Bohemian Kritzendorf: Ein gallisches Dorf an der Donauriviera

Walter Kräutler in einem seiner drei Häuser, das er eben erst renoviert hat.
Walter Kräutler in einem seiner drei Häuser, das er eben erst renoviert hat.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Nach Kritzendorf sind die Kreativen zurückgekehrt. Sie sorgen für ein neues Lebensgefühl und setzen sich dafür ein, dass die Geschichte des Strombads nicht vergessen wird; gerade weil das nächste Hochwasser wieder viel zerstören wird.

Wenn Monika Resetarits an ihre Anfangszeit in Kritzendorf denkt, erinnert sie sich an Stille. Daran, dass sie immer gehofft hat, dass ihr Sohn nicht zu laut sei, nicht schreit – weil es die Nachbarn rundherum, das wusste sie, gestört hätte. Dabei hatte sich die Familie 2001 extra des Kindes wegen ein Haus im Strombad in Kritzendorf besorgt. Ein kleines Idyll auf Stelzen, mitten im Überschwemmungsgebiet und doch ein Traum für alle, die den Sommer im Freien genießen wollen.

Eine Badesiedlung, deren Häuser sich nicht hinter hohen Thujen verstecken, sondern inmitten von offenen Minigärten stehen. Häuser in Rot, Blau, Gelb, Grün, Braun – keines sieht wie das andere aus. „Es ist alles sehr individuell hier – das spricht an“, erklärt Resetarits. Auch andere.

Denn geht man heute durch die nur etwa sieben Kilometer Luftlinie von der Wiener Stadtgrenze entfernte Strombadsiedlung am Ufer der Donau, ist von der Stille nichts mehr zu bemerken. Die Häuser sind belebt, in vielen hängen nasse Kleider von Kindern. Immer wieder kreuzen Gruppen von ihnen den Treppelweg von der Donau hinauf zu den Badehäuschen. „Es hat das Flair von Bullerbü“, wird ein Badehausbesitzer über die Siedlung sagen.

Preisverfall nach dem Hochwasser. In Kritzendorf hat seit dem letzten großen Hochwasser 2013 ein Generationenwechsel stattgefunden. Begonnen hat er schon davor, sind sich Resetarits und ihr Mann, Heimo Wilfan, sicher. Aber nach jedem großen Hochwasser, erzählt man sich im Strombad, ändert sich das Leben im Bad. Menschen ziehen weg, andere kommen hinzu – die Häuser sehen nicht mehr so aus wie vorher. Schon gar nicht nach dem letzten Jahrtausendhochwasser, das es 2013 gegeben hat. Die Häuser standen über zwei Meter im Schlamm – das Militär rückte aus, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Ein Wettlauf gegen die Zeit – einmal fest, ist der Schlamm hart wie Beton. Jeder im Strombad, der damals schon da war, kann Geschichten von dieser Zeit erzählen.

Das haben nicht alle mitgemacht. Gerade ältere Menschen sahen sich nicht mehr in der Lage, die Schäden zu reparieren – waren müde und verkauften die Häuser zum Teil um die Hälfte des Preises, der heute verlangt wird.

Und das hat offenbar gerade Menschen in Kreativberufen angesprochen. Unzählige Architekten, Künstler, Regisseure, Grafiker, Marketingmitarbeiter, Kabarettisten, Stuntmen, Moderatoren und Journalisten, Kunstuni-Professoren haben sich hier ein Häuschen gekauft. Es sind Menschen wie Regisseur David Schalko, Kabarettist und Autor Dirk Stermann, Film- und Theaterregisseurin Anja Salomonowitz, um wenige zu nennen. Wer mit Menschen aus dem Strombad mit dem Rad durch die Siedlung fährt, der wundert sich schnell einmal ob der Dichte der Bohemians, die hier einen Platz gefunden haben – mit ihren Kindern.

