Ankunft in Traiskirchen: Der erste Eindruck ist weniger berauschend als der Ruf des Bürgermeisters.
Regine Hendrich

Elfriede Hickersberger macht sich Sorgen um ihren Helden. Natürlich habe sie ihm die Daumen gedrückt, dass er SPÖ-Chef wird, erzählt sie, doch der Gute halse sich ja jetzt schon Unmengen an Arbeit auf: "Ob er das alles durchhält?"

Die 80-Jährige ist nicht die Einzige in Traiskirchen, die hin- und hergerissen ist. Vielen hier fällt die Vorstellung schwer, dass ihr "Andi", sollte er auch noch Kanzler werden, einmal nicht mehr im Rathaus sitzt. "Schauen Sie sich um", empfiehlt Hickersberger: "Das war alles er."

DER STANDARD tat, wie von der Dame geraten: Was hat Andreas Babler in seinen neun Jahren als Bürgermeister zustande gebracht, das ihn zur großen Hoffnung der Sozialdemokratie macht?

Auf den ersten Blick wirkt die knapp 22.000 Einwohner zählende Gemeinde am Südrand Wiens nicht wie eine Modellstadt – und wenn, dann für die Bleifußpolitik der Siebzigerjahre. Durchs Zentrum wälzt sich der Verkehr der Bundesstraße, rund um die Pestsäule vor dem Rathaus ist ein Parkplatz gruppiert. Der Relaunch des Hauptplatzes, der "mehr Grün als Grau" verspricht, existiert vorerst nur als bürgermeisterliches Versprechen aus dem vorvergangenen Dezember.

Wer Bablers Spuren entdecken will, muss hinter die bleichen und fallweise schäbigen Häuserfronten der Durchzugsstraße blicken. Ein lila Farbtupfer weist den Weg in den "Guten Laden", der nicht bloß aus einem Sozialmarkt für die Ärmeren besteht. Auf städtisches Betreiben ist ein kleines, verspielt möbliertes Café angedockt, wo Freiwillige Heißgetränke und Kuchen zum Billigpreis kredenzen. Auch der Gast aus Wien wird gleich einmal eingespannt: "Helfen S’ bitte, den Sack Zwiebel hineinzutragen!"

Im örtlichen Sozialmarkt bekommen Kundinnen und Kunden nicht den Stempel der Armut verpasst, erklärt Mitbetreiberin Theodora Tod: "Gelebte Solidarität - das ist Traiskirchen."
Regine Hendrich

"Bei uns machen hauptsächlich ältere Frauen mit, da schnapp ich jeden Mann, der hereinkommt", erläutert Mitbetreiberin Theodora Tod und klärt über den Sinn der Sache auf. Weil alle Leute zum Kaffeetrinken kommen können, picke Sozialmarktbesuchern nicht der Stempel der Armut auf der Stirn: "Gelebte Solidarität – das ist Traiskirchen!"

Luxus für die Kinder

Ein anderes Herzensprojekt der Babler’schen Amtszeit ist ein Stück abseits des Ortskerns zu besichtigen. In einer aufgekauften Villa hat die Stadt das multifunktionale Kinderabenteuerlabor "Kalo" eingerichtet, das vom Geburtstagsfest bis zur Kinderhochschule eine Vielfalt von Aktivitäten erlaubt. Bis ins Detail ist das aufwendige Interieur auf die Zielgruppe abgestimmt: von Kletternetzen als Stiegenersatz bis zum Eltern-Kind-Klo, das auch die Einfahrt mit dem Kinderwagen erlaubt.

Es sei die Fülle an Investitionen für die Kinder, die Traiskirchen hervorstechen lasse, sagt SPÖ-Gemeinderätin Sabrina Divoky, die den STANDARD zu einer Rundtour eingeladen hat. Zu bewundern gibt es etwa den 2019 eröffneten, in sattes Grün gebetteten Regenbogenspielplatz, der von der Kletterburg bis zum Karussell auch mit dem Rollstuhl befahrbare Attraktionen birgt. Gerade zwei Jahre älter ist jener Kindergarten, dem der Traiskirchener Nachwuchs – Basisdemokratie muss sein – den nun offiziellen Namen Bärenhöhle verpasst hat. Viel Licht, Raum und Holz bietet das Innere des schicken Flachbaus. "Wir legen auf die Mindeststandards immer noch etwas drauf", sagt Divoky.

Meliha Music in der Einkaufsmeile Arkadia: Die Spielplätze seien heute so toll, dass es ihren Kindern leid tue, zu alt dafür zu sein.
Foto: Regine Hendrich

Für die Kinder sei es wirklich viel besser geworden, sagt die Traiskirchnerin Meliha Music, die im Arkadia, dem Freiluft-Einkaufszentrum der Stadt, arbeitet. Auch in ihrer Siedlung habe die Gemeinde den Spielplatz, natürlich ebenfalls nach Befragung der potenziellen Nutzer, auf Vordermann gebracht: "Meinen beiden Söhnen tut es richtig leid, dass sie dafür schon zu alt sind."

