Kaltenleutgeben


Gemeinde Kaltenleutgeben

Ortsgeschichte

Die Marktgemeinde Kaltenleutgeben liegt westlich von Perchtoldsdorf, im Süden Wiens, inmitten des Wienerwaldes. Erste menschliche Spuren reichen bis in die Jungsteinzeit zurück, wie Tonscherben, Spinnwirteln und Steinwerkzeuge (Gaisberghöhle) belegen. Aus der Römerzeit stammen eine Silbermünze (Kaiser Vespasian, 69-74 n. Chr.) und eine Kupfer- bzw. Bronzemünze (Kaiser Antoninus Pius, 138-161 n. Chr.). Während der Völkerwanderungszeit lebten verschiedene Ethnien im Kaltenleutgebener Gebiet. Nach der Vertreibung der Awaren wurde auch das östliche Niederösterreich Königsgut. Dazwischen stellten rund 80 Jahre lang die Ungarn Besitzansprüche.

Am Allerheiligentag des Jahres 1002 schenkte Kaiser Heinrich II. dem Babenberger Markgraf Heinrich I. (der Starke oder Widerspenstige) die Wälder inter Durran Liezniccham et Triezniccham, also das Gebiet zwischen Dürre Liesing und Triesting. 1156 wurde ein Teil des Waldes zum kaiserlichen Jagdgebiet und „Bannwald“ ausgerufen, das heißt Rodung und Ansiedlung wurden stark eingeschränkt bzw. waren tabu. In den Aufzeichnungen geht dieses Gebiet als „Dürr Liesing“ ein.

Namentlich ist Kaltenleutgeben erstmalig für 1521 dokumentiert, allerdings als vage Lokalisierung bei einer Wiese bei der Kaltn Leitgebin. Etymologisch leitet sich der Ortsname, laut Schuster, von dem mittelhochdeutschen Wort lîtgëbin(ne), also der „Schankwirtin, deren Gaststube nicht beheizbar ist“, ab. Eine andere Deutung führt den Namen auf eine kalte Quelle zurück, die als „Spenderin eines kühlen Trunkes“ auftritt. Eine solche Quelle befindet sich bei der „Eiswiese“ (oberhalb der heutigen Pfarrkirche).

Nach der ersten Türkenbelagerung Wiens (1529) wurde eine gewaltige Menge an Kalk gebraucht, die die Kalksteinbrüche in Liesing, Mödling und Umland nicht mehr liefern konnten. Der Abbau wurde auf Teile des inneren Wienerwaldes ausgedehnt. Auch der bereits seit 1439 in Kaltenleutgeben nachweisbare Kalkabbau wurde intensiviert. Dazu wurden Familien aus dem Süden geholt (vermutlich aus Friaul, sog. „Welsche“ also Ladiner und Rhätoromanen) und im Tal der Dürren Liesing angesiedelt. Der erste dieser Siedler (1538) hieß der Überlieferung nach Martin (da) Valantin. Zum Kalkbrennen wurden auch einheimische Bauern, Holzarbeiter, Köhler und Fuhrleute gebraucht. 1601 findet sich Khaltenleuthgeben erstmals als eigenständiger Ortsname.