Nicht nur durch sie, aber auch mit ihnen, ist das Gemeinschaftsgefühl in Kritzendorf wieder intensiver geworden, erzählt man sich. Man kennt und trifft einander abends auf Wein und Essen, geht die Straße entlang, und plötzlich schließen sich immer mehr Menschen an, um sich danach gemeinsam die Donau hinuntertreiben zu lassen. Man hilft sich aus, repariert Dinge, plaudert, während die Kinder spielen.

„Vielleicht können Kreative mit dem Temporären, das das Hochwasser mit sich bringt, besser umgehen“, sagt Walter Kräutler. Es ist ein träger Sommerabend, an dem der 44-jährige Architekt mit dem dichten Vollbart und dem blau-weiß gestreiften Hemd diese These aufstellt. Kräutler, seine Frau, die Künstlerin Sofie Thorsen, und Sohn Otto (7) verbringen seit 2012 die Sommer im Strombad. Mittlerweile besitzt die Familie drei Häuschen nebeneinander. Inge, Thomas und Frau Mohar – benannt nach den Vorbesitzern. Das erste Haus dient mittlerweile als Schuppen, das zweite ist das Gästehaus (mit Strom) und im dritten, dem größten und eben erst renoviert, wohnt die Familie (ohne Strom). Erst mit Ende der Schulferien ziehen sie – so wie der Großteil hier – nach Wien zurück. Manche Häuser sind zwar winterfest – aber nur zehn Prozent haben Zugang zu Winterwasser. Dem Rest wird das Wasser erst wieder im April aufgedreht.


Bilderrahmenfenster. Das zuletzt hinzugekommene Haus war de facto abbruchreif, als Kräutler es übernahm. Um es zu renovieren und besser vor Hochwasser zu schützen, hat es die Familie auf Lärchenholzstelzen gestellt, mit Fenstern, die sich wie Bilderrahmen herausnehmen lassen. Denn das nächste Hochwasser kommt bestimmt. „Die Frage ist nur, wann. Aber das Temporäre ist ja das Schöne an Kritzendorf“, sagt Kräutler. Den Schlamm kreiden die Strombadsiedler und die Stadt Klosterneuburg übrigens dem Kraftwerk Greifenstein an, weswegen die Stadt 2014 den Verbund klagte. Vor dem Kraftwerk habe es zwar Hochwasser gegeben, aber keinen Schlamm, so der Vorwurf. Das Urteil ist ausständig.

Nun gibt es seit fünf Jahren hier gar kein Hochwasser mehr. Was auch damit zu tun habe, dass die Kraftwerkschleusen besser eingestellt sind, munkelt man. Das fehlende Hochwasser hat die Menschen auch etwas träge und nachlässig gemacht. In den Gärten sind jetzt Gemüsebeete zu sehen, ebenerdig wird mehr hergerichtet. „Früher hat man das nicht gemacht“, sagt eine Frau, die in der Siedlung ein Haus hat.

Bis das nächste Wasser kommt, genießt man in Kritzendorf das Leben. Hier ist man schon gut angezogen, wenn man ein T-Shirt mit Spruch und eine Badehose anhat. Die Hausbesitzer erkennt man an den Scheibtruhen, und der Tag gestaltet sich zumindest nach einem ähnlichen Rhythmus: In der Früh baden gehen, dann zu Ludwig Ehrenstrasser, den Kioskpächter, bei dem man frische Handsemmeln bekommt. Dann lässt man sich in der Donau treiben, liest, repariert etwas, trifft sich mit Freunden, so verläuft der Tag. Freunde von Kräutler wollten unlängst ein Küchenkastl aufhängen. „Aber sie haben es eine Woche lang nicht geschafft, weil ständig jemand vorbeigekommen ist.“

