Japan Blickt man auf die Entwicklung der Konsumentenpreise und das erklärte Ziel von Premierminister Abe, das Zeitalter der Delation zu beenden, so scheint auch hier zum aktuellen Zeitpunkt (Ende Juli 2013) noch keine eigentliche Trendwende absehbar. Zwar sind die Konsumentenpreise ohne Lebensmittel und Energieausgaben von Februar bis Ende Mai 2013 um gut einen Prozentpunkt angestiegen. Diese Entwicklung entspricht aber nahezu deckungsgleich einem jeweils im Frühjahr der vergangenen Jahre zu beobachtendem Trend. Erst die kommenden Monate werden zeigen, ob die massiv expansive Geldpolitik der Bank of Japan tatsächliche eine Trendwende einleiten konnte. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der um Lebensmittel und Energieausgaben bereinigten Konsumentenpreise seit Januar 2010. Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 207 Abbildung 2: Konsumentenpreisindex ohne Nahrungsmittel und Energie 2010–2013 Quelle: Statistics Bureau (2013: 1). Abbildung 3: Wechselkursentwicklung JPY/USD und Nikkei 225 (Juli 2012–Juli 2013) Quelle: comdirect Bank AG. 208 Wirtschaft Eine deutliche Wirkung haben die expansiven Strategien der Bank of Japan dagegen bei den Wechselkursen erreicht. Im Zuge der Abwertung des Yens gegenüber dem U.S.-Dollar haben sich auch die Aktienmärkte entsprechend günstig entwickelt. Aus Abbildung 3 wird die hohe Korrelation zwischen Wechselkurs und dem Nikkei 225 deutlich, wobei die Aktienmärkte jeweils mit rund einem Faktor 2 auf die Wechselkursentwicklung zu reagieren scheinen. Hintergrund dieser Entwicklung sind ofenbar die Erwartungen der Investoren, dass ein schwächerer Yen den besonders vom Export abhängigen Grossirmen des Nikkei 225 deutliche Gewinnzuwächse bescheren wird. Ein Blick auf die tatsächliche Entwicklung des japanischen Aussenhandels fördert jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Belege für diese Erwartung zu Tage: allein im ersten Quartal 2013 wurde mit einem Deizit von 2,8 Bill. Yen ein neuer Negativ-Rekord aufgestellt, der damit bereits grösser ausfällt als das gesamte Deizit des Jahres 2011 von rund 2,6 Bill. Yen, und selbst im Mai 2013 ist mit einem Deizit von rund einer Billion Yen (JETRO 2013) noch immer keine Trendwende absehbar. Nun vergehen aber gerade auch im Exportgeschät zwischen Vertragsschluss, Lieferung und Zahlung ganz erhebliche Zeiträume, so dass davon auszugehen ist, dass in diesen Zahlen der positive Efekt des deutlich schwächeren Yens noch nicht zum tragen kommt. Dieser dürte erst im dritten Quartal des Jahres 2013 seine Wirkung zeigen. Das Wachstumsziel der Abenomics von 3 % pro Jahr wurde zumindest im ersten Quartal 2013 erreicht: das saisonal bereinigte Bruttoinlandsprodukt wuchs auf Jahresbasis um 4,1 %. Ob dies allerdings bereits als Erfolg der Abenomics gewertet werden kann, ist zweifelhat. Zum einen bleibt abzuwarten, ob es sich um ein isoliertes Phänomen oder aber um den Beginn eines neuen Wachstumstrends handelt. Zum anderen iel auch das Wachstum im ersten Quartal 2012 mit 4,8 % überdurchschnittlich gut aus. Und schliesslich liegen bei makroökonomischen Zusammenhängen die zeitlichen Verschiebungen zwischen Massnahme und Wirkung typischerweise eher bei einem Jahr als nur bei wenigen Monaten. Dies legt auch ein Blick auf den Produktionsindex nahe, für den Daten bis Ende Mai diesen Jahres vorliegen. So lag der saisonbereinigte Index für die Kategorie »Bergbau und verarbeitende Industrie« im Mittel der ersten fünf Monate des Jahres 2013 um rund 2 Prozentpunkte unter dem Jahresmittel von 2012 und im Falle der Maschinenindustrie sogar um 3,5 Prozentpunkte (METI 2013). Dass das Bruttoinlandsprodukt dennoch deutlich zulegen konnte liegt wider Erwarten weniger an öfentlichem Konsum und Investitionen (+1,6 bzw. + 1,7 %), sondern an einer krätig gestiegenen privaten Nachfrage nach Konsumgütern (+3,6 %) und Wohnimmobilien (+7,6 %). Es erscheint durchaus denkbar, dass die Erfolge auf dem Devisen- und Aktienmarkt (wobei letzterer auf antizipierten Erfolgen beruht) zu einer leichten Stimmungsauhellung unter Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 209 den Konsumenten geführt haben. Die Entwicklung des privaten Konsums im zweiten Quartal dürte dann bereits eine klarere Sprache sprechen. Im Frühsommer 2013 ist somit von den Zielen der Abenomics bei der Bekämpfung der Delation noch keine Wirkung nachweisbar. Das Ziel eines vorteilhaten Wechselkurses scheint dagegen vorläuig mit der annähernden Parität von 100 Yen zum Dollar erreicht. Das positive BIP-Wachstum im ersten Quartal, welches insbesondere auf dem privaten Konsum beruht, mag einen ersten Beleg für die stimmungsauhellende Wirkung der Abenomics darstellen. 3. Gehälter in Japan Das hema Gehälter ist in Japan spätestens seit Februar 2013 durch Ministerpräsident Abe und dessen Forderung nach höheren Löhnen in den Mittelpunkt gerückt (siehe Einleitung). Gehälter wurden aber nicht erst seit Abes Amtsantritt zu einem öfentlichen hema. Einerseits müssen börsennotierte Firmen neu seit 2010 Management-Gehälter von über 100 Millionen Yen einzeln ausweisen. Die Diskussion um Management-Gehälter hat damit auch Japan erreicht. Andererseits ist die Entwicklung der Angestellten-Gehälter im Zusammenhang mit den strukturellen Änderungen des Arbeitsmarktes in den letzten 20 Jahren hetig diskutiert worden. So werden die relative Zunahme des Anteils nicht-regulärer Arbeitsverhältnisse und die damit verbundenen (im Vergleich zu regulären Angestellten) tieferen Löhne gemeinhin als Anzeichen dafür gewertet, dass japanische Unternehmen sich zunehmend ihrer sozialen Verantwortung entziehen und die neoliberale Wirtschatsordnung auch in Japan immer stärker Fuss fasst. Vor diesem Hintergrund beleuchtet diese Arbeit das hema Gehälter aus zwei Blickwinkeln. Der erste Teil untersucht das im internationalen Vergleich niedrigen Niveau der japanischen Management-Gehälter, das die neue Ofenlegungsplicht zu Tage förderte. Ist Japan ein Sonderfall, oder kann der Befund der niedrigen Management-Gehälter mittels bestehender heorien erklärt werden? Der zweite Teil untersucht die allgemeine Lohnentwicklung seit dem Ende der 1980er Jahre. Basierend auf der Analyse empirischer Daten diskutieren wir die Lohnentwicklung in Bezug auf Altersgruppen, auf reguläre und nicht-reguläre, sowie auf männliche und weibliche Arbeitnehmer. Die zu erwartende Entwicklung der regulären und nicht-regulären Reallöhne erarbeiten wir auf Grundlage eines einfachen mikroökonomischen Modells. 210 Wirtschaft 3.1 die löhne der japanischen Spitzenmanager Seit 2010 sind börsennotierte Firmen in Japan verplichtet, Manager-Gehälter von über 100 Millionen Yen (rund 1 Million U.S. Dollar) separat auszuweisen. Vor dem Inkrattreten der neuen Regelung musste lediglich die Summe der an den Vorstand bezahlten Vergütung bekannt geben werden (Sakawa, Moriyama und Watanabe 2012). Mit dieser neuen Regelung soll eine Verbesserung der Corporate Governance1 japanischer Unternehmen erreicht werden. Baums (2005) nennt in diesem Zusammenhang folgende Gründe, die für eine Ofenlegung der Managerlöhne sprechen. Erstens ermöglicht eine solche Ofenlegung den Aktionären, den Verwaltungsrat dahingehend zu kontrollieren, ob er seiner Plicht zur Vereinbarung angemessener Vergütungen nachgekommen ist (Ofenlegung als Kontrollinstrument). Zweitens soll insbesondere der Zwang zur Ofenlegung mit individueller Namensnennung die Manager davon abhalten, unangemessen hohe Vergütungen zu fordern, und so zu einer Dämpfung zu hoher Vergütungsniveaus beitragen (Offenlegung als Präventionsinstrument). Drittens kann die Ofenlegung potentiellen Investoren wichtige Informationen über die Anreize der Unternehmenslenker und die Kontrollstruktur im betrefenden Unternehmen vermitteln. Zudem lassen sich Rückschlüsse auf die Verteilung des Lohnkuchens innerhalb des Unternehmens ziehen (Ofenlegung als Instrument der Kapitalmarktinformation und Integritätssignal). Die neue Ofenlegungsplicht hat frühere Berichte und Untersuchungen bestätigt, wonach die Gehälter in Japan im internationalen Vergleich äusserst bescheiden ausfallen. Obwohl sich die Management-Gehälter in Japan in der ersten Dekade dieses Jahrtausends verdoppelt haben, verdienten 2009 weniger als 300 Manager in den 3.813 börsennotierten Unternehmen mehr als 100 Millionen Yen (Clenfield 01.07.2010). 2009 verdiente ein Chief Executive Oicer (CEO) in Japan durchschnittlich umgerechnet 580.000 U.S. Dollar (Lohn und andere Vergütungen), in den USA hingegen 3.5 Millionen U.S. Dollar (Clenfield 01.07.2010). Für ein gewisses Aufsehen gesorgt hat in Japan allerdings weniger der relativ tiefe Lohn der einheimischen Topmanager, als vielmehr die Tatsache, dass die beiden Topverdiener 2009 beides ausländische Spitzenkräte waren, nämlich Carlos Ghosn von Nissan und Howard Stringer von Sony (Ikeda 01.07.2010; JT 26.11.2010).2 1. Mit Corporate Governance wird der rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens bezeichnet. 2. Im Geschätsjahr 2011 wurde Ghosn allerdings von der Spitzenposition von Kashio Kazuo, dem Vorstandsvorsitzende der Firma Casio und neu in der Liste der Topverdiener, verdrängt (TSR 09.07.2012). Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 211 Interessant ist in Zusammenhang natürlich die Frage, weshalb diese internationalen Unterschiede bestehen. Werfen wir zunächst einen kurzen Blick in die japanischen und westlichen Medien. Die Nikkei (13.06.2011) erklärt die vergleichsweise niedrigen Löhne der japanischen Topmanager mit deren interner Rekrutierung, welche sich von der in den USA und Europa gängigen Praxis unterscheidet, wonach Spitzenmanager häuig von ausserhalb der Firma rekrutiert werden. Weil das japanische Management aus den eigenen Reihen rekrutiert werde, könne auch dessen Lohnniveau nicht losgelöst vom Lohnniveau der übrigen Mitarbeitenden festgelegt werden. Arai (13.05.2011) wertet die tiefen Managerlöhne ausserdem als Indiz dafür, dass japanischen Firmen unzureichend »globalisiert« seien. Das japanische Beschätigungssystem und die japanische Unternehmenskultur machten japanische Firmen unattraktiv für die globale Manager-Elite, wobei der tiefe Lohn gleichzeitig zur mangelnden Attraktivität beitrüge als auch Ausdruck dieser mangelnden internationalen Ausrichtung sei. Dem Grossteil der japanischen Manager wiederum bleibe aufgrund ihrer eigenen mangelnden globalen Ausrichtung nichts anderes übrig, als bei einheimischen Unternehmen zu arbeiten – und dort auch zu bleiben. Eine in den westlichen Medien beliebte Erklärung führt die Unterschiede im Lohnniveau auf kulturelle Faktoren zurück: Topmanager in Japan bereicherten sich nicht, weil kulturelle Faktoren sie davon abhielten. So schreibt z.B. Ezra Klein (06.06.2010) in seinem Blog für die Washington Post: It’s a reminder that CEOs aren’t just paid what the market will bear, they’re paid what the culture will accept. Oder Clenfield (01.07.2010) schreibt in der Businessweek: With wealth still considered undeemly in Japan, there’s little pressure for salaries to rise. ›My house is small, but I’m happy,‹ says Yukio Sakamoto, CEO of Elpida Memory, Japan’s largest semiconductor maker, whose pay was under the reporting threshold. ›I commute by train every day and have never had a problem.‹ Obwohl kulturalistisch gefärbte Erklärungen in Bezug auf die japanische Wirtschat umstritten sind (vgl. z.B. Flath 2009), schliesst die Untersuchung von Nakazato, Ramseyer und Rasmusen (2009) einen Einluss kultureller Faktoren zumindest nicht aus. Die Studie untersucht die Frage, welchen Einluss die Eigentümerstruktur eines Unternehmens auf die Entlohnung des Topmanagements hat. Insbesondere untersucht sie auch die hese, ob die als unangemessen hoch empfundene Entlohnung von Topmanagern in gewissen börsennotierten Unternehmen in 212 Wirtschaft westlichen Industrieländern tatsächlich eine Folge der fragmentierten Eigentümerstrukturen und des daraus resultierenden kollektiven Handlungsproblems ist. Falls die Höhe der Entlohnung von den Eigentümerstrukturen abhängt, dann müsste sie in nicht-börsennotierten Unternehmen niedriger sein, weil diese in der Regel weniger fragmentierte Eigentümerstrukturen aufweisen. Die Studie untersucht diese Fragestellung am Fall Japan, weil sich auf der Basis von bis zum Jahr 2004 öfentlich zugänglichen Steuerdaten und Namensverzeichnissen Rückschlüsse auf das Einkommen und die Entlohnung der Vorsitzenden von 4100 börsennotierten und 1400 nicht-börsennotierten Firmen in den Jahren 2003 und 2004 ziehen lassen.3 Die Studie kommt zum überraschenden Ergebnis, dass die Löhne der Vorsitzenden von börsennotierten und nicht-börsennotierten Unternehmen ähnlicher Grösse etwa gleich hoch sind. Zumindest in Japan führen fragmentierte Eigentümerstrukturen von börsennotierten Unternehmen ofenbar nicht zu »Lohnexzessen«. Die Löhne steigen auch proportional zur Höhe des Aktienbesitzes am Unternehmen, ebenfalls unabhängig davon, ob das Unternehmen börsennotiert ist oder nicht. Das bedeutet, dass auch Kapitalerträge zum Einkommenswachstum beitragen. Hinweise darauf, dass Vorsitzende mit einem grossen Aktienpaket für sich selbst mehr Lohn aushandeln (können), fanden sich zumindest für den untersuchten Zeitraum keine. Die Studie lässt drei alternative Schlussfolgerungen zu. Erstens, kulturelle Faktoren verhindern tatsächlich Lohnexzesse in Japan. Zweitens, fragmentierte Eigentümerstrukturen sind nicht der Grund für Lohnexzesse in westlichen Industrieländern. Falls dies doch der Fall wäre, so könnten japanische Firmen drittens über Corporate-Governance-Mechanismen verfügen, die Lohnexzesse auf Topmanagement-Stufe trotz fragmentierter Eigentümerstrukturen unterbinden. Welche Befunde liegen zu diesen Alternativen bislang vor? Hinsichtlich eines möglichen mässigenden Einlusses kultureller Faktoren zeigt die neuere Forschung, dass japanische Manager ofenbar doch nicht ganz so selbstlos und intrinsisch motiviert agieren, wie es in den westlichen Medien gerne suggeriert wird. So zeigt etwa Shuto (2007), dass japanische Manager gezielt Umsatzsteuerung4 betreiben, um ihre Barabindung positiv zu beeinlussen. Er untersuchte dabei Daten von Firmen in den Jahren 1991 bis 2000, die im Jahr 2000 mindestens an einer der acht Börsen in Japan oder over-the-counter gehandelt wurden (total 16.368 Firmenjahr-Beobachtungen). Weiterhin untersuchen Iwasaki 3. Unternehmen, die an einer Börse nicht notiert sind, müssen die Höhe der Management-Entschädigung nicht veröfentlichen. 4. Umsatzsteuerung (earnings management): Der Begrif wird unterschiedlich umschrieben und indet für unterschiedliche Vorgänge Verwendung. Das Betreiben von Earnings Management zielt darauf ab, das Ergebnis einer Firma zu beeinlussen. Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 213 et al. (2012) den Zusammenhang von accounting conservatism5 und übermässiger Barabindung,6 und stellen fest, dass accounting conservatism negativ mit übermässigen Barabindungen korreliert. Das heisst im Kehrschluss, dass Manager den Spielraum ausnutzen, den ihnen weniger konservative Buchführungsprinzipien geben, um das Firmenergebnis zu ihren Gunsten zu beeinlussen. Ferris et al. (2006) schliesslich untersuchen 466 Optionsprogramme, die japanischen Topmanagern in den Jahren 1997 bis 2001 gewährt wurden, und kommen zum Schluss, dass Manager in japanischen Firmen schwache Corporate-Governance-Strukturen zur Abschöpfung von Renten ausnutzen. So sind Optionsprogramme in Firmen mit kleinerem Aufsichtsrat (Verwaltungsrat) und höherem Anteil externer Aufsichtsräte – beides Merkmale, die mit guter Corporate Governance in Verbindung gebracht werden – deutlich weniger zu Gunsten der Topmanager ausgestaltet.7 Zur zweiten alternativen Schlussfolgerung bzw. der Frage, ob hohe Managerlöhne in westlichen Industrieländern eine Folge fragmentierter Eigentümerstrukturen sind, gibt die Studie von Nakazato, Ramseyer und Rasmusen (2009) keine direkte Antwort, betont aber, dass es zumindest aus rechtlicher und regulatorischer Sicht aber keinen Grund gibt, weshalb es zwischen den beiden analysierten Ländern USA und Japan Unterschiede geben sollte. Die Frage ist also noch nicht abschliessend geklärt. Die dritte Erklärungsalternative, die nach den Befunden von Nakazato, Ramseyer und Rasmusen (2009) verbleibt, besteht in der Möglichkeit, dass japanische Firmen trotz fragmentierter Eigentümerstrukturen über andere wirksame Mechanismen der Corporate Governance verfügen, die Lohnexzesse auf Topmanagement-Stufe unterbinden. Die Höhe der Managerlöhne wird generell als Indiz für die Qualität der Corporate Governance eines Unternehmens angesehen, weil Niveau und Struktur der Manager-Gehälter stark vom Ausmass der Kontrolle durch die Aktionäre (principal) abhängen, welche dem Manager als Agenten (agent) gegenüberstehen.8 In Bezug auf Japan widerspricht diese hese allerdings der verbrei5. Konservative Buchhaltungsprinzipien beziehen sich in der Erfolgsrechnung darauf, Aufwände unmittelbar bei Entstehung, insbesondere aber Erträge erst bei bestätigtem Eingang zu verbuchen. 6. Iwasaki et al. (2012) deinieren den Begrif übermässige Barabindung (excess cash compensation) wie folgt: »We deine normal compensation as a function of compensation in the past year for each irm and the average values of compensation in the industry. Excess compensation is calculated as the diference between the actual value and the predicted value of normal compensation.« 7. Ferris et al. (2007) deinieren »Manager-freundliche« Optionsprogramme wie folgt: »We consider an executive stock option to be manager-advantageous if the option can be immediately exercised, has a long duration, is small relative to ixed compensation, and is closer to being in the money.« 8. Dieser Erklärungsansatz geht nicht von einem perfekt funktionieren Markt für Management- 214 Wirtschaft teten Lehrmeinung, welche die Corporate Governance japanischer Unternehmen im internationalen Vergleich als schwach ausgeprägt darstellt (Allen und Zhao 2007). Die japanische Ausgestaltung der Corporate Governance unterscheidet sich im Vergleich zum angelsächsischen Corporate-Governance-Ideal darin, dass sie nicht (nur) im inanziellen Interesse der Aktionäre wirkt, sondern dass japanische Unternehmen das Wohl aller Anspruchsgruppen (stakeholder) berücksichtigen (Waldenberger 2002). Verhältnismässig passive Aktionäre (principals) lassen die Firmen gewähren. Dazu kommt, dass CEOs in japanischen Unternehmen aus zwei Quellen erhebliche Macht schöpfen können: Erstens bilden interne Verwaltungsräte immer noch die Mehrheit, und zweitens werden Verwaltungsräte vom CEO nominiert (Allen und Zhao 2007). Alles in allem also beste Voraussetzungen für das Management, für sich hohe Gehälter auszuhandeln. Wie empirische Studien gezeigt haben, spielt die Entwicklung des Aktienkurses in Japan tatsächlich eine geringere Rolle für die Entlohnung von CEOs als in den USA (Kato und Kubo 2006). Allerdings lassen eine Reihe anderer Studien die hese nicht zu, wonach eine Kontrolle durch die Aktionäre in Bezug auf die CEO-Entlöhnung praktisch abwesend ist. So schwankt etwa die Barabindung japanischer CEOs in Korrelation zum return on assets (ROA), wie Kato and Kubo (2006) gezeigt haben. Kato (1997) hat zudem gezeigt, dass CEOs in Keiretsu-Firmen im Schnitt 21 % weniger verdienen als CEOs, die keinem Keiretsu zugeordnet werden und als unabhängig gelten. Ausserdem korrelieren in Keiretsu-Firmen Investitionen ins Anlagevermögen positiv mit der Gehaltshöhe der CEOs. Von Investitionen, die sich auf die Firmengrösse auswirken, proitieren letzten Endes auch Geschätspartner wie Banken und Versicherungen (Absatzmöglichkeiten) oder Angestellte (Arbeitsplätze, Aufstiegsmöglichkeiten), die wiederum häuig auch Aktionäre sind. Die Forschung hat also gezeigt, dass auch japanische Manager-Gehälter weniger leistungsunabhängig sind als gemeinhin angenommen. Dies erklärt allerdings noch nicht den pay gap bzw. die etwa im Vergleich zu den USA erheblich tieferen Gehälter japanischer Manager. Geht man nun davon aus, dass fragmentierte Eigentumsverhältnisse tatsächlich nicht für Gehaltsexzesse in westlichen Ländern verantwortlich sind, bieten sich für den pay gap drei weitere Erklärungsansätze an. Erstens, ein fehlender Markt für Topmanager; zweitens, ein fehlender Prozess der Referenzgruppenentlohnung, und drittens, unerkannte, verdeckte Lohnausschüttungen. dienstleitungen aus, sondern besagt, dass seitens des principal (Aktionäre, Eigentümer der Firma) ein Informationsdeizit hinsichtlich des wahren Gegenwerts der von den agents (Managern) geleisteten Arbeit besteht. Aufgrund dessen können die Manager ihre Entlohnung in Abhängigkeit vom Ausmass der Kontrolle beeinlussen, welcher sie durch die Eigentümer ausgesetzt sind. Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 215 Fehlender Markt für Spitzenkräte Dieser Ansatz geht von einem eizienten Markt für Manager aus. Die Entwicklung hin zu höheren Manager-Gehältern in westlichen Industrieländern wird als das Ergebnis eines gut funktionierenden Marktprozesses verstanden, bzw. auf strukturellen Veränderungen der Angebots- oder Nachfrageseite. Als mögliche Ursache einer Angebotsverknappung nennen Benz und Stutzer (2001) den Wertverlust des Humankapitals von Managern im Zuge der Globalisierung und den Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Der erhöhte Bedarf nach Managern, die sich am Shareholder Value orientieren, wird als mögliche nachfrageseitige Ursache für die überdurchschnittlichen Gehaltssteigerungen diskutiert. Der Zusammenhang zwischen zwischen Gehaltshöhe und Unternehmenserfolg ist allerdings umstritten (siehe dazu z.B. die Meta-Studie von Tosi et al. 2000). In Bezug auf Japan spricht zweierlei für den Ansatz »Fehlender Markt für Spitzenkräte«: Kein externer Markt für Topmanager: In Japan gibt es keinen eigentlichen Markt für Topmanager. Der Grossteil der Topmanager wird nach wie vor intern rekrutiert. Intern rekrutierte CEOs verdienen – nicht nur in Japan – weniger als extern rekrutierte (u.a. Peyrache und Palomino i.E.). Aus diesem Grund verdienen japanische Topmanager in Japan im internationalen Vergleich wesentlich weniger. Optionsprogramme ohne gewünschten Efekt: Optionsprogramme sind in Japan seit 1997 rechtlich zugelassen. Vor 1997 waren als inanzielles Anreizinstrument nur Barprämien erlaubt (Sakawa, Moriyama und Watanabe 2012). Nach 1997 haben Optionsprogramme zwar an Beliebtheit gewonnen, allerdings führten gemäss Nagaoka (2005) vor allem kleine, schnell wachsende Firmen und Firmen mit konzentrierter Eigentümerstruktur Optionsprogramme ein, börsennotierte Grossirmen machten von dieser Möglichkeit weniger Gebrauch. Zudem hatten bei letzteren die Optionsprogramme nicht den gewünschten Efekt. So ist gemäss Kubo und Saito (2008) in diesen Firmen die Sensitivität von Leistung und Entlohnung (pay-perfomance sensitivity) zwischen 1977 und 2000 gesunken anstatt gestiegen. Weshalb das so ist, können Kubo und Saito (2008) jedoch nicht erklären. Fehlender Prozess der Referenzgruppenentlohnung Benz und Stutzer (2001) sehen die hohen CEO-Löhne in den USA als Ergebnis der umfassenden Ofenlegungsvorschriten der U.S.-amerikanischen Security and Exchange Commission (SEC) für Spitzenentschädigungen aus dem Jahr 1992, die einen sich selbst verstärkenden Prozess der Referenzgruppenentlohnung in Gang gesetzt hat. Dieser Prozess erklärt gemäss Benz und Stutzer (2001) ei- 216 Wirtschaft nen erheblichen Teil der besonders nach 1992 beobachteten, starken Lohnsteigerungen U.S.-amerikanischer Topmanager. Die Referenzgruppenentlohnung führt zu einem »Einklinkefekt«, welcher die durchschnittlichen Gehälter stetig steigen lässt. Zwar wurden Gehaltsvergleiche schon früher vorgenommen, aber die SEC-Regulierung hat dem Instrument der Referenzgruppenentlohnung aus zwei Gründen zentrales Gewicht gegeben. Erstens mussten die börsennotierten Firmen zum ersten Mal ofenlegen, nach welchen Kriterien sie die Entlohnung ihrer Topmanager festlegen. Dabei war die Orientierung am Median einer Referenzgruppe das naheliegendste Verfahren. Zweitens wurde erstmals transparent, wie viel die Manager der Referenzgruppe genau verdienten. Der Referenzgruppenmechanismus und der daraus folgende Einklinkefekt bei der Lohnentwicklung wurde dadurch hochwirksam. In einem aufgrund teilweise mangelnder Corporate Governance nur unvollkommen funktionierenden Managermarkt haben sich U.S.