Von der „Rinnsteinkunst“ zum Literaturnobelpreis: Gerhart Hauptmann

Am 10. Dezember 1912 wurde Gerhart Hauptmann in Stockholm der Literaturnobelpreis verliehen. Der „Vorwärts“ berichtete ausführlich.

 

 Skandalös sind die Aufführungen seiner frühen naturalistischen Dramen: Kaiser Wilhelm II kündigt 1894 aus Protest gegen „Die Weber“ seine Loge im Deutschen Theater. Wüste Schimpftiraden in den konservativen Berliner Blättern begleiten schon 1889 die Inszenierung seines ersten Stückes „Vor Sonnenaufgang“. Dieser Theaterskandal macht den damals 27jährigen Gerhart Hauptmann berühmt in Berlin und darüber hinaus.

 Seine Dramen konfrontieren das bürgerliche Theaterpublikum mit sozialen Problemen der Zeit: Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus. Hauptmann spart nicht mit klassenkämpferischen, antimilitaristischen und antikirchlichen Parolen. Der junge Schriftsteller ist Abonnent der sozialdemokratischen Wochenschrift „Die Neue Zeit“, weswegen ihn der örtliche Amtsvorsteher bespitzeln lässt. Sein Breslauer Freundeskreis verfolgt –beeinflusst von Étienne Cabets ‚Voyage en Icarie‘ – den Plan, nach diesem Vorbild eine sozialistische Kolonie in den USA zu gründen. Vor allem sein Drama  „Die Weber“, das den Aufstand der von Verelendung  bedrohten schlesischen Weber 1844 thematisiert, wird als sozialdemokratische Tendenzdichtung betrachtet – und  zunächst von der preußischen Zensur verboten.

 Die ultimative Ehrung: Nobelpreis 1912

 Für seine sozialkritischen Dramen erhält Gerhart Hauptmann am 10. Dezember 1912 den Literaturnobelpreis. In der Laudatio heißt es: Hauptmann behandele „die Lebensbedingungen des kleinen Mannes, die er an vielen Orten besonders aber in seiner schlesischen Heimat studieren konnte. Seine Darstellung beruht auf sehr genauen Beobachtungen der Umstände und der Menschen. … Der Realismus seiner Beschreibungen zwingt uns, neue und bessere Lebensbedingungen anzustreben und deren Verwirklichung zu wünschen“.

 Das Stockholmer Parteiorgan „Social-Demokraten“ feiert ihn als Anhänger der sozialistischen Weltanschauung. Hauptmann erklärt daraufhin ausdrücklich: „Ich habe niemals einer politischen Partei angehört, und ich werde niemals einer solchen angehören. Ein Künstler darf kein Politiker sein.“  Und zu den „Webern“: „Aber dieses Drama ist nur ein menschliches Dokument und es bildet keineswegs eine Kritik der menschlichen Gesellschaft.“

 Der „Social-Demokraten“ kontert: „Der Nobelpreisträger Hauptmann scheint mit dem Dichter der „Weber“ und  von „Vor Sonnenaufgang“ nicht ganz identisch zu sein.“

 Der Vorwärts berichtet im „Kleinen Feuilleton“ genüsslich über diese Episode.

 Der „König der Republik“

Gerhart Hauptmann ist eine nationale Institution, er gilt als repräsentativer Dichter Deutschlands – Georg Lukács unterscheidet: „des bürgerlichen Deutschlands“. Seine Themen haben sich verändert und finden zunehmend Anklang beim Besitz- und Bildungsbürgertum. Auch ihn ergreift zunächst die Kriegseuphorie und er unterzeichnet im September 1914 ein Manifest, das sich in erster Linie an die im Ersten Weltkrieg noch neutralen Staaten richtet und die Vorwürfe bestreitet, welche die Kriegsgegner gegen Deutschland erheben.

 1918 aber solidarisiert er sich mit der Republik. 1921 muss er die Nachricht von seiner angeblichen Kandidatur zum Reichspräsidenten dementieren. Thomas Mann würdigt ihn in einer Rede zu Hauptmanns 60. Geburtstag als „König der Republik“, der als Literat seine politische Verantwortung wahrgenommen habe. Ähnlich euphorisch – aber demokratischer – rühmt ihn Heinrich Mann als „Präsident des Herzens“.

 Gerhart Hauptmanns runde Geburtstage in den Jahren 1912, 1922 und 1932 werden  feierlich begangen. 1922 erhält er als Erster das ‚Adlerschild des Deutschen Reiches‘, die höchste Ehrengabe der Weimarer Republik, begleitet von einem persönlichen Schreiben des Reichspräsidenten Friedrich Ebert, der mit „Ihr Ihnen stets ergebener Ebert“ zeichnet.

 Der Vorwärts begleitet  mit einer ausführlichen Berichterstattung die nationalen Feierlichkeiten. Zum 70. Geburtstag erscheint ein Gruß Käthe Kollwitz‘ auf der Titelseite, die Abendausgabe vom 15. November hebt Gerhart Hauptmann mit Bild auf die Frontpage.

 Zu seinem 80. Geburtstag am 15. November 1942 ehren die Nationalsozialisten den Dramatiker mit Festaufführungen und Ehrungen, die er vorbehaltlos entgegenimmt. Aber darüber kann der Vorwärts dann nicht mehr berichten.

Gerhart Hauptmann im "Vorwärts":

17.12.1912: "Hauptmann und die Sozialdemokratie" (Zum Literaturnobelpreis 1912)

20.12.1912: Leserbrief zu "Hauptmann und die Sozialdemokratie"

11.09.1921: "Gerhart Hauptmann lehnt ab" (Das Dementi Gerhart Hauptmanns zu einer Kandidatur als Reichspräsident 1921)

15.11.1932: Käthe Kollwitz: Gerhart Hauptmann zum 70. Geburtstag

15.11.1932: "Gerhart Hauptmann-Feier"

 

 

 

 

 


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