Luxus? Ja. Ein einfacher und doch reicher. „Campen im Haus“ nennt es eine Kritzendorferin. Die Hütten sind meist eng und einfach, dafür reich an Geschichte. An der Hüttenzeile, wo Kräutler seine Häuser hat, geht die Bausubstanz auf 1926 zurück. In Kritzendorf gab es eine „Weekend“-Kultur, die Wiener fuhren am Wochenende zum Baden und Nichtstun dorthin. Bis heute sind das Strombad und seine Zughaltestelle gut an Wien angeschlossen. Dass jetzt das nächste Hochwasser auf sich warten lässt (vor 2013 gab es im Zweijahresabstand auch kleinere), hat auch mit den Menschen, die ins Bad ziehen, etwas gemacht, glaubt eine Kritzendorferin. Früher seien hier Menschen gewesen, die den Dreck aushalten. „Im Strombad kann ich mir nicht das schicke Heim leisten, ich muss anpacken können.“ Jetzt würde sie manchmal Menschen sehen, die ihren Traum vom Eigenheim im Grünen hier verwirklichen wollen. „Ich glaube, es gibt einige, die das nächste Hochwasser nicht aushalten.“ Nachsatz: „Das Hochwasser hat auch etwas Reinigendes, auch wenn ich es mir nicht wünsche.“

Ein Hochwasser verbindet. Tatsächlich war es wohl auch das übersteigende Donauwasser, das die Menschen zusammengebracht hat. Damals, 2013, als man in Kritzendorf darum kämpfte, die Siedlung wiederherzustellen, sagten Heimo Wilfan, Monika Resetarits und ein paar andere: Jetzt erst recht. „Es war eigentlich eine schöne Zeit, weil die Leute so zusammengewachsen sind. Obwohl es ganz furchtbar war“, erinnert sich Dieter Spet, der mit seiner Frau, der ORF-Moderatorin Christiane Wassertheurer, und Sohn Moritz hier den Sommer verbringt. Spet, der als Infodesigner beim ORF arbeitet, war es auch, der Postkartenmotive aus den verschlammten Häusern machte und Pickerln mit dem Spruch: „I love Krido. More than ever. Waterproof since 1903.“ Die Pickerln sind an vielen Häusern in der Siedlung zu finden. Seither macht Spet jedes Jahr ein Projekt: T-Shirts mit der Aufschrift „Strombad Republic“ oder heuer den Kritzendorf-Kaffee, der im Kiosk verkauft wird. Beisatz: „Ned da schlechteste“.

Seit dem letzten Hochwasser gibt es auch den Förderverein Kulturinsel Strombad Kritzendorf – 2024, den Wilfan und Resetarits gegründet haben – und der nicht nur die Community stärken sollte, sondern sich auch zum Ziel gesetzt hat, die historische Bedeutung des Strombads zu erhalten. „Das Hochwasser 2013 hat etwa Badekabinen versetzt – und diese sind abgerissen worden“, kritisieren die beiden. Auch das historische Ensemble rund um die Brücke beim Eingang verrottet.

Dabei war das Bad in den 1920ern für sein kulturelles Leben bekannt. Die Philharmoniker spielten im Musikpavillon, im ehemaligen Sportclubhaus am Hauptplatz, das jetzt Wilfan und Resetarits gehört, traten Jazzmusiker auf. Zu Kritzendorf hatten Kunstschaffende wie Heimito von Doderer, Peter Altenberg, Hilde Spiel, Franz Theodor Csokor oder Lina Loos eine Verbindung, Architekten, Journalisten, auch Leo Trotzki kam hierher. Bis der Zweite Weltkrieg – und die Arisierung des Strombads – allem ein Ende setze.

