Es ist jene Zeit des Jahres, in der Matratzenlager ein Revival erleben. Schlafsofas werden ausgezogen, die vierköpfige Familie schläft im Jugendbett, oder überall im Raum verteilt stehen Gästebetten. Zu den Feiertagen kehren viele von uns – oft mit der ganzen Familie im Schlepptau – an den Ort zurück, an dem sie selbst groß geworden sind. Oft ist das ein Einfamilienhaus auf dem Land, in dem dann über die Weihnachtsferien in jedem früheren Kinderzimmer eine ganze Familie haust. Wenigstens einmal im Jahr, könnte man sagen, zahlt sich der viele Platz in den Einfamilienhäusern wenigstens aus.

Kinderzimmer Stockbett spielen lachen Zelt
Jedes Familienmitglied sollte einen Rückzugsort haben, und das muss nicht unbedingt ein eigenes Zimmer sein. Bei Kindern könnte das etwa eine Höhle sein – oder ein Zelt.
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Viele kommen dann, während sie so im Schlaflager liegen, schon einmal ins Grübeln: Bräuchten die Kinder daheim eigentlich auch – so wie es früher bei uns üblich war – alle ein eigenes Zimmer?

Auch Werner Weiss und seine Frau haben sich diese Gedanken gemacht. Sie wohnen mit ihren drei Kindern in einer Wohnung in Wien-Währing, in der es nur zwei Kinderzimmer gibt. "Unser mittleres Kind ist zwölf. Er hat sich immer mehr eingehaust und Höhlen gebaut in seinem Hochbett, das in dem Zimmer steht, das er sich mit seiner kleinen Schwester teilt", erzählt Weiss. Zuvor habe sich schon der älteste Sohn das Kabinett angeeignet. "Er wollte immer öfter dort übernachten und dann irgendwann nicht mehr mit seinen beiden Geschwistern auf 20 Quadratmetern schlafen."

Unnötiges Babyzimmer

Familie Weiss ist an einem Punkt, an dem die Frage nach einem eigenen Zimmer für jedes Kind dringlich wird. Viele Eltern machen sich jedoch schon wesentlich früher und vor allem unnötig Gedanken. Nämlich schon in der Schwangerschaft. Erstlingseltern richten in der Zeit, sofern in der Wohnung überhaupt Platz dafür ist, oft schon ein Babyzimmer ein. Ein Ort, der in den allermeisten Fällen in den Jahren danach verstaubt und höchstens zum Aufbewahren von Kleidung oder zum Wickeln genutzt wird. Denn Babys und Kinder lieben Nähe. Sie wollen dort schlafen, spielen und sich aufhalten, wo ihre Bezugspersonen sind. Ein Bedürfnis nach Privatsphäre gibt es noch nicht.

Auch laut der Architekturpsychologin Christina Kelz gebe es keine Forschung, die zeigen würde, dass bereits Babys und Kleinkinder ein eigenes Kinderzimmer brauchen. Erst ab dem Volksschulalter würden Kinder Ruhe und Rückzugsorte brauchen – etwa um sich auf ihre Hausaufgaben konzentrieren zu können.

Doch was, wenn das nicht möglich ist? Denn für viele Eltern ist das eigene Zimmer keine Frage des Nichtwollens, sondern des Nichtkönnens. Wohnraum in Städten ist teuer, zudem sind große Wohnungen mit vier oder fünf Zimmern oft Mangelware, wie auch DER STANDARD schon berichtet hat. Gleichzeitig wollen sich Familien nicht entwurzeln und an den Stadtrand oder ins Umland ziehen, wo mehr Wohnfläche noch leistbar wäre. Somit ist bei vielen ein eigenes Zimmer für jedes Kind schlichtweg keine Option.

Eigener Raum

Das sei auch nicht unbedingt nötig, beruhigt die deutsche Inneneinrichterin Sabine Stiller. Ihr Credo ist: Räume sind nicht gleich Zimmer. "Jedes Familienmitglied sollte einen eigenen Raum haben, nicht alle brauchen jedoch ein eigenes Zimmer."

