Städel Museum: Wer war der Meister von Flémalle?

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Direktor Max Hollein präsentiert vorbildliche Ahnen-Forschung in Sachen Alte Niederländer – und zeigt die Geburt des Realismus.

Zwei Rätsel der altniederländischen Malerei beschäftigen die Forschung seit mehr als hundert Jahren. Eines bezieht sich auf die Brüder van Eyck und ihren Anteil am Genter Altar, das zweite auf die Identität des Meisters von Flémalle.

Beide Rätsel haben mit der Entstehung des neuzeitlichen Bildes im Norden Europas zu tun. Während die Italiener durch die Entdeckung der Zentralperspektive ihren Beitrag zur Renaissance lieferten, entwickelten die Niederländer die Ölmalerei – damit die technische Voraussetzung für eine ganz neue Weltsicht. Gerötete Augen in runzligen Gesichtern, Schmutz unter den Fingernägeln, verzerrte Spiegelreflexe auf blankem Metall: In den ersten Jahrzehnten des 15.Jahrhunderts tauchten plötzlich krass realistische Details in der idealen Welt der Bibelszenen auf. Gleichzeitig wurden auch die Zeitgenossen abbildungswürdig.

Die neue Wirklichkeitsmalerei

Ars Nova hat Kunsthistoriker Erwin Panofsky diese neue Wirklichkeitsmalerei genannt. Damals entstand die Porträtkunst durch Überwindung der Typenmalerei, die bis dahin nur Standardgesichter nach den Vorbildern aus mittelalterlichen Musterbüchern geliefert hatte. Am Hof der Herzöge von Burgund wurden vor fast 600 Jahren die ersten realistischen Bildnisse seit der Antike gemalt. Von hier geht ein ununterbrochener Traditionsstrang bis zur modernen Porträtfotografie.

Im Frankfurter Städel Museum versucht man dem Ahnherrn der Ars Nova auf die Spur zu kommen. Der eigene Gemäldebestand gab die Anregung: Vor 160 Jahren erwarb das Museum drei hochformatige altniederländische Altarflügel, die angeblich aus einer Abtei in Flémalle stammten. Eine solche Abtei gab es aber nie! Man nannte den unbekannten Maler dennoch „Meister von Flémalle“, schrieb ihm immer mehr Bilder zu. Aufgrund stilistischer Vergleiche war klar, dass er vor den Brüdern van Eyck wirkte und ihnen damit die Position als Begründer der altniederländischen Malschule streitig machte. Außerdem erkannte man in ihm einen unmittelbaren Vorläufer des Rogier van der Weyden, der in Tournai wirkte.

Das Rätsel blieb. In Quellenfunden tauchte ein Robert Campin als Maler aus Tournai auf, den man – glücklich über einen Namen – vor etwa hundert Jahren mit dem Meister von Flémalle gleichsetzte. Zu Recht? Kunsthistoriker von Erwin Panofsky bis Otto Pächt rangen um des Rätsels Lösung, ohne eine allgemein anerkannte Antwort zu finden.

Max Hollein, Direktor des Städel Museums, versammelte die wichtigsten Werke des Meisters und seines Umkreises, also vor allem von Rogier van der Weyden, in seinem Museum: aus New York, Moskau, Paris, London, Madrid, Wien, Berlin, Dijon... Die logistische Leistung Holleins, so viele Zimelien den Leihgebern abzubetteln, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Zu Beginn des Rundganges ein Paukenschlag: das Mérode-Triptychon aus dem Metropolitan Museum, ein monumentales Werk, dabei erstaunlich klein. Die Verkündigungsszene findet erstmals im detailliert geschilderten bürgerlichen Wohnraum statt. Inwieweit die zahlreichen Alltagsgegenstände symbolisch aufgeladen sind – etwa die Jungfräulichkeit Marias assoziieren –, ist ein alter Gelehrtenstreit. In Frankfurt kann man sich von der perfekten Schilderung dieser kleinen Welt überzeugen, zum Glück ungehindert von den heute so verbreiteten Schranken.

Der heilige Josef mit dem Bohrer

Auf dem rechten Seitenflügel des Altars fräst der heilige Josef mit einem Bohrer Löcher aus einer kleinen Holzplatte, um Mausefallen zu produzieren und in seinem Gassenladen zum Kauf anzubieten. Im Hintergrund der an der Nachbarwand hängenden „Geburt Christi“ aus dem burgundischen Dijon findet man ein Dorf mit einer Schmiede, bei der gerade ein Schimmel beschlagen wird.

Wer genau schaut, merkt auch, dass die dem Meister von Flémalle zugeschriebenen Werke kaum von einer einzigen Hand stammen können. Zu unterschiedlich sind viele Details in Gewandpartien, ist die Gestaltung von Körpervolumina, als dass man die schöne Mär vom großen Unbekannten aus Flémalle als Stammvater der niederländischen Malerei aufrechterhalten könnte. Die vier monumentalen Tafeln, die dem Städel Museum gehören, lassen sich kaum mit den kleinteiligen Andachtsbildern unter einen Hut bringen.

Die von den Kuratoren angebotene Lösung: Tatsächlich handelte sich um eine Werkstatt in Flémalle, möglicherweise von Robert Campin geleitet, der verschiedene bedeutende Künstlerpersönlichkeiten angehörten, vor allem der junge Rogier van der Weyden. Diesem Maler gilt der zweite Teil der Ausstellung, der ein wenig darunter leidet, dass viele Werke mit den Zusätzen „Werkstatt“, „Umkreis“ oder „Kopie nach“ leben müssen. Dennoch: ein einzigartiges Rendezvous mit 50 alten Niederländern!

AUSSTELLUNG

Städel Museum, Frankfurt am Main: Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden, bis 15. Februar 2009.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2009)

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