Schwarz-Blau: Die Wende und ihr Ende

Haider und Schuessel
Haider und Schuessel(c) APA (GERT EGGENBERGER)
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Das Jahrzehnt begann mit einem Experiment: der schwarz-blauen Koalition. Am Anfang waren alle aufgeregt, am Ende ernüchtert. Mittlerweile ist vieles wie zuvor: Österreich ist zu seiner angestammten Regierungsform zurückgekehrt.

Es ist, als hätte es die von ihren Anhängern solcherart apostrophierte „Wende“ nie gegeben. Nur wenn Wolfgang Schüssel bei Parlamentssitzungen noch ab und zu durch das Bild huscht, kommen leicht verschwommen Erinnerungen auf. Heute ist das Land zur politischen „Normalität“ im österreichischen Sinn zurückgekehrt: zur Großen Koalition.

Die Dramatik der Jahre 2000 ff. mutet fast grotesk, jedenfalls übertrieben an. „Widerstand, Widerstand, Haider-Schüssel an die Wand!“, skandierten die Demonstranten. „Die Schande Europas“, titelte das „Profil“. Zumindest verbal befand sich das Land in einer Art Bürgerkrieg. Man war entweder für oder gegen die neue Regierung, die im Februar 2000 mit den Unterschriften von ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel und FPÖ-Chef Jörg Haider besiegelt worden war. Es war vor allem die Regierungsbeteiligung des freiheitlichen Enfant terrible, das im In- und Ausland für Schreckensvisionen sorgte.

Doch es sollte anders kommen. Haiders Stern verglühte zusehends, er strahlte nur noch regional, voriges Jahr verunglückte er tödlich. In manchen Bereichen wie der mangelhaften handwerklichen und moralischen Eignung vieler FPÖ-Funktionäre für ihre Ämter kam es aber genau so wie erwartet.

Die Nullerjahre begannen mit dem Niedergang der freiheitlichen Partei, der ebenso unaufhaltsam schien wie der Aufstieg zuvor. Doch gegen Ende des Jahrzehnts liegt die FPÖ fast schon wieder bei ihren Werten wie in den späten Neunzigern. Es ist, als hätte jemand die Reset-Taste gedrückt. Österreich steht politisch wieder dort, wo es schon vor zehn Jahren gestanden ist. Die Große Koalition regiert, die FPÖ sammelt die Proteststimmen ein.

Was blieb von der „Wende“? Die ÖIAG-Novelle mit privatisierten Staatsbetrieben wie der Voest. Die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. Das Kindergeld, das auch von der rot-schwarzen Regierung übernommen und nun leicht reformiert wurde. Die Abfertigung neu. Abfangjäger Marke Eurofighter, deren Stückzahl von den Nachfolgern reduziert wurde. Eine groß angelegte Pensionsreform, die zu Demos und Streiks führte, mit dem Zugeständnis der Hacklerregelung aber entschärft wurde. Das Nulldefizit, der Propagandaschlager von Schwarz-Blau, der auch vom Publikum wohlwollend aufgenommen worden war, wurde annähernd nur ein Mal, 2001, erreicht. Und die eingeführten Studiengebühren sind mittlerweile abgeschafft.

Rein atmosphärisch war die „Wende“ schon 2003, bei deren Wiederauflage, zu Ende. Auch deren Fans waren zusehends ernüchtert. Die große Gefühlsaufwallung, auch die der Gegner, blieb auf die Jahre 2000 bis 2002 beschränkt. Mit „Knittelfeld“, der Implosion der FPÖ und dem nachfolgenden ÖVP-Wahlsieg war die Luft raus.

Es folgten relativ unspektakuläre, aber sachlich intensive Regierungsjahre. Bis 2006 – nach dem Bawag-Desaster – die Wende von der Wende selbst die sozialdemokratischen Wahlsieger überraschte. Alfred Gusenbauer wurde Bundeskanzler, zwei Jahre später allerdings von seinen Genossen wieder aus dem Amt gemobbt. Werner Faymann übernahm. Als sozialdemokratisches Jahrzehnt werden die Nullerjahre allerdings nicht in die Geschichte eingehen. Die Handschrift der beiden roten Kanzler blieb dafür zu blass.

Trotz teilweise erfolgter „Gegenreformation“ haben die Kanzlerjahre Wolfgang Schüssels, vor allem die ersten, das zu Ende gehende Jahrzehnt politisch am meisten geprägt.


Fokus Wirtschaftspolitik. Schüssels Reformdrang galt der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hier ging er ambitioniert zu Werk. Die Sozialpartner waren zwar in seine Vorhaben eingebunden, es gab runde Tische, notfalls wurde aber gegen sie regiert. Das war bis dahin unbekannt. Heute haben die Sozialpartner wieder ihren früheren, privilegierten Status inne, unter der Regierung Gusenbauer-Molterer wurden sie sogar in den Verfassungsrang erhoben.

Gesellschaftspolitisch war die Ära Schüssel allerdings bieder und konservativ. Versinnbildlicht in dem Volksliederbuch, das die ÖVP-Regierungsfraktion herausgab, oder den „Familienausflügen“ mit dem freiheitlichen Koalitionspartner in den Schönbrunner Zoo, die südsteirischen und Retzer Weinberge oder ins Marchfelder Schloss Hof. Sein katholisches Weltbild trug Schüssel deutlich vor sich her – etwa mit der Wallfahrt nach Mariazell aus Anlass des Endes der EU-Sanktionen oder seinen persönlichen Exerzitien im Benediktinerstift. Und im ORF durfte Chefredakteur Werner Mück schalten und walten – ein knorriger Konservativer wie aus den Fünfzigern. Bei seinen „Philosophischen Mittagessen“ mit renommierten Denkern versuchte Schüssel allerdings Weltgewandtheit zu zeigen. Und in den EU-Gremien und im Ausland machte er als Kanzler anerkannt gute Figur.

Die schwarz-blaue Wende war ein Paradigmenwechsel. Eine verspätete Gegenreaktion auf die Ära Kreisky. Dessen gesellschaftspolitische Reformen wurden zurückgefahren, dessen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik umgekehrt. Allerdings nicht für lange. Am Ende des Jahrzehnts dominieren wieder Kreiskys Erben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2009)

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