-amerikanische Topmanager dadurch substantielle Renten aneignen können. Es bleibt abzuwarten, ob in Japan ebenfalls der Referenzgruppenmechanismus zum Tragen kommt. Eine erste Analyse der Top-Ten-Managerlöhne der Jahre 2009, 2010 und 2011 zeigt, dass der Median zwischen 2009 und 2011 von 526 Millionen Yen um 45 % auf 763 Millionen Yen gestiegen ist (TSR 09.07.2010). Allerdings fällt dieser Anstieg in eine Phase deutlicher gesamtwirtschatlicher Erholung, so dass ofen bleibt, ob es sich hierbei um einen konjunkturunabhängigen Trend handelt. Verdeckte Lohnausschüttung Ein bisher noch wenig erforschtes Gebiet ist die Frage der verdeckten Lohnausschüttung in japanischen Firmen. Wie Bebchuk und Fried (2004) an Beispielen U.S.-amerikanischer Firmen zeigen, weisen Firmen mittels verschiedenen Praktiken oder Arrangements die Managerlöhne bewusst tiefer aus, um keine negative Aufmerksamkeit von für die Firmen relevanten Stakeholdern (Aktionäre, Medien, Geschätspartner, Öfentlichkeit) auf sich zu ziehen. Sie tun dies auch, wenn damit keine direkten inanziellen Konsequenzen verbunden sind. Diesen Arrangements ist gemeinsam, dass sie leistungsunabhängig gezahlt werden und nicht leicht als Lohnbestandteile erkennbar sind. Zu diesen (zumindest für die USA belegten) Praktiken gehören zum Beispiel spezielle Altersrenten, die sich von Pensionen für »normale« Angestellte dahingehend unterscheiden, dass eine bestimmte Rentenhöhe garantiert wird, die Beitragszahlungen nicht steuerbefreit sind und das Unternehmen somit die Steuerlast für die Beitragszahlungen trägt. Ein weiteres Beispiel ist die Entlohnung in Form von Rückstellungen (deferred compensations), d. h. Leistungen, die erst nach dem Austritt des Managers aus der Firma gezahlt werden und deshalb auch nicht in der auszuweisenden Lohnsumme erscheinen. Häuig Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 217 werden auch »freiwillige Sozialleistungen« gezahlt, die ebenfalls erst nach dem Verlassen der Firma fällig werden, wie das Benützen des Firmenjets, Limousinen mit Fahrer, Clubmitgliedschaten, Büroräumlichkeiten und Assistenten. Ebenfalls beliebt sind gut dotierte Beraterverträge, in denen sich der scheidende Manager verplichtet, die Firma auch nach seinem Verlassen zu beraten. In der Regel werden die Vergütungen gezahlt, unabhängig davon, ob Beraterleistungen eingefordert werden oder nicht. Für den Fall Japan ist dieses hema noch weitgehend unerforscht, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen des Mantras, dass kulturelle Faktoren eine wichtige Rolle bei der Festsetzung der Manager-Gehälter spielen. Aufgrund der Erkenntnisse der bisherigen Forschung von Ferris et al. (2006), Iwasaki et al. (2012) oder Shuto (2007) wäre es nicht überraschend, wenn ähnliche Praktiken auch in Japan angewendet würden. Foulkes (1991: 30) schreibt zum Beispiel dazu: In spite of a lower salary, however, the Japanese executive – still most oten a male – is probably as well treated as his Western counterpart. He oten receives valuable perquisites, including a liberal expense account that covers some household expenses normally treated as personal obligations in the United States. In addition, the average executive continues to work or at least to draw salary and receive perks many years longer than in the West. he formal retirement program is far less important in Japan because executives are paid as active employees beyond the typical American retirement age. Kato (1997) weist darauf hin, dass meisten Direktoren gleichzeitig als Abteilungsleiter (buchō) einer grösseren Abteilung vorstehen. Der Grossteil ihres Lohns wird als Abteilungsleiterlohn ausgewiesen, und lediglich ein Viertel des Lohns für Personen mit dieser Doppelfunktion wird als Topmanagement-Lohn ausgewiesen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Forschung die Frage des pay gaps bzw. die etwa im Vergleich zu den USA erheblich tieferen Gehälter japanischer Manager noch nicht abschliessend erklären kann. Das liegt einerseits daran, dass sich die Forschung uneins ist, wie die Höhe von Manager-Gehältern ganz allgemein erklärt werden kann. Andererseits stehen der Forschung im Bezug auf Japan erst seit 2010 mehr empirische Daten zur Verfügung, wovon nicht nur die Japanforschung, sondern auch die Management-Forschung proitieren wird. 218 Wirtschaft 3.2 die allgemeine entwicklung des lohnniveaus von arbeitnehmern Im Gegensatz zu der eher beschränkten Datenlage in Bezug auf japanische Manager-Gehälter, erlaubt die Datenlage zu Angestellten-Löhnen die empirische Überprüfung der grösstenteils negativen Berichterstattung zum diesem hema. Sommer (2009), zum Beispiel, führt aus, dass die Reallöhne zwischen 1996 und 2006 lediglich um 1 % gewachsen seien, und sich die wirtschatliche Erholung in den Jahren 2002 und 2007 nicht auf die Reallöhne ausgewirkt hätte. Wie in anderen entwickelten Ländern sorgen sich auch die japanischen Angestellten um den sinkenden Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen (Lohnquote). Die Lohnquote wird gemeinhin als wichtiger Indikator für die funktionelle Einkommensverteilung angesehen, also die Verteilung der Erträge auf die Faktoren Arbeit und Kapital. Gründe für die beobachtete Stagnation der Löhne werden verschiedenste genannt. Internationale Konkurrenz in der verarbeitenden Industrie, die sich negativ auf die Preise der exportierten Güter auswirkt; eine erhöhte Sensibilisierung der international operierenden japanischen Firmen hinsichtlich Gehaltshöhe und -unterschiede in verschiedenen Ländern, die sich dämpfend auf die Gehaltserhöhungen im Ursprungsland (Japan) ausgewirkt hat; die Alterung der Gesellschat und die damit verbundene Zunahme älterer Arbeitnehmender, die entweder durch jüngere, billigere Arbeitskräte ersetzt oder von den Firmen zu schlechteren Bedingungen (wieder)angestellt werden (Imai 2004); die sich wandelnde Industriestruktur hin zur einem höheren Anteil des tertiären Sektors; die Bemühungen der Regierung, Frauen verstärkt zur Aufnahme von Teilzeitbeschätigung zu bewegen; ein allgemeiner Wandel in der Präferenzstruktur der Arbeitnehmer (Ishiguro 2008); und schliesslich die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die damit verbundene Anstellung einer wachsenden Zahl von nicht-regulären Arbeitnehmenden mit tieferem Lohn und weniger Sozialleistungen. Die OECD (2009: 87) etwa konstatiert für Japan einen »besonders starken Anstieg nicht-regulärer Arbeitsformen« und Keizer (2008: 411) sieht darin gar die »wichtigste Veränderung auf dem japanischen Arbeitsmarkt.« In dieser Fülle von Beobachtungen haben die Autoren die Notwendigkeit erkannt, für den Zeitraum von 1988 bis 2010 die grossen Entwicklungslinien quantitativ nachzuziehen. Bezüglich des Anstiegs nicht-regulärer Arbeitsverhältnisse konnten die Autoren in einer früheren Arbeit bereits wesentliche Erkenntnisse dokumentieren (Blind und Lottanti von Mandach 2012). So geht zwar tatsächlich aus Zahlen des Ministry of Health, Labor, and Welfare (MHLW 2012a) hervor, dass der Anteil nicht-regulärer Arbeitnehmender (Teilzeit, Leiharbeit, Zeitverträge etc.) zwischen 1985 und 2010 von 15.4 % auf 30.0 % angestiegen ist. Allerdings Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 219 konnten die Autoren hierzu belegen, dass der Anstieg des Anteils nicht-regulär Beschätigter sich nicht als säkularer Trend zum Sozialabbau präsentiert, sondern vielmehr als erheblicher Arbeitsmarkterfolg mit (a) insgesamt mehr, insbesondere (b) mehr weiblicher Beschätigung, und (c) mehr regulärer Beschätigung, als ausgehend von den Erwerbsstrukturen des Jahres 1985 zu erwarten gewesen wäre. Anknüpfend an diese Studie soll nun der Versuch unternommen werden, auch zur Lohnentwicklung der letzten 22 Jahre (1988–2010) säkulare Trends zu identiizieren. Zu diesem Zweck wird die Entwicklung der Reallöhne separat nach Altersklassen, Geschlecht und in der Unterscheidung von regulärer (Summe aller Lohnbestandteile) und nicht-regulärer Beschätigung (Stundenlöhne) untersucht. Bei der Analyse der empirischen Datenbasis zeigt sich auf der aggregierten Ebene zunächst, dass das verfügbare reale Volkseinkommen zwischen 1988 und 2010 um 15,8 Prozent zugenommen hat (CAO 2012). Dabei hat zudem der von abhängig Beschätigten über ihre Lohneinkünte verfügbare Anteil am Nettonationaleinkommen von etwa 60 % im Jahr 1988 auf 66 % im Jahr 2010 deutlich zugenommen (CAO 2012). Obschon dieser Anstieg vor allem auf niedrigere Kapitalrenditen zurückgeht und eher weniger mit erfolgreichen Lohnverhandlungen zu tun haben dürte, erlaubt diese Datenlage die Schlussfolgerung, dass japanische Arbeitgeber nicht dazu übergegangen sind, abhängig Beschätigte »um die Früchte ihrer Arbeit« zu bringen. Kritiker mögen an dieser Stelle argumentieren, dass ein wachsender Anteil der Bevölkerung erwerbstätig sein muss, um eben jene Früchte zu ernten. Tatsächlich ist die Beschätigungsquote der 15 bis 64-Jährigen von 50,8 % im Jahr 1988 auf 63,2 % im Jahr 2010 angestiegen (CAO 2012). Dieser relative Anstieg um 24 % verlangt nach näherer Betrachtung. Glücklicherweise erhebt der japanische Employment Status Survey die Summe der jährlich geleisteten Arbeitsstunden (ohne Landwirtschat): zwischen 1988 und 2010 ist ein Rückgang der gesamthat geleisteten Arbeitsstunden um 8,3 % zu beobachten, der damit deutlich über dem Rückgang der aktiven Bevölkerung zwischen 15 und 64 von 3,9 % liegt. Da der Rückgang der geleisteten Arbeit in der Landwirtschat noch erheblich höher liegen dürte, können wir mit Sicherheit festhalten, dass die »Früchte der Arbeit heutzutage mit weniger Aufwand geerntet werden können«. Hinsichtlich der Entwicklung der Lohnschere zwischen regulärer und nichtregulärer Beschätigung lässt die mikroökonomische heorie zunächst erwarten, dass bei einer entsprechenden Verschiebung der Nachfrage hin zum Segment mit der niedrigeren Entlohnung (nicht-reguläre Beschätigung) eine Angleichung der Lohnniveaus erfolgt. Untenstehende Abbildung 4 stellt diesen theoretischen Zu- 220 Wirtschaft sammenhang unter der vereinfachenden Annahme eines im wesentlichen unelastischen Arbeitsangebots für reguläre und nicht-reguläre Beschätigung LSRE,NR dar. Abbildung 4: Sektorale Lohnkonvergenz aufgrund einer Nachfrageverschiebung Reguläre Beschätigung (RE) Nicht-reguläre Beschätigung (NR) Quelle: Eigene Darstellung. Kommt es unter dieser Voraussetzung zu einer Nachfrageverschiebung hin zu nicht-regulärer Beschätigung LDRE,1 < LDRE,0 und LDNR,1 > LDNR,0, so ist mit einer Verkleinerung der Lohndiferenz zwischen regulärer und nicht-regulärer Beschäftigung zu rechnen: wRE,1 – wNR,1 = Δw1 < Δw0 = wRE,0 – wNR,0. Die Analyse der empirischen Daten zu den Reallöhnen für die Zeitpunkte t1 = 1988 und t2 = 2010 stützt diese so gebildete Hypothese: So sind die Lohnzuwächse von regulären Angestellten in allen Altersklassen hinter dem besagten durchschnittlichen Zuwachs von 15,8 Prozent zurückgeblieben und für die Kohorte der 30- bis 39-Jährigen sogar im einstelligen Bereich zurückgegangen (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Reale Lohnentwicklung regulärer Arbeitnehmender (mittlere Jahreslöhne in 1000 Yen; Preise von 2010) 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 20-24 2721 2766 2825 2901 2952 2956 2985 3001 3013 2989 2933 2939 25-29 3596 3678 3781 3854 3914 3885 3892 3899 3925 3887 3830 3771 30-34 4389 4483 4587 4682 4720 4728 4739 4742 4805 4782 4743 4675 35-39 4932 5039 5178 5249 5285 5277 5313 5333 5442 5392 5366 5326 40-44 5359 5493 5614 5679 5713 5642 5671 5696 5793 5737 5688 5649 45-49 5534 5739 5915 6036 6074 6027 6026 6033 6058 6006 5912 5829 50-54 5381 5538 5754 5917 5975 6024 6099 6125 6239 6190 6124 6004 55-59 4737 4884 5049 5192 5275 5337 5469 5528 5596 5676 5616 5594 60-64 3747 3774 3833 3886 3919 3982 4069 4138 4119 4027 3964 3956 221 Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Änderung 1988–2010 2962 2959 2957 2950 2917 2891 2910 2931 2944 2905 2965 9,0 % 3766 3797 3774 3738 3694 3696 3719 3711 3702 3628 3642 1,3 % 4644 4678 4604 4536 4438 4440 4441 4428 4364 4254 4233 -3,6 % 5367 5444 5392 5296 5251 5269 5253 5152 5063 4863 4807 -2,5 % 5707 5801 5786 5739 5664 5797 5807 5791 5654 5461 5387 0,5 % 5870 5978 5955 5897 5872 5910 5916 5932 5849 5768 5739 3,7 % 6030 6070 5964 5809 5801 5831 5892 5866 5834 5774 5762 7,1 % 5568 5707 5658 5585 5558 5594 5513 5514 5436 5382 5368 13,3 % 3904 4145 4053 3991 4037 3918 3921 4017 3887 3930 3834 2,3 % Quelle: Eigene Berechnungen basierend auf MHLW (2012b). Im Gegensatz dazu stiegen die Löhne von nicht-regulären Angestellten mit Ausnahme der 20 bis 34-jährigen Männer in allen Altersklassen und für beide Geschlechter stärker als die Löhne der regulären Angestellten (siehe Tabelle 2). Tabelle 2: Reale Stundelöhne von nicht-regulären Angestellten nach Altersklassen und Geschlecht (Preise von 2010) Männer 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 1988 943 1.057 1.348 1.161 1.125 1.087 1.061 983 963 1990 919 1204 1143 1323 1436 1265 1133 1074 1010 1995 947 1190 1224 1166 1270 1319 1302 1155 1114 2000 913 1050 1097 1188 1148 1127 1164 1104 1071 2005 949 1075 1166 1192 1199 1179 1183 1172 1175 2010 953 1061 1150 1145 1149 1189 1185 1122 1205 Änderung 1988-2010 1,0 % 0,4 % -14,7 % -1,3 % 2,1 % 9,4 % 11,7 % 14,1 % 25,1 % Frauen 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 1988 761 780 713 698 705 713 719 716 719 751 1990 832 829 748 731 740 753 759 759 1995 880 913 867 845 826 833 851 851 842 2000 866 907 893 867 862 861 873 873 861 2005 916 989 977 959 940 952 924 942 941 2010 928 1007 1027 1007 995 998 983 970 980 Änderung 1988-2010 21,9 % 29,0 % 43,9 % 44,3 % 41,2 % 39,9 % 36,7 % 35,5 % 36,3 % Quelle: Eigene Berechnungen basierend auf MHLW (2012b). Zweitens war diese Entwicklung im Fall weiblicher nicht-regulärer Arbeitnehmerinnen besonders ausgeprägt (siehe Tabelle 2). Für einige Kohorten stieg der Reallohn annähernd um das Dreifache des aggregierten Mittels von 15,8 % (alle 222 Wirtschaft Kohorten zwischen 30 und 49 etwa hatten Zuwächse von 40 % oder mehr). Anhang 1 stellt eine detaillierte indexierte Darstellung der Reallohnentwicklung nach Beschätigungsstatus (regulär vs. nicht-regulär) und Geschlecht zur Verfügung, welche direkte Vergleiche zwischen Männern und Frauen, sowie nach Beschätigungsstatus innerhalb der einzelnen Alterskohorten ermöglicht. Vor dem Hintergrund dieser Resultate kann festgehalten werden, dass sich zwei häuig beklagte Formen der Lohnspreizung seit den späten 1980er Jahren erheblich gemildert haben. Erstens gelingt es jungen Frauen zunehmend, im japanischen Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, was sich nicht nur in einem höheren Anteil regulärer Beschätigungsverhältnisse zeigt (Blind und Lottanti von Mandach 2012), sondern auch in der Reallohnentwicklung der weiblichen regulären und nichtregulären Angestellten deutlich wird. Zweitens haben sich die Gehaltsunterschiede zwischen regulären und nicht-regulären Angestellten erheblich verringert. 4. Fazit Die Analyse der Manager- und Angestellten-Gehälter erlaubt interessante Einblicke in die japanische Wirtschat. In Bezug auf die Management-Gehälter wird der im Westen ot zitierte mässigende Einluss kultureller Faktoren durch die neuere Forschung in Frage gestellt. Gleichzeitig wirt die Analyse der Manager-Gehälter aber auch eine Reihe von Fragen auf. Zum Beispiel kann die Forschung noch nicht abschliessend beantworten, ob und falls ja, weshalb japanische Manager-Gehälter im internationalen Vergleich als tief eingeschätzt werden können. Systematisch erforscht werden muss nach Ansicht der Autoren in diesem Zusammenhang insbesondere das noch kaum beachtete hema der verdeckten Lohnanteile. Die Analyse der allgemeinen Lohnentwicklung des Zeitraums von 1988 bis 2010 zeigt, dass sich die ot zitierte Stagnation oder gar Abnahme der Reallöhne nur für gewisse Alterskohorten feststellen lässt. Seit den späten 1980er Jahren haben sich zudem zwei häuig beklagte Formen der Lohnspreizung erheblich gemildert. Jungen Frauen gelingt es zunehmend, im japanischen Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Das zeigt sich nicht nur in einem höheren Anteil regulärer Beschätigungsverhältnisse, sondern auch in der Reallohnentwicklung. Erheblich gemildert haben sich auch die Lohnunterschiede zwischen regulären und nicht-regulären Angestellten. Zudem hat die Lohnquote zwischen 1988 und 2010 um 6 Prozentpunkte zugenommen. Vor diesem Hintergrund scheint die Befürchtung, dass sich japanische Unternehmen zunehmend ihrer sozialen Verantwortung entziehen, unbegründet, und die gegenwärtige Bewertung des japanischen Arbeitsmarktes als unangemessen negativ. Managementgehälter und der japanische Arbeitsmarkt 223 Zwei mögliche Erklärungsansätze lassen sich für diese negative Färbung der öffentlichen Wahrnehmung identiizieren. Zum einen gilt vielen Akteuren der Zustand des Arbeitsmarkts während und kurz nach der Bubble Economy (1986–1991) noch immer als Vergleichsgrundlage. Obschon Aktien- und Immobilienpreise ab 1990 einbrachen, warb ein Grossteil der Arbeitgeber ohne Änderung ihrer Einstellungspolitik weiter um reguläre Angestellte, zum Teil bis ins Jahr 1997 (MHLW 2012a). Um ein besseres Verständnis für die gegenwärtige negative Einschätzung des Arbeitsmarktes zu gewinnen, wäre es daher angezeigt, die hier vorgestellte Analyse zusätzlich mit dem Jahr 1997 als Referenzpunkt durchzuführen. Aus wirtschatswissenschatlicher Sicht ist die Zeitspanne zwischen 1997 bis 2010 allerdings zu kurz, um säkuläre Trends zu identiizieren. Ausserdem läge in der Wahl des Endpunktes einer wirtschatlichen Ausnahmeentwicklung, im vorliegenden Fall, der Bubble Economy, die Gefahr eines verzerrten Ergebnisses. Zum anderen dürte das fortgesetzt stark verankerte gesellschatliche Ideal eines männlichen Ernährers eine positive Bewertung der Arbeitsmarkterfolge junger Frauen behindern, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Teile dieser Erfolge auf Kosten von verminderten Chancen für männliche Arbeitnehmer erfolgt sind (Blind und Lottanti von Mandach 2012). Obschon Haushalte mit Doppelverdienern bereits in den 1980er Jahren häuiger waren als der Haushaltstyp mit männlichem Alleinversorger (Shire 2008: 964), scheint sich mit einer neuerlichen Betonung dieses Ideals (Gottfried und O’Reilly 2002) eine Strategie zur Bewältigung von zwei gesellschatlichen Herausforderungen anzubieten: sinkende Geburtenraten und steigende Plegebedürtigkeit. Ob auch das bewusste Ignorieren von positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt eine wirksame Strategie darstellt, bleibt allerdings abzuwarten. literatur Allen, Franklin und Mengxin Zhao (2007), »he Corporate Governance Model of Japan: Shareholders Are Not the Rulers«, in: PKU Business Review, 36: 98–102. Arai, Hiroki (13.05.2011), »Keieijin no Hōshū o Sekai Toppu Kurasu ni Hikiageyo« [Heben wir die Management-Vergütung auf globales Niveau an!], in: Nikkei Bijinesu Online, http://business.nikkeibp.co.jp/article/topics/20110510/219898/ (02.06.2013). 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It became necessary to improve the employment situation for the elderly workforce since members of the so called »baby-boomer-generation« are close to reaching the oicial retirement age. he baby-boomer-generation in Japan are those born from 1947 to 1949, with the irst cohort of them having turned 65 years old in 2012. However many of Japan’s senior citizens are willing to continue working until old age. Based on the »productive ageing theory« (Bass and Caro 2001) this paper calls the internal and external factors for the motivation of elderly people staying active into question. Due to the demographic change in Japan it becomes crucial to support the participation of older people in the domestic labour market in order to ensure a sustainable development of the economy as well as successful and productive ageing at the individual level. he results of our research suggest that occupational employment options correspond insuiciently with the preferences of older people. An important reason for the limited economic participation of older people in the Japanese labour market – both in terms of quantity and quality – is the low degree of compatibility of interests and possibili- 230 Wirtschaft ties of the supply and demand side. he job ofer of companies is oten limited to the provision of non-regular employment until age 65. his uniform arrangement appears inappropriate because it does not take the divergent preferences of older people into account. In addition, the current policies do not seem to be suitable for balancing the bargaining power between irms and elderly workforces and break down the barriers on the way to a successful employment at old age. 1. einleitung Im Zuge des demograischen Wandels in Japan setzt sich der Trend eines fortschreitenden Rückgangs von Personen im erwerbsfähigen Alter und älter werdender Belegschaten unauhaltsam fort. Aufgrund des Überalterungsproblems auf dem Arbeitsmarkt wurden Maßnahmen zur Stabilisierung der Beschätigung älterer Personen getrofen, welche der erwerbstätigen Bevölkerung schrittweise bis zum 65. Lebensjahr einen Arbeitsplatz erhalten (Yamashita 2007). Zum einen sollte damit die Tragfähigkeit der Renten- und Sicherungssysteme gewährleistet und zum anderen drohenden Engpässen auf dem Arbeitsmarkt und dem daraus resultierenden Wissensverlust entgegengetreten werden (Cook und Halsall 2012; Horioka, Suzuki und Hatta 2007; Kohlbacher 2006). So sind die prognostizierten Pensionierungswellen von Arbeitnehmern aus der Baby-Boomer-Generation im Jahr 2007 ausgeblieben (Kohlbacher 2011a). Mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres der ersten Baby-Boomer-Generation im Jahr 2012 droht jedoch – bedingt durch die Vielzahl an Renteneintritten – erneut ein erheblicher Arbeitskrätemangel (Otsuka et al. 2011). Dieser Beitrag setzt sich mit den gegenwärtigen Auswirkungen einer alternden Bevölkerung auf den japanischen Arbeitsmarkt auseinander. Einerseits wird geklärt, welche personalpolitischen Regelungen in japanischen Unternehmen getrofen wurden, um der Alterung ihrer Belegschaten zu begegnen. In diesem Zusammenhang wird auch die zunehmende Verbreitung von nicht-regulären Arbeitsverhältnissen bei japanischen Männern und Frauen thematisiert (Kohlbacher 2011b; Osawa, Kim und Kingston 2012). Auf der anderen Seite wird die Motivlage japanischer Senioren, bis ins hohe Alter weiterzuarbeiten, hinterfragt. An diesem Punkt wird geklärt, ob die Motivation im Zuge von Beschränkungen wohlfahrtsstaatlicher Leistungen ausschließlich auf extrinsischen Aspekten beruht, oder ob sie durch den Zusammenhang zwischen Arbeits- und Lebenszufriedenheit, also auch intrinsisch, beeinlusst wird. Hierfür wird der Frage nachgegangen, welchen Einluss die von Bass und Caro (2001) im Konzept »productive aging« festgehaltenen internen Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 231 und externen Faktoren auf die Entscheidung japanischer Senioren, bis ins hohe Alter weiterzuarbeiten, ausüben. Diese Analyse erfolgt auf der Basis von Sekundärdaten und qualitativen Experteninterviews. Die Ergebnisse unserer Forschung deuten darauf hin, dass betriebliche Beschäftigungsoptionen nur unzureichend mit den Präferenzen Älterer korrespondieren. Politische Maßnahmen, einen stärkeren Einklang zu erzeugen, liegen nicht vor. Eine wichtige Ursache für die begrenzte ökonomische Teilhabe Älterer auf dem japanischen Arbeitsmarkt – sowohl in Bezug auf die Quantität als auch Qualität – liegt im geringen Grad der Vereinbarkeit von Interessen und Möglichkeiten von Angebots- und Nachfrageseite der Beschätigung. Während sich die Angebote der Unternehmen – in Form der Bereitstellung von nicht-regulärer Beschätigung bis zum 65. Lebensjahr – ot gleichen, ist ein solch einheitliches Arrangement unpassend, da es die divergierenden Präferenzen Älterer nicht berücksichtigt. Zwar wird Japan gerne als Vorbild für eine gelungene Arbeitsmarktintegration seiner älteren Bürger angesehen, jedoch kann dies bei genauerem Hinsehen nur auf den Anstieg der Beschätigung von Älteren, nicht aber auf den Umfang und die Qualität der zu leistenden Tätigkeiten, zutrefen. Zusätzlich scheinen die derzeitigen politischen Maßnahmen nicht geeignet, die Verhandlungsmacht zwischen japanischen Unternehmen und älteren Erwerbstätigen auszutarieren sowie die Barrieren auf dem Weg hin zu einer erfolgreichen Beschätigung im Alter abzubauen. Dieser Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird ein Überblick über die relevante Literatur zum hema Beschätigung im Alter gegeben und die theoretische Grundlage der vorliegenden Arbeit dargestellt. Nachdem in der Folge kurz auf die Forschungsmethode eingegangen wird, erfolgt die Analyse der Situation älterer Beschätigter auf dem japanischen Arbeitsmarkt. Die Ergebnisse der Analyse werden dann mithilfe des »productive aging framework« diskutiert, um im Anschluss den Beitrag mit einem Fazit abzuschließen. 