Doch auch nach dem Krieg gab es wöchentlich im Pavillon einen Tanzboden, erinnert sich eine ältere Strombadsiedlerin. Und die ersten Holzfertigteilhäuser der Klosterneuburger Wagenfabrik (Kawafag) standen hier. Dieses Bewusstsein will der Förderverein zurückholen. Zum Teil sei es schon da, sagt Resetarits. Alte Häuser werden von neuen Besitzern auf ihr ursprüngliches Aussehen rückgebaut und renoviert. Man arbeitet mit Universitäten zusammen – deren Architekturdiplomanden etwa einen Vergleich mit denkmalgeschützten Hochwassersiedlungen zogen. Einen Ensembleschutz wünscht sich auch die Kulturinsel für Kritzendorf, damit nach dem nächsten Hochwasser nicht einfach Gebäude abgerissen werden. Die neue Strombad-Community – so viel ist klar – will mitreden. So erzählt man sich in der Siedlung, dass die jährliche Strombadpacht zum Teil das Klosterneuburger Bad quersubventioniere. Das ärgert die Bewohner, immerhin gibt es in Kritzendorf selbst viel zu renovieren. Die Stadt Klosterneuburg dementiert. „Die Pachteinnahmen werden komplett für das Strombad verwendet“, so eine Sprecherin. Der Verpflichtung als Erhalter wolle die Stadt bei Renovierungen nachkommen, sie seien aber vom Budget abhängig.

Die Kulturinsel war es auch, die das Krido-Open ins Leben gerufen hat. Einmal im Jahr öffnen Menschen ihre Hütten und Gärten – „so lernt man sich auch untereinander kennen“, sagt Resetarits. 800 Personen kamen heuer wieder Ende Juli ins Strombad, zu Gummistiefelweitschießen, Lindy-Hop, Insektentheater, Wassershows. Mit dem Gewinn wollte man nach den ersten beiden Jahren zur Renovierung des Musikpavillons beitragen. Trotz Zusage Klosterneuburgs wurde sie nicht umgesetzt.

Dafür ist der Community-Gedanke um so mehr gestiegen. Einmal im Jahr gibt es die „Lange Tafel“, bei der jeder im Strombad seinen Tisch mitbringt und auf dem langen Treppelweg aneinanderstellt, dann wird gemeinsam gegessen. Der Tennisplatz wurde neu übernommen, es gibt einen selbstverwalteten Beachvolleyballplatz, Tarockgruppen – über Whatsapp und Facebook tauscht man sich über den Donaustand aus. Eltern haben eine Fußballgruppe für Kinder gegründet – und mit Christian Antos vom Österreichischen Wasserski- und Wakeboard-Verband gibt es einen professionellen Anbieter, mit dem man auf der Donau wakeboarden kann.

Pizzaparty für alle. Antos ist übrigens in Kritzendorf aufgewachsen. Als „kleines gallisches Dorf“ bezeichnet er das Bad, in dem man der Donau trotzt. In dem jeder alles von jedem mitbekommt, weil die Häuser so hellhörig sind. „Wir sind Siedler. Die machen Land urbar, das gefällt mir“, sagt Spet, der eine Führung durch die Siedlung macht – viele Leute grüßt und die Türen zu den Ferienhäusern und ihren Bewohnern öffnet. „Das Hochwasser macht uns nix. Wir sind glücklich, hier ein Haus zu haben“, erzählt ein älteres Ehepaar. Neben dem Haus von Spet sitzt ein Mann in seinem Garten und öffnet Tomatendosen. „Heute gibt es Pizzaparty“, ruft er Spet zu. Jeder könne kommen. Nachsatz: „Die Kinder werden eh den Sommer über in der Siedlung durchgefüttert.“ Stille? Die gibt es hier nicht mehr.

Strombad

1900. Das Strombad Kritzendorf hat seine Anfänge 1902, als beschlossen wurde, dieses zu errichten, ein diesbezüglicher Vertrag wurde 1903 unterschrieben. Zu seiner Hochblüte in der Zwischenkriegszeit tummelten sich an schönen Wochenenden entlang des Donauufers bis zu 12.000 Menschen aus allen sozialen Schichten.

1925. Das Bad bestand 1925 u. a. aus 376 Saisonkabinen und 377 Hütten. Ab 1928 kommen Villen, Strand- und Weekendhäuser hinzu. Am Bootsanlegesteg landen täglich 20 Schiffe.

Zweiter Weltkrieg. Das Bad wird arisiert, die jüdischen Besitzer müssen ihre Häuser abtragen oder der Gemeinde zurückgeben. Nach Kriegsende Rückarisierung, doch die meisten Vertrieben wollen nicht mehr zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2018)

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