Polar: Der Urvater des Pulsmessers in der Retrospektive
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Polar: Der Urvater des Pulsmessers in der Retrospektive

Wir suchen dich. Andrea Jacob und Dominik Bärlocher haben die Geschichte des Pulsmessers Polar aufgerollt und auf einmal realisiert, dass sie einen historischen Auftrag gefasst haben.

Jede x-beliebige Smartwatch hat einen Pulsmesser verbaut. Manche besser, manche schlechter. Frag aber in einem digitec-Shop oder in einem x-beliebigen Sportladen nach dem genauesten Pulsmesser, und die Antwort wird höchstwahrscheinlich «Polar» lauten. Polar waren die ersten, die den Pulsmesser ans Handgelenk gebracht haben, und sie spielen nach wie vor oben mit. Aber es ist ruhig um die Marke. Keine grossen PR-Aktionen, keine Launch Events, kaum Werbung ausserhalb von Fachmagazinen. Ihre neuen Geräte tauchen einfach mal auf, ohne grosses Brimborium, und Sportler glauben nach wie vor daran, kaufen wohl auch genug, dass sich diese Strategie rechtfertigt. Warum also nicht am Marketing sparen?

Andrea Jacob, ihres Zeichens Category Marketing Manager, knallt mir ein Couvert auf den Tisch. Über dem Etikett das Logo Polars. Darunter mein Name. Warum hat Andrea dieses Couvert? Mein Gefühlszustand ist irgendwo zwischen desinteressiert und verwirrt. Was will die jetzt von mir?

«Was soll ich damit», frage ich.

«Jetzt mach schon auf», sagt sie. Irgendwie ist sie viel begeisterter ob dem Couvert als ich.

Okay, dann mach ich mal. Uralte Polar-Uhren.

«Gut, was?»

Andrea ist immer noch begeisterter als ich. Ich blicke sie fragend an.

«Wir vergleichen die alten Geräte jetzt mit dem neuesten Tracker», sagt sie.

Okay, das kann gut werden. Denn wenn schon vor x Jahren ein Tracker den Puls akkurat gemessen hat, warum also Innovation betreiben? Einfach nur, damit Leute jedes Jahr ein neues Modell kaufen und sich dann besser fühlen?

Die Testgeräte aus der Antike

Andrea hat sich ins Zeug gelegt. Sie hat bei Polar Schweiz nach den alten Geräten gefragt, dort haben sie in den Archiven gegraben und alte Gerätschaften ans Tageslicht befördert. Da aber keine Verpackungen und Betriebsanleitungen mehr vorhanden sind, müssen wir recherchieren, was das überhaupt für Geräte sind und wann sie auf den Markt gekommen sind. Glücklicherweise ist die Website Polars mit Dokumentation vollgestopft. Die User Manuals von so ziemlich jedem Gerät sind dort archiviert. Manchmal sind die Scans nicht die besten, aber alles ist lesbar.

Die Polar Accurex II meint immer noch, dass wir im Jahr 1992 leben
  • Polar Sport Tester PE200 von anno 1986
  • Polar Sport Tester PE4000 von anno 1989
  • Polar Accurex II von anno 1992
  • Polar XTrainer Plus von anno 1996

Wo wir schon dabei sind, werfen wir doch einen Blick in die Geschichte des Herstellers.

Polar gibt den Ton an

Polar ist so etwas wie der Urvater aller Smartwatches, wie wir sie heute kennen. Nicht, weil sie das Konzept der Smartwatches erfunden hat, sondern wegen einer Idee: Polar wollte einen tragbaren und genauen Pulsmesser erfinden. Die Tatsache, dass so ziemlich jede Smartwatch einen Pulsmesser verbaut hat, ist direkt auf diese Idee zurückzuführen. Wer dann am Ende die erste smarte Smartwatch der Welt auf den Markt gebracht hat, ist aber noch umstritten. Die Kommentarspalte wird hier sicher einhängen und Vorschläge machen.

Bevor das Unternehmen Polar im Jahre 1982 seinen ersten Pulsmesser mit dem klingenden Namen «Sport Tester PE 2000» – damals war alles 2000, wie es scheint – auf den Markt gebracht hat, gab es eine Idee. Diese ist im Jahre 1977 entstanden. So richtig Finnisch. Auf einer Langlauf-Loipe. Langläufer wie auch andere Ausdauersportler hatten bis in den frühen 1980ern eben das Problem, dass sie während dem Training ihren Puls nicht messen konnten. Klar, die Technologie, den Puls zu messen, bestand, aber das war kompliziert. Läufer mussten auf ein Laufband, sich verkabeln lassen und dann rennen. Langläufer hatten keine Chance, da keiner auf die zugegebenermassen etwas originelle Idee kam, ein Langlaufband zu erfinden, auf dem ein verkabelter Athlet im Labor langlaufen konnte.

Nach der Idee ging es fix. Noch im selben Jahr hat es das noch junge Unternehmen geschafft, einen tragbaren Pulsmesser zu bauen. Als Proof-of-Concept, der sagt «Ja, es ist möglich mit der Technologie des Jahres 1977».

Der Micro Pulser bewies: Der Puls kann ohne Kabel gemessen werden

Ein Jahr später wurde das an der Universität Oulu entwickelte Gerät als Tunturi Pulser auf den Markt gebracht.

