Nein, das ist keine Schwarzweißfotografie, sondern eine Farbaufnahme des Stiegenhauses und der Galerie im neuen Kunstmuseum-Zubau.

Foto: Stefano Graziani

Die Entsättigung der Farben ist ein gewollter optischer Akt der Architekten Christ & Gantenbein.

Foto: Stefano Graziani

Man fühlt sich wie ein Statist in einem Schwarzweißfoto. Das Auge kennt sich nicht aus. Das Hirn sowieso nicht. Komplette Überforderung. "Es ist fast so, als hätte jemand im Photoshop das Bild desaturiert, als wären alle Farbnuancen verschwunden", sagt Emanuel Christ, Architekt des Hauses, weißes Hemd, dunkelgrauer Anzug, heller Teint, perfekt ins monochrome Bild passend. "Genau das war unsere Absicht. Die Bühne gilt der Farbenvielfalt der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir haben uns entschieden, diesen Werken räumlichen Vorrang zu geben."

Ja, wenn es bloß so wäre. Tatsächlich wandelt man sinnesberauscht und glücktrunken durch die Räume, schweift mit der Hand über den grauen Kratzputz und erwischt sich beim Streicheln und Liebkosen der marmornen Stiegenbrüstung, die mit einer gewissen Speckigkeit so etwas wie Soft-Porno-Erotik in die Architekturwelt hineinzaubert. Viel Gedankenspielraum für die Muse der Kunst, scheint es auf den ersten Blick, bleibt da nimmer.

Es ist eine gewisse Beruhigung zu wissen, dass man offenbar nicht der Einzige ist, der hierorts von texturellen, materiellen Wallungen heimgesucht wird. Die Damen und Herren, die Journalistinnen und Redakteure, die sich bei dieser Exklusiv-Preview im neuen Zubau zum Kunstmuseum Basel vor wenigen Tagen angeschlossen haben, steht bei der Berührung des Hauses derselbe Hauch von Glückseligkeit ins Gesicht geschrieben. Kommenden Donnerstag, den 14. April, wird das schon jetzt preisverdächtige Bauwerk feierlich eröffnet. Die Öffentlichkeit darf sich freuen.

"Dass wir das Kunstmuseum Basel erweitern konnten, ist zu einem sehr großen Teil dem Engagement und der Großzügigkeit der Privatwirtschaft zu verdanken", sagt Guy Morin, Bürgermeister und Regierungspräsident des Kantons Basel-Stadt. 50 Prozent der insgesamt 100 Millionen Schweizer Franken (92 Millionen Euro) stammen vom Kanton Basel, die restlichen 50 Prozent sowie auch die Kosten für das Grundstück steuerte die Roche-Erbin und Mäzenin Maja Oeri über die von ihr ins Leben gerufene Laurenz-Stiftung bei. "Dieses Zusammenspiel von Mäzenatentum und Öffentlichkeit ist für das Kunstmuseum identitätsstiftend."

100 Millionen Franken, die in der Schweiz nur so aus dem Füllhorn fließen, sind kein Klacks. Schon gar nicht für ein 8000 Quadratmeter kleines Haus mit bescheidenen 3300 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Das macht, ganz im Geiste eidgenössischer Rechenkultur, fast 12.000 Euro Baukosten auf den Quadratmeter. "Ja, aber das geht gar nicht anders", meint Stefan Charles, kaufmännischer Direktor. "Qualität kostet. Außerdem bauen wir ja nicht für uns alleine, sondern in erster Linie für die Gesellschaft und für die Menschen nach uns." Dieser Weitblick, dieses tief in den Knochen steckende kulturelle, generationenübergreifende Verantwortungsbewusstsein lässt den Österreicher vor Scham erröten.

