Japan: Versiert, schnell – giftig

Japan's national soccer team players pose before international friendly soccer match against Zambia, ahead of the 2014 World Cup in Tampa
Japan's national soccer team players pose before international friendly soccer match against Zambia, ahead of the 2014 World Cup in Tampa(c) REUTERS
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Asienmeister, Leistungsträger aus Europas Topligen, moderner Fußball – bei der WM kann nur die eigene Bescheidenheit störend sein.

Wer dieser Tage eine Portion Sushi in einem Tokioter Supermarkt kauft, kann die Euphorie nicht übersehen. Jeder Mitarbeiter trägt das Trikot der „Samurai Blue“, der japanischen Nationalmannschaft. Einige Arbeitskräfte ballen nach dem Abkassieren auch die Hand zur Faust, als Einstimmung auf die Fußball-WM in Brasilien. „Ganbarimashou“ ist dann zu hören: „Auf geht's in den Kampf.“ Wer sich davon angesprochen fühlt, kann sich gleich mit Fähnchen, Spielfiguren, und Sammelkarten eindecken.

Zu Recht freuen sich die Japaner auf diese WM. Nie war ihre Mannschaft stärker, selten deren Gegner in der Gruppe schlagbarer. Auch die Zahl fußballinteressierter Japaner hat einen gefühlten Rekordwert, höchstens 2002 könnte sie höher gewesen sein, als das Land die Weltmeisterschaft selbst ausgerichtet hat. Aber anders als damals hat Japan diesmal sportlich realistische Chancen – in Gruppe C warten Kolumbien, Griechenland und die Elfenbeinküste.

Nur, in der Öffentlichkeit sieht das nicht jeder so. Immer wieder ist ein Wort zu hören: „Muzukashii“, auf Deutsch „schwierig“, oder in diesem Zusammenhang fast schon: „So richtig viel traue ich der Truppe nicht zu.“ Wohl kein anderes Land geht so bescheiden mit seinen Stärken um.

Zunächst klingt das nach typisch falscher japanischer Bescheidenheit. Die Mannschaft setzt sich aus Leuten zusammen, die zuerst Leistungsträger bei Dortmund waren und heute bei Manchester United spielen (Shinji Kagawa), Stars bei Inter und AC Milan sind (Yuto Nagatomo, Keisuke Honda) oder in der vergangenen Saison 15 Tore für Mainz schossen und damit mehr als Arjen Robben oder Thomas Müller für den FC Bayern (Shinji Okazaki). Allein in der Bundesliga spielen im Moment sieben Akteure jeweils tragende Rollen, der Rest der Führungsspieler ist über Europas andere Topligen verstreut. Und die J-League, in der rund die Hälfte des Kaders unter Vertrag steht, ist in den vergangenen Jahren immer stärker geworden.

Spanische Technik, Italiens Stil

Der Rumpf der Mannschaft war schon 2010 zusammen, als amtierender Asienmeister qualifizierten sich die Japaner auch als erstes Land für die WM-Endrunde. Im Gegensatz zum WM-Debüt 1998 oder der WM 2002 steht Japan heute für schnellen, technisch versierten, überraschenden Fußball. Mit ihrem 4-3-3, bei dem sich in der Offensive laufend die Ordnung ändert, erinnern die Japaner an Spanien oder den FC Bayern. Nicht umsonst hat der japanische Verband seit 2008 verstärkt spanisches Personal für die sportliche Ausbildung angeheuert.

Trainer Alberto Zaccheroni ist stolz, seinen Spielern die taktischen Fähigkeiten der Italiener und das Kurzpassspiel der Spanier antrainiert, zugleich aber die japanische Beharrlichkeit beibehalten zu haben. Gelingt der Achtelfinaleinzug, könnte England, Uruguay oder Italien warten.

Zumindest erstmals zu den letzten acht zu gehören, ist das heimliche Ziel der meisten Japaner. Aber so weit wird offiziell nicht gedacht. Oft wird Torwart Eiji Kawashima (Standard Lüttich) kritisiert, er sei nicht immer der sicherste. Doch als hätte er die nationale Bescheidenheit mitangehört, steuerte Außenverteidiger Yuto Nagatomo vor wenigen Tagen als Erster gegen diese zaghafte Stimmung an. Kurz vor der Abreise ins Trainingslager reagierte er auf die Frage, wie weit es für die „Samurai Blue“ gehen könne, verblüfft: „Ich reise an, um die Weltmeisterschaft zu gewinnen.“ Man müsse sich doch etwas zutrauen.

Wahrscheinlich schießt Nagatomo damit übers Ziel hinaus. Die Großbank Goldman Sachs ermittelte jedenfalls anhand mathematischer Modelle, dass die Chancen für eine solche Überraschung derzeit bei genau null liegen. Allerdings liegt der Berechnung das Abschneiden bei vorigen WM-Turnieren zugrunde. Und in einer Sache sind sich alle einig, auch der Kassier des Supermarktes: „Diesmal sind wir so stark wie noch nie!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2014)

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