Ein Jahr später die Markteinführung des Tunturi Pulsers

Ein erster Schritt war getan. Der Pulsmesser war tragbar. Für Sportler aber nach wie vor unpraktisch, denn angenommen, ein Langläufer wollte den Puls während des Trainings messen. Er müsste anhalten, die Box benutzen und dann den Puls aufschreiben. Das Ziel Polars aber war, dass ein Athlet das während dem Training tun kann. So nebenbei, ohne den Fokus auf den Sport und das Training zu verlieren.

Im Jahre 1982 gelingt das. Und weil gerade genug Platz für ein Display da war, hat Polar auch gleich noch eine Uhr eingebaut.

Der erste Streich Polars: Der Sport Tester PE2000

Ab da geht es schnell. Polar hatte bewiesen, dass es machbar ist, den Puls während des Trainings zu messen. Nicht nur Sportler zeigen sich interessiert, sondern auch Kardiologen, die Dinge wie Herzarhythmien ausserhalb von Laborbedingungen beobachten wollen.

Der Nachfolger: Der PE3000

Die Urgeräte Polars sind Raritäten geworden. Polar Schweiz hat keinen PE2000 rumliegen, wüsste auch nicht, wo ausserhalb des Polar-Hauptquartiers in Finnland so ein Ding überhaupt rumliegen könnte und auf Ebay wird der PE3000 für einen horrenden Preis verkauft.

In den 1980ern und 1990ern wird Polar synonym mit dem Begriff «Uhr für Sportler». Der Ruf hallt bis heute nach.

Und heute?

Polar hat nicht aufgehört, weiter zu entwickeln. Da ein Feature, dort etwas Software Upgrading, bessere Batterien, mehr Leistung. Der Pulsmesser – nach wie vor das Aushängeschild der Firma – kann entweder als Brustgurt, am Handgelenk oder als Sensor Array auf der Haut getragen werden.

Das Flaggschiff: Die Polar M600

Aktuell ist die Polar M600 das Flaggschiff der Finnen. Wo wir schon mal die alten Uhren und das Flaggschiff nebeneinander haben, bietet sich der Vergleich an. Denn wenn damals schon der Puls akkurat gemessen wurde, warum hat sich dann Polar im Laufe der Jahre weiterentwickelt? Wäre ja nicht nötig, oder?

Mit den Vorgängern hat die M600 nur wenig gemein. Sie ist etwas schwerer und wesentlich klobiger als die Accurex II. Der Bildschirm aber ist in etwa gleich gross geblieben, wohl, weil menschliche Handgelenke halt nur so gross sein können. Dafür aber ist der Screen der M600 vollfarbig und kann mit Berührungen bedient werden.

Die gesamten Sensoren sind in der M600 selbst verbaut, wohingegen die Accurex II wie auch die anderen Geräte keinerlei offensichtliche Sensoren verbaut haben. Der Teil, der auf der Haut aufliegt, ist lediglich eine Metallplatte. Die M600 hat den Charging Port und das Pulsmesser-Array unten, dort, wo deine Haut die Uhr berührt.

Es wird schnell offensichtlich, dass die M600 nicht nur für Sportler gedacht ist, sondern auch für geschmacklich leicht verstauchte Alltagsmenschen. Die Leute, die im Büro Wanderschuhe und Cordhosen tragen und generell einen auf Reinhold Messner machen. Die Jogging-Götter in Spandex und die Velofahrer in stellenweise ausgestopftem Spandex. Wo die Accurex II und der Xtrainer Plus noch so wie Digitaluhren aus Film und Fernsehen aussehen, mit Ausnahme des auffälligen roten Knopfs, macht die M600 einen auf futuristisch. Sie ist ein rechter Brocken. Denn selbst wenn das Display klein ist, so ist das Gehäuse der Uhr recht massig und unflexibel.

Im Vergleich mit den Geräten aus der Prä-Smartphone-Ära schneidet die Polar M600 meist besser ab. Nur in der Batterielebenszeit nicht. Die M600 wird nach etwa zwei Tagen zum unnützen und wenig schmucken Armreif, während die Accurex II aktuell denkt, es sei der 20. Februar 1992 – ein Donnerstag, übrigens – und fröhlich weiter Zahlen auf dem Display anzeigt.

Ansonsten aber hat die M600 mit etwas über 20 Jahren mehr Development weit mehr auf dem Kasten. Vollfarbiges Display, kein Bedarf mehr an Brustgurt, selbst wenn dieser mit der Uhr gekoppelt werden kann, und eine Vielzahl Funktionen, die du von jeder Smartwatch her kennst. Kurz: Die M600 hat die Genauigkeit in der Pulsmessung, die du von Polar erwarten kannst, und all die Features, die du dich von einer Smartwatch gewohnt bist.

Wear OS, das neu benannte Android Wear, soll jetzt nur am Rande erwähnt sein, denn von einem Gerät aus den 1980ern oder 1990ern ausgeklügelte Software zu erwarten, wäre etwas vermessen. Die M600 hat Software, die alten Geräte kaum.

Dokumentation fehlt

Andrea und ich beenden unseren Ausflug in die Geschichte des tragbaren Pulsmessers am Handgelenk. Eines haben wir vor allem bemerkt. Die Geschichte Polars, vor allem der Blick auf die Produkte selbst, abseits von Firmengeschichte, ist irgendwie untergegangen.

Daher ein Aufruf an dich: Hast du uralte Polar-Uhren zu Hause, die wir für einen Text und/oder ein Video ausleihen könnten? Insbesondere suchen wir den Polar Sport Tester PE2000 und seinen Nachfolger, den PE3000.

Wenn ja, dann melde dich doch bitte bei uns.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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