2. literaturüberblick und theoretische Grundlage In der Diskussion um die zuküntige Situation auf den Arbeitsmärkten in entwickelten Industriestaaten gewinnt das hema »Alter(n) und Beschätigung« immer mehr an gesellschatspolitischer Aufmerksamkeit (siehe z.B. Bender 2010; Conrad, Heindorf und Waldenberger 2008). Dass sich im Zuge des demograischen Wandels eine deutliche Alterung der Belegschaten auf den Arbeitsmärkten bemerkbar machen wird, erregt nicht nur in Japan viel Aufmerksamkeit (siehe z.B. Frerichs 2010; Hülskamp 2010; MacKellar et al. 2004). 232 Wirtschaft Es lässt sich jedoch keine allgemeingültige Deinition dafür inden, ab welchem Alter jemand auf dem Arbeitsmarkt als »alt« gilt (Heinze, Naegele und Schneiders 2011). Richtet sich der Blick auf Rentenbestimmungen, so kann man bei Erreichen des 60. Lebensjahres von älteren Arbeitnehmern sprechen. Auf der Ebene der Unternehmen beginnt die Unterscheidung zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern bereits deutlich früher, etwa ab dem 45. Lebensjahr (siehe z.B. Hofäcker 2010; Pitt-Catsouphes und Smyer 2006). In der Literatur werden mit der demograischen Entwicklung große Herausforderungen verbunden, welche durch die sinkende Zahl junger, qualiizierter Stellenbewerber und durch die Besetzung von Arbeitsplätzen mit älteren Arbeitnehmern entstehen. So werden den Unternehmen mit einer insgesamt älteren Belegschat mangelnde Innovationsrenditen und Wettbewerbsfähigkeit nachgesagt. Darüber hinaus können ältere Belegschaten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten höhere Kosten erzeugen. Zum anderen wird für die Organisationen ein hoher Wissensverlust befürchtet, wenn von den geburtenstarken Jahrgängen große Beschätigtengruppen aus dem Beruf zeitgleich ausscheiden. Zugleich wird befürchtet, dass der Wegfall der organisationalen Wissensbasis nur unzureichend von jüngeren Fachkräten kompensiert werden kann (siehe z.B. Flüter-Hoffmann 2010; Kohlbacher 2011a, 2011b, 2011c; Sporket 2011). Denn sofern sie ihre psychische und physische Gesundheit beibehalten, zeichnen sich ältere Belegschaten mit Blick auf die vielfältigen Erfahrungen und angeeignetes Expertenwissen in erster Linie durch ihre Führungsfähigkeiten, ihre Arbeitsroutine und ihre Unternehmensloyalität aus. Überdies sind gewisse Senioren durchaus motiviert, bis ins hohe Alter zu arbeiten, um auch im Alter noch durch produktive Tätigkeiten einen Beitrag für die Gesellschat zu leisten (Kooij et al. 2008; Shacklock und Brunetto 2011; Williamson und Higo 2009). Dabei kann sich ein beruliches Engagement positiv auf das seelische und körperliche Wohlbeinden im Alter auswirken (Matz-Costa et al. 2012). An diesem Punkt setzt das Konzept »productive aging« an. Caro, Bass und Chen (1993) deinieren produktives Altern als »any activity by an older individual that produces goods and services, or develops the capacity to produce them, whether they are to be paid or not«. Sonach können in alternden Gesellschaten mithilfe des Humankapitals älterer Menschen wichtige ökonomische sowie soziale Beiträge geleistet werden. Als Beispiel dienen hier bezahlte Tätigkeiten, Freiwilligenarbeit, Plegearbeit und großelterliche Betreuungsarbeit (Bass und Caro 2001; Morrow-Howell und Wang 2013). Der Fokus dieser Analyse liegt jedoch nur auf der Erwerbsarbeit, also bezahlter Arbeit. Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 233 Abbildung 1: Konzeptioneller Bezugsrahmen des »Productive Aging« Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Bass und Caro (2001: 47). Inwiefern sich ältere Menschen produktiv betätigen, ist laut des Konzeptes »producitve aging« sowohl von individuellen Voraussetzungen als auch externen Faktoren, wie der vorherrschenden sozialpolitischen Gesetzgebung, abhängig. Nach Bass und Caro stehen die Bereiche »Umweltbedingungen«, »Lebensumstände« und »Individualität« in Wechselwirkung mit dem Bereich »Sozialpolitik«. Schließlich führt dieses Konstrukt zu einem »Ergebnisbereich«, welcher durch die Beteiligungsquote älterer Menschen an produktiven Tätigkeiten ausgedrückt wird. An diesem Punkt wird jedoch deutlich, dass die Erwerbsbeteiligungsquote noch keinen Aufschluss über die Qualität der angebotenen Arbeitsstellen für ältere Menschen gibt. Grundlegend für die Ausübung produktiver Betätigungen ist der Erhalt der eigenen Unabhängigkeit, welche durch den psychischen und physischen Gesundheitszustand beeinlusst wird. In einer weiteren Deinition des Konzeptes »productive aging« sprechen Butler und Geason (1985) deshalb von »the capacity of an individual or a population to serve in the paid workforce, to serve in volunteer activities, to assist in the family, and to maintain himself or herself as independently as possible«. Nach Butler, Oberlink und Schechter (1990) ist das gesundheitliche 234 Wirtschaft Wohlbeinden eine Grundvoraussetzung für »productive aging«. Ausgehend vom Familienleben und Freundschaten wird neben Gesundheit, Hobbys und inanzieller Stabilität auch Arbeit als Schlüsselfaktor für ein erfolgreiches respektive produktives Altern verstanden (Büsch, Dittrich und Lieberum 2010; Cavanaugh und Blanchard-Fields 2011; Rowland 2012). Dabei wird die Arbeitsmotivation älterer Menschen von der Selbstwahrnehmung, der organisationalen Zugehörigkeit und kognitiven Fähigkeiten beeinlusst (Kooij et al. 2008). Emotionale Verbundenheit zur täglich ausgeübten Berufsarbeit steht dabei vor allem in Abhängigkeit von den Arbeitsinhalten. Als Beispiel dient hier die intrinsische Motivation eines Arztes, der sich verplichtet fühlt, andere Menschen zu heilen (Shacklock und Brunetto 2011). In der Literatur indet sich in diesem Zusammenhang die bedeutende Rolle der »Arbeitsleidenschat« für die Entscheidung, auch im hohen Alter noch einer berulichen Tätigkeit nachzugehen, wieder (siehe z.B. Barnes, Parry und Taylor 2004; Patrickson und Ranzijn 2004). Weiterhin ist die inanzielle Lage ein ausschlaggebender Punkt für die Entscheidung, bis ins hohe Alter weiterzuarbeiten oder frühzeitig in Rente zu gehen. Sofern die Einkünte zum Erhalt des Lebensstandards nicht ausreichen, erscheint die Option des vorgezogenen Ruhestands als nicht realistisch (Jackson et al. 2006; Phillipson 2004). 3. Forschungsmethode Die in diesem Beitrag vorgestellten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen stammen aus einer umfassenden empirischen Situationsanalyse des japanischen Arbeitsmarktes auf der Makro- und Mikroebene. Die Bewertung der gegenwärtigen Sachlage erfolgte auf der Basis von entsprechender Literatur, Institutionsberichten (MHLW 2012a; OECD 2011), Sekundärdaten (MIC 2012a, 2013) sowie Primärdaten in Form von qualitativen Experteninterviews (Froschauer und Lueger 2008; Gläser und Laudel 2010) mit Forschern, Managern und weiteren Experten. Dabei wurde darauf geachtet, Expertenmeinungen aus der staatlichen, organisationalen sowie individuellen Perspektive zu berücksichtigen. So wurden beispielsweise in einem Gespräch mit Atsuhiro Yamada, Professor für Sozialpolitik an der Keio Universität in Tokio, die Standpunkte sozialpolitischer Entscheidungsträger in Japan diskutiert. Für eine Anschauung des Angebots von Unternehmen für ältere Beschätigte sowie des organisationalen Bedarfs diente ein Interview mit Kenji Ueda, dem Gründer und Chairman der Personalvermittlungsirma Kōreisha (»Alte-Leute-Firma«) sowie deren Präsidenten Shoji Ariga. Kōreisha richtet sich ausschließlich an ältere Arbeitskräte. Zum hema »Schlüsselfaktoren für ein erfolg- Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 235 reiches Altern« wurde ein Gespräch mit Tadaaki Masuda, dem stellvertretenden Direktor der Japan NGO Council on Ageing (JANCA) geführt. Weitere Gespräche mit japanischen Senioren ergaben außerdem Aufschluss darüber, welche Faktoren für ein gesellschatsproduktives Engagement im gehobenen Alter entscheidend sind. Mithilfe dieser Informationen ließen sich aufschlussreiche Anhaltspunkte der Motivationsfaktoren japanischer Senioren, bis ins hohe Alter weiterzuarbeiten, ergründen, um im Anschluss daran die betrieblichen Beschätigungsoptionen mit den Präferenzen Älterer für eine Bewertung gegenüberzustellen. 4. auswirkungen des demograischen Wandels auf den japanischen arbeitsmarkt In Japan, wie auch in anderen entwickelten Industriestaaten, vollzieht sich gegenwärtig ein gesellschatlicher Wandel, welcher durch eine steigende Lebenserwartung auf der einen Seite und sinkende Geburtenraten auf der anderen Seite geprägt ist (Frerichs 2010). Im Jahr 2012 war bereits annähernd ein Viertel der Gesamtbevölkerung 65 Jahre oder älter und hat damit Anspruch auf Rentenbezüge (MIC 2012a). Das Rentenversicherungssystem ist in Japan mehrstuig unterteilt. Zum einen zahlen als Basis alle 20- bis 59-jährigen Bürger Beiträge in eine staatliche oder quasi-staatliche Rentenkasse. Dieses umlage- und steuerinanzierte Volksrentensystem kokumin nenkin umfasst nicht nur alle regulär Beschätigten als Beitragszahler, sondern auch Selbstständige, Studenten und Teilzeitarbeiter. Zusätzlich zur Grundrente existiert die Angestelltenrentenversicherung kōsei nenkin, welche teils kapitalgedeckt, teils umlageinanziert und durch einkommensabhängige Beitragszahlungen inanziert wird. Während es für Beamte und Lehrer an Privatschulen noch Sondersysteme in Form von genossenschatlichen Unterstützungskassen kyōsai nenkin gibt, ist die Angestelltenversicherung für alle unter 70-jährigen Beschätigten verplichtend, die in einem Betrieb mit mindestens fünf Mitarbeitern arbeiten. Die Rentenhöhe steht dabei in Abhängigkeit mit der Versicherungszeit, dem Beschätigungsstatus, dem Einkommen, dem Alter sowie dem Familienstand. Auf der dritten Ebene steht die freiwillige Zusatzvorsorge. Hier ist neben den nationalen und betrieblichen Pensionsfonds noch das Altersruhegeld (=Abindung) taishokukin als japanische Besonderheit zu nennen. Die Höhe des Altersruhegeldes, welches von vielen Organisationen nach Erreichen des betrieblichen Renteneintrittsalters ausgezahlt wird, richtet sich je nach der Zugehörigkeitsdauer zu einem 236 Wirtschaft Unternehmen oder einer staatlichen Organisation (Conrad 2001; Kamppeter 2006; Seike 2008; Tivig und Waldenberger 2011). In Japan machten sich die Auswirkungen des demograischen Wandels als Bedrohung sowohl für das bestehende Rentensystem als auch für den Arbeitsmarkt in besonderer Weise im Jahr 2007 bemerkbar: nisennana nen mondai, das »Jahr2007-Problem«. Da die gesetzliche Mindestaltersgrenze zu dieser Zeit bei 60 Jahren lag, war befürchtet worden, dass eine Pensionierungswelle mit dem Erreichen des 60. Lebensjahres der dankai sedai, also der engen Deinition nach den geburtenstarken Jahrgängen zwischen 1947 bis 1949, eintreten könnte (Kohlbacher 2006, 2007). Zu der Zeit als sich Japan von den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs erholte, wurden zwischen den Jahren 1947 und 1949 in Japan mehr als 8 Millionen Neugeborene, die sogenannten »Baby-Boomer«, registriert. Zwischen den Jahren 1950 bis 1952 folgte die zweite Welle der geburtenstarken Generation mit rund 6,7 Millionen Neugeborenen (MIC 2013a). Diese Generationen übten großen Einluss auf den sozioökonomischen Aufschwung Japans aus. In einer Zeit des zunehmenden Wohlstands entwickelte sich durch die Verbreitung lebenslanger Anstellungsverhältnisse ein Plichtbewusstsein und Loyalität dieser Jahrgänge gegenüber ihren Arbeitgebern (Coulmas 2007; Frerichs 2010). Eine drohendende Renteneintrittswelle dieser Baby-Boomer-Generation und der damit verbundene Arbeitskrätemangel hätte Japan vor erhebliche mikro- und makroökonomische Probleme gestellt (Kohlbacher 2006, 2010). Doch wurden in Japan schon frühzeitig Maßnahmen ergrifen, um mit der Sicherung von Arbeitsplätzen gleichzeitig wohlfahrtsstaatliche Leistungen für ältere Menschen aufrechterhalten zu können. So wurde im Jahr 1971 das kōreisha koyō anteihō, also ein Stabilitätsgesetz zur Beschätigung von älteren Personen, verabschiedet. Zum einen sah das Gesetz vor, das Renteneintrittsalter schrittweise zu erhöhen und zum anderen ein Beschätigungssystem zu etablieren, welches die Einstellung von älteren Arbeitskräten vereinfacht (Yamashita 2007). Mit der im Jahr 2006 in Krat getretenen, vorletzten Novelle dieses Stabilitätsgesetzes konnte dem drohenden Jahr-2007-Problem entgegengewirkt werden. Sonach wurden Firmen vor die Wahl gestellt, ob sie ein Weiterbeschätigungssystem für ihre älteren Arbeitnehmer etablieren, die betriebsinterne Altersgrenze freiwillig erhöhen oder ganz auheben (Kohlbacher und Weihrauch 2009). Für die Weiterbeschätigung von älteren Arbeitnehmern wirkte sich diese Gesetzesnovelle einer Studie des Kōsei Rōdōshō (Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales) zufolge vorteilhat aus. Demzufolge haben seit dem Jahr 2006 mehr als 90 Prozent der rund 4.300 untersuchten Firmen mit mehr als 30 Beschätigten das Pensionierungsalter auf mindestens 60 Jahre angehoben und zusätzlich ein System geschafen, welches die Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 237 Anstellungsverhältnisse bis zum Erreichen des 65. Lebensjahr sichert (JILPT 2013). Im Vergleich zum Jahr 2006 ist die Erwerbsbeteiligungsquote der 60- bis 65-Jährigen in ganz Japan von 55,1 Prozent auf 60,5 Prozent im Jahr 2012 angestiegen (MIC 2013b). Auf der Organisationsebene wird in diesem Zusammenhang eine Erhöhung des Durchschnittsalters der Belegschaten beobachtet (Hülskamp 2010). Indessen erreichte im Jahr 2012 der erste Jahrgang der über 6 Millionen Erwerbstätigen aus der Baby-Boomer-Generation das 65. Lebensjahr und ist nach dem oiziellen Renteneintrittsalter von 65 Jahren dazu berechtigt, in Rente zu gehen (MIC 2013c). Vor diesem Hintergrund wurde das Gesetz zur Stabilisierung der Beschätigung älterer Personen erneut geändert, um sowohl dem erneut drohenden Arbeitskrätemangel als auch dem Wissensverlust vorzubeugen. Mit Beginn des Fiskaljahres 2013 wurden japanische Unternehmen dazu verplichtet, ihren Arbeitnehmern den Arbeitsplatz bis zu deren 65. Lebensjahr zu garantieren (MHLW 2012b). Daneben bietet die halbstaatliche Institution kōrei shōgaisha koyō shien kikō (Organisation zur Beschätigung von Älteren, Menschen mit Behinderung und Arbeitssuchenden (JEED)) in allen japanischen Präfekturen Beratungsdienstleistungen für Arbeitgeber zum hema Mitarbeiterbeschätigung bis ins Alter von 70 Jahren an. Im Einzelnen geht es dabei um die Erarbeitung von einer altersgerechten Arbeitsplatzgestaltung und einer Personalpolitik, die ein gerechtes Entlohnungssystem beinhaltet. Da die hohen Kosten einer Weiterbeschätigung von älteren Arbeitnehmern besonders für kleine und mittelgroße Unternehmen eine große Belastung darstellen, sieht die Unterstützung der koyō shien kikō neben den Beratungstätigkeiten auch inanzielle Zuschüsse von bis zu fünf Millionen Yen vor (JEED 2012). Das heißt es wird mit »staatsinterventionistischen« Maßnahmen in Form von Subventionen Vorsorge getrofen, um die (Re-)Integration älterer Belegschaten in die Erwerbsarbeit zu wahren (Frerichs 2010). 4.1 arbeitsangebot für ältere arbeitnehmer Japanische Unternehmen reagieren mit unterschiedlichen Strategien, um mit der größer werdenden Zahl älterer Arbeitnehmer umzugehen und entsprechende Arbeitsplätze bereitzustellen. Eine Gemeinsamkeit liegt jedoch in der Absicht, entgegen dem noch immer praktizierten Senioritätsprinzip, Personalkosten für ältere Arbeitnehmer möglichst gering zu halten. Dieses Prinzip wird vor allem durch die Versetzung von älteren Erwerbspersonen in ungeschützte Beschätigungsverhältnisse erreicht (Frerichs 2010). Begleitet wird dieser Umstand von einem generellen Wandel der japanischen Arbeitskultur. Denn das Phänomen von älteren Beleg- 238 Wirtschaft schaten bezieht sich keinesfalls mehr ausschließlich auf männliche Japaner. Das immer mehr Frauen einem Beruf bis ins hohe Alter nachgehen, ist Ausdruck einer Ablösung traditioneller Rollenmuster, die sich in der japanischen Gesellschat wiederinden lässt (Coulmas 2007). Spätestens seit der Etablierung des im Jahr 1986 in Krat getretenen danjo koyō kikai kintō-hō, also einem Gesetz zur Gleichberechtigung von Erwerbschancen, setzte eine Mobilisierung der weiblichen Erwerbsbevölkerung in allen Alterskohorten ein (Haak und Haak 2006; Himeoka 2008). Dieser Trend ist ein Resultat der Verbreitung von nicht-regulären Arbeitsverhältnissen. Dabei ist nicht-reguläre Beschätigung im Allgemeinen durch mehr oder weniger kurzfristige Arbeitsverträge gekennzeichnet und umfasst die Gruppe von Tagelöhnern, Heimarbeitern sowie Teilzeit- und Leiharbeitern (Iwata 2004). Gegenüber regulär Beschätigten fehlt es diesen Erwerbstätigen neben betrieblichen Zusatzleistungen insbesondere an Sicherheit in Bezug auf ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen (Mikl-Horke 2011). In Japan ist in erster Linie die patō, also die Teilzeitarbeit, stark verbreitet (Coulmas 2007). Seit dem Jahr 1985 ist in Japan der Anteil nicht-regulär Beschätigter von insgesamt 16,4 Prozent auf 35,2 Prozent im Jahr 2012 angestiegen. Teilzeitarbeitsplätze machen dabei den größten Anteil nicht-regulärer Beschätigung aus. Während im Jahr 1985 noch 3,6 Millionen Japaner auf Teilzeitbasis beschätigt waren, ist die Gruppe der Teilzeitarbeitnehmer im Jahr 2012 auf rund 8,8 Millionen gestiegen. Daneben sind im gleichen Zeitverlauf auch die Gruppen von Leih- und Vertragsarbeitern stetig angestiegen (MIC 2013d). Abbildung 2: Reguläre vs. nicht-reguläre Beschätigung (nach Geschlecht und Altersgruppen, 2012, in %) 239 Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an MIC (2013). Im Jahr 2012 war der Anteil an Frauen, die einer nicht-regulären Tätigkeit nachgingen, mit fast 55 Prozent höher als der Anteil derer, die regulär beschätigt waren. Im Verhältnis dazu gingen unter Japans Männern nur knapp 20 Prozent einer nicht-regulären Tätigkeit nach. Innerhalb der Gruppe der über 65-Jährigen ist der Anteil nicht-regulärer Beschätigter im Vergleich zu anderen Altersgruppen sowohl unter Frauen als auch unter Männern am größten. Von den rund 6 Millionen männlichen und weiblichen Berufstätigen aus dieser Altersgruppe gingen mehr als zwei Drittel einer nicht-regulären Arbeit nach (MIC 2013e). Abbildung 3: Anteil von nicht-regulärer Beschätigung (nach Altersgruppen, 1988–2012, in %) 15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 65 und älter 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an MIC (2013). ! 2012 2010 2008 2006 2004 2002 2000 1998 1996 1994 1992 1990 1988 0% 240 Wirtschaft Mit Blick auf den zeitlichen Verlauf ist ein deutlicher Anstieg von nicht-regulärer Beschätigung unter älteren Erwerbstätigen zu verzeichnen. Während im Jahr 2000 noch 31,8 Prozent der 55- bis 64-jährigen Japaner einer nicht-regulären Beschätigung nachgingen, so waren es im Jahr 2012 schon 46,2 Prozent. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen ist der Anteil an nicht-regulären Arbeitsplätzen mit Abstand am größten. Seit dem Jahr 1990 gingen im Verhältnis mehr als die Hälte der Erwerbstätigen aus der Altersgruppe der über 65-Jährigen einer nicht-regulären Beschätigung nach. Im Jahr 2012 ist dieser Anteil auf 68,8 Prozent weiter angestiegen (MIC 2013f). Die Personalpolitik für ältere Arbeitnehmer von japanischen Unternehmen ist seit geraumer Zeit darauf ausgerichtet, bei einer steigenden Anzahl älterer Fachkräte gleichzeitig eine Anpassung der Gehälter auf ein niedrigeres Niveau mithilfe des Ausbaus von nicht-regulären Arbeitsstellen anzustreben (Yamada und Higo 2011). So steht beispielsweise Toyota vor der Einführung von »Halbzeit«-Arbeit für Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr erreicht haben. Das Unternehmen reagiert mit diesem Ausbau von Halbtagsstellen auf die größer werdende Gruppe von älteren Mitarbeitern, von denen viele auch über das oizielle Renteneintrittsalter hinaus noch arbeiten möchten. Des Weiteren prüt das Unternehmen ein System, welches eine monatliche Auszahlung der betrieblichen Abindung schrittweise vorsieht. Das Beschätigungssystem des Automobilkonzerns Nissan sieht seit dem Jahr 2000 für die über 59-jährigen Mitarbeiter eine Wiedereinstellung auf Teilzeitbasis vor. Beim Chemiekonzern Nihon Seiko ist es zwar möglich, bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres als Vollzeitkrat beschätigt zu sein, doch müssen die Arbeitnehmer im höheren Alter entsprechende Gehaltseinbußen in Kauf nehmen (Kohlbacher und Mollenhauer 2013). Auch für die älteren Personen in Tokio, die mithilfe der Personalagentur Kōreisha, welche sich ausschließlich an arbeitswillige Senioren richtet, nach einer bezahlten Beschätigung suchen, werden meist Teilzeitstellen als Hilfskräte, Wartungstechniker oder Telefonisten angeboten. Die Personalagentur vermittelt seit ihrer Gründung im Jahr 2000 Arbeitsstellen an Senioren. In einer Umfrage, an der 270 Klienten von Kōreisha teilgenommen haben, gaben 57,4 Prozent der Befragten an, die Fortführung ihrer Erwerbstätigkeit als zweckerfüllende Maßnahme im Sinne des ikigai anzusehen. So streben viele Japaner nach einem dauerhaten Gefühl der Lebensfreude, welches als persönliches ikigai verstanden wird. Gleichzeitig ist jedoch auch für 54,8 Prozent der inanzielle Aspekt ein Grund für die Fortführung der Erwerbstätigkeit (Higo, Kohlbacher und Witzke 2010). Doch obwohl dem Arbeitsmarkt immer mehr jüngere Fachkräte fehlen, so vermittelt Kōreisha bisher an seine ältere Klientel primär nur kleinere Jobs im Ausmaß von 30 Stunden pro Monat (Szigetvari 09.11.2012). Anders sieht die Arbeits- 241 Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt situation in vielen japanischen Universitäten aus. Dort hat ein Umdenken in der Personalpolitik dazu geführt, dass viele Angestellte durch eine Erhöhung respektive Auhebung der Altersgrenze die Möglichkeit erhalten, bis zum gewünschten Zeitpunkt unter regulären Bedingungen und zu vollen Bezügen weiterzuarbeiten. So prognostiziert der 63-jährige Wirtschatsprofessor Hiroshi Takata, der an einer Privatuniversität in Tokio lehrt, dass er erst mit 71 Jahren in Rente gehen wird, da sein Arbeitgeber die Altersgrenze für Bedienstete auf 70 Jahre angehoben hat. Demnach gibt es keine einheitliche sowie branchenübergreifende Strategie, wie mit der weiter wachsenden Gruppe älterer Arbeitnehmer richtig umgegangen wird. So sind beispielsweise Erwerbstätige aus der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen in Zukuntsbranchen deutlich unterrepräsentiert. Von den fast 6 Millionen Erwerbspersonen aus dieser Altersgruppe sind lediglich rund 60.000 Personen in Berufen der Informations- und Kommunikationsbranche beschätigt. Im Gegensatz dazu gehen rund 810.000 Lohnempfänger im gleichen Alter einem Beruf im Industriesektor nach (MIC 2012b). 