Für jedes Kind kann, sagt auch Kelz, selbst in kleinen Wohnungen ein eigener Bereich eingerichtet werden, der als Rückzugsort dient – im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer. Es gelte, kreativ zu werden: Welche Bereiche der Wohnung sind noch ungenutzt? An welche Ecken und Winkeln haben wir noch nicht gedacht? Es brauche laut Kelz dazu nicht unbedingt eine Wand, die Bereiche können auch in einem größeren Raum durch einen Spieleteppich entstehen, mit einer anderen Tapete oder durch eine Höhle, die mit Polstern ausgelegt ist. Kinder würden sowieso nicht so hohe Raumhöhen brauchen, ihnen gefalle es auch, wenn alles etwas kleiner ist.

Schlafnische im Wohnzimmer

Auch Stiller lotet mit ihren Kundinnen und Kunden die Optionen aus, die je nach Wohnung ganz unterschiedlich sein können. Dazu gehören etwa eine Schlafnische für die Eltern im Wohnzimmer, eine Küche, die zum Kinderzimmer wird, eine Zwischendecke im Altbau oder ein Kinderzimmer, das auf geschickte Art und Weise zweigeteilt wird.

Dafür hat sich auch Familie Weiss entschieden. Das 20 Quadratmeter große Kinderzimmer wurde mithilfe der "Kubatur", die die Wiener Designerin Agathe Descamps entworfen hat, in zwei geteilt. Bei der Konstruktion handelt es sich um einen Raumteiler, in dem zwei Betten sowie viel Stauraum untergebracht sind. "Man hat das Gefühl, dass man tatsächlich allein im Raum ist", sagt Weiss. Nur die Geräusche der anderen seien zu hören. Doch auch dafür hat die Familie Lösungen gefunden, etwa Kopfhörer für digitale Endgeräte. Die Familie hat den Plan, auch mit drei Teenagern noch in ihrer jetzigen Wohnung zu bleiben. Komme dann einmal ein Freund oder eine Freundin zu Besuch und die Kinder hätten gerne mehr Privatsphäre, werde sich ein Arrangement finden lassen, dass das Geschwisterkind für den Tag auch woanders übernachtet, sagt Weiss.

Flexible Bereiche

Wer überlegt, Bereiche für jedes Familienmitglied einzurichten, sollte zunächst überlegen, wie die Wohnung genutzt wird, sagt Stiller. Im Elternschlafzimmer ist tagsüber meist wenig los, dort könnte ein Homeoffice-Bereich oder ein Rückzugsort für eines der Kinder unterkommen. Wichtig sei, flexibel zu bleiben. Vor allem beim Zusammenleben mit Kindern sei das wichtig, sagt Stiller. Das Leben verändere sich in dieser Lebensphase ständig. Es gibt alle paar Monate oder Jahre neue Routinen und Tagesabläufe, ebenso wie neue Bedürfnisse, je älter die Kinder werden. "Man muss sich ständig auf neue Lebenssituationen einstellen. Das gilt auch für die Wohnung, ansonsten ist Unzufriedenheit die Folge", sagt Stiller.

Viel Platz sei außerdem nicht immer ein Vorteil, glaubt Kelz. Im Alltag mit Kindern könne es auch praktisch sein, dass alles nahe beieinander liegt und die Wege kurz sind. Eine Treppe in den zweiten Stock kann ein Hindernis für Kinder und Ältere sein.

Und: Wenn die Kinder irgendwann ausgezogen sind, stehen die Kinderzimmer oft leer, müssen geputzt werden und kosten unnötig Miete. Wer nie in eine größere Wohnung umgezogen ist, als damals jedes Kind ein eigenes Zimmer wollte, muss sich damit nicht herumschlagen.

Auch Werner Weiss hat sich über diese Lebensphase schon Gedanken gemacht. "Vielleicht ziehen wir dann in eine kleinere Wohnung um, wenn wir den vielen Platz nicht mehr brauchen", sagt er. Oder die Eltern können zur Abwechslung auch einmal den Luxus genießen, sich nicht mehr ein Elternzimmer teilen zu müssen. (Bernadette Redl, 25.12.2023)