Schon heute besitzt das Kunstmuseum Basel eine der bedeutendsten Gemäldesammlungen der Welt. Die Times listet die Institution sogar unter den fünf besten Kunstmuseen der Welt. Der Ausbau des Hauses ist ein Quantensprung. In den neuen Räumlichkeiten, die an das denkmalgeschützte Stammhaus von 1936 über eine unterirdische Unterführung unter der Dufourstraße verbunden sind, sollen neben laufenden Wechselausstellungen vor allem Werke amerikanischer Künstler seit 1960 ausgestellt werden – Roy Liechtenstein, Andy Warhol, Jasper Johns, Mark Rothko, Frank Stella, Donald Judd oder Cy Twombly. "Aus kuratorischer Sicht kann ich sagen, dass sich das sehr gut verträgt und dass sich die Räume wunderbar zum Arbeiten eignen", meint Nina Zimmer, Kuratorin und Vizedirektorin im Hause. "Die Architektur ist zwar brandneu, aber sie hat schon jetzt so etwas wie eine Aura, wie eine Seele, und man kann gar nicht erwarten, dass sich in diesen Räumlichkeiten bald eine Patina bilden wird. Dann wird dieses Gebäude noch mehr, noch deutlicher zu uns sprechen."

Passivhausqualitäten

Tatsächlich ist der Dialog schon jetzt ein reichhaltiger. Das Stiegenhaus ist in kühlen, grauen, haptisch ansprechenden Kratzputz gehüllt. Die Methode ist aufwendig und handwerklich herausfordernd, weil der Putz zunächst ein wenig anzieht, bevor der Trocknungsprozess unterbrochen und die Oberfläche mit einer Nagelbürste wieder aufgekratzt wird. Die Risse, die sich dabei bilden, verleihen ihm auf diese Weise ähnliche bauphysikalische Eigenschaften wie Lehmputz. Tausende Quadratmeter davon zieren Wand und Decke. "Dieser Putz kann so viel Feuchtigkeit und Wärme absorbieren, dass die Unterschiede zwischen Tag und Nacht, zwischen Sommer und Winter, zwischen vielen und wenigen Besuchern gut kaschiert werden", erklärt Emanuel Christ, Partner im Basler Architekturbüro Christ & Gantenbein. Das entlastet die Heizung, Kühlung und Klimatisierung der Räume so sehr, dass das Gebäude unterm Strich Passivhausqualität erreicht. "Die Kuratoren dachten am Anfang sogar, dass die Klima- und Luftmessgeräte kaputt seien", so Christ. "Unabhängig von Wetter, Temperatur und Anzahl der Menschen im Raum war die angezeigte Luftqualität immer die gleiche."

Hochwertigster Luxusputz also. Dazu geschmeidig grauer Bardiglio-Marmor aus Carrara. Gewachst – und nicht poliert, wie der Architekt betont, denn das hätte alles kaputtgemacht. Verklebtes Eichenparkett mit hoch belastbaren Füllungen aus Holzzementmörtel – beste österreichische Handarbeit. Und dann eine farblos-graue Fassade aus gebrannten Ziegeln, denen mittels Stickstoff das Gelb und Rot entzogen wurde. Die integrierte, indirekte LED-Beleuchtung im umlaufenden Fries hoch oben, die das Kunstmuseum in bewegliche Schriften und Ornamente hüllt, lässt den Besucher zum wiederholten Male vor Begeisterung in die Knie gehen. Große Architektur.

Doch plötzlich grinst Christ in die Runde. Den eben noch verzückten, vor Ehrfurcht erstarrten Journalisten und Redakteurinnen steht nun der Schock ins Gesicht geschrieben. Türen, Handlauf und Lampeneinfassungen sind aus handelsüblichem, fleckig galvanisiertem Stahlblech zusammengeschweißt, wie man sie in jedem x-beliebigen Baumarkt auf der ganzen Welt erhält. Ein Planungsfehler? Eine Fehlbestellung? Ein Baustellenprovisorium gar? "Ein Museum ist nicht zuletzt eine Lagerstätte", sagt Christ. "Auch diesen industriellen, unbeschönigten Touch wollten wir herzeigen, sonst wäre dieses Haus viel zu proper, zu clean und zu vorhersagbar schweizerisch geworden. Es braucht das Normale. Das ist schon auch sexy, oder?"

Der Zubau zum Kunstmuseum Basel wird kommenden Donnerstag, den 14. April eröffnet. (Wojciech Czaja, Album, 11.4.2016)