4.2 Motivationsfaktoren älterer arbeitnehmer Ein Vergleich des Verhältnisses zwischen dem efektiven und oiziellen Renteneintrittsalter von Männern und Frauen zeigt, dass Japan im Vergleich mit ausgewählten OECD-Ländern eine Spitzenposition einnimmt. Abbildung 4: Efektives und oizielles Renteneintrittsalter von Männern und Frauen in ausgewählten OECD-Ländern Land Mexiko Südkorea Island Japan USA Australien Großbritannien Deutschland Frankreich Österreich Männer efektiv 72,2 70,3 69,7 69,7 65,5 64,8 64,3 61,8 59,2 58,9 oiziell 65 60 67 65 66 65 65 65 60 65 Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an OECD (2011). Frauen efektiv 69,5 69,8 65,4 67,3 64,8 62,9 62,1 60,5 59,7 57,5 oiziell 65 60 67 65 66 64 60 65 60 60 242 Wirtschaft Trotz des bestehenden oiziellen Renteneintrittsalters von 65 Jahren gehen japanische Männer im Durchschnitt erst mit 69,7 Jahren in Ruhestand, während Frauen mit 67,3 Jahren in Rente gehen. Die einzigen Länder, die Japan in dieser Gegenüberstellung übertrefen, sind Mexiko, Südkorea und Island (OECD 2011). Die Erwerbsbeteiligungsquote in der Altersgruppe der 55-64-Jährigen lag im Jahr 2010 in Japan bei 68,7 Prozent, wobei die Quote bei den Männern mit 83,9 Prozent deutlich höher ausfällt als bei den Frauen mit 53,9 Prozent. Island übertrit Japan bei diesem Vergleich der Erwerbsbeteiligungsquote in dieser Altersgruppe mit 84,2 Prozent. Des Weiteren fällt die Quote vor allem aufgrund der höheren weiblichen Erwerbsbeteiligung in den Niederlanden mit 83,6 Prozent, Neuseeland mit 75,9 Prozent, Schweden mit 74,6 Prozent, der Schweiz mit 70,7 Prozent und Norwegen mit 69,6 Prozent noch höher aus als in Japan (OECD 2012). Die Motivation älterer Japaner, auch nach Erreichen des oiziellen Renteneintrittsalters weiterzuarbeiten, wird maßgeblich von zwei Umständen bestimmt: Zum einen suchen viele Japaner auch im gehobenen Alter weiter nach »sinnvollen« Tätigkeiten im Sinne des ikigai. Zum anderen besteht für viele ältere Menschen die ökonomische Notwendigkeit, einer bezahlten Tätigkeit bis ins hohe Alter nachzugehen (Kohlbacher und Mollenhauer 2013). Mit Blick auf diese beiden Motivationslagen lautet die Kernfrage, welche Präferenzen zwischen regulärer und nicht-regulärer Beschätigung auf Seiten der japanischen Senioren vorliegen. Beruliche Tätigkeiten auf nicht-regulärer Basis bieten vor allem für diejenigen eine Perspektive, die nicht auf ein vollwertiges Gehalt angewiesen sind. Sonach bietet ein nicht-regulärer Job aufgrund der guten Vereinbarkeit des Arbeits- und Privatlebens eine geeignete Alternative zu einer Vollzeitstelle. Schließlich ist der soziale Faktor – wie beispielsweise die Beziehungen zu Arbeitskollegen – von Arbeit nicht außer Acht zu lassen. Nach Tadaaki Masuda, dem stellvertretenden Direktor der Organisation Japan NGO Council on Ageing (JANCA), ist die Freude am eigenen Beruf eine wichtige Stütze für ein »erfolgreiches Altern«. Als Basis des ikigai sieht Masuda das Familienleben und den Freundeskreis an. Um dieses Gerüst herum wirken sich neben dem Faktor Arbeit noch weitere Faktoren, wie das Lebensumfeld, Hobbys, Gesundheit und die persönliche inanzielle Sicherheit, positiv oder negativ auf die innere Zufriedenheit aus. Letztlich müssen sich die älteren Arbeitnehmer jedoch der Personalpolitik ihres Arbeitgebers fügen. Eine Studie des halbstaatlichen Nihon Rōdō Kenkyū Kikō (Japanisches Institut für Arbeitspolitik und praktische Ausbildung (JILPT)) aus dem Jahr 2011 kam zu dem Schluss, dass in Japan immer noch zu viele Arbeitnehmer dazu gedrängt werden, bei Erreichen des oiziellen Renteneintrittsalters in den Ruhestand zu gehen. Es wird befürchtet, dass diese älteren Menschen ohne feste Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 243 Beschätigung keine ausreichende Rente erhalten und die Chancen auf Erhaltung des Lebensstandards dementsprechend schwinden (Otsuka et al. 2011). Doch zeigt sich, dass es durchaus eine ökonomische Notwendigkeit unter den älteren Menschen gibt, bis ins hohe Alter weiterbeschätigt zu sein. Aus einer vorherigen Studie des Nihon Rōdō Kenkyū Kikō aus dem Jahr 2009 geht hervor, dass unter den arbeitenden 60- bis 64-jährigen Männern 73,2 Prozent aufgrund des inanziellen Aspekts auf ihre Arbeitsstelle angewiesen sind. Dagegen gaben nur 7,6 Prozent dieser Altersgruppe an, eine fortgeführte beruliche Tätigkeit als lebenswerte und sinnstitende Aufgabe im Sinne des ikigai zu verstehen. Unter den Männern in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen fällt der Unterschied geringer aus. Während 53 Prozent angaben, auf das Gehalt angewiesen zu sein, gaben 15,3 Prozent an, das eigene Leben bereichern zu wollen und daneben einen gesellschatlichen Beitrag zu leisten. Bei den japanischen Frauen im Alter von 60 bis 64 Jahren gaben 56,9 Prozent an, dass für die Entscheidung einer Weiterbeschätigung die inanzielle Lage ausschlaggebend ist, während 16,2 Prozent aus innerem Antrieb weiterarbeiten. Ähnlich wie bei den befragten Männern aus der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen zeigt sich auch bei den Frauen aus dieser Altersgruppe, dass im gehobenen Alter die inanzielle Notwendigkeit geringer ausfällt. Dennoch gaben 44,5 Prozent der 65- bis 69-jährigen Frauen an, aus inanziellem Anlass ihrem Beruf nachzugehen, während 15,4 Prozent aufgrund von intrinsischen Motivationsfaktoren arbeiten (JILPT 2009). 5. diskussion In diesem Kapitel werden die dargelegten Erkenntnisse zu den gegenwärtigen Herausforderungen des japanischen Arbeitsmarktes diskutiert. Dabei wird deutlich, inwieweit in einer Gesellschat mit sinkender Geburtenrate und steigender Lebenserwartung das Konzept »productive aging« immer mehr an Bedeutung gewinnt. 5.1 arbeitsmarktpolitische entwicklungen aus staatlicher Perspektive Nachdem die im Jahr 2006 in Krat getretene Gesetzesänderung zur Stabilisierung der Beschätigung von älteren Personen das prognostizierte Jahr-2007-Problem abwenden konnte, droht im Jahr 2013 das gleiche Szenario. Mit Erreichen des 65. Lebensjahres der über 7 Millionen Erwerbstätigen aus der Baby-Boomer-Generation steht Japan durch vermehrte Pensionierungen vor einem Arbeitskrätemangel so- 244 Wirtschaft wie dem Verlust betriebsspeziischen Wissens (Kohlbacher und Mollenhauer 2013). Die staatlich vorgegebenen Richtlinien zu einer sowohl für die Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite gewinnbringenden Arbeitspolitik bildet nach dem Konzept »productive aging« einen wichtigen externen Faktor für die Motivation älterer Menschen, auch nach Erreichen des oiziellen Renteneintrittsalters eine produktive respektive beruliche Tätigkeit auszuüben (Bass und Caro 2001). Vor diesem Hintergrund werden mithilfe der letzten Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2012 japanische Unternehmen sowohl beratungstechnisch als auch inanziell unterstützt, sofern sie ihren Mitarbeitern bis zu deren 70. Lebensjahr den Arbeitsplatz sichern. Das heißt die politischen Entscheidungsträger haben durchaus Rahmenbedingungen für einen produktiven Beitrag der älteren Gesellschatsmitglieder geschafen. Primär wird mit diesem Eingrif in die Arbeitsmarktpolitik versucht, die mit dem demograischen Wandel verbundenen volkswirtschatlichen Einbußen größtmöglich einzudämmen. Doch wird der Anschein geweckt, dass die Notwendigkeit einer vollständigen Integration älterer Arbeitnehmer sowie deren Potenziale noch nicht ausreichend erkannt wurden (Kohlbacher und Mollenhauer 2013). Die staatliche Unterstützung in Form von Beratungsdienstleistungen und inanzieller Zuschüsse bewirkt nur eine begrenzte ökonomische Teilhabe auf dem japanischen Arbeitsmarkt, da vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen die hohen Kosten einer Einstellung älterer Arbeitnehmer fürchten, welche unter anderem durch eine Beibehaltung des noch immer in Japan vorherrschenden Senioritätsprinzips entstehen (Yashiro 2011). Demnach reichen die staatlichen Richtlinien nicht aus, die Verhandlungsmacht zwischen Unternehmen und älteren Belegschaten im Gleichgewicht zu halten. 5.2 arbeitsmarktpolitische entwicklung aus unternehmensperspektive Im Hinblick auf die steigende Anzahl an älteren Mitarbeitern steht bei der gegenwärtigen Personalpolitik vieler japanischer Unternehmen besonders der Personalkostenabbau im Vordergrund. Mit der Etablierung nicht-regulärer Jobs für ältere Arbeitnehmer umgehen viele Unternehmen das auf Seniorität basierte Entlohnungssystem und können dennoch auf das betriebsspeziische Expertenwissen ihrer älteren Mitarbeiter zurückgreifen (Yashiro 2011). So lassen sich aus unternehmerischer Sicht mit der Bereitstellung von nicht-regulären Arbeitsplätzen für Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 245 Ältere durchaus potenzielle Wettbewerbsvorteile erzielen (Kohlbacher und Mollenhauer 2013). Neben den höheren Personalkosten für vollwertige ältere Arbeitnehmer fallen auch die Weiterbildungskosten für ältere Fachkräte höher aus. Hingegen sind die Bedenken, dass sich eine größere Anzahl älterer Arbeitnehmer für die Berufsaussichten jüngerer Fachkräte negativ auswirken, unbegründet (Munnel und Wu 2012). Vielmehr wird der demograische Wandel dazu führen, dass nicht genügend jüngere Japaner ins Erwerbsleben eintreten und somit der Bedarf am Produktivitätspotenzial älterer Arbeitnehmer in Zukunt weiter steigen wird (Backes-Gellner 2012). Um diesem drohenden Fachkrätemangel zu begegnen, bedarf es seitens der Unternehmen Initiativen, die eine Förderung des intergenerationalen Wissensaustauschs zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern vorsehen (Kohlbacher 2006). So sollte das biologische Alter laut Yoshihiko Hisada, Manager und Mitglied der Geschätsleitung bei der japanischen Niederlassung des Personaldienstleiters Adecco S.A, nicht darüber entscheiden, wann eine Person aus dem Erwerbsleben austritt. Vielmehr proitieren seiner Meinung nach die Organisationen von den persönlichen Fertigkeiten sowie dem über die Jahre angesammelten Expertenwissen ihrer älteren Mitarbeiter. An diesem Punkt sind ein generelles Umdenken in der Personalpolitik sowie eine positive Einstellung gegenüber älteren Erwerbspersonen dringend nötig (Yashiro 2011). Daneben können Personalvermittlungsagenturen, wie beispielsweise Kōreisha, für passende Stellenbesetzungen unterstützend wirken. 5.3 arbeitsmarktpolitische entwicklung aus individueller Perspektive Die durch das Gesetz zur Stabilisierung der Beschätigung älterer Menschen vorgegebenen Rahmenbedingungen haben rückblickend einen positiven Efekt auf die Weiterbeschätigung von älteren Arbeitnehmern bewirkt. Dies drückt sich durch die im internationalen Vergleich hohen Erwerbsbeteiligungsquoten älterer Menschen aus. Dabei wird die Arbeitsmotivation von älteren Menschen maßgeblich von der inanziellen Lage beeinlusst, während dem inneren Antrieb eine geringere Bedeutung zukommt (Kohlbacher und Mollenhauer 2013). 246 Wirtschaft Abbildung 5: Erweiterung des Konzepts »Productive Aging« in Bezug auf Beschäftigungsoptionen für ältere Arbeitnehmer in Japan Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Bass und Caro (2001: 47). Nach dem Konzept »productive aging« bedeutet dies, dass letztlich die persönliche inanzielle Situation, also »Bereich B«, darüber entscheidet, ob die Erwerbstätigkeit bis ins hohe Alter fortgeführt wird. Sofern ältere Arbeitnehmer weiterhin auf eine bezahlte Tätigkeit zur Erhaltung des Lebensstandards angewiesen sind, ist das Angebot von einheitlichen Arrangements von Seiten der Unternehmen, die nichtreguläre Beschätigungsoptionen vorsehen, nicht länger tragbar. Demnach bedarf es auf der Output-Seite in »Bereich E« des »productive aging framework« einer Erweiterung, da die reinen Erwerbsquoten die gegenwärtige Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmer in Japan nur unzureichend respektive zu pauschal darstellen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass sich das Angebot von Unternehmen für Ältere vor allem auf nicht-reguläre Jobs beschränkt. Die Möglichkeit eine nichtreguläre und somit qualitativ schlechter gestellte Beschätigungsstelle anzunehmen, mag für viele ältere Menschen keine attraktive Perspektive sein. Denn sofern der physische und psychische Gesundheitszustand es zulässt, sind ältere Arbeitnehmer Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 247 durchaus in der Lage, einer qualitativ vollwertigen Vollzeitstelle nachzugehen. In diesem Fall kann von einem »Mismatch« der existierenden Jobangebote und den divergierenden Präferenzen älterer Arbeitnehmer gesprochen werden. 6. Fazit Eine wichtige Ursache für die begrenzte ökonomische Teilhabe Älterer auf dem japanischen Arbeitsmarkt – sowohl in Bezug auf die Quantität als auch Qualität – liegt im geringen Grad der Vereinbarkeit von Interessen und Möglichkeiten von Angebots- und Nachfrageseite der Beschätigung. Während sich die Angebote der Unternehmen – in Form der Bereitstellung von nicht-regulärer Beschätigung bis zum 65. Lebensjahr – ot gleichen, erscheint ein solch einheitliches Arrangement unpassend, da es die divergierenden Fähigkeiten und Potenziale Älterer nicht berücksichtigt. Die im April 2013 in Krat getretene Novelle des Stabilitätsgesetzes zur Beschätigung von älteren Personen sieht zwar inanzielle Belohnungen für Unternehmen vor, die ihren Mitarbeitern einen Arbeitsplatz bis zum Erreichen des 70. Lebensjahres garantieren, doch fehlen in der Gesetzesnovelle konkrete Strategien zur Umsetzung dieses Vorhabens. Ebenso hat sich gezeigt, dass die größer werdende Gruppe älterer Arbeitnehmer bisher noch Berufen nachgeht, die nicht in Zukuntsbranchen angesiedelt sind. Zwar mag eine Beschätigung von älteren Menschen in hochtechnologischen Berufen mit höheren Trainings- und Weiterbildungskosten verbunden sein, doch werden auch diese Unternehmen zuküntig auf vollwertige Arbeitskräte aus dieser Generation angewiesen sein. Stattdessen wählen viele Unternehmen den bequemeren Weg und bieten ihren Mitarbeitern, die das oizielle Renteneintrittsalter erreicht haben, vorwiegend nicht-reguläre Arbeitsstellen an. Mit Blick auf diesen Ausbau nicht-regulärer Jobs für ältere Mitarbeiter werden die Unternehmen durchaus inanziell entlastet, doch wirken sich entsprechende Gehaltseinbußen für diejenigen negativ aus, die auch im Alter auf eine bezahlte Tätigkeit als primäre Einkommensquelle angewiesen sind. Hinsichtlich fehlender Vorsorge- und Zusatzleistungen für nicht-reguläre Angestellte ist dieser Trend besonders für junge Menschen durchaus fragwürdig. Neben der schlechteren Entlohnung stellen auch ausbleibende Weiterbildungsförderungen sowie unzureichende Einzahlungsmöglichkeiten in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung schwerwiegende Probleme dar. Japan wird international gerne als Erfolgsbeispiel einer gelungenen Integration der älteren Generationen in die Arbeitswelt dargestellt. Aus quantitativer Sicht mag es zwar stimmen, dass immer mehr ältere Japaner einem Beruf nachgehen, aus qua- 248 Wirtschaft litativer Sicht ist das demograische Problem auf dem Arbeitsmarkt damit jedoch nicht gelöst. Dafür gibt es bei der Qualität von Berufen auf der einen Seite noch zu große Genderunterschiede und auf der anderen Seite eine stark ansteigende Verbreitung von nicht-regulärer Beschätigung. Die derzeitigen politischen Maßnahmen scheinen nicht geeignet zu sein, die Barrieren auf dem Weg hin zu einer erfolgreichen Beschätigung im Alter abzubauen. Die Gesetzesmaßnahmen und Firmenpolitiken haben prinzipiell zu einer Pauschallösung für alle Arbeitnehmer geführt. Dieses Arrangement mag für manchen Senioren passen, für andere nicht. Ebenso lässt sich nicht ausschließen, dass ältere Arbeitnehmer einerseits aufgrund des ikigai – also ausgehend von der individuellen Lebenszufriedenheit – einen gesellschatlichen Beitrag leisten, und andererseits aus inanzieller Notwendigkeit weiterarbeiten. Diese Diversität unter älteren Erwerbspersonen spiegelt sich auf der derzeitigen Arbeitsmarktlage nicht in einer notwendigen Flexibilität wieder. Hier sind weitere arbeitsmarktpolitische Vorkehrungen gefragt, um die Verhandlungsmacht zwischen den Unternehmen und ihren älteren Mitarbeitern auszutarieren und Barrieren auf dem Weg hin zu einer für beide Parteien gewinnbringenden Beschätigung zu mindern. Ziel wäre ein insgesamt lexibleres System, das die Einsatzmöglichkeiten älterer Menschen in Einklang mit deren unterschiedlichen Bedürfnissen bringt. Dazu wäre ein systematisches und ganzheitliches Personalmanagement vonnöten, das in ständiger Abstimmung und Evaluation der Arbeitnehmer eine langfristige Planungsperspektive bereits ab Eintritt in das Unternehmen in jüngeren Jahren betreibt. Insgesamt ist es aber nicht einfach, konkrete Empfehlungen für Maßnahmen zu geben, da ein komplettes Überdenken des japanischen Personalsystems von der Rekrutierung von neuen Absolventen bis hin zur Gestaltung oder gar Abschafung des Altersgrenze notwendig wäre. Gangbare Lösungsvorschläge lassen sich vermutlich nur erarbeiten, wenn alle beteiligten Stakeholder – Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Verbände/Gewerkschaten sowie Gesetzgeber – gemeinsam an einem Tisch zusammenkommen. Das ist mit Sicherheit kein leichtes Unterfangen und bedarf eines langfristigen Engagements aller Parteien. Vor dem Hintergrund des rapide einsetzenden demograischen Wandels wird die zuküntige Entwicklung der japanischen Volkswirtschat davon abhängen, inwiefern die aktive Teilhabe älterer Personen auf dem Arbeitsmarkt im Sinne eines erfolgreichen und produktiven Altern sichergestellt werden kann. Japans senioren auf dem Arbeitsmarkt 249 literatur Backes-Gellner, Uschi (2012), Challenges and Chances of Aging Workforces in Firms, Presentation held at the Germany-Japanese Symposium on Positive Aging, Tōkyō, 9. Oktober. Barnes, Helen, Jane Parry und Rebecca Taylor (2004), Working ater State Pension Age: Qualitative Research, London: Corporate Document Services. 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Contrary to the conventional belief that volunteering is primarily about altruism and empathy I argue that most volunteers pursue their own interests while helping others. he aim of this study is the qualitative exploration of the multiple experiences and changes of selected younger volunteers: some seek to overcome their social aversion through volunteering, some hope to reintegrate into society and consider their activities as their »irst career«. Others have abandoned their stable well-paid jobs in Tokyo and aspire to new professional challenges and thus pursue their volunteering activities as their »second career«. My empirical data obtained from ieldwork and semi-structured interviews suggest that regardless of the various motivations of individuals social work constitutes a context where individuals position themselves vis-à-vis society rather than retreating from it (Stevens 1997, Nakano 2005). Volunteering is depicted as a milieu where individual identities are re-framed and the changes of Japanese society as such becomes evident, especially its transition from lifelong employment to self-determined project work and new forms of living. 256 1. Gesellschaft Einführung Mein jetziges Leben macht wirklich Spaß, mit so vielen Kumpels. Wo man auch wohnt, man kann es sich schön machen. (männlicher Initiator und Koordinator von Freiwilligenprojekten, 32) Unter jenen, die Freiwilligenarbeit machen, sind viele, die etwas anders sind und sehr individuell … (männlicher Firmenangestellter und regelmäßiger Volunteer, 39) Wenn ich darüber nachdenke, ist Freiwilligenarbeit für mich eine Form des Outputs. Volunteering ist ein Mittel für mich, das, was ich im Leben, im Studium und bei der Arbeit erwerbe, wieder zurückzugeben – ja, Volunteering ist nichts anderes als ein Mittel zum Zweck. (männlicher Firmenangestellter und gelegentlicher Volunteer, 42) Die Suche nach einem Lebenszweck und einem subjektiv erfüllenden Alltag, Selbstverwirklichung, Lebensqualität, die Verwirklichung von individuellen Lebensstilen – das sind Schlagwörter, die häuig von japanischen Volunteers genannt werden, wenn man sie nach den Gründen für ihr Engagement fragt. Unmittelbar nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe im März 2011 begaben sich Tausende von Freiwilligenarbeitern aus allen Teilen Japans ins Krisengebiet im Nordosten Japans, darunter viele Studenten, Zeitarbeiter oder Personen, die weder arbeiten noch eine Ausbildung genießen (NEET). Allein in den oiziellen staatlichen Volunteerzentren in den drei am stärksten betrofenen Präfekturen Fukushima, Miyagi und Iwate wurden im Zeitraum zwischen dem 11. März 2011 und 11. Februar 2012 926.200 Freiwilligenarbeiter gezählt (ZSFK 2012). Im Vergleich dazu waren nach der Erdbebenkatastrophe in Kobe zwischen 17. Januar 1995 und 20. Januar 1996 1.377.000 Volunteers im Einsatz (Avenell 2012: 55). In dieser Studie wird Freiwilligenarbeit als Spiegelbild der sich verändernden japanischen Gesellschat und ihrer Werte bezüglich Arbeit, Freizeit und Wohnen verstanden und ausgewählte Fallbeispiele von Freiwilligenarbeitern diskutiert. Der Fokus dieser Studie liegt auf Katastrophenvolunteers im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, da diese relativ junge Gruppe bisher kaum berücksichtigt wurde und die sich verändernden Werte und Prioritäten in der gegenwärtigen japanischen Gesellschat am besten aufzeigt. Die Kernfragen lauten folgendermaßen: Welche Motive führen Individuen an, die sich zu Freiwilligenarbeit entschlossen haben? Wie sehen ihre Erfahrungen aus? Welche Veränderungen haben sie infolge des Einsatzes erfahren? Nach einem Katastrophenvolunteers in Tōhoku 257 kurzen Überblick über das rezente Phänomen von Freiwilligenarbeit und alternativen Lebensstilen in Tōhoku seit der Dreifachkatastrophe werde ich zeigen, wie Narrative ausgewählter Freiwilligenarbeiter zwischen Altruismus, Strategie, der Suche nach einem Lebenszweck und latenter Unsicherheit liegen. Der dann folgende Abschnitt wird zeigen, wie Einsätze häuig mit einer essentiellen Veränderung von Werten und Lebensstilen einhergehen. Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf mehrmonatiger Feldforschung in Sendai, Ishinomaki und Rikuzen Takata. Die Autorin besuchte Veranstaltungen für Volunteers sowohl in Tōkyō als auch im Katastrophengebiet und war selbst ehrenamtlich tätig. Die Feldforschung umfasste eine Vielfalt von Aktivitäten, darunter Reinigung von durch den Tsunami verschmutzten Fotos, Unterstützung von Fischern zur Wiederaufnahme ihres Fischfangs, Konversation mit Bewohnern von provisorischer Behausung, Verkauf von Lebensmitteln und anderen Produkten zur Unterstützung der vom Erdbeben betrofenen Nordostregion in Tōkyō sowie Vorbereitung und Durchführung von traditionellen Festen in Tōhoku. Der Zeitraum der ethnograischen Studie war zwischen April 2011 und März 2013. Über dreißig Interviews sowie teilnehmende Beobachtung an verschiedenen Orten in den von der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe stark betrofenen Präfekturen Miyagi und Iwate zeigen, dass für viele Freiwilligenarbeiter das Bedürfnis, außerhalb von herkömmlichen Machtbeziehungen Anerkennung zu inden, eine Motivation ist, sich für Volunteering-Aktivitäten zu entscheiden. Auch ist für viele die Möglichkeit attraktiv, Personen außerhalb ihres Alltags kennenzulernen. Zudem erwähnen viele die Gelegenheit, mit Einheimischen zusammenzukommen und sich auszutauschen. Zahlreiche Informanten beschrieben die positiven Emotionen, die aukamen, als sie merkten, dass sie tatsächlich einen Beitrag zum Wiederaubau leisteten. So manche(r) sprach davon, ein zweites Zuhause gefunden zu haben; positiv erwähnt wurden auch Beziehungen, die über jene einer Familie hinausgehen (kazoku wo koeta tsukiai). Die Erweiterung des eigenen Horizonts und Möglichkeiten, sich menschlich weiter zu entwickeln (jiko seichō) wurden ebenfalls als attraktive Merkmale von Freiwilligenarbeit erwähnt. Einige sprachen auch darüber, dass der Anreiz zur Freiwilligenarbeit in der Möglichkeit liege, in einem zwanglosen Rahmen Gleichgesinnte kennenzulernen und ein Netzwerk aufzubauen. Wie ein roter Faden zieht sich allerdings auch die Suche nach einem Lebenssinn, nach einer Arbeit, die nicht nur lukrativ ist, sondern auch subjektiv erfüllend ist (Beck 2000: 165), und nach einer höheren Lebensqualität durch die Interviews. Viele Absolventen von Eliteuniversitäten tendieren dazu, nach nur wenigen Jahren als salaryman ihre gutbezahlte Karriere zugunsten eines selbstbestimmteren, deutlich schlechter bezahlten und nicht abgesicherten, aber sozial erfüllteren Lebens, 258 Gesellschaft ot in ländlichen Regionen aufzugeben (Mori 2011). Diese Individualisierung von Arbeit, die mit einer Flexibilisierung der Arbeitsmodi einhergeht (Castells 2000), führt zu zunehmend unklaren Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit (Ingram 2011: 214). Abb. 1: Studentenvolunteers aus Westjapan beim Tanabata-Sommerfest in Rikuzen Takata, Präfektur Iwate (August 2012) Quelle: Autor. Abb. 2: Feldforschung mit Freiwilligenarbeitern in Ishinomaki (August 2012) Quelle: Autor. Katastrophenvolunteers in Tōhoku 259 Informanten wurden einerseits während Freiwilligeneinsätzen angesprochen, andererseits rekrutierte die Autorin weitere Gesprächspartner nach dem Schneeballprinzip. Es wurden Volunteers der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren mit einer möglichst großen Bandbreite an biograischen Hintergründen ausgewählt, d.h. die Informanten waren Studenten, Firmenangestellte, freiberulich Tätige, keiner permanenten Arbeit nachgehende NEET und Arbeitslose. Auf die Schwierigkeiten, die Herausforderung der (häuig) manuellen Arbeit als Volunteer mit der Feldforschung zu vereinbaren, kann ich in diesem Rahmen nicht im Detail eingehen, aber meine Erfahrungen ähnelten jenen Roths im Rahmen seiner ethnograischen Analyse japanischstämmiger Brasilianer in japanischen Autofabriken: Er beschreibt das Dilemma der physisch strapaziösen Tätigkeit als Fabrikarbeiter und der komplexen Rolle des Feldforschers (2003: 336f). Insbesondere in der Anfangsphase meiner Feldforschung waren manuelle Arbeiten als Volunteer an der Tagesordnung, wie etwa die Entfernung von Schutt oder Abtragung von durch den Tsunami salzverseuchter Erde. Diese physisch anstrengende Tätigkeit mit ethnograischer Forschung zu vereinbaren, stellte eine beträchtliche Herausforderung dar: Nach stundenlanger körperlicher ungewohnter Tätigkeit waren viele der Freiwilligenarbeiter zu erschöpt, um Auskunt über ihre Motivationen zu geben, ganz zu schweigen von meiner eigenen Müdigkeit und der Schwierigkeit, Zeit für Feldnotizen im rigoros geregelten Volunteeralltag zu inden. Es gab allerdings auch Projekte, bei denen Konversationen während der Tätigkeiten möglich waren. Diesen Gesprächen folgten gegebenenfalls Interviews außerhalb des unmittelbaren Freiwilligeneinsatzes. 