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Nordsee: Seepferdchen aufgetaucht

Im Dickicht der Seegraswiesen sind sie Meister der Tarnung. Doch der Mensch macht radikal Jagd auf die Exoten. Lange Zeit galten Seepferdchen in der Nordsee sogar für ausgestorben. Das hat sich aber wieder geändert...
Seepferdchen leben im Schutz von Seegraswiesen
Seepferdchen leben im Schutz von Seegraswiesen
© Jeffrey L. Rotman/CORBIS

Dem Fischer Manfred Sopha aus St. Peter Ording ist vor einigen Jahren ein merkwürdiges Wesen ins Netz gegangen: Sein Kopf ist im Verhältnis zum Körper riesig und hat die Kontur eines Pferdes. Dazu starren die Augen wie bei einem Chamäleon in zwei unterschiedliche Richtungen. Wie bei einem Känguru wölbt sich ein Beutel vorne an seinem Leib. Die gepanzerte Haut erinnert an eine Echse. Und der Körper ist so wendig und gebogen, wie der eines Wurms.

Das "letzte" Seepferdchen

Was Mafred Sopha da aus der Nordsee gefischt hat, ist natürlich kein Meeresungeheuer, sondern ein harmloses Seepferdchen. Nur zwölf Zentimeter groß lag das zappelnde Tierchen zwischen Tausenden von Krabben und Krebsen. Ein glücklicher Fund, denn Seepferdchen sind in der Nordsee eine große Seltenheit geworden. Lange Zeit hielt man die grazilen Fische sogar in unseren Gewässern für ausgestorben. Der Grund: In den 30er Jahren ist das Seegras in der Nordsee von einer Pilzinfektion befallen worden und dadurch stark zurückgegangen. Damit haben die Seepferdchen auf einen Schlag ihren Lebensraum verloren: Die Winzlinge sind nämlich sehr schlechte Schwimmer - die Kraft ihrer Rückenflosse reicht kaum aus, um gegen eine stärkere Strömung anzukommen. Stattdessen umklammern sie mit ihrem Schwanzende die Pflanzen und lassen sich wie ein Grashalm von der Strömung wiegen.

Im Schutz der Seegraswiesen

Ein enger Verwandter des Seepferdchens ist der Fetzenfisch. Er schwimmt jedoch nicht aufrecht
Ein enger Verwandter des Seepferdchens ist der Fetzenfisch. Er schwimmt jedoch nicht aufrecht
© Visuals Unlimited/Corbis

Diese Taktik hat sich über 25 Millionen Jahre hinweg bewährt: Als damals die Kontinentalplatten auseinander gedriftet sind, entstand zwischen Australien und Indonesien eine riesige Seegraslandschaft - die Heimat des Ur-Seepferdchens. Zwischen den dünnen Seegrasfäden ist ein Seepferdchen mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Mit wechselnden Tarnfarben können sich die fadenartigen Fische perfekt an ihre Umgebung anpassen: Ein idealer Schutz vor Raubfischen und gleichzeitig eine heimtückische Falle für die eigenen Beutetiere - wie zum Beispiel kleine Krustentiere oder Wasserflöhe. Im Schutz der Gräser legen die Seepferdchen außerdem ihre Eier ab - bei Seepferdchen sind es übrigens die Männchen, die die Eier in ihrer Beuteltasche austragen.

Unsichtbares sterben

Über Millionen Jahre hinweg haben Seepferdchen 30 verschiedene Arten hervorgebracht und sich über viele Meere verbreitet. Doch inzwischen sind sie nicht nur in der Nordsee vom Aussterben bedroht: Jährlich werden über 25 Millionen dieser exotischen Fische gefangen und als Souvenirs oder vermeintliches Heilmittel über die ganze Welt verkauft. Die meisten Seepferdchen erreichen Europa von Indien, den Philippinen, Thailand und Vietnam aus. Auch Deutschland beteiligt sich am Handel - obwohl alle Seepferdchenarten bereits seit fünf Jahren unter strengem Naturschutz stehen.

Mini-Seepferdchen gefunden

Grund zur Hoffnung gibt jedoch die Entdeckung einer zuvor gänzlich unbekannten Seepferdchenart: Vor der Küste Indonesiens stieß die kanadische Meeresbiologin Sara Lourie vor fünf Jahren auf ein winziges Seepferdchen in der Größe eines Ein-Cent-Stücks. Jetzt hoffen viele Forscher, noch weitere unbekannte Seepferdchenarten zu entdecken. Wer weiß - vielleicht könnte so der Fortbestand dieser filigranen Fische doch noch gesichert werden.

Das "letzte" Seepferdchen aus der Nordsee jedenfalls wurde von Fischer Manfred Sopha auf schnellstem Weg in eine Aufzuchtstation gebracht. Dort gab man dem Weibchen den weihevollen Namen "St. Petra" und führte sie mit anderen Artgenossen zusammen. Und mit etwas Glück, könnte St. Petra bald für neuen Seepferdchen-Nachwuchs in der Nordsee sorgen.

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