Bereits 1624 war auf einer Geländestufe unterhalb eines Felsabbruchs des Gaisberges in erhöhter Lage eine Kapelle errichtet worden. Kaltenleutgeben gehörte ursprünglich zur Mutterpfarre Gaaden, seit 1683 (evt. bereits seit 1652) zur Pfarre Perchtoldsdorf. Zwischen 1707 und 1710 erhielt die Kirche eine Nachbildung der „Schwarzen Madonna von Alt-Ötting“ geschenkt. Als durch das Gnadenbild gewirkte Wunder kolportiert wurden, kamen Pilger und Wallfahrer aus Wien und Umgebung. Der immer größer werdende Zulauf ließ die alte Kirche zu klein werden. Der aus Salzburg stammende und in Wien als Baumeister tätige (Johann) Jakob Oeckhl löste ein Gelübde seiner ersten Frau ein, als Planer, Bauausführender und Finanzier einer neuen Kirche aktiv zu werden. Seine zweite Frau stiftete testamentarisch 100 Gulden für den Kirchenneubau. 1729 begann der Bau der barocken Kirche, der 1732 vollendet wurde. Erst nach und nach konnte das Interieur angeschafft werden, zuletzt 1779 die Kreuzwegbilder. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts scheint der Ort als Maria Kaltenleutgeben auf, was für seine Bedeutung als Marienwallfahrtsort spricht. 1783 wurde die Pfarre unter Joseph II. als Lokalkaplanei eigenständig, konnte sich jedoch finanziell kaum selbst erhalten.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert wählten Adelige und reiche Bürger das Tal zu ihrem Sommerdomizil. Zahlreiche Künstler suchten hier nach Motiven für ihre Vedutenmalerei und ließen sich von der romantischen Umgebung inspirieren. Während der Franzosenkriegen (besonders 1809) hatte die Bevölkerung unter den Futterrequirierungen zu leiden. Sie konnten die erforderlichen Mengen nicht abliefern, da die Gegend mit Wäldern, Felsen und Steinbrüche kaum Futteranbau zuließ. Ihrem Bittgesuch um Nachsicht an einen französischen General wurde nicht stattgegeben.

In der Biedermeierzeit erweiterten sich die Einnahmequellen des Ortes. Neben Kalkbrennen, Viehzucht, Steinbrechen und Holzfällen bemühte man sich um eine Ankurbelung des Kur- und Tourismusbetriebes. Zwei Badeanstalten für Wasserkuren wurden errichtet: eine von Adolf Weiß bereits um 1810 und eine zweite von Johann Emmel um 1835. 1846 wurde der erste Kalkhochofen bei der Waldmühle errichtet, später der erste Zement-Schachtofen der Firma „Tichy und Söhne, Cement- und Kalkfabriken in Kaltenleutgeben und Perchtoldsdorf“. Das bedeutete ein langsames Auslaufen der bäuerlichen Kalköfen, aber auch ein Ansiedlung von neuen kleinen Gewerbebetrieben. 1865 wählte der Prager Mediziner und Begründer der Hydrotherapie Dr. med. Wilhelm Winternitz Kaltenleutgeben zum Zentrum seines Wirkens. Er übernahm die Kuranlagen von Adolf Weiß und baute die Anstalt für 400 Kurgäste aus, die in mehreren Häusern und Villen untergebracht wurden. Auch für zusätzliche Kultur- und Musikprogramme in den Parkanlagen sowie für sportliche Rundwanderwege wurde gesorgt. Auch Kaiserin Elisabeth war des Öfteren hier zu Gast. Am 17. August 1883 wurde die normalspurige, secundäre Flügelbahn Liesing–Kaltenleutgeben eröffnet. Mark Twain verbrachte hier 1898 seinen Sommerurlaub. Auch im Winter erfreute sich der Ort zunehmend an Beliebtheit. Der aus Norwegen stammende Bäckergeselle Wilhelm Bismarck Samson demonstrierte auf einer Wiese westlich des Ortes (die „Norwegerwiese“) schon 1890 seine Schilaufkenntnisse. Auf einer selbstgebauten Schanze sprang er bis zu 15 m weit. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es bereits einen Schiverleih. Schirennen wurden abgehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein 198 m langer Schlepplift gebaut, der erst 2015 abgetragen wurde.

Nach dem Anschluss wurde Kaltenleutgeben „Groß-Wien“ eingegliedert. Es gehörte bis 1954 dem 25. Wiener Gemeindebezirk an. Am 17. Juni 1982 erhob die Niederösterreichische Landesregierung die Gemeinde Kaltenleutgeben zur Marktgemeinde. Das aus diesem Anlass verliehene Wappen zeigt in einem grünen Schild einen silbernen, rot geränderten schräg-rechts-Wellenbalken, der von einem silbernen, drei Früchte tragenden Eichenzweig begleitet wird.