2. deinition von Freiwilligenarbeit Shibata, Harada und Naga (2011: 1) merken trefend an, dass trotz der allgemeinen Bekanntheit von Freiwilligenarbeit in Japan eine konkrete Deinition von Volunteering schwierig ist. In diesem Beitrag werden die Begrife »Volunteers«, »ehrenamtliche Arbeiter« und »Freiwilligenarbeiter« synonym verwendet. Die drei Elemente, die in der Regel als wesentliche Merkmale ehrenamtlicher Einsätze angeführt werden, sind freier Wille (jihatsusei), Aktivitäten im Sinne des Allgemeinwohls (kōkyōsei oder kōekisei) und die Unentgeltlichkeit (mushōsei). Weitere Aspekte, die häuig assoziiert werden, sind Kreativität (sōzōsei), Individualität (shutaisei) und Progressivität (senkusei) (Shibata, Harada und Naga 2011: 1). Tatsächlich sind alle drei Hauptaspekte des freien Willens, Allgemeinwohls und der Unentgeltlichkeit in der Realität nicht immer gegeben. Nihei (2010: 113) argu- 260 Gesellschaft mentiert, dass diese Abweichung von der ursprünglichen Deinition die eigentliche Bedeutung des Terminus »Freiwilligenarbeit« zunehmend aushöhlt (kūdōka 2011: 346). Zahlreiche Freiwilligenarbeiter, die ich während meiner Feldforschung traf und interviewte, meinten in der Tat, dass ältere Kollegen, Bekannte oder Freunde sie zu dem Einsatz angeregt oder sogar überredet hätten. Rausch (1998: 14) spricht sogar von »Zwangs-/Statusvoluntarismus« (coercion/credit volunteerism). Eine 24jährige Dissertantin an der Tōhoku-Universität gab zu, sie hätte sich nur deshalb zum Freiwilligeneinsatz zur Säuberung von verschmutzten Fotos gewagt, weil eine ältere Kollegin sie dazu eingeladen hätte; auch wenn es in diesem Fall nicht zutrefend sein mag, von »Zwangsvoluntarismus« zu sprechen, kommt in vielen Fällen die Eigeninitiative durch starke Beeinlussung von Freunden, Bekannten und Kollegen zustande. Allgemein schildern viele Volunteers rückblickend, dass die Hemmschwelle zu ihrem ersten ehrenamtlichen Einsatz hoch gewesen sei. Auch eine Firmenangestellte im IT-Bereich aus Westjapan, die ich in Tōkyō im April 2013 als Volunteer bei einer eintägigen Verkaufskampagne zur Unterstützung der Krisenregion trefe, sah mich mit angsterfüllten Augen an, als sie das erste Mal an den Verkaufsstand trat, um gemeinsam mit uns Erstankömmlingen die Werbeund Verkaufstrommel zu schlagen. Als wenige Stunden später die Waren zu einem Großteil verkaut waren und wir im Laufe des gemeinsamen Verkaufens über dies und das gesprochen hatten, gestand sie, zu Beginn nervös gewesen zu sein, da sie nicht wusste, was sie erwartete (vgl. Murai 2011: 74). Auch wird bei Deinitionen von Freiwilligenarbeit üblicherweise davon ausgegangen, dass die unterschiedlichen ehrenamtlichen Aktivitäten im Sinne des Allgemeinwohls durchgeführt werden. Allerdings wird im Zusammenhang mit Freiwilligenarbeitern in Japan immer wieder der Ausdruck meiwaku borantia verwendet, also Volunteers, die mehr Schaden anrichten als Positives beitragen. Mit den häuig recht negativen Assoziationen hängt wohl die Verleugnung von Freiwilligenarbeit zusammen, d.h. viele Freiwilligenarbeiter nehmen sich selbst als solche nicht wahr, obwohl sie zweifelsohne Volunteerarbeit geleistet haben, leisten und auch die Absicht haben, sich in Zukunt ehrenamtlich zu engagieren. Ein 32jähriges NGO-Mitglied und Freiwilligenarbeiterin aus Tōkyō meint etwa: Ich hatte auch nicht wirklich das Bewusstsein, als Volunteer tätig zu sein … das Image von Freiwilligenarbeitern in der Gesellschat in Japan und im Ausland unterscheidet sich, glaube ich. In Japan sind ehrenamtliche Tätigkeiten möglicherweise noch nicht im breiten Ausmaß gesellschatlich akzeptiert. Volunteering, das klingt so künstlich … für viele ist Freiwilligenarbeit nichts anderes als Selbstzufriedenheit. Ich hatte früher auch diese Meinung. Katastrophenvolunteers in Tōhoku 261 Auch P., ein 27jähriger introvertierter Fotoprojektkoordinator aus Sendai leugnet, Freiwilligenarbeit zu leisten und betont, dass ihm in erster Linie die Fotos am Herzen liegen und ihre Rückkehr an die ursprünglichen Besitzer, denn durch das Ausmaß des Tsunamis wurden Fotos in beträchtlicher Entfernung von den Orten wiedergefunden, an denen sie sich vor der Katastrophe befunden hatten. Gleichzeitig gibt P. zu, dass er einen großen Teil seiner Freizeit für sein ehrenamtliches Engagement aufwendet und Volunteering für ihn mit beträchtlicher Selbstaufopferung einhergeht. Auch die Kommentare eines 38jährigen Freiwilligenarbeiters aus Ishinomaki geben Aufschluss über die Widersprüchlichkeiten der Bejahung, Ablehnung und Durchführung von Freiwilligenarbeit: Mein Vater war wahrscheinlich schockiert über mein Verhalten … der dumme Sohn, der seine eigene Familie in Stich lässt und sich um irgendwelche Leute kümmert … für mich war es das erste Mal, als Volunteer tätig zu sein. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass das, was ich machte, Freiwilligenarbeit ist … es mag ein Vorurteil sein, aber »Volunteer« klingt so selbstverliebt und künstlich. Wir hingegen stellten Sachen zu, die wirklich gebraucht wurden … und zwar jenen, die diese Dinge benötigten. Da wir diese Informationen hatten, wer was brauchte, leisteten wir Freiwilligenarbeit, im Nachhinein ist das klar. Ich selbst habe keine Absicht, als Volunteer tätig zu sein. Ich weiß nicht wirklich, wie sich »Volunteer« deiniert, aber ich habe den Eindruck, dass gerade jetzt viele Volunteers irgendwelche Aktivitäten initiieren, die eigentlich keinen Sinn machen. Ich glaube, darum geht es beim Volunteering nicht, man sollte eigentlich etwas tun für Menschen, die in Schwierigkeiten sind.Wenn es in Zukunt irgendwo in Japan eine Erdbebenkatastrophe geben sollte wie bei uns, werde ich wahrscheinlich als erster dort sein, um zu helfen. Denn ich habe diese Erfahrungen hier und möchte das zurückgeben, was ich an Unterstützung hier erhalten habe. Trotz der beschriebenen Vielzahl an negativen Assoziationen von Volunteers sowohl durch selbst ehrenamtlich tätige Personen als auch Außenstehende muss festgehalten werden, dass Lob und Dankbarkeit in der Lokalbevölkerung durchaus besteht und im Stadtbild auch sichtbar ist, etwa in Form von Dankesbekundungen von Geschätsbesitzern an Ladenfronten. Was die Unentgeltlichkeit betrit, inden wir in Tōhoku eine zunehmende Anzahl an Volunteers, die ein geringes Entgelt beziehen oder Freiwilligeneinsätze mit Projektfördergeldern von Nichtregierungsorganisationen kombinieren: die bezahlten Volunteers (yūshō borantia) (siehe dazu OBK 2004: 3). Ich traf etwa im Sommer 2012 den 26jährigen S. aus Ogatsu bei Ishinomaki, der nach dem Erdbeben seine 262 Gesellschaft Arbeit als Sushi-Koch in Tōkyō aufgab, um in seinen stark beschädigten Heimatort zurückzukehren und mit Fördergeldern der Nippon Foundation als ochakko bezeichnete Teejausen regelmäßig in diversen Einrichtungen zu organisieren. S. meinte, dass er seine Tätigkeit zur Hälte als Arbeit und zur Hälte als Freiwilligeneinsatz wahrnehme und er seine aktuelle »Arbeit« als viel sinnvoller (yūigi) empinde als seine besser bezahlte Arbeit als Koch in Tōkyō (Interview am 11.05.2012). Ein anderer 26jähriger Absolvent einer Eliteuniversität in Tōkyō merkte an, dass er selbst kein Interesse an ehrenamtlichen Aktivitäten hätte, allerdings zahlreiche Male tätig gewesen wäre, um ein Netzwerk an Kontakten aufzubauen, da er mit drei Freunden ein Sozialunternehmen in Tōhoku aubaue. Diese ambivalente Haltung zwischen Desinteresse und aktivem Einsatz indet sich in vielen Fällen. Bei meinen eigenen ehrenamtlichen Aktivitäten gab es gelegentlich ein freies Mittagessen (etwa frischen Seeigel vom Fischer, dem wir geholfen hatten), kostenloses Wasser und Erfrischungen während der Arbeit und/oder Gratisübernachtung für alle (bzw. gegen einen geringen Unkostenbeitrag), wenn auch der Komfortstandard nicht überwältigend war: In der Regel wurde erwartet, dass Volunteers ihren eigenen Schlafsack mitbringen, und in vielen Fällen gab es kein Bad und keine Toilette mit Spülung. Nach Beendigung des Einsatzes begab sich die Gruppe ins öfentliche Bad; bei mehreren Gruppen stand nicht einmal ließendes Wasser zur Verfügung. In der einschlägigen Literatur inden wir häuig die Feststellung, daß es in Japan eine Kultur des ehrenamtlichen Einsatzes gäbe (Miura 2010: 22–23; Nakano 2005: 4) – hier werden in der Regel Schlagwörter wie Dorfsystem der gegenseitigen Hilfe (yui) oder Reziprozität (otagaisama) genannt (Ogawa 2004: 73); Stevens (1997: 229) beschreibt Japan als eine Gesellschat, in der »ein reziprokes System von sozialen Beziehungen stark verwurzelt ist«; Robertson (2012) spricht von einer »Kultur des Gebens« in Japan. Andere argumentieren hingegen, dass sich diese reziproke Form von Hilfe nur auf speziische (klar abgegrenzte) Gemeinschaten bezieht, nicht aber auf Fremde – eine Ansicht, die ich aufgrund meiner empirischen Erfahrungen teile. Zudem zeige der Gebrauch des Fremdwortes »borantia« die Fremdheit des ehrenamtlichen Einsatzes per se in der japanischen Kultur an (Miura 2010: 18, 48f.). Tatsache ist zwar, dass seit 1995 dem Jahr 1 des Volunteering (borantia gannen) beim Erdbeben in Kōbe und der danach erfolgten »VolunteerRevolution« (borantia kakumei) (Avenell 2012: 53) die gesellschatliche Anerkennung von Freiwilligeneinsätzen gestiegen ist (Suga, Yamashita und Atsumi 2008: 60). Doch die weiterhin bestehende Skepsis unter vielen Einheimischen in der Krisenregion zum hema Volunteers und zahlreiche negative Schlagwörter wie die bereits genannten unerbetenen Volunteers (meiwaku borantia, oshikake no borantia), Abhängigkeit von Volunteering, wörtlich: Volunteervergitung (borantia Katastrophenvolunteers in Tōhoku 263 chūdoku), Scheinheiligkeit (gizen), Selbstaufopferung (jiko gisei) oder Selbstzufriedenheit (jiko manzoku) (Nihei 2012: 2) weisen darauf hin, daß Freiwilligeneinsätze nach wie vor nicht gänzlich in der japanischen Gesellschat akzeptiert sind. Vor diesem Hintergrund schlagen Suga, Yamashita und Atsumi (2008: 61) ein »neues Volunteerbild« (atarashii borantiazō) vor: Dieses versteht Volunteers nicht als ergänzende Elemente zur Mainstreamgesellschat, welche sich mit Aufgaben befassen, die außerhalb der Belange des Mainstreams liegen, sondern fasst sie als Teil der Gesellschat auf. Auch in den vorliegenden Studien zu Volunteering lag der Fokus bisher auf Freiwilligenaktivitäten an der Peripherie der Gesellschat (Nakano 2005; Stevens 1997). Im Einklang mit Suga, Yamashita und Atsumi argumentiere ich hier, dass ein Großteil der Individuen, die sich ehrenamtlich betätigen, dies tun, um ihre Position in der Gesellschat zu verhandeln (und ggf. langfristig zu einer Veränderung der Gesellschat beizutragen), nicht aus evasiven Gründen, wie so ot impliziert. Insgesamt ist festzustellen, dass sich im Japan der Gegenwart Freiwilligenarbeit zunehmender Popularität erfreut, aber die Anführung von unbezahlter Freiwilligenarbeit im Lebenslauf als Zeichen der Bereitschat, sich den Gesetzen des lexiblen Arbeitsmarkts zu unterwerfen, keine allgemeine Praxis, wie dies heute in Europa der Fall ist (von Osten 2011: 52). 2.1 Prozessualität und relationalität als charakteristika von Volunteering Für die in dieser Studie behandelten hemen ist auch das Argument von Ikuyō Kaneko (1992) relevant, dass ehrenamtliches Engagement häuig eine Form von Netzwerken und Beziehungsaubau und -plege (tsunagari) darstellt. Laut Kaneko repräsentiert Volunteering Relationalität in der Gesellschat; er versteht Freiwilligenarbeit als »ein Fenster, durch das man hinter die festgefahrene Situation der Gesellschat sehen kann« (Kaneko 1992: 69–70). Auch das obige Fallbeispiel des Sushi-Kochs sowie des Sozialunternehmers zeigt den engen Bezug von Volunteering, Relationalität und der Suche nach Lebenssinn. Um zur Frage der Deinition von Volunteering zurückzukommen: Ich teile Kanekos Deinition von Freiwilligenarbeit als einen »Prozess, bei dem Beziehungen entdeckt werden, die voll seltsamer Faszination sind, denn beim Volunteering verschmelzen die Schritte des ›Helfens‹ und ›Hilfe in Anspruch nehmen‹, wobei es nicht wichtig ist zu unterscheiden, wer hilt und wem geholfen wird« (Kaneko 1992: 6). Brown (2005: 483) deiniert Volunteering ähnlich als »un-coerced help ofered … with no or, at most, token pay done for the beneit of both the people and the volunteer«. Neuere Volunteeringheorien, in deren Mittelpunkt statt des Ergebnisses die Prozessualität steht, fokus- 264 Gesellschaft sieren auf den Terminus der Reziprozität (goshūsei) als Kernbegrif; die Annahme ist, dass keine Seite ausschließlich gibt und nimmt, sondern dass Freiwilligenarbeit zugunsten aller involvierter Parteien durchgeführt wird (Shibata, Harada und Naga 2011: 9). Allgemein ist festzustellen, dass heorien zur Freiwilligenarbeit von der Sicht der einseitigen Gabe abgekommen sind und Aspekte von Entdeckung einer neuen Identität und Selbstrealisierung (jiko hakken / jitsugen) sowie gegenseitige Unterstützung (sasaeai) und Anerkennung (sōgo shōnin) zunehmend im Vordergrund stehen (Nihei 2012: 11). Allerdings wurde in der bisherigen Literatur zum ehrenamtlichen Engagement dem Aspekt der Suche nach dem Lebenssinn kaum Aufmerksamkeit geschenkt (außer Miura 2010, siehe unten), hier liegt die Innovation dieser ethnograischen Studie. 2.2 netzwerkmitglieder, Sozialunternehmer, Volunteers? Auch haben sich seit der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe in Tōhoku zahlreiche grassroots-Bewegungen jüngerer Akteure gebildet, die Volunteering als Lebensstil wahrnehmen, um alternative Wohn-, Lebens- und Arbeitsformen umzusetzen. So gründeten etwa in der stark zerstörten Hafenstadt Ishinomaki in der Präfektur Miyagi lokale und nichtlokale Akteure gemeinsam eine Plattform namens »Ishinomaki 2.0«. Diese Vereinigung soll dazu beitragen, ein Ishinomaki aufzubauen, welches sich von der bisherigen Stadt völlig unterscheidet (mehr Informationen dazu auf der Homepage der Plattform http://ishinomaki2.com/). Weitere Beispiele sind die Gruppe »Save Takata« in dem bautechnisch zu 70 % zerstörten Ort Rikuzen Takata (http://savetakata.org/) oder die NGO »Sokoage«, welche im benachbarten Kesennuma Schulkindern einen Platz zum Lernen bietet und auch Aktivitäten zur Förderung der Community konzipiert und durchführt (http://www.sokoage.org/). All diesen Gruppen ist gemeinsam, dass ihre Initiatoren und Mitglieder zwischen Mitte 20 und Ende 30 sind, ein für lokale Verhältnisse hohes Bildungsniveau aufweisen und über ein ausgesprochen gutes Netzwerk mit Gleichgesinnten nicht nur in der Region verfügen und über soziale Medien wie facebook, mixi und/oder twitter regelmäßig plegen. Viele solchen Gruppen angehörenden Individuen haben geregelte und zum Teil gut bezahlte Jobs in Tōkyō aufgegeben und sind (zurück) nach Tōhoku gezogen; sie leben in Wohngemeinschaten, teilen sich ihre Büros, verfolgen Tauschpraktiken, um die Lebenskosten zu reduzieren, und legen Wert auf Freizeit und einen selbstbestimmten alternativen Lebensstil. Nishida und Koizumi beschreiben zudem die Förderung von zivilem Stolz (shibikku puraido no jōsei) durch die Zuwanderung von nichtlokalen Akteuren nach Tōhoku, von denen Katastrophenvolunteers in Tōhoku 265 viele ihren neuen Lebensort als »zweite Heimatstadt« ansehen« (daini no furusato) (Mano et al. 2012: 212). Miura (2010: 16–17) argumentiert sogar, dass ein wesentliches Charakteristikum japanischer Volunteers (nihongata borantia) die Suche nach einem Lebenssinn und der Wunsch nach Beziehungen (tsunagari) in einer postindustriellen Gesellschat ist, in der Individuen in einem anonymen urbanen Alltag ihre Einsamkeit bekämpfen und nach einer Ersatzgemeinschat suchen und Freiwilligenarbeit somit in erster Linie als Selbstzweck anzusehen ist. Auch Brown (1999: 3) argumentiert, dass Volunteering als »a form of civic engagement through which individuals can make meaningful contributions to their own visions of societal well-being« interpretiert werden kann. Tatsächlich begegnete ich während meiner Feldforschung so manchem Langzeitvolunteer, bei dem unklar war, wie lange er oder sie noch vor Ort tätig sein würde und was danach käme. Viele dieser planlosen, aber nicht unzufrieden wirkenden Freiwilligenarbeiter waren entweder NEET oder litten am Sozialaversionssyndrom (hikikomori). Unter letzteren werden Personen verstanden, die sich weigern, ihr Zimmer auf unbestimmte Zeit zu verlassen (Kyūtoku 2001, Shiokura 1999). P., ein 23jähriger hikikomori aus Ōsaka, der sich selbst einen aus der Anime-Welt entlehnte Namen gegeben hat, hatte bei meinem ersten Volunteereinsatz in Ishinomaki die Aufgabe, unser Team von fünf Personen zu koordinieren und am Ende des Tages Bericht zu erstatten, was wir geleistet hatten. P. erzählte, dass er vor seiner Reise nach Ishinomaki monatelang zu Hause vor dem Computer gesessen und nur gelegentlich im Convenience Store in der Nachbarschat gearbeitet hätte. Für ihn kam der Freiwilligeneinsatz dem Versuch gleich, sich in die Gesellschat neu zu integrieren. Er schien in der temporären Gemeinschat der aus allen Teilen Japans und aus dem Ausland zusammengekommenen Freiwilligenarbeitern gut aufgehoben; so holte er sich Rat bei gleichaltrigen weiblichen Volunteers, wie er eine Freundin inden könnte – während wir einem Fischer auf der OshikaHalbinsel halfen, Muscheln auf Seile für die Jakobsmuschelzucht zu reihen. Die energische, selbstsichere und lebensfrohe M., 22jährige Universitätsabsolventin der Wirtschatswissenschaten und angehende Polizistin aus Ōsaka, gab ihm tatkrätige Ratschläge. F., ein linkisch wirkender 26jähriger NEET aus der Präfektur Shimane verfügt über einen Fachholabschluss für Umweltmanagement, konnte sich danach aber nie zum Schritt ins Arbeitsleben entschließen. Stattdessen ist er nun schon monatelang als Freiwilligenarbeiter tätig, wirkt planlos und ohne Entschluss, wie lange er dies noch tun wird. Er erledigt die ihm aufgetragenen Tätigkeiten gewissenhat, doch meist schweigend; wenn er nicht angesprochen wird, kommt kein Gespräch zustande. Auch A., eine freundliche, eloquente und ofen wirkende 22jährige NEET aus Ōsaka erzählt, dass sie ihre Ausbildung als Fashionkoordinatorin 266 Gesellschaft in Tōkyō zwar im März 2011 abgeschlossen hätte, danach aber nie eine Jobsuche aufgenommen hätte. Stattdessen ist sie in Tōhoku ehrenamtlich tätig, das mache ihr Spaß und indet bei ihren Eltern dafür Unterstützung. Auch sie hat keine Pläne, wie lange sie noch im Katastrophengebiet bleiben und was sie danach tun wird. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Projektverantwortliche von den Volunteers »Kāchan« (umgangssprachlich für Mutter) genannt wird und ein anderer, etwas älterer 42jähriger Freiwilligenarbeiter den Namen »Papa« trägt (vgl. Abb. 1). Man könnte behaupten, dass die oben vorgestellten Personen Beispiele für die Wohlstandsverwahrlosung der aktuellen japanischen Gesellschat sind, denn gemeinsam ist dem Großteil der beschriebenen planlosen Freiwilligenarbeitern ihre Herkunt aus der oberen Mittelschicht; die meist Vollzeit arbeitenden Eltern haben keine Zeit für ihre (volljährigen) Kinder und sind froh, wenn sie diese in irgendeiner (gesellschatlich akzeptablen) Form beschätigt wissen. Aus den meist behüteten familiären Verhältnissen ist auch der Mangel an Initiative zu erklären, der bei vielen Volunteers insbesondere in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren aufällt. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass die in den Volunteeralltag integrierten identitätsstitenden Rituale und Vorschriten aller Art von den Freiwilligenarbeitern nicht weiter hinterfragt werden. Abb. 3: Morgendliches Singen des »Anpanman-Marsches« vor der Fahrt zum Volunteereinsatz (Juli 2012) Quelle: Autor. Katastrophenvolunteers in Tōhoku 3. 