"Ja, bei den Kindern ist er sehr haklich", pflichtet die Seniorin Hickersberger bei, "aber der Bürgermeister schaut auch auf alle anderen. Von den Sportlern bis zu den Pensionisten: Er ist überall."

Es möge wie peinliche Lobhudelei klingen, ergänzt ein jüngerer Passant, doch auch er habe Babler nicht anders kennengelernt als zugänglich und ständig irgendwo im Ort präsent: "Es menschelt bei ihm."

Bürgernah - aber autoritär?

Ein offenes Ohr für alle? Das will Attila János so nicht stehen lassen. "Der Bürgermeister hat das Herz schon am rechten Fleck", sagt der Webagenturbetreiber, der im Gemeinderat als einziger Mandatar der Neos die Stellung hält. Doch so bürgernah er sich auch gebe, im Rathaus regiere Babler autoritär: "Die SPÖ entscheidet im inneren Zirkel, die Opposition wird ausgeschlossen." Bände sprächen die Berichte von Transparency International Austria: Im Transparenzranking ist Traiskirchen von Rang 8 auf Platz 49 von 82 Gemeinden abgesackt, gerechnet von 2017 bis zum Vorjahr.

Neos-Mandatar Attila János ist einer der wenigen Kritiker Bablers: "Unglaublich, dass heutzutage so eine Betonwüste hingebaut wird."
Foto: Regine Hendrich

Als Beispiel nennt János das jüngste Leuchtturmprojekt Bablers. Anstelle privater Anbieter soll künftig eine gemeindeeigene "Volxküche" die Kindergärten und Schulen mit gesundem, regionalem Essen versorgen, das Konzept stammt vom Gastronomen und Ex-Neos-Abgeordneten Sepp Schellhorn. Er könne der Idee einiges abgewinnen, sagt János, doch vor einer Zustimmung müsse er die genauen Pläne kennen. Im Gemeinderat aber hatte die SPÖ einen Grundsatzbeschluss vorgelegt, der kaum mehr als eine Absichtserklärung bot. Kostenprognose? Fehlanzeige.

Mehr Grau als Grün

Ganz ähnlich sei es beim Umbau des Arkadia-Zentrums gelaufen, fügt der Kritiker an. Am Ergebnis könne man gut sehen, wohin es führe, wenn die Stadt keine ernsthafte Debatte zulasse: "Unglaublich, dass heutzutage noch irgendwo so eine Betonwüste hingebaut wird."

Wer die schlauchartige, von Geschäften gesäumte Fußgängerzone entlangschlendert, der kann dieses Urteil zumindest nachvollziehen: Nur in homöopathischen Dosen durchbricht Grün das dominante Grau. Doch auch in diesem Fall benötigt Babler keinen Pressesprecher zu Verteidigung. Das erledigt schon Volkes Stimme für ihn.

Ein voller Erfolg sei der Umbau der Einkaufsmeile, befindet Nuri Höfinger, der mit seiner Frau vis-à-vis vom Rathaus eine Schneiderei führt. Neu eingezogene Geschäfte lockten mehr Besucher als bisher an – und erhöhten damit auch seine Kundenfrequenz.

Babler kümmere sich um alles, sagt der Schneider Nuri Höfinger: "Die Blumen werden alle zwei Wochen gegen frische ausgetauscht."
Foto: Regine Hendrich

Die Frage nach dem Bürgermeister beantwortet er mit einem genussvollen Schmatz auf die Finger. "Er ist ein Wahnsinn", sagt Höfinger und lässt für einen Moment von seiner vor einer mit bunten Zwirnspulen gespickten Wand postierten Nähmaschine ab: "Schauen Sie vor die Tür. Die Blumen werden alle zwei Wochen gegen frische ausgetauscht. Er kümmert sich um alles."

Dass die Suche nach Unzufriedenen zur Herausforderung wird, darf nicht wundern: 71,5 Prozent der Stimmen fuhr Babler bei der Gemeinderatswahl 2020 ein – was einmal mehr mediales Staunen auslöste. Zum Unikum macht ihn der Erfolg aber noch nicht. Obwohl in Niederösterreich seit jeher die ÖVP die Mehrheit hat, sind tiefrote Gemeinden im Industrieviertel südlich von Wien keine Ausnahme. In Ebenfurth etwa regiert der Sozialdemokrat Alfredo Rosenmaier sogar mit 85 Prozent. Der 72-Jährige stellte seine Parteimitgliedschaft übrigens unlängst ruhend, weil er Bablers Marxismus-Faible nicht erträgt.

