Philipp Quehenberger: Der Tiroler Grenzgänger zwischen Techno und Jazz präsentiert am Donnerstag sein erstes Album, "Phantoms in Paradise".

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Im Interview erklärt der Keyboarder den Zusammenhang von Free Jazz und Techno.

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Wien - Von der kindlichen Freude, auf Kinderinstrumente wie unstimmbare Gitarre für begabte Dreijährige und Klavier für schwer erziehbare Fünfjährige einzuhämmern, bis zur fortgeschrittenen Freude an einem technisch versierten Freakout in Wiener Techno- und Jazzclubs des Jahres 2007 dauert es ein Vierteljahrhundert. Was ist Zeit?!

Der Innsbrucker Keyboarder Philipp Quehenberger gilt spätestens seit seinem Umzug nach Wien Ende der 90er-Jahre nicht nur wegen seines gewagten, von der burgenländischen Gendarmerie selig abgeschauten Oberlippenbartes wie auch seiner früheren Eskapaden als lederbejackter Chaot zwischen Free Jazz, Techno und Rock 'n' Roll mit der Betonung auf dessen freizügigen Lebensstil als buntester (wie auch spieltechnisch begabtester) Vogel der Wiener Elektronikszene.

Sein inzwischen dank Gründung einer Kleinfamilie in zumindest zeitlich zuverlässigeren Bahnen gehaltener Grenzgang zwischen allen Genres verdankt sich auch schlichtweg einem, der ungebrochenen Aufsässigkeit gegenüber Konventionen.

Der 30-Jährige stellt am Donnerstag nach gut fünfjährigen Anläufen und Verwerfungen mit Phantom In Paradise endlich ein erstes, auf dem vom Elektronikgrenzgang-Veteranen Peter Rehberg betriebenen Label Mego Editions veröffentlichtes Soloalbum vor. An das hatte in der Szene eigentlich schon niemand mehr geglaubt. Immerhin galt und gilt der ehemalige Student des Jazzklaviers am Innsbrucker Konservatorium wie auch Gitarrist in diversen Tiroler Punk- und Hardcore-Bands bis dato nicht nur als Mann mit eigenen Zeitvorstellungen zum Thema Pünktlichkeit. Wegen einer Neigung zur mitunter extrem ausgeformten Selbstkritik und überlebensgroßen Ambitionen bezüglich eigener Platten mussten ihn Freunde wie der Techno-Produzent Patrick Pulsinger am Ende auch schlichtweg über eine unverrückbare Deadline ins Studio treten, um die neun Tracks von Phantoms In Paradise endlich fertigzustellen.

Philipp Quehenberger: "Ich lasse mich gern auf neue Sachen ein, habe als eigentlich irgendwo aus der Grauzone zwischen Hardcore, Techno und Free Jazz kommender Musiker aber so meine Probleme mit der endgültigen Form von Musik auf Tonträgern. Ich probiere ewig herum, nehme auf, lösche das Ganze wieder. Mein Vater, der selber Musiker ist, vom Jazz her kommt und auch Konzerte veranstaltet, hat zu mir immer gesagt: Bub, du brauchst ein Thema! Aber was ist, wenn man beim Improvisieren zu viele davon und dann kein Ende findet?"

Wuchtige Brocken

Quehenberger weiter: "Im Wesentlichen habe ich mich bis jetzt vor allem als Live-Musiker definiert. Wenn bei einer Session vor Publikum etwas nicht funktioniert, gibt es immer ein nächstes Mal. Auf einer CD besteht im Gegensatz dazu das Problem der Endgültigkeit. Von der anderen Seite, also der Situation im Studio her betrachtet: Nur weil es einmal funktioniert hat, muss und soll es nicht unbedingt ein zweites Mal funktionieren."

Der Traum jedenfalls, eine für seine Verhältnisse geradezu poppige und eingängige Platte zu machen, hat sich jetzt mit Phantoms In Paradise auf alle Fälle erfüllt. Zwar werden mitunter harte, wuchtige und gerade auch über die Lautstärke definierte elektronische Lärmbrocken aufgefahren, die, abgesehen vom krude nach vorne losgehenden Rhythmus, oft knapp an der Grenze zum weißen Rauschen angesiedelt sind. Generell wird das Album allerdings nicht nur von einer intensiven Suche nach Bedeutung und Wahrhaftigkeit durchzogen.

Auch verbindlichere, poppigere, also melodiöse Töne sind zu hören - selbst mit Gästen am Mikrofon wie dem alten britischen Sound-Terroristen Mark Stewart von The Pop Group oder The Maffia: "Ich wollte immer Pop sein. Aber zu meinen Bedingungen!" Sie werden in der Mitte zwischen freier Improvisation und kompositorischer Techno-Strenge aber durchaus hin zu jenem Steckenpferd gedeutet, das Quehenberger einmal pro Woche am Montag im Jazzlokal Celeste im fünften Wiener Gemeindebezirk mit befreundeten Musikern wie dem von Wipeout bekannten Didi Kern praktiziert.

Quehenberger: "Ganz pragmatisch gesagt: Das Musizieren vor Publikum hat mich im Gegensatz zu Leuten aus dem elektronischen Club-Umfeld immer schon mehr interessiert als die einsame Arbeit im Studio. Deshalb betrachte ich meine CD als jeweils tagesaktuellen Ausgangspunkt zu einer Reise dorthin, wo ich möglicherweise gerade stehe. Vom Studiomaterial bleibt dann oft wenig übrig. Ich bin manchmal selbst über die Live-Ergebnisse überrascht. Von wegen, welche Misstöne darf man spielen, was geht gerade noch?"

"Ich bin ja bei meinen Solosachen auch immer auf die relativ unerbittlichen rhythmischen, ich sage mal, horizontalen Vorgaben aus dem Computer angewiesen, aus denen ich dann natürlich in die Höhe und Tiefe gehend auszubrechen versuche. Grundsätzlich gilt: Einfache Lösungen sind immer schlecht! Wichtig ist es, Gas zu geben, Energie zu vermitteln. Free Jazz hat immer eines bedeutet: Energy-playing! Naiv gesagt: Es gibt in der Musik kein Zurück."

Letzte Frage bei all diesem überbordenden Talent: Habe er es denn mit einem vom Jazzfach kommenden, ihn unterstützenden "Eislaufvater" leichter gehabt, seinen Wunsch zu erfüllen und Musiker zu werden?

Quehenberger: "Um Gottes Willen, nein! Mein Vater hat immer gesagt: Tu es nicht! Ich hab das Elend von abgesandelten Jazzmusikern jahrelang bei mir auf dem Boden schlafen gehabt. Und da waren große Namen dabei!" (Christian Schachinger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 4. 2007)