267 Freiwilligenarbeit als transformationsprozess: ausgewählte narrative von Freiwilligen Ich glaube, ich habe mich ziemlich verändert. Ich betrachte mein eigenes Leben nun aus verschiedenen Perspektiven – es ist extrem … und es macht ziemlich viel Spaß, mit allen ein ordentliches Abendessen einzunehmen. Früher blieb ich bis spät abends im Büro und aß Fertigessen aus dem Convenience Store, wie Hundefutter. Jetzt ist meine Lebensqualität in vielerlei Hinsicht besser. (Sozialunternehmer und Volunteer aus Chiba, 26) Jetzt bin ich fähig, meine Dankbarkeit von Herzen auszudrücken. Das Ausmaß an Dank ist total anders. Natürlich hatte ich früher auch »Danke« gesagt, aber es fühlt sich ganz anders an. Jetzt meine ich es wirklich. Ich bin erstaunt über dieses Ausmaß der Veränderung, das übertrit meine eigenen Erwartungen. (Bauarbeiter und Volunteer aus Ishinomaki, 38) Nakano (2000: 94) schreibt, dass die japanischen Medien in den 1990er-Jahren ehrenamtliche Arbeiter zu einem Symbol der sozialen Transformation gemacht haben. Man indet auch häuig die Hypothese, dass Freiwilligenarbeiter als Vorzeichen revolutionärer Veränderungen in der Zivilgesellschat angesehen werden können. In dieser Studie möchte ich jedoch eher auf das transformative Potential von Volunteering auf der individuellen Ebene eingehen; diese schrittweisen Reformen führen langfristig möglicherweise zu gesellschatlichen Umstrukturierungen, eine Ansicht, die auch Mathews und White (2004: 6) vertreten. Wie diese beiden Autoren schreiben, indet keine erkennbare politische Bewegung gegen das Establishment statt; dennoch agieren viele Personen auf individueller Ebene in einer Art und Weise, welche herkömmliche Werte der japanischen Gesellschat in Frage stellen. Wie auch die Aussage zu Beginn dieses Abschnitts zeigt, suggerieren die Erfahrungen der meisten Freiwilligenarbeiter eine radikale Veränderung in ihren Werten und ihrem Lebensstil sowie in ihrer Vision ihres subjektiven Wohlbeindens. Viele meiner Informanten erwähnten, dass die Aktivitäten im Rahmen ihres ehrenamtlichen Engagements ihre Perspektive vergrößert und ihre Lebensqualität und Zufriedenheit verbessert hätten. Die Erlebnisse und Begegnungen als Volunteers hätten dazu geführt, dass sie ihre professionelle Karriere diferenzierter wahrnehmen. Ein Firmenangestellter, der regelmäßig als Volunteer in Ishinomaki tätig ist, bemerkt, dass er als Folge seiner Freiwilligendienste auf dem Weg in die Arbeit Fremde im Aufzug grüßt. In manchen Fällen erscheinen die Veränderungen gering, in anderen führt ehrenamtliches Engagement zu einer radikalen Neubewertung und Neugestaltung 268 Gesellschaft von Arbeit und Freizeit. Der am Beginn dieses Abschnitts erwähnte 26jährige Sozialunternehmer und gelegentliche Volunteer relektiert, dass das Leben, welches er als gutbezahlter Firmenangestellter im Finanzbereich in Tōkyō führte, rückblickend relativ medioker scheint. Dennoch klingt eine gewisse Unsicherheit in seinen Äußerungen durch, denn gegen Ende unseres Gesprächs merkt er kurz an, dass er wieder zu seinem ehemaligen Dasein als salaryman zurückkehren könnte, falls sich seine aktuellen Projekte nicht bewähren sollten. T., eine 27jährige aus der Präfektur Yamanashi, hat bereits mehrere Monate Freiwilligenarbeit geleistet, als ich sie im Sommer 2012 in Tome, Präfektur Miyagi, trefe. Sie beschreibt ihre radikale Veränderung von einer modebewussten, hedonistischen, auf Konsum ixierten Städterin zu jemandem, der Geschmack an der Natur gefunden hat und sich für organische Landwirtschat interessiert: Früher trug ich süße Klamotten und Maniküre und las Modezeitschriten … aber inzwischen inde ich, dass ich genug Klamotten habe. Ich habe mehr Lust darauf, mit der Erde zu arbeiten, auf Aktivitäten, wo man direkt mit dem Boden in Kontakt kommt. Aber ich habe noch nicht wirklich selbst Landwirtschat probiert … letztes Jahr habe ich bis November Fischer in Kobuchihama unterstützt und dabei geholfen, Seetangzüchtanlagen einzurichten. Wir haben den Seetang im März geerntet. Dieses Mal ging ich nicht als Volunteer dorthin, sondern ich wurde gebeten, dort richtig für einen Monat zu arbeiten. Ich zögerte zunächst, da ich unbedingt Freiwilligenarbeit leisten wollte, aber da es einen Mangel an Arbeitskräten gab, ging ich doch. Ich war erstaunt darüber, wie viel Arbeit erforderlich ist, um Nahrungsmittel für den Konsum fertig zu machen, und ich nehme nun die großen Anstrengungen zur Kenntnis, die Essen erfordert. Gerade jetzt sehe ich mich nicht als Volunteer – ich tue, was ich tue, weil ich es tun muss. Ich glaube nicht, dass ich es für mich tue, sondern weil ich es tun will. Ich lebe von Erspartem und von dem Geld, das ich verdient habe bei der Seetangernte, aber meine Ersparnisse sind aufgebraucht. Die Arbeit war von 5 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags, danach gab es Abendessen, Bad und um 10 Uhr abends waren wir schon im Bett, das Leben war total gesund! T. erzählt, dass sie zu Beginn ihrer Aktivitäten als Freiwilligenarbeiterin gelegentlich der Mangel an Privatsphäre im Volunteerzentrum gestört hatte und sie dann in ihrem Auto übernachtet hätte, um Abstand zu gewinnen. Auch das Gespräch mit ihr zeigt Enthusiasmus für Neues und eine Aubruchsstimmung auf der einen, aber auch Unsicherheit über ihre persönliche Zukunt auf der anderen Seite. Katastrophenvolunteers in Tōhoku 269 B. aus Tōkyō, ein 30jähriger Initiator und Koordinator eines Volunteerprojekts in Tōhoku, verfügt über einen Abschluss in Sozialwohlfahrt einer Privatuniversität in Tōkyō. Mit anderen Gleichgesinnten gründete er nach dem Erdbeben eine kleine NGO, welche die pädagogische Unterstützung von Kindern im Tsunamikrisengebiet zu ihrer Aufgabe erklärt hat. Da die Kinder nicht ausreichend Platz haben, in den provisorischen Wohnanlagen Hausaufgaben zu machen und sich auf den Unterricht vorzubereiten, bietet die NGO den Kindern zweimal pro Woche nachmittags die Möglichkeit, zum Lernen zusammenzukommen, aber auch mit studentischen Volunteers zu sprechen oder Fragen zu stellen, die den Unterricht betrefen oder aber darüber hinausgehen. B. genießt aufgrund seiner ofenen Freundlichkeit großes Vertrauen bei den Kindern, und die NGO erfreut sich regen Zulaufs. B. teilt sich ein gemietetes Haus mit anderen Freiwilligenarbeitern der NGO und merkt an, dass er kein Privatleben hätte und auch keine Beziehung. Stattdessen genießt er ein reges soziales Leben mit vielen Freunden, Gleichgesinnten, Projektkollegen usw. Im Ort hat er viele Freunde gefunden – B. macht nicht den Eindruck, als ob er daran denke, in nächster Zeit wieder zurück nach Tōkyō zu ziehen, obwohl die Zukunt der NGO nicht gesichert ist. Zur Zeit bezieht die NGO keine Fördergelder, man ist auf private Spenden angewiesen, um die Aktivitäten längerfristig weiterführen zu können. Laut B. könnten die Aktivitäten nur deshalb fortgesetzt werden, weil alle Involvierten so viel Spaß daran hätten. B. erzählt, dass er seit seinem ehrenamtlichen Engagement die Bedeutung von »tsunagari«, also Beziehungen und Sozialkapital, zu schätzen gelernt hätte und während seines Studiums introvertiert und nicht der soziale Typ gewesen wäre. Abb. 4: Fotovolunteers während der Mittagspause, Sendai (Februar 2012) Quelle: Autor. 270 Gesellschaft In diesem Beitrag beschränke ich mich auf diese drei Beispiele – Fälle von Transformationen im Laufe von Freiwilligenarbeit gibt es en masse. Viele ehrenamtlich Tätige beobachten, dass sie als Folge mehr Verantwortung für ihr Handeln fühlen, ihren Horizont erweitern, soziale Kompetenzen ausbauen und Netzwerke aubauen konnten, die sie sowohl karrieremäßig als auch privat bereichern. Wie in den beschriebenen Fallbeispielen geht Volunteering häuig mit einer beträchtlichen persönlichen Transformation einher. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Verknüpfung von Beitrag zur Gesellschat mit Nutzen für sich selbst und Freude an den Aktivitäten. Diese Symbiose steht im Einklang mit dem oben erwähnten »japanischen Typ von Volunteer« (nihongata borantia) Miuras (2010: 3), welche insbesondere durch das Eigeninteresse und weniger durch den Gedanken eines sozialen Beitrags motiviert sind, auch wenn letzteres eine Rolle spielt und als Motiv auch erwähnt wird. 4. ausblick: Volunteers zwischen altruismus und Suche nach lebenssinn Während Freiwilligenarbeit als gesellschatliches Phänomen durchaus von temporärer Natur sein könnte, ist sie als Spiegelbild der sich permanent wandelnden japanischen Gesellschat aufschlussreich. Die Kurzporträts der Freiwilligenarbeiter zwischen 20 und 40 Jahren in Nordostjapan zeigen, dass altruistische Motive von Freiwilligenarbeitern zwar genannt werden, Freiwilligeneinsätze jedoch für den Großteil in erster Linie ein Mittel zum Zweck sind. Hier ist die Bandbreite an Zielen groß und umfasst je nach biograischem Hintergrund der Volunteers das Streben nach der Reintegration in die Gesellschat, die Suche nach einem Lebenssinn, den Halt in einer Ersatzfamilie, den Aubau eines strategischen Netzwerkes, das Streben nach einem alternativen Lebensstil, wobei das eine das andere nicht ausschließen muss. Trotz der vielfältigen Ziele und Hintergründe ist den meisten Volunteers gemeinsam, dass viele von ihnen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind und nach Lebenserfüllung streben. Viele von ihnen leben für das Hier und Jetzt, organisieren also ihre Projekte kurz- und mittelfristig, plegen ihre Netzwerke und gehen sonstigen Aktivitäten nach. Statt dem Anspruch, die Gesellschat grundlegend zu reformieren, steht für die meisten das »kleine Glück« im unmittelbaren Umkreis im Vordergrund (Furuichi 2012: 41–42). Ein weiteres prägendes Merkmal ist der starke Bezug auf gleichgesinnte Gefährten, sowohl was das Wohnen als auch die Arbeit betrit. Gleichzeitig weisen die Aussagen in den durchgeführten Interviews sowie meine Feldforschung auf eine Abkehr vom bisherigen Fokus auf Wirtschats- Katastrophenvolunteers in Tōhoku 271 wachstum und Materialismus und die Zuwendung zu höherer Lebensqualität hin, was unweigerlich mit dem freiwilligen Wechsel in schlechter dotierte Arbeitsverhältnisse einhergeht. Während sich die meisten Freiwilligenarbeiter positiv über ihre aktuellen Lebensverhältnisse äußern, klingt bei einem Großteil latente Unsicherheit bezüglich ihrer Zukunt durch – viele haben keine Beziehungen oder Familie, sondern leben in Wohngemeinschaten mit geringer Privatsphäre aufgrund der engen Freundschat und Arbeitsbeziehung, die sie in vielen Fällen mit ihren Mitbewohnern verbindet. Der Lebensstil dieser Freiwilligenarbeiter spiegelt die Abkehr Japans vom Nachkriegsfokus auf Wirtschatswachstum und Materialismus und den graduellen Übergang zum kreativem Umgang mit der Rezession, Abwanderung, Netzwerken und Ideen und nicht zuletzt die Suche nach einem Lebensentwurf, welcher der eigenen Vision entspricht (jibunrashiku ikiru), wider. Diese Studie hat zudem aufgezeigt, dass die Frage danach, wer Volunteer ist und wer nicht und wer die Entscheidung darüber trit, nach wie vor im Raum steht (Avenell 2012: 72). Ich gehe soweit zu behaupten, dass diese Frage zwar auch in absehbarer Zeit unbeantwortet bleiben wird, Volunteering jedoch als soziales Phänomen die gegenwärtigen Widersprüchlichkeiten des Wertewandels der japanischen Gesellschat verkörpert. literatur Avenell, Simon (2010), »Facilitating Spontaneity: he State and Independent Volunteering in Contemporary Japan«, in: Social Science Journal Japan, 13 (1): 69–93. 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By applying the globalization theories of Appadurai (2008), Ritzer (2008) and Ng (2001) it is shown how global Sushi emerged from Japanese Sushi while becoming an independent item and hybridizing itself. herefore, Sushi does not it in the narrow framework of »national« or »ethnic« cuisine any more. he article states that by referring to global Sushi variations as »fake«, the Japanese agents who advocate a »clean-up« of the global sushi economy are ignoring that the two diferent types cannot be judged by the same standard, because they follow diferent rules and patterns of consumption and thereby serve diferent functions. 1. einleitung Ist von »japanischem Essen« die Rede, so fällt zumeist auch sehr bald das Stichwort »Sushi«. Zwar spielt es in Japan selbst sowohl im häuslichen als auch im gastronomischen Bereich eine eher untergeordnete Rolle, da zum einen die Zubereitung von nigirizushi und makizushi als eine Meisterleistung angesehen wird, so dass man sich daheim nur an vereinfachte Varianten wie chirashizushi oder temakizushi1 1. Unter nigirizushi werden von der Hand geformte Reisquader mit einer Scheibe frischen Fischs verstanden. Mit makizushi ist in Algen gerolltes Sushi gemeint. Beim chirashizushi werden der 276 Gesellschaft traut, und zum anderen weil in der Gastronomie Sushi entweder als haute cuisine für besondere Anlässe oder als Familienspaß im Schnellrestaurant gilt, und auch dies erst seit der Rezession in den 1990er Jahren (Silva und Yamao 2006). Im Ausland hingegen stehen die kleinen Fischröllchen wie keine andere Speise für Japan, wobei sie mit Assoziationen einhergehen und mit Tugenden verbunden werden, die man so oder ähnlich auch bei anderen japanischen Produkten inden kann: Naturbelassenheit und Frische, Reinheit und Sauberkeit, Eleganz, Anmut und Perfektion des Meisters, der sie kreiert. Diese ausschließlich positiven Werte (und noch einige mehr) bilden zusammen die Marke »Sushi«, ein brand, das sich ideal eignet, um japanisches Essen als Ganzes oder gar Japan als Staat oder Nation zu repräsentieren und zu vermarkten (Bestor 2000: 61). So ielen jüngst die Anstrengungen des japanischen MAFF (Ministry of Agriculture, Forestry and Fisheries) auf, das versuchte, dem globalen »Sushi« wieder einen nationalen Anstrich zu geben, indem es ein Zertiizierungssystem für japanische Restaurants im Ausland aulegte (Sakamoto und Allen 2011). Mit diesem kulinarischen nation branding sollte eine Speise, die zwar einst in Japan entsprungen ist, sich jedoch inzwischen verselbständigt hat und zu einem transnationalen bzw. glokalen Produkt geworden ist, wieder national »eingefangen« werden – was auf vehementen Widerstand gestoßen ist (Faiola 24.11.2006; J-Cast 17.12.2006). Nation branding als eine wirtschats- und kulturpolitische Aktivität, bei der eine ganze Nation und damit gleichsam alle ihre Exportindustrien und touristischen Destinationen in Werbekampagnen mit positiven Assoziationen eingebunden werden, ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts auch in Japan strategisch angegangen worden. Mit der Japan Brand-Strategie (Nihon burando senryaku), die auf dem Förderprogramm für geistiges Eigentum (chiteki zaisan suishin keikaku) aus dem Jahr 2002 basiert, versucht der japanische Staat angesichts der stagnierenden »harten« Wirtschat durch den Export von materiellen und immateriellen Kulturgütern – aus den »sot power-Industrien«2 Anime, Manga, Gaming, Film, Musik, aber ebenso Essen, Mode und Design – einen neuen wachsenden Wirtschatszweig zu etablieren. Dabei soll die nationale Kreativität gefördert und die Produkte dieser Kreativität international geschützt sowie efektiv ausgeschöpt werden (DaliotBul 2009: 248). Gleichzeitig werden die Produzenten der sot power-Industrien Reis und die anderen Zutaten in einer Schüssel zu einer Art Salat vermischt. Temakizushi wird als handgerolltes Sushi übersetzt und bezeichnet eine Zubereitungsart, bei der der Reis und die anderen Zutaten in ein getrocknetes Algenblatt gelegt werden, das, anders als bei makizushi, nicht gerollt und geschnitten sondern zu einer Tüte gefaltet wird. 2. Zum Begrif der sot power vgl. Nye (2004). »Sushi global« 277 als Vermittler des Japan Brand instrumentalisiert.3 Beim (nation) branding werden Produkte, Konzerne und ganze Nationen mit einem positiven Image, mit Werten, Tugenden und Sehnsüchten aufgeladen, »etwa mit Freiheit, mit Lebenslust, mit Gesundheit, mit roher Krat, mit Natürlichkeit, mit Abenteuergeist – man kann sagen, mit irgendeinem ›Anderen‹ des Kapitalismus, mit dem Gegenteil von berechnender Geschätstüchtigkeit« (Misik 2007: 22). Dieses »Andere« kann wie bei »Sushi« in der Gestalt von Gesundheit und Naturbelassenheit autreten, es verweist jedoch immer auf eine gewisse »Authentizität«, welche die massenhate Produktionsweise als individuelle erscheinen lässt. Das brand soll dann auch vergessen lassen, dass die Produktionsweise von Sushi (z.B. Einsatz von Robotern) oder die Zutaten, die dafür zum Einsatz kommen (z.B. künstlich hergestellte Wasabi-Paste, in der kein Gramm echtes wasabi steckt) mit dem versprochenen Erlebnis nicht viel gemein haben (Hillenbrand 04.08.2011). Dies dürte eigentlich nicht verwundern, ist doch ein Massenmarkt nicht ohne Verlust an Qualität und Authentizität zu erschließen. Man muss immerhin der Massenproduktion in ihrer technisierten und eizienten Form des kaitenzushi zugestehen, dass ohne diese Sushi-Varianten der mittleren und unteren Klasse sich heute auch das Sushi der höheren Klassen nicht derselben Beliebtheit erfreuen würde. Zudem gelingt es den preisgünstigeren Sushi-Variationen, sich trotz oder gerade wegen ihrer geringeren Qualität und Authentizität überaus erfolgreich am Markt zu bewähren, indem sie die Marke »Japan« für sich beanspruchen und damit konstant reproduzieren. Für die kultur- und sozialwissenschatliche Beschätigung mit Japan wirt dies zahlreiche Probleme auf, zu denen bereits grundlegende Untersuchungen vorliegen. Forschungen, welche häuig mit Hilfe ethnographischer Methoden die globale Verbreitung von Sushi oder seiner wichtigsten Einzelkomponenten (v.a. hunisch) in den Fokus nehmen, haben gezeigt, welche Akteure Sushi in den USA, in Singapur und in Europa (hier exemplarisch Großbritannien und die Niederlande) populär machten, welche Mechanismen dabei wirkten und was daraus für die Globalisierungsforschung folgt (Bestor 2000, 2001, 2004; Cwiertka 2005, 2006; Issenberg 2007; Ng 2001). Noch nicht vorhanden ist jedoch eine Untersuchung, wie Sushi sich in Deutschland verbreitet hat, dessen sozio-kulturelle und wirtschatliche Bedingungen von den erwähnten Ländern in mancher Hinsicht verschieden sind, das jedoch zugleich mit diesen durch transnationale Flüsse ver3. Dies stellt eine 180°-Wende gegenüber der japanischen Exportstrategie bis in die 1990er Jahre hinein dar. Während früher noch Konsumgüter möglichst ohne Referenz zum Herkuntsland, sozusagen »geruchlos« bzw. ohne nationale Zugehörigkeit (mukokuseki) in die Welt geschickt wurden (Iwabuchi 1998: 167–168) , wird seit dem neuen Jahrtausend bewusst die Marke »Japan« vermarktet (Iwabuchi 1998: 252). 278 Gesellschaft bunden ist. Daher beschätigt sich der vorliegende Artikel zunächst mit der Frage, ob in Deutschland vergleichbare Mechanismen wie in den USA, in Singapur und in Großbritannien auszumachen und welche anderen Faktoren hinzugekommen sind. Hierzu werden die oben erwähnten Ansätze aufgegrifen und damit ethnographisches Quellenmaterial in schritlicher Form (Internetpräsenzen deutscher Sushi-Restaurants und des Japanischen Generalkonsulats in Düsseldorf) und in audiovisueller Form (zwei Fernsehdokumentationen von Weber, Backer und Bünger 2009 sowie Werner 2011) analysiert. Anschließend wird der Versuch der japanischen Bürokratie vorgestellt, Sushi zu re-nationalisieren, um diskursanalytisch der Frage nachzugehen, inwieweit »Sushi« überhaupt in den Kategorien national, ethnisch, global oder lokal gedacht werden kann; inwiefern und für wen es überhaupt nötig und möglich ist, nach einer »Authentizität« von »Sushi« zu suchen. Der Artikel möchte mit der Analyse des Phänomens »Sushi« zeigen, wie sich in einer Zeit, in der das Globale und das Lokale (auch: das Urbane) die Welt neu gestalten, zugleich auch Kräte um die Erhaltung bzw. um die Wiedererlangung der Bedeutung des Nationalen bemühen. Zum Umgang mit den Begrifen sollte folgendes angemerkt werden. Es dürte bereits klar geworden sein, dass es nicht nur um die Beschreibung einer Speise geht, sondern um ein glokales Phänomen, über das wir exemplarisch die Funktionsweise globaler Flüsse und ihre Auswirkungen auf das Lokale und Nationale betrachten und verstehen können. Im Japanischen ist es möglich, durch die Verwendung unterschiedlicher Zeichensysteme verschiedene Konnotationen auszudrücken. Man kann für die Notation von »Sushi« im Japanischen wählen zwischen der neutralen Version im Silbenalphabet Hiragana, der traditionalistischen Kanji-Schreibweise (mit dem überwiegend im Gebiet Kantō genutzten <鮨> und dem eher in Kansai gebrauchten <鮓>, die beide auf die ursprüngliche Bedeutung der Konservierung von Fisch durch Einlegen in Salz oder Reis Bezug nehmen, Shigekane 2009: 10),4 der auf die Edo-Zeit zurückgehenden und seit der Meiji-Zeit genutzten moderneren Kanji-Schreibweise (mit dem Kompositum <寿司>, das Glück und langes Leben verheißt) und der zumeist eher abwertend gemeinten Schreibung in Katakana oder lateinischen Buchstaben. Die beiden letzteren Notationen werden von japanischen Autoren zumeist für die Beschreibung von ausländischem Sushi verwendet, wobei nicht selten die Konnotation einer »Fälschung« mitschwingt (Matsumoto 2002; 4. Diese Sushi-Variation, bei der der Fisch über Wochen und Monate fermentierte und der Reis ungenießbar wurde, wird heute in bestimmten Regionen als narezushi (»gereites Sushi«) geplegt. Darunter fällt z.B. die regionale Spezialität funazushi in der Region um den Biwa-See, bei der nigorobuna-Fisch (Karausche) ausgenommen, gesalzen, in Reis eingelegt und mit einem Stein beschwert wird. Anschließend wird der Reis jeweils nach einigen Monaten mehrmals ausgewechselt, sodass der Fisch ein Jahr oder mehr fermentiert und austrocknet (Akano 2008: 214f). »Sushi global« 279 Morieda 2003; Shigekane 2009). Im Deutschen sind wir hingegen auf ein einziges Zeichensystem beschränkt. Da es sich hier um den zentralen Forschungsgegenstand handelt, wird Sushi als Speise im Folgenden anders als andere japanische Begrife nicht klein und kursiv geschrieben. Um das glokale Phänomen »Sushi« zu beschreiben, werden Anführungszeichen zu Hilfe genommen, die jedoch nicht als difamierend gegenüber bestimmten Sushi-Variationen verstanden werden sollen. 2. »Sushi« geht um die Welt – und von dort nach deutschland Das in der Bucht von Edo zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Hanaya Yohei erfundene Edomaezushi (auch als nigirizushi oder als hayazushi bekannt), bei dem kleine Reisquader mit sashimi, rohen Fischilets, belegt werden, entstand zu einer Zeit, da Edo längst zu einer Millionenstadt angewachsen war und das Essen außerhalb des eigenen Hauses zum einen notwendig (in erster Linie für die zahlreichen Reisenden auf dem Weg in die Stadt hinein und aus ihr heraus) und zum anderen zu einer Mode wurde (Nishiyama et al. 1986: 151). Es bildet den Prototypen für das Sushi, das später um die Welt ging – ist mit diesem jedoch nicht identisch. Ältere, »vormoderne« Sushi-Variationen, bei denen roher Fisch in Reis eingelegt wurde, um diesen über Monate hinweg haltbar zu machen, teilen mit dem Sushi, wie wir es heute kennen, nur noch den Namen (und hier auch nur die Lautung) und können auf Grund ihrer Zubereitung höchstens als eine Art »Vorfahren« des Sushi gelten. Wenn in Kochbüchern auf die jahrhundertealte Tradition von Sushi rekurriert wird, so kann dies mit diesem Wissen getrost als erfundene Tradition gewertet werden. Doch auch Edomaezushi spiegelt nicht hinreichend das wider, was heute weltweit in Sushi-Restaurants serviert wird. Bevor sich »Sushi« zu einer Konstante in der globalen kulinarischen Landschat etablieren konnte, musste es die Metamorphose der Lokalisierung und Diversiizierung durchmachen und »postmodern« werden (Ng 2001). Dieser Prozess begann etwa in den 1960er Jahren, also vor gerade einmal einem halben Jahrhundert, und zwar nicht etwa in Japan, sondern im Ausland (Issenberg 2007: xi): Sushi as we know it is very much an invention of the late twentieth century, in particular the lows of money, power, people, and culture that deine the era’s interconnectedness. Sushi ist im Zuge seiner Metamorphose zu einem transnationalen, hybriden Gericht geworden, dessen Nationalität und »Ethnizität« kaum noch bestimmt wer- 280 Gesellschaft den kann. Es ist zwar Teil »der japanischen Küche« (wenn auch in dieser Form ursprünglich vor allem der Edo-Küche), doch gleichzeitig auch ein Teil einer globalen Küche, welche in (g)lokalen Ausdrucksformen interpretiert und konsumiert wird. Die globalen Flüsse, welche unsere Welt seit der zweiten Hälte des 20. Jahrhunderts bestimmen, werden vom indisch-U.S.-amerikanischen Kulturwissenschatler Arjun Appadurai (2008) mit dem Begrif der scapes (»Landschaten«) erfasst. Dabei bezeichnet ethnoscape die gesamte »Landschat an Personen«, welche sich in unserer Welt bewegen: Touristen, Immigranten, Flüchtlinge, Exilanten, Gastarbeiter und andere. Diese Personen beeinlussen die Politik, Kultur, Wirtschat und alle anderen Lebensbereiche der Zielländer, da sie zwar »deterritorialisiert«, also von ihrem Herkuntsland abgetrennt, jedoch auf der ständigen Suche nach einer Verbindung zu diesem sind. Auf diese Weise konstruiert ethnoscape eine imaginierte Heimat und ihre Mitglieder leben darin in imaginierten Welten, welche die imaginierte Nation im Gastland unterlaufen. Verantwortlich für die Konstruktion dieser imaginierten Welten seien Medien, die Appadurai (auch im Sinne der scapes) als mediascapes begreit. Diese liefern ihren Nutzern ein großes und komplexes Repertoire an Bildern und Narrationen für ihre imaginierten Welten und sorgen dafür, dass Moden sich weltweit und teilweise in sehr kurzer Zeit verbreiten. Daran anknüpfend kann auch die kulinarische Landschat als culinascape verstanden werden (Bestor 2001: 80), innerhalb derer sich glokale Variationen einer Speise ausbreiten und gegenseitig inspirieren. In Anlehnung an diese Begrife wird hier von einer globalen sushiscape gesprochen, innerhalb derer Rezepte reisen, sich austauschen und sich immer wieder neu erinden. Aber auch Personen, die in der Sushi-Branche ihren Lebensunterhalt bestreiten, und ganze Tierpopulationen – man denke nur an den bereits vom Aussterben bedrohten hunisch (Issenberg 2007) – bewegen sich innerhalb von sushiscape, werden buchstäblich von »Sushi« selbst in Bewegung gesetzt. Denn: »Die Waren, so Marx, entwickeln ein Eigenleben, obwohl sie von Menschenhand gemacht sind, schwingen sich zum Beherrscher der Wünsche derer auf, die sie herstellen« (Misik 2007: 28). Wenn hier von einer »transnationalen«, »hybriden« oder »glokalen« Speise die Rede ist, so ist dies als eine Folge der globalen Flüsse zu verstehen, welche die Welt seit den 1960er und 1970er Jahren erfasst haben (Ritzer 2008: 166): Glocalization can be deined as the interpenetration of the global and the local, resulting in unique outcomes in diferent geographic areas. hat is, global forces, oten associated with a tendency toward homogenization, run headlong into the local in any given geographic location. Rather than either one overwhelming the »Sushi global« 281 other, the global and the local interpenetrate, producing unique outcomes in each location. Wie äußern sich diese Prozesse im Fall »Sushi« global? Zunächst war es die japanische ethnoscape, die »japanisches« Essen und Sushi mit in die Gastländer brachte. Während es sich in den USA vor dem Krieg dabei noch überwiegend um Handwerker, Arbeiter und Bauern handelte (Issenberg 2007: 82), bewohnten ab den 1960er Jahren im Zuge des japanischen wirtschatlichen Hochwachstums in erster Linie höhere Angestellte die U.S.