Profitieren vom Boom

In Traiskirchen war es das mittlerweile längst geschlossene Semperit-Reifenwerk, das den Status der Stadt als Arbeiterhochburg begründete. Dass die SPÖ den Niedergang der alten Industrie hier besser verkraftete als etwa in manchen obersteirischen Städten, liegt auch an den günstigeren Bedingungen. Der in Weingärten gebettete Landstrich zwischen Wienerwald und Südautobahn zieht nicht nur Familien an, die vor dem Stress und den hohen Preisen der Großstadt flüchten, sondern auch Unternehmen. Auf dem Semperit-Areal rund um den markanten Ziegelschlot, den Babler einmal für einen Erster-Mai-Gag erkletterte, hat sich ein Gewerbepark etabliert. 1000 Jobs sind dort bis dato entstanden.

Neues Leben in der Industrieruine: Rund um den markanten Schlot des einstigen Semperit-Reifenwerks hat sich ein Gewerbepark etabliert.
Regine Hendrich

Abgesehen vom eigenen Geschäftsmodell, das günstige Mieten biete, lockten die ideale Verkehrslage, verfügbare Parkplätze und die gute Luft Firmen an, sagt Gewerbepark-Vertreter Leopold Wieselthaler. Die städtische Förderung für Neuansiedler stammt noch aus der Zeit vor Babler. Doch wenn es irgendein Problem zu lösen gelte, sagt Wieselthaler, sei der aktuelle Bürgermeister stets sehr dahinter.

Ob Speckgürtelboom oder geschickte Politik: Finanziell steht die wachsende Stadt solide da. Der Quicktest des Zentrums für Verwaltungsforschung KDZ gibt Traiskirchen diesbezüglich momentan die (Schul-)Note 1,44. Das wird nicht so bleiben, weil sich die Rekordinflation erst heuer so richtig in höheren Gemeindeausgaben niederschlagen wird. Aber aus dem Langzeitvergleich lässt sich allemal herauslesen: Seit Bablers Amtsantritt hat sich die Lage durchaus verbessert.

Verkehrte Vorwürfe

Das eröffnet Spielraum – etwa auch für jenes Antiteuerungspaket, das Babler im vergangenen Herbst vorstellte. Die Stadt verdoppelte den Heizkostenzuschuss, gewährt bedürftigen Kindern das Mittagessen in Kindergärten und Schulen gratis und zahlt beim Klimaticket für den öffentlichen Verkehr je nach Einkommen bis zu 70 Prozent mit.

Der klassische Vorwurf der linken Schuldenmacherei fliegt Babler folglich nicht um die Ohren. FPÖ-Chef Anton Lojowski, mit Porsche, grauem Pferdeschwanz und blitzblauer Brille eine auffällige Erscheinung in der Kleinstadtszenerie, zielt vielmehr in die Gegenrichtung: Werde zu wenig investiert, sei ein stabiles Budget keine Kunst.

Ein linker Schuldenmacher im Rathaus? Der örtliche FPÖ-Chef Anton Lojowski wirft Babler das Gegenteil vor.
Regine Hendrich

In die Kindergärten habe die Stadt Geld gesteckt, das ja, doch massiv hapere es an Ortsbildverschönerung und Begrünung. "Bei uns ist alles zugepflastert. Babler hat vor vier Jahren den Klimanotstand ausgerufen, doch das war’s", sagt Lojowski. Und obwohl seit vielen Jahren Ideen für die Verkehrsberuhigung vorlägen, "passiert nichts".

Weil die Blechlawine von Bundes- und Landesstraßen gespeist werde, sei der Einfluss der Stadt begrenzt, hält die örtliche SPÖ-Chefin Karin Blum entgegen: Da sei keine Lösung so rasch umsetzbar.

Niemanden zurücklassen

Blum spielt in Traiskirchen eine Schlüsselrolle. Die gebürtige Vorarlbergerin ist Bablers Ehefrau – und treibende Kraft hinter vielen Projekten. Der Gute Laden und das Kalo zählen ebenso dazu wie der "Garten der Begegnung" gleich neben dem österreichweit bekannten, vom Innenministerium geführten Asylerstaufnahmezentrum. Ortsansässige und Flüchtlinge sollen hier beim Anbau von Bio-Obst und -Gemüse zusammenfinden.

"Niemanden zurücklassen, Teilhabe für möglichst alle", fasst Blum den Traiskirchner Anspruch zusammen. Und auf das mangels anderer Quartiere immer wieder überfüllte Flüchtlingsheim gemünzt: "Nie den Zorn gegen die betroffenen Menschen richten, sondern gegen jene, die solche Zustände herbeiführen."

Die ewige Ausländerdebatte vom Tisch zu bekommen, um für eigene politische Anliegen werben zu können: Was sich die SPÖ seit Jahren wünscht, scheint hier zu gelingen. Beim STANDARD-Lokalaugenschein hat niemand ein etwaiges Flüchtlingsproblem angesprochen. Auch nicht der Mann von der FPÖ. (Gerald John, 17.6.2023)