-amerikanischen und europäischen Metropolen. Issenberg (2007: 87) spricht in diesem Zusammenhang gar von der »größten Diaspora einer Managerklasse der Geschichte«. Diese brachten auch ihren höheren Geschmack und bestimmte Ansprüche an Sushi mit in die Gastländer. Um sie herum entwickelte sich bald eine japanische Aussiedlerschicht zweiter Ordnung, die sich einzig um die Dienstleistungen für die ersteren kümmerte (Glebe 2003: 111). Moosmüller (2007: 482) unterscheidet in diesem Zusammenhang »Elitemigranten« (Expatriates5 und hochqualiizierte Arbeitskräte) und »ethnische Migranten«, welche das nicht-privilegierte Ende des Spektrums abdecken. Ebenso kann EthnoFood einen sozial niedrigeren Status bezeichnen (Palling 14.10.2011): It [ethnic food] is a tricky phrase to deine because ultimately, it seems to me to mean food eaten by people poorer than we are. I have never heard French, Scandinavian or Japanese cuisine referred to as ethnic food, but it is used for, say, North African, Indian or Caribbean dishes. Da japanisches Essen nach dem Krieg zuerst an den Geschmack einer höheren Klasse gebunden war und daher eher als Gourmet-Essen galt, das nur von Japanern selbst und ihren abenteuerlustigen Geschätspartnern genossen wurde, ist es also in dieser Form zunächst nicht als Ethno-Food einzustufen.6 Auch in Deutschland entwickelte sich, ebenso wie in Los Angeles, New York und London, im Raum Düsseldorf, in dem sich wegen der Nähe zur Stahlindustrie im Ruhrgebiet, seiner zentralen Lage mitten in Europa (im damaligen Herzen Westeuropas) sowie der infrastrukturellen Anbindung zu wichtigen (Flug-)Häfen zahlrei5. »Expatriates« werden meist von einem multinationalen Unternehmen für einige Jahre in eine ausländische Zweigstelle versetzt und unterscheiden sich von Einwanderern insofern, als sie »nicht beabsichtigen, dauerhat im Residenzland zu bleiben und sich einbürgern zu lassen« (Moosmüller 2007: 480). Sie haben durch ihre Zugehörigkeit zu einer Firma einen hohen sozialen Status im Gastland im Gegensatz zu vielen anderen Immigranten. 6. Auch der deutsche Begrif »ausländische« Gastronomie oder »ausländisches Spezialitätenrestaurant« trägt eine leicht pejorative Note (Möhring 2008; Turgeon und Pastinelli 2002). 282 Gesellschaft che japanische Firmen ansiedelten,7 zunächst eine japanische Gastronomie, deren einziges erklärtes Ziel die Reproduktion einer imaginierten japanischen Heimat für die Expatriates und deren Familien darstellte. Das erste japanische Restaurant dieser Generation war das 1964 eröfnete »Nippon-Kan«, das bis weit in die 1980er Jahre hinein ausschließlich von Japanern und bestenfalls von (nicht-japanischen) Kennern frequentiert wurde und bis 2010 operierte. Auch das 1981 in Hamburg eröfnete »Matsumi«, welches nach wie vor existiert, wurde nach eigenen Aussagen zunächst »von Japanern für Japaner« betrieben, erfreue sich inzwischen aber zunehmend einer nicht-japanischen Kundschat (Reiners 20.08.2006). Für einige Dekaden hatte die Dienstleistungsschicht in der japanischen ethnoscape nicht um ihre Existenz zu fürchten, denn auch unter den lokalen Bevölkerungen ihrer Gastländer entstand ab Ende der 1970er bis in die 1980er Jahre hinein ein erster kleiner Sushi-Boom. Dieser wurde durch mehrere Faktoren begünstigt, die in den unterschiedlichen Regionen der Welt teilweise Schnittmengen bildeten und damit eine globale sushiscape etablierten: Erstens das Entstehen eines neuen Gesundheits- und Fitnessbewusstseins mit einer Präferenz für fettarme Ernährung, die Sushi als gesundes Fast-Food gegenüber leischlastiger, »westlicher« Ernährung positiv markiert. In den USA ist dieser Trend nicht zuletzt auf den 1977 erschienenen McGovern Report des U.S.-Senats zurückzuführen, der einen falschen Ernährungsstil mit zu viel Fleisch, Eiern, Milchprodukten und Zucker mit Krebs und Herzkrankheiten in Verbindung brachte (Sahara 2007: 24–25). Dieses Gesundheitsbewusstsein verbreitete sich schnell auch auf der anderen Seite des Atlantiks.8 Zweitens die japanische wirtschatliche Expansion der 1960er, welche ein positives Image Japans hervorbrachte und alles »Japanische« als nachahmenswert erscheinen ließ (Issenberg 2007: 96–97; Kasulis 1995: 229). Drittens die mediascapes, über welche die japanische Popkultur ebenso wie U.S.-amerikanische Sitcoms und Hollywood-Filme Sushi auf den heimischen Bildschirm übertrugen und als »cool« markierten (Cwiertka 2005: 357). Ein weiterer wichtiger Faktor, der vor allem für den zweiten Sushi-Boom ab Mitte der 1990er Jahre relevant wird, aber in der Gastronomie bereits zwei Dekaden zuvor zu wirken begann und daher auch für »Sushi« von Bedeutung ist, lautet viertens die Popularisierung des Auswärtsessens, die im Wesentlichen von »ausländischen/ethnischen Restaurants« getragen wurde (Turgeon und Pastinelli 2002: 255–256): 7. Weitere Gründe für die Ansiedlung von Japanern in Deutschland waren der Kohlebergbau und der Mangel an Plegepersonal (Werner 2011: 3‘18‘‘; Wilhelm 2002). 8. Matsumoto (2002: 118–119) weist außerdem auf die Rolle der Lebensmittelskandale hin (z.B. BSE im Jahr 1999), die europäische Konsumenten weg von Fleisch hin zum Fisch trieben. »Sushi global« 283 he proliferation of ethnic restaurants appears to be part of a larger movement that overrides cultural policies and has swept through North America and other parts of the Western world. […] According to Warren J. Belasco, the rebirth of ethnic cuisine in the United States owed its beginnings to young people who were reacting against the middle-class, hegemonic values of the culture incarnated by American food. Neben dem subversiven Efekt »ausländischer/ethnischer Restaurants« spielen auch sozio-ökonomische Faktoren eine Rolle. Der Besuch eines Restaurants, also das Sich-Bekochen-Lassen und das Sitzen an einem eigenen Tisch nach französischem Vorbild, war vor dem Zweiten Weltkrieg nur höheren sozialen Klassen vergönnt, etablierte sich aber durch die preisgünstige und ungezwungene Gastronomie der Migranten zu einem allgemein zugänglichen Freizeitvergnügen (Möhring 2008: 131). Nun war Sushi sowohl in Japan als auch im Rest der Welt eine Luxus-Speise und konnte trotz seiner großen Popularität noch nicht als Massenprodukt gelten. Dazu kam es erst ab Mitte der 1990er Jahre mit der Diversiizierung der sushiscape in die Segmente high-end, mid-end (kaitenzushi) und low-end (Supermarkt-Sushi) mit jeweils zunehmendem Lokalisierungsgrad und damit abnehmender Japanizität in Zutaten, Interieur und Personal (Ng 2001). Dies kann als der zweite Sushi-Boom betrachtet werden, der »Sushi« zu einem Massenphänomen machte und dessen Bedeutung hybridisierte. Die Lokalisierung äußerte sich vordergründig dadurch, dass japanische Originalzutaten durch lokale ersetzt und so eine glokale Fusionsküche kreiert wurde, die aber trotzdem noch »Sushi« hieß. Angefangen bei der 1964 in den USA entwickelten California roll, die zunächst nur den in den Sommermonaten fehlenden hunisch durch Avocado ersetzte, entwickelten Sushi-Köche außerhalb Japans eine enorme Bandbreite an Variationen, die geradezu beliebig mit lokalen, saisonalen und regionaltypischen Zutaten aubereitet werden konnten, was einen Kostenvorteil gegenüber »dem Original« bewirkte.9 Diese glokalisierten Röllchen breiteten 9. So indet man in den USA heute auf nigirizushi neben rohen Fischsorten auch gekochte Shrimps, Trüfelsoße, Parmesan oder Aubergine und in makizushi Spargel, tempura-Shrimps oder -Gemüse, Hühnchen, Spinat bis hin zu Süßkartofeln, Jalapeño oder Frischkäse. Für Kinder bietet »Monster Sushi« in New York gar eine »Peanut Butter and Jelly Roll« an (Monster Sushi New York, http:// www.monstersushi.com/; Otoro Sushi San Francisco, http://otorosushi.com/). In Singapur passt man sich z.B. durch Hinzufügen von Achar, einem ortstypischen eingelegten Gemüse- bzw. Obstkompott, an den lokalen Geschmack an (Ng 2001: 16). In Deutschland indet man z.B. nigirizushi als aburi maguro (gegrilltes hunischilet mit Pfefersauce), tuna corn (hunischpaste mit Mais), zuke sake (Lachsilet mit Spezialsauce mariniert) oder sake tataki (Lachstatar mit Zwiebeln und Petersilie) (Maruyasu Düsseldorf, http://www.maruyasu.de/Speisekarte.pdf). 284 Gesellschaft sich in der Folge ebenfalls global aus, wo sie wiederum (re-)glokalisiert, also mit neuen, den lokalen Umständen angepassten Zutaten vermischt wurden. Sushi eignet sich durch seine leicht austauschbaren Komponenten schließlich hervorragend für neue Kreationen, dabei bleibt aber eine globale Hauptkomponente bestehen: essiggetränkter Reis mit einem Belag, wie auch immer dieser lokal geartet sein mag. Durch das Hinzufügen von Zutaten wie Mayonnaise, Frischkäse, Erdnussbutter oder gebratenem Fleisch nimmt allerdings lokalisiertes Sushi an Kalorien, Fett und Cholesterin zu und beginnt die Narration von der gesunden Speise zu konterkarieren. Dies scheint jedoch, da »Sushi« sich auf dem Massenmarkt etabliert hat, keine Rolle mehr zu spielen und schadet dem »gesunden« Image nicht. Durch die Kosteneinsparungen ging auch »Sushi« in den Kreis der »ethnischen« Küche über, die sich als billige Restauranterfahrung für jedermann proiliert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Gäste dort auch »billig« fühlen, im Gegenteil, es wäre sogar tödlich für das Geschät. Der schwindenden Authentizität wird in solchen Restaurants mit der Inszenierung einer ebensolchen begegnet, indem die Gastronomen auf einen »ikonographischen Fundus« (Trummer 2009: 69) zurückgreifen – Hobsbawm und Ranger (1983: 3) nutzen hierfür den Begrif paraphernalia (Zubehör, Utensilien, Krimskrams) –, um ein imaginäres »Japan« zu simulieren, das die Besucher erwarten: Bambus, die weiß-rote Nationallagge, Papierwände und japanische Schritzeichen sollen eine perzipierte Japanizität reproduzieren (Trummer 2009: 105–7). Möhring (2008: 139) bestätigt, dass Gastwirte mit dieser Performance vor allem auf Authentizität und Echtheit setzen. Sie konzeptualisiert das »ethnische« Restaurant als einen »theatrical space, with the kitchen as backstage and the dining-hall as centre stage, where a certain ethnic performance is expected and practised by both sides, whether intended or not« (Möhring 2008: 139). Im Gegensatz zu naheliegenden Urlaubsdestinationen in Süd- und Südosteuropa ist Japan für die meisten Deutschen kein Ort, den sie schon einmal besucht haben. Daher ist den Gastronomen bei der Rekonstruktion einer Authentizität einerseits mehr Spielraum erlaubt, andererseits haben sie auch eine Verplichtung, das (momentan) unmögliche reale Urlaubserlebnis bestmöglich zu inszenieren. Auf solche Essensperformanzen wird in der urbanen Gastronomie immer mehr Wert gelegt, tragen sie doch in ihrer Gesamtheit zu einer urban sot power10 bei, die das multikulturelle Image einer Stadt betont und auf diese Weise die globale kreative und unternehmerische Klasse anziehen soll: »As a matter of fact, eating sushi can not only make Singaporeans feel Japanese, but also metropolitan 10. Mit urban sot power bezeichnet Farrer (2010: 12) in Anlehnung an Joseph Nyes sot power-Begrif »the reputational and ideological power […] of global cities [that is] tied to the development of cultural and service industries, with reputations for good living and cultural buzz«. »Sushi global« 285 or international« (Ng 2001: 10). Dieses kosmopolitische Gefühl dürte in ähnlicher Weise auch auf die deutschen Sushi-Esser zutrefen, macht es doch zu großen Teilen den Reiz von »Sushi« aus. Technologisch ist der zweite Sushi-Boom in Deutschland (ebenso wie in den anderen Teilen der Welt) aufs engste mit der Einführung des systemgastronomischen Konzepts von kaitenzushi verbunden. Bei diesem »rotierenden Sushi« nehmen die Gäste an einem Lauband Platz, von dem sie ihre Sushi-Röllchen auf unterschiedlich farbigen Tellern herunternehmen, was sowohl die Zubereitung als auch die Speisung und den Bezahlvorgang eizienter gestaltet. In Japan galt dieses 1958 von Shiraishi Yoshiaki (1914–2001) in Ōsaka entwickelte Konzept zunächst als schäbig, da man dort im Stehen aß und die Kundschat überwiegend aus männlichen Fabrikarbeitern bestand. Doch seit der Rezession in den 1990er Jahren erlebten diese Bars als Familienrestaurants einen Imagewandel und wurden immer populärer. So diversiizierte sich auch in Japan die sushiscape in Bereiche, die für jeden Geldbeutel und auch für jeden Geschmack erreichbar waren. Im Unterschied zum Herkuntsland von kaitenzushi wollten U.S.-amerikanische und europäische Gastronomen in den 1990ern mit der Einführung dieses Konzepts nicht primär Familien, sondern ein junges, stilbewusstes Publikum ansprechen und setzten dementsprechend auf ein schickes Ambiente, welches als Mehrwert auf den Preis »draufgeschlagen« wird. Damit treibt kaitenzushi die Systemgastronomie auf die Spitze, ist es doch mit dem Lauband ganz und gar durchrationalisiert – und auf diese Weise eigentlich alles andere als ein einzigartiges kulinarisches Erlebnis.11 Dieses Erlebnis wird jedoch mit Hilfe des Japan brands, das Frische, Naturbelassenheit und Coolness verspricht und mit Hilfe eines ikonographischen Fundus konstruiert wird, mehr oder weniger überzeugend herbeigeführt.12 Daher waren die bereits vor dem zweiten Sushi-Boom operierenden japanischen Gastronomen auch nach dem vom Platzen der Wirtschatsblase ausgelösten mas11. Interessant ist hierbei, dass die Systemgastronomie, die seit den 1970er und 1980er Jahren einen enormen Aufschwung erlebte, z.B. in Deutschland eine der wenigen Branchen ist, die selbst in Krisenjahren jährliche Umsatzsteigerungen verbuchen kann. Der Trend zur Systemgastronomie habe eingesetzt, als ein allgemeiner Strukturwandel dazu führte, dass immer mehr Frauen in den Beruf eintraten, junge Menschen immer früher einen eigenen Haushalt gründeten und die »räumliche, beruliche und soziale Mobilität wuchs« (DEHOGA 2009: 3–4). 12. Man betrachte nur Ausprägungen wie die »Special Roll: Asupalagarsu Tempura« (sic!) im Restaurant Sakura in Leipzig (http://www.sakura-leipzig.de/content_dt/speisekarte.pdf.), bei der zum einen die glokale Fusion aus der für Deutschland typischen Zutat Spargel und dem japanischen tempura (in Mehl frittiertes Gemüse oder Fisch), das zudem in makizushi verarbeitet ist, deutlich hervortritt, und zum anderen die inszenierte Authentizität im fehlerhat transkribierten japanischen Wort für Spargel (richtig wäre: asuparagasu) sich zugleich selbst entzaubert – jedoch nur für den Kenner der japanischen Sprache. 286 Gesellschaft senhaten Abzug der japanischen Expatriates aus dem Ausland nicht gänzlich ihrer Existenzgrundlage beraubt. Sie waren froh, eine neue Nische für sich entdeckt zu haben, die sie füllen konnten: »Sushi wird zur Leibspeise der Investmentbanker und Dotcom-Unternehmer – ob in New York, Tōkyō oder Frankfurt«, heißt es in einer WDR-Dokumentation (Werner 2011: 32‘44‘‘). Der große Durchbruch von kaitenzushi war 1997 in London den Sushi-Ketten »Itsu« und »Yo!Sushi« gelungen; letztere hat mittlerweile 26 Filialen in ganz Europa (Cwiertka 2005: 257). Fast zeitgleich entstanden auch in Deutschland die ersten kaitenzushi-Bars und Restaurantketten. Während das Restaurant »Sachiko Sushi« in Berlin behauptet, mit seiner Gründung 1995 das älteste kaitenzushi-Lokal Deutschlands zu sein,13 heißt es z.B. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das erste »Fließband-Restaurant« der Republik habe sich 1997 im Frankfurter »Sushi Circle« gedreht (Rossbach 15.07.2006). Letzteres ist mit 19 Outlets und 200 Mitarbeitern heute eine der größten Sushi-Restaurant-Ketten Deutschlands. Ihr größter Konkurrent ist die »Sushi Factory« mit Sitz in Hamburg, welche 1999 die erste Sushi-Bar Hamburgs eröfnete und mittlerweile 16 Filialen betreibt (Rossbach 15.07.2006).14 Beide Betreiber verzeichnen trotz ungünstiger Gesamtkonjunktur jährliche Umsatzsteigerungen im zweistelligen Bereich, während die Systemgastronomie nur einstellige Zuwächse verzeichnen kann und die Gastronomie insgesamt sogar schrumpt (DEHOGA 2009: 5). Die Tage des deutschen Sushi-Hochwachstums sind also noch lange nicht gezählt. 3. »Sushi« zwischen authentisch und fake, ethnisch und national, global und lokal Wenn Cwiertka (2005: 260) feststellt, dass für den kommerziellen Erfolg eines als »japanisch« vermarkteten Restaurants – sei es nun teppanyaki, Sushi oder ramen – die Authentizität des Essens nur von geringer Bedeutung ist, so lässt sich dies auch im deutschen gastronomischen Raum bestätigen. Dies mag daran liegen, dass die wenigsten Besucher die Authentizität wirklich »überprüfen« können. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Besucher von Sushi-Lokalen nicht auf der Suche nach einem 13. Vgl. Sachiko Sushi, http://www.sachikosushi.com/ueberuns.html. 14. Vgl. Sushi Factory, http://www.sushi-factory.com/. Problematisch ist bei solchen Aussagen, dass jeder Gastronom von sich gern behauptet, der Erste gewesen zu sein. So behauptet eine andere Sushi-Bar in Hamburg von sich, bereits 1989 als erste »nicht-elitäres« Sushi im Angebot gehabt zu haben (vgl. bok Restaurant, http://www.bokrestaurant.de/). Gemeint ist bei der Sushi Factory wohl, dass sie das erste kaitenzushi-Lokal Hamburgs war. »Sushi global« 287 authentischen Erlebnis wären. Dem österreichischen Publizisten Robert Misik (2007: 17) zufolge tritt im heutigen »Kulturkapitalismus« für die Konsumenten auf ihrer Suche nach dem »wahren«, »echten« und »individuellen« Erlebnis der eigentliche Gebrauchswert einer Ware in den Hintergrund bzw. wird als selbstverständlich vorausgesetzt; stattdessen werde hauptsächlich das Image konsumiert, ja, dieses sei gar der eigentliche Gebrauchswert. Um dieses Image zu kreieren, greifen Produzenten zum branding, indem sie ihr Produkt »mit einem Image, Werten, Tugenden, Sehnsüchten« (Misik 2007: 22) markieren. Bei »Sushi« spielt daher die »zugeschriebene Authentizität« (Misik 2007: 123) als japanische und gesunde Essenserfahrung eine besonders große Rolle. Da es sich hierbei um ein glokales, hybrides Produkt handelt, das sich von seinem Ursprung längst losgelöst hat – und sich global gar nicht erst verbreitet hätte, wenn diese Loslösung nicht stattgefunden hätte – stellt sich die Frage, inwiefern eine »tatsächliche Authentizität«, die über die zugeschriebene hinausgehen soll, wie es von japanischen Akteuren gefordert wird, überhaupt nötig und möglich ist? Für die Diskussion dieser Frage ist es zunächt notwendig, das »Zertiizierungsprogramm für japanische Restaurants im Ausland«, das von der japanischen Bürokratie ab 2007 herausgegeben wurde, näher zu beleuchten. Dass »Sushi« global im mittleren und unteren Segment der internationalen sushiscape inzwischen mitunter als »Pfuschi« in Verruf geraten ist (Weber, Backer und Bünger 2009), verärgerte professionelle Sushi-Meister, die mit dem Vorschlag des Agrarministers Toshikatsu Matsuoka im ersten Abe-Kabinett (2006–2007), ein Authentiizierungs-System für japanische Restaurants im Ausland zu etablieren, auch seitens der japanischen Politik Unterstützung bekamen (J-Cast 17.12.2006). Auf Grund der Unterstellung, die japanischen Restaurants im Ausland würden nur zu 10 % von Japanern geführt und die sonstigen chinesischen, koreanischen, vietnamesischen u.a. asiatischen Betreiber produzieren nur »pseudo-japanisches Essen« (nise nihonshoku), wurde das MAFF von der Presse umgehend mit dem Beinamen »Sushi-Polizei« belegt (Faiola 24.11.2006). Wie bereits gezeigt wurde, hatte sich die Formel »von Japanern für Japaner« zwischen den 1970ern und 1990ern in Nordamerika und Europa gewandelt zu »von Asiaten für Europäer« (Cwiertka 2005: 253). Das MAFF selbst unterteilt die japanischen Restaurants in Paris in von Japanern geführte »hochklassige Lokale« (kōkyūten) und von Nicht-Japanern geführte »Massenlokale« (taishūten), die implizit minderwertig sind (MAFF 2006: 4). Damit unterstellt das MAFF, dass Authentizität, Hygiene und Qualität japanischen Essens nur von Angehörigen der japanischen Nation hergestellt werden können. Mit der Aussage, die »Marke Japan« könne besudelt werden, wenn »fehlerhate« Ausprägungen davon in der ausländischen Gastronomie präsentiert werden, äußert sich zudem eine Angst 288 Gesellschaft um das nationale Image, das über das Kulinarische vermittelt wird und nur von japanischen Akteuren selbst wieder hergestellt werden kann. Daraus wird ersichtlich, welch hohe Bedeutung der kulinarischen Kultur beigemessen wird. Im Nachhall der nationalen und internationalen Kritik am Vorhaben des MAFF, ein Authentiizierungs-Programm für japanisches Essen im Ausland zu etablieren, beautragte die Behörde die dafür gebildete Organisation zur Förderung japanischer Restaurants im Ausland (kurz: JRO, Nihonshoku Resutoran Kaigai Fukyū Suishin Kikō), eine Non-Proit-Organisation, mit derselben Aufgabe, wenn auch mit weniger lauten Forderungen. Es sollte sich dabei nicht mehr um eine »Zertiizierung oder Authentiizierung durch die Regierung« (seifu no ninshō), sondern lediglich noch um eine »zivile Empfehlung« (minkan no suishō) handeln (JRO 2008a: 3). Gastronomen sollten sich fortan um die Erteilung des JRO-Siegels bewerben können, das ihnen ihre Authentizität bescheinigen würde. Die JRO äußert auf ihrer Internetpräsenz, dass sie japanische Restaurants im Ausland als »Ausstellungsraum« für »japanisches Essen« und die »japanische Kultur« insgesamt begreit, da viele Gäste über den Besuch eines ausländischen Restaurants überhaupt erst mit der entsprechenden Kultur in Berührung kommen.15 Es geht der JRO bei der Qualitätsprüfung »japanischer Restaurants« im Ausland also nicht nur um das Image »japanischer Küche«, sondern gleichzeitig um das Image der ganzen Nation, die Bewahrung der sorgfältig aufgebauten »Marke Japan«, dem »J-Brand«. Es handelt sich hierbei natürlich nicht nur um kulinarischen Nationalismus, sondern auch um konkrete Exportförderung.16 Letzteres wird nur allzu deutlich, wenn man den hierzu erstellten Kriterienkatalog betrachtet. Wollten Restaurants das oizielle JRO-Siegel erhalten, so sollten sie zunächst drei Grundvoraussetzungen erfüllen: 1. regelmäßige Beschafung und Verwendung von Zutaten und Getränken aus Japan, wie Reis, Sake und Würzmitteln; 2. Kenntnisse der in der japanischen Küche verwendeten Zutaten, Zubereitungsarten und der speziellen Hygienevorschriten, welche für japanisches Essen gelten; 3. als Unternehmen eingetragen zu sein (JRO 2008b: 8). Es folgen fünf weitere fakultative Kriterien, 15. Vgl. JRO, http://jronet.org/about.html. 16. Die Autorin wurde auf einen weiteren Beweggrund für diesen Vorstoß hingewiesen, der in der japanischen Diskussion eine Rolle spielte, auf den an dieser Stelle jedoch aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann. So besuchten im Jahr 2006 erstmals die wegen ihres vielbeachteten Urteils von Gastronomen gefürchteten Inspektoren des Michelin-Gastroführers Japan, um die dortige Restaurantlandschat zu bewerten. Daher kann das japanische Zertiizierungssystem auch als Reaktion auf die kulinarische Hegemonie Europas angesehen werden, dessen Vertreter es sich anmaßen, auch über ausländische Küchen zu urteilen. Im Gegensatz dazu versucht die JRO lediglich die »eigene«, »japanische« Küche im Ausland zu beurteilen, was jedoch nicht weniger Probleme hervorrief. »Sushi global« 289 wobei nur diejenigen Restaurants das Gütesiegel erhalten sollen, die mindestens zwei davon erfüllen; 4. Versorgung der Gäste mit Informationen über japanische Zutaten, Getränke und japanische Esskultur; 5. Restaurantfront, Interieur, Atmosphäre und Geschirr sollen den Charakteristika der »japanischen Esskultur« angepasst sein; 6. im Arrangement und in den Farben (der servierten Speisen), sowie deren Abstimmung mit dem Geschirr sollen »japanische Elemente« ersichtlich sein, die Kochkunst soll originell sein; 7. Köche und Servicepersonal sollen den Kunden gegenüber hölich sein und einen guten Eindruck hinterlassen; 8. auf Sauberkeit soll Wert gelegt werden (JRO 2008b: 8). Während Kriterium Nummer 3 rein formeller Art ist, erscheinen die ersten beiden aus verschiedenen Gründen problematisch. Zum Einen wird faktisch der Kauf japanischer Produkte vorgeschrieben, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich die Zusammenstellung des JRO-Vorstandes vor Augen führt. Neben dem Vorsitzenden Mogi Yūzaburō, der hauptberulich die Ämter des Ehren-CEO und Vorstandsvorsitzenden der Firma Kikkoman bekleidet – ihres Zeichens Weltmarktführer in der Sojasoßenproduktion und Mitbegründerin japanischer Restaurants im Ausland, z.B. der teppanyaki-Kette »Daitokai« in Deutschland (Cwiertka 2005: 250) –, sitzen Vorsitzende und Präsidenten von Gastronomie-Vereinigungen wie der All Japan Sushi Association, der Japan Food Service Association, dem Japan Food Industry Centre oder der Japan Frozen Food Association, außerdem von Gastronomie-Unternehmen wie dem Fast-FoodGiganten Yoshinoya und von Nahrungsmittelherstellern und Großexporteuren wie Ajinomoto im Vorstand der JRO. Damit tritt die JRO als eine Art Dachorganisation japanischer Lebensmittelexporteure in Erscheinung, deren Bemühungen durch sie gebündelt werden sollen. Zum Anderen bietet Zertiizierungsvoraussetzung Nummer 2 denjenigen Akteuren ein Podium, die japanische Kochkurse in Japan und weltweit anbieten, postuliert aber zugleich, dass »authentisches japanisches« Essen nur mit Hilfe »japanischer« Zutaten möglich sei. Wie jedoch oben bereits dargestellt wurde, ist »Sushi global« – das den Großteil »japanischer Restaurants« im Ausland bzw. innerhalb »japanischer Restaurants« einen Großteil der Speisekarte ausmacht – ein glokales Produkt, das ohne lokale Zutaten weder inanziell noch geschmacklich noch infrastrukturell (man denke nur an ausschließlich in Japan erhältliche oder seltene Fischsorten) für ein breites Publikum zugänglich geworden, insofern also ohne Lokalisierung niemals derart massenhat difundiert wäre. Anders gesagt sind das »moderne« Edomaezushi und das »postmoderne Sushi global« längst nicht ein- und dasselbe Produkt, so dass die Forderung nach »authentischem Sushi global« geradezu ein Oxymoron ist. Weiterhin wird die Inszenierung einer Japanizität vermittels paraphernalia und Informationen über Japan als fakultative Voraussetzung an die Vergabe eines Gü- 290 Gesellschaft tesiegels gebunden, was eine Vereinnahmung der Speisen und ihrer Produzenten als »Botschater« der japanischen Kulturpolitik bedeutet, ob diese es wollen oder nicht. Dies wirkt so, als sei die JRO auf der Suche nach kostengünstigen Alternativen für ihre nation branding-Kampagne, welche die Inszenierung der Marke »Japan« mit tragen. Die sich hier aufdrängende Frage bleibt weiterhin: Kann sich die JRO wirklich die Deinitionshoheit darüber aneignen, welches Essen »japanisch« ist, und zwar einzig auf der Grundlage, dass ein Restaurant sich als »japanisch« bezeichnet? Anders formuliert: ist das Adjektiv »japanisch« bereits eine eingetragene Lizenzmarke des japanischen Staates? Die Antwort ist eindeutig negativ und die JRO bleibt an dieser Stelle eine nähere Deinition dessen schuldig, was sie in Bezug auf den ikonographischen Fundus genau mit »japanisch« meint. Dass zudem »japanisches« Essen aus japanischer Sicht einer speziellen Hygiene und Behandlung bedürfe, bestätigt Beobachtungen über japanische Lebensmittelhändler, deren perfektionistischen ästhetischen Ansprüchen etwa beim korrekten Zerschneiden von hunisch oder einer einheitlichen Größe bei Hummern ihre U.S.-amerikanischen Exporteure erst gar nicht mehr zu genügen versuchen – sie schicken stattdessen den hunisch zum Zerlegen lieber direkt nach Japan (Bestor 2001: 62, 2004: 147). Wenn es mit solchen Ansprüchen einzig darum geht, anspruchsvollen japanischen Konsumenten zu gefallen, so ist dies eine nationale Angelegenheit, der sich die U.S.-amerikanischen Exporteure marktwirtschatlich beugen müssen. Doch wenn es um die Ansprüche der Konsumenten weltweit geht, ist es diskutabel, inwieweit japanische Lebensmittelunternehmer überhaupt belehrend eingreifen dürfen. Für das hema Hygiene in »japanischen« Restaurants weltweit sind außerdem andere nationale Behörden zuständig. Wenn in den fakultativen Kriterien allerdings Hölichkeit, Sauberkeit und Originalität als »japanisch« markiert werden, reproduziert dies sowohl den Japanern seit der Meiji-Zeit zugeschriebene Tugenden, als es auch Japaner gegenüber anderen, »unhölichen« und »unsauberen« Nationen diskursiv höherstellt. Dies kann als postkoloniale, nationalistische Arroganz gewertet werden. Interessant ist es dabei zu beobachten, in welche scheinbar divergenten Richtungen bei relativ deckungsgleichen Zielgruppen kulinarisches nation branding und urban branding gehen können. Bei letzterem geht es darum, eine »kreative Klasse« von Designern, Ingenieuren und Unternehmern anzuziehen, um die urban sot power in Ballungsräumen innerhalb des eigenen Landes anzukurbeln (Farrer 2010: 12). Beide branding-Ansätze basieren auf dem Konkurrenzkampf, dem Städte und Nationen in der globalen Gesellschat unterworfen sind (Lessenich und Nullmeier 2006: 20): »Sushi global« 291 Der Nationalstaat ist (wie auch die Regionen, die global cities und andere lokale Akteure) unter den Bedingungen eines weltweiten Wettbewerbs um Anlage- und Investitionsmöglichkeiten ein ›Territoriumsunternehmer‹ geworden, ein Anbieter eines vornehmlich räumlich bestimmten Produkts. Als Territoriumsanbieter muss er diesen Raum – mit allem, was zu ihm gehört beziehungsweise sich in ihm beindet – nach außen hin attraktiv präsentieren für all jene raum-ungebundenen Akteure, die vorrangig nach ökonomisch und sektoral bestimmten Motiven über ihre (vorübergehende und selektive) Raumbindung entscheiden. Die Stadt nimmt hier eine Doppelrolle als Schnittstelle zwischen dem Global-Lokalen und dem Nationalen ein: einmal ist sie bzw. sind bestimmte Teile von ihr der Ort, an dem globale Industrien und Finanzkapital zusammenlaufen, dann wieder unterliegt sie nationalen Politiken, die mitunter versuchen, das Globale einzudämmen – oder für sich fruchtbar zu machen. Während es also beim urban branding gerade auf die Internationalität und die Vielfalt »ethnischer« kulinarischer Angebote ankommt, wird beim national branding auf Authentizität, Monokulturalität und eine einheitliche sowie abgeschlossene Identität gesetzt (welche innerhalb von gesetzten Grenzen auch vielfältig sein darf). Mit anderen Worten setzt die kulinarische urban sot power bei einem vielfältigen Angebot »ethnischer Küchen« an und importiert dafür gezielt Know-how und Arbeitskrat aus dem Ausland, wohingegen auf internationaler Ebene eine (einzigartige) »nationale Küche« konstruiert und exportiert werden soll. So kann Tōkyō zur Steigerung seiner urban sot power internationale Gastro-Events veranstalten, zu denen Cheköche aus der ganzen Welt geladen werden, um eine möglichste kreative Fusion im Rahmen eines Ideenaustauschs zu erreichen, und sogar U.S.-amerikanisches Sushi reimportieren, während bewusst auf die »Marke USA« gesetzt wird (Allen und Sakamoto 2011). Gleichzeitig kann der japanische Staat nach außen die Unversehrtheit »seiner genuinen« Küche verlangen und internationale Sushi-Köche nach Tōkyō zu Kochkursen einladen, um diese den richtigen Umgang mit »der japanischen Kochtradition« zu lehren. Im ersten Fall orientiert man sich kulinarisch am Internationalen, im zweiten wird kulinarischer Nationalismus betrieben. Ebenso wird »Sushi global« im Ausland als Motor einer urban sot power (z.B. in Singapur, Los Angeles, New York oder Frankfurt) genutzt, während es in Japan der nationalen sot power dienlich gemacht werden soll, und wird so in unterschiedlichen Kontexten auf entgegengesetzte Weise instrumentalisiert. Ebenso kann »Sushi« für beide branding-Konzepte dienlich sein. So ist »Sushi global« bisher vor allem als Instrument für urban branding genutzt worden, etwa indem es den Besuchern von Sushi-Lokalen durch die Marke »Japan« ein internationales, kosmopolitisches Gefühl verleiht, von dem 292 Gesellschaft Gastronomen und die Stadtverwaltung gleichermaßen proitieren. Die JRO-Aktivitäten hingegen stehen für den Versuch, »Sushi« auch für nation branding nützlich zu machen, indem sie die Efekte der Marke »Japan« auf den ganzen Staat und seine anderen Industrien anzuwenden versuchen. 4. Fazit Im Unterschied zu den USA, Singapur und Großbritannien kam Sushi nicht in erster Linie durch die Expatriates nach Deutschland, auch wenn diese zu Beginn auf einige Lokale »von Japanern für Japaner« zurückgreifen konnten. Der erste SushiBoom in den 1980ern spielte sich ausschließlich in den USA ab. Was jedoch den zweiten Sushi-Boom in den 1990er Jahren angeht, so waren die globalen Flüsse von Menschen, Medien und Moden inzwischen so weit vorangeschritten, dass dieser auch auf Deutschland übergreifen konnte. Verantwortlich für den zweiten SushiBoom war hierbei die Loslösung vom haute cuisine-Stigma durch den Einsatz lokaler Produkte, indem also das Globale und Lokale sich miteinander verwoben und eine neue, hybride »Sushi«-Fusion erschufen, die den Geschmack und den Geldbeutel einer breiten Bevölkerung trafen. So etablierte sich die Speise als fester Bestandteil der kulinarischen Szene von Groß- und mittlerweile auch Kleinstädten. Trotz der Diversiizierung geht der Markenwert von »Sushi« nicht verloren. Die Lokale im high-end-Bereich liefern das nötige gesundheitsbewusste, trendy Image, das die Konsumenten im low-end-Bereich ausleben können; dieses untere Spektrum wiederum spielt den Lokalen der Luxusklasse zu, die sich von ihnen bewusst abgrenzen können und dadurch einen konstanten Zulauf erhalten. Daher kann festgestellt werden, dass für eine dauerhate Verankerung von »Sushi« in der gastronomischen Landschat einer Stadt beide Seiten der high-end-low-end-Medaille notwendig sind: die Einen sorgen für den Hype, die Anderen für dessen Aufrechterhaltung; die Einen etablieren das brand, die Anderen nähren es. Mit der (G)Lokalisierung der Sushi-Röllchen und der damit einhergehenden Diversiizierung der sushiscape fand auch eine Bedeutungsverschiebung statt. Nicht nur etablierten sich neben den bereits bestehenden Luxusrestaurants auch midend- und low-end-Varianten, die eine Demokratisierung von »Sushi« bewirkten, sondern »Sushi« gelangte nun auch erstmals in den die Sphäre der »ethnischen Küchen«, die kostengünstig für jedermann zu haben sind. »Sushi« präsentiert sich daher gleichzeitig als »ethnisch« und als »nicht-ethnisch«, je nach Ebene, auf der man sich auhält. »Sushi global« 293 Wenn einleitend gefragt wurde, inwiefern eine »tatsächliche Authentizität« (im Gegensatz zu einer inszenierten) von »Sushi« nötig und möglich ist und inwiefern »Sushi« überhaupt in den Kategorien global, lokal, national, ethnisch und authentisch gedacht werden kann, so hat der vorliegende Artikel folgende Antworten argumentativ hergeleitet. Die »japanische Küche« im Ausland, welche die JRO als ein nationales Kulturgut ansieht und re-nationalisieren möchte (mit der Kampfansage an Asiaten, die als Nicht-Japaner im Sushi-Business tätig sind), ist in dieser Form im Ausland selbst entstanden. »Postmodernes Sushi global« geht als ein Hybrid aus unterschiedlichen glokalisierten und re-glokalisierten Formen hervor, die mit dem japanischen Ursprung (»modernes Sushi«: Edomaezushi) nur noch wenig gemein haben. Die JRO vermischt hier die exogene »japanische Küche«, welche in »ethnischen Restaurants« auf der ganzen Welt erfunden wurde, mit der endogenen »japanischen Küche«, welche sich innerhalb Japans selbst durch die Zusammenfassung bestimmter regionaler Kochtraditionen mit ausländischen Einlüssen entwickelt hat und selbst ein Hybrid ist. Sie zeigt sich zwar bereit, auch transnationale Kreationen wie die California roll in das »japanische« Repertoire von Sushi zu inkorporieren, maßt sich jedoch mittels angebotener Kochkurse auch dafür an, das »korrekte« KnowHow vermitteln zu können. Damit knüpt sie an einen globalen Boom »japanischen Essens« an, dessen primäre Akteure ohnehin nicht der japanische Staat und seine Industrien selbst waren (mit Ausnahme einiger weniger Großunternehmen wie Kikkoman). Die Hauptrolle in der Popularisierung japanischen Essens im Ausland spielten allerdings die Lokalisierung und Diversiizierung – ein Prozess, den die japanische Regierung durch eine NPO zum Teil umzukehren versucht, indem sie ein Zurück zu ihrem Verständnis von Authentizität propagiert. Man könnte auch sagen, dass die JRO versucht, nicht-nationale Kulturgüter zu re-nationalisieren und zu kapitalisieren, indem das Image der »Japanizität« von »Sushi« instrumentalisiert und in die Marke »Japan« kanalisiert wird. Da »Sushi« aber ohne die Loslösung von japanischen Produkten gar nicht massentauglich und »postmodern« geworden wäre, bleibt zu fragen, ob es wirklich die weltweiten Sushi-Produzenten waren, welche »Sushi« »missverstanden« haben, oder ob es nicht vielmehr das MAFF und die JRO sind, die »Sushi global« missverstehen – oder vielmehr, ob hier überhaupt in der Sprache des »Missverstehens« gesprochen werden kann und sollte. »Authentizität« ist dabei das Schlüsselwort, das alle Ebenen verbindet. Die Marke »Japan« wird von Produzenten japanischen Essens im Ausland genutzt, um ihren Kunden ein kosmopolitisches und gesundheitsbewusstes Lebensgefühl zu verkaufen, das ihnen wiederum eine »Authentizität« verspricht, die sie in der Welt massenproduzierter Einheitswaren stetig suchen. Obwohl an diesem Punkt 294 Gesellschaft Authentizität massenproduziert wird, sind beide Begrife per Deinition eigentlich eine Paradoxie, da Authentizität ein rares Gut impliziert. Die Suche nach Authentizität spiegelt den Wunsch nach »Nichtmarktlichkeit oder Nichtaustauschbarkeit, […] eine residuale Sehnsucht nach dem Nichtkommerziellen« (Misik 2007: 123) wider. Gerade deswegen ist es spannend zu beobachten, wie das Authentische gerade »ökonomisiert«, also ein Massenmarkt daraus gemacht wird. Das Interesse der JRO ist es dabei nicht etwa, eine Authentizität von »Sushi« in dem Sinne zu reproduzieren, dass den Konsumenten ein nichtkommerzielles Erlebnis geboten würde: wenige, kleine Restaurants, die ausschließlich auf Originalzutaten und Originalkochkunst setzen. Dies würde bedeuten, dass nur ein kleiner, inanzstarker Kreis von Kennern die Speise genießen könnte. Stattdessen versucht sie in erster Linie selbst auch Proit aus dem globalen Sushi-Boom zu beziehen, indem sie die von ausländischen Gastronomen inszenierte, zugeschriebene Authentizität als ihre eigene beansprucht und das Adjektiv »japanisch« zu lizenzieren versucht, um einen eigenen Stand auf dem Marktplatz des »Authentischen« zu ergattern. literatur Akano, Hirofumi (2008), »›Narezushi‹ kara ›Edomaezushi‹ he no Shinka to sono Fukugen ni tsuite (Kukkingu Rūmu)« [Über die Entwicklung von »narezushi« zu »Edomaezushi« und zu dessen Rekonstruktion (Cooking room)], in: Journal of Cookery Science of Japan, 41 (3): 214–217. Allen, Matthew und Rumi Sakamoto (2011), »Sushi Reverses Course: Consuming American Sushi in Tokyo«, in: he Asia-Paciic Journal: Japan Focus, 3481, http://www. japanfocus.org/-Mathew-Allen/3481 (30.04.2013). Appadurai, Arjun (2008 [1996]), Modernity at Large: Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis: University of Minnesota Press. Bestor, Theodore C. 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Jahrgang 1977, Studium der Volkswirtschatslehre in St. Gallen (Lizentiat 2004) und der Japanologie in Heidelberg (MA 2008). 2004–2007 Unternehmensberater bei McKinsey. 2008–2009 JSPS-Fellow an der Kyoto University. Seit 2008 Promovend in Volkswirtschatslehre in Hohenheim und seit 2010 wissenschatlicher Assistent in der Japanologie in Zürich. Arbeitsschwerpunkte: volkswirtschatliche Aspekte der japanischen Wirtschat. E-Mail: georg.blind@uzh.ch dipl. reg.-Wiss. lukas Gawor Jahrgang 1982, Studium der Regionalwissenschat Japan und Soziologie an der Universität Bonn (2003–2009), wissenschatlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschat und Soziologie (2009–2010), wissenschatlicher Mitarbeiter am Käte Hamburger Kolleg »Recht als Kultur« (2010), Mitarbeiter am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (2011), Forschungsaufenthalt an der Tsukuba Universität (2011–2012), seit 2012 Mitarbeiter im Career Service der Universität Bielefeld. Arbeitsschwerpunkte: Außen- und Sicherheitspolitik Japans, die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräte, regionale Sicherheitskonzepte im Zusammenhang mit der ASEAN. E-Mail: lukas.gawor@gmx.de 300 Anhang Prof. dr. Susanne klien Associate Professor für moderne Japanstudien an der Hokkaido University. Studium der Übersetzungswissenschat, Japanologie und Internationalen Beziehungen an der Universität Wien, Tokyo University of Foreign Studies und Kyoto University. 2009–2013 wissenschatliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ, Tōkyō). Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Immaterielles Kulturgut, urbane Migranten im ländlichen Raum, regionale Revitalisierung. E-Mail: klien@oia.hokudai.ac.jp dr. Florian kohlbacher Jahrgang 1978, Studium der Handelswissenschaten/Internationalen Betriebswirtschatslehre an der Wirtschatsuniversität Wien, Promotion 2006. Seit 2007 wissenschatlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ, Tōkyō) und derzeit Leiter der Abteilung Wirtschatswissenschaten. Forschungsprojekte zu den betriebswirtschatlichen Implikationen des demograischen Wandels sowie zum hema Konsum und wirtschatliche Nachhaltigkeit nach dem 11.März 2011. E-Mail: kohlbacher@dijtokyo.org Simone kopietz, M.a. Jahrgang 1985, Magisterstudium der Japanologie und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und der Chuo University in Tōkyō, 2010 Research Associate am Social Science Research Institute der International Christian University in Tōkyō (dreimonatiger Forschungsaufenthalt, DAAD-Kurzzeitstipendium), 2012 Magistra Artium (Japanologie) an der Freien Universität Berlin, seit 2012 Masterstudium der Politikwissenschat an der Universität Hamburg; Forschungsschwerpunkte: Kandidatenrekrutierung der Demokratischen Partei Japans (DPJ), Wahlsystemreform, politisches System Japans, innerparteiliche Demokratie. E-Mail: mail@simone-kopietz.de dr. Stefania lottanti von Mandach Jahrgang 1972, Studium der Japanologie, Betriebswirtschatslehre sowie Wirtschatsund Sozialgeschichte an der Universität Zürich. 2000–2005 Unternehmensberaterin; 2006–2009 Private Equity Fund-of-Funds, verantwortlich für Investment Management und Investor Relations & Development Japan und Korea. 2010 Promotion an der Universität Zürich. Seit 2011 wissenschatliche Oberassistentin in der Japanologie an der Universität Zürich. Arbeitsschwerpunkte: Betriebswirtschatliche Aspekte der japanischen Wirtschat. E-Mail: stefania.lottanti@aoi.uzh.ch Autorinnen und Autoren 301 dorothea Mladenova, M.a. Jahrgang 1986, Studium der Japanologie, Bulgaristik und Soziologie an den Universitäten Leipzig und Chiba, derzeit wissenschatliche Mitarbeiterin am Institut für Japanologie in Leipzig. Forschungsschwerpunkte: Cool Japan, Japan nach Fukushima, Food Studies. E-Mail: dorothea.mladenova@uni-leipzig.de. hendrik Mollenhauer, b.Sc. Jahrgang 1987, bis 2011 Studium der Sozialwissenschaten (Bachelor of Science) und bis 2013 Studium der Wirtschatssoziologie (Master of Science) an der Universität Trier. Von Oktober 2012 bis März 2013 Forschungsassistent am Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ, Tōkyō). Mitarbeit in Forschungsprojekten der wirtschatswissenschatlichen Abteilung zum hema »Betriebswirtschatliche Implikationen des demograischen Wandels«. E-Mail: s4hemoll@uni-trier.de Prof. em. dr. Manfred Pohl Jahrgang 1943, Studium der Japanologie, Neueren Geschichte, Sinologie und Politikwissenschat in Hamburg. 1973 Promotion zum Dr. phil. mit einer Untersuchung über die Bauernpolitik der Kommunistischen Partei Japans. 1973–1975 wissenschatlicher Assistent am Seminar für Sprache und Kultur Japans der Universität Hamburg. 1975–1995 Mitarbeiter des GIGA (vorm. Institut für Asienkunde, Hamburg; Arbeitsgebiet: modernes Japan). Verschiedene Veröfentlichungen zur japanischen Parteiengeschichte und zu Problemen der Innenpolitik. Seit 1995 o. Professor für Staat, Politik und Gesellschat Japans an der Universität Hamburg. Emeritierung 2008. E-Mail: manfred.pohl@uni-hamburg.de Prof. dr. Wilhelm M. Vosse Jahrgang 1963, Professor für Politische Wissenschat an der International Christian University in Tōkyō, Japan und von September 2013 bis August 2014 Gastwissenschatler am Nissan Institute of Japanese Studies und am St. Antony’s College der Universität Oxford, Großbritannien. Studium der Politischen Wissenschaten, Philosophie und Sozialpsychologie an der Universität Hannover und der London School of Economics (LSE). M.A. (1992) und Dr. phil. (2000) in Politischer Wissenschat. Veröfentlichungen u.a. zur japanischen Umweltbewegung, Zivilgesellschat, und japanischer Außen- und Sicherheitspolitik. E-Mail: vosse@icu.ac.jp 302 Anhang alexander Winkscha, M.a. Jahrgang 1984, Studium der Japanologie, Politikwissenschat und Englischen Philologie an der Freien Universität Berlin, Education Advisor im Programm zur Förderung der Grundbildung in Afghanistan der Deutschen Gesellschat für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). E-Mail: alexander_winkscha@hotmail.com Zum Inhalt: Die 36ste Ausgabe des Japan Jahrbuchs beginnt mit Rückblicken und Relexionen zum 25jährigen Jubiläum der VSJF und enthält Beiträge zu folgenden Themen: Japanische Innenpolitik 2012/2013; Die Beschränkung des Erbpolitikertums als neues Nominierungsprinzip der DPJ; Japans außenpolitische Reaktion auf wachsende Bedrohungswahrnehmung 2012/2013; Der Wandel der japanischen Sicherheitspolitik; Katastrophenmanagement im Rahmen der U.S.-japanischen Allianz; Japans Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan; Neue Einblicke in den japanischen Arbeitsmarkt; Japans Senioren auf dem Arbeitsmarkt; Katastrophenvolunteers in Tˉohoku: Lebensinhalt, Strategie, Selbstzufriedenheit?; »Sushi global«: Zwischen J-branding und kulinarischem Nationalismus. Die Herausgeber: Prof. Dr. David Chiavacci ist Mercator-Professor für sozialwissenschaftliche Japanologie am Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte sind politische Soziologie, Wirtschaftssoziologie und Wissenssoziologie des gegenwärtigen Japans. Dr. Iris Wieczorek war von 2008 bis 2012 Direktorin des Japan-Büros der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Tˉokyˉo. Seitdem ist sie Gastwissenschaftlerin am National Institute for Science and Technology Policy (NISTEP) in Tˉokyˉo und freiberuflich Wissenschaftsmanagerin. Das Japan Jahrbuch wird seit 2007 unter der Schirmherrschaft der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung e.V. (VSJF) herausgegeben. Das Profil der VSJF: Die 1988 gegründete VSJF ist ein Netzwerk für die Förderung und den Austausch von Wissen über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur des modernen Japan. Der konzeptionelle Schwerpunkt besteht im Diskurs zwischen den Sozialwissenschaften und der Japan-Forschung. Mit der Vernetzung von Fach- und Länderspezialisten hat die VSJF Möglichkeiten geschaffen, interdisziplinär wichtige Fragestellungen zum modernen Japan zu bearbeiten und die Ergebnisse regelmäßig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die institutionelle Herausgabe des Japan Jahrbuchs ist Teil dieses Selbstverständnisses. Weitere Informationen zur VSJF unter www.vsjf.net ISBN 978-3-9812131-6-4 VSJF Das Netzwerk für Dialog und Forschung zum modernen Japan