Versuchung - Auslegung biblischer Versuchungstexte und deren Rezeption in Martin Scorseses "Die letzte Versuchung"


Bachelorarbeit, 2012

77 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

Erster Teil: Auslegung biblischer Versuchungstexte

1.1 Exegese von Genesis 3: Der Sundenfall
1.1.1. Vers 1-3: Der Beginn des Dialogs
1.1.2. Vers 4-5: Die eigentliche Verfuhrung und Versuchung
1.1.2.1. Die Schlange als Gegenspielerin Gottes
1.1.3. Vers 6-7: Der VerstoB gegen das gottliche Gebot
1.1.4. Vers 8-24: Das Gesprach mit Gott und die Strafe
1.1.5. Resumee
1.2 Exegese von Matthaus 4,1-11: Die Versuchungen Jesu
1.2.1. Textanalyse und erste Deutungen
1.2.1.1. Vers1-2: Vorbereitung/Exposition
1.2.1.2. Vers 3-4: Die erste Versuchung
1.2.1.3. Vers 5-7:Die zweite Versuchung
1.2.1.4. Vers8-10:Diedritte Versuchung
1.2.1.5. Vers11: Abschluss
1.2.2. Literarkritik
1.2.3. Traditionsgeschichte
1.2.3.1. Die Verbindung zwischen Jesus und dem Volk Israel
1.2.3.2. Hintergrunde des Fastens und des Zitats des Teufels
1.2.3.3. Zusammenhange von Mt 4 und Gen3
1.2.4. Zusammenfassende Auslegung
1.2.5. Resumee:Dasbiblische Versuchungsverstandnis
Zweiter Teil: „Die letzte Versuchung Christi“

2.1. Einfuhrung
2.2. Handlungsuberblick
2.3. DasChristusbild desFilms
2.3.1. Jesus der Zweifler
2.3.2. Die lauternde Schlangenerscheinung
2.4. Die Versuchung in der Wuste
2.4.1. Ablauf desGeschehens
2.4.2. Die erste Versuchung - die Schlange
2.4.3. Die zweite Versuchung - der Lowe
2.4.4. Die dritte Versuchug - der Satan
2.4.5. AbschlussderSzene-Johannesder Taufer
2.5. Die letzte Versuchung

3. Schlussbetrachtung

4. Literatur

Anhang: Genesis 2f., Matthaus 4,1-11 par

0. Einleitung

,,Es ist unvorstellbar undgrotesk, dafi der christliche Glaube an JESUS CHRISTUS undsein Sterben fur die Schuld der ganzen Welt so in den Schmutz gezogen wird. Darf es geduldet werden, dafi der Glaubensinhalt von mehr als 1.5 Milliarden Menschen so abartig dargestellt wird?“[1] (Auszug aus einem Protestbrief an die Filmbewertungsstelle Wiesbaden)

Als Martin Scorseses Film Die letzte Versuchung Christi 1988 in den amerikanischen Kinos anlief, begleitete eine Protestwelle die Veroffentlichung, wie man sie in der Filmwelt bis dahin noch nicht erlebt hatte. Der oben zitierte Brief ist nur ein Beispiel der uber 1500 Protestschreiben, die allein die Filmbewertungsstelle Wiesbaden und die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in Deutschland erhielten. Die meisten dieser Schreiben gingen noch vor dem deutschen Starttermin ein, sodass die Briefautoren den Film noch gar nicht gesehen haben konnten und fremde Urteile, vor allem aus den USA, ubernommen haben mussten.[2]Ziel war es, die Veroffentlichung des Films schon im Vorfeld zu verhindern. In anderen Landern waren die Proteste sogar noch sehr viel zorniger, es kam zu gewalttatigen Auseinandersetzungen, in Paris wurde sogar ein Brandanschlag auf ein Kino verubt.

Scorsese, selbst italienischstammiger Katholik, wehrte sich immer wieder gegen derartige Vorwurfe und warb fur ein richtiges Verstandnis seines Films: Ich glaube, es ist ein religioser Film uber den leidvollen Kampf, Gott zu finden. Er ist aus Uberzeugung und Liebe entstanden, und deshalb glaube ich, dafi er eine Bestatigung und keine Verleugnung ist.[3] Er wollte mit seinem Film und dessen Rezeption ,,die Geschichte des Evangeliums wieder frisch und lebendig machen, zu einem Gegenstand, uber den man streiten und diskutieren kann.“[4]Wenngleich er auch immer wieder betonte, dass sein Werk nicht auf den Evangelien basiere - im Sinne einer neuen Version -, was auch im Vorspann zu lesen ist, so lassen sich im Film naturlich dennoch viele Analogien und aufgegriffene Motive der neu- und auch alttestamentlichen Schriften finden. Wie diese Aspekte von Scorsese rezipiert werden, soll in dieser Arbeit anhand der zentralen Versuchungsthematik untersucht werden, ebenfalls die Haltbarkeit der Blasphemievorwurfe. Dafur ist es zunachst notig, die zugrundeliegenden Bibeltexte, insbesondere Gen 3 und Mt 4,1 -11[5], und das darin enthaltene Versuchungsverstandnis richtig zu erfassen. Dies geschieht im ersten Teil, der Exegese dieser Bibelstellen, allerdings angesichts des vorgegebenen Umfangs nur in relativ komprimierter Form. In Gen 3 wird deswegen besonders auf die eigentliche Verfuhrung in Vers 1-7 eingegangen, denn eine vollstandige Exegese des gesamten Kapitels ist im Rahmen dieser Arbeit offenbar nicht moglich, sofern man bestrebt ist, alle Aspekte festzuhalten. Daher muss einiges auBer Acht gelassen werden, vor allem in den Versen 8-24, die nicht sehr tief gehend behandelt werden. Ich versuche dort, mich auf das Wesentliche zu beschranken. Dagegen steht Mt 4, im Blick auf den Filmabschnitt - der ja von Jesus und nicht von Adam und Eva handelt -, eher im Vordergrund des ersten Teils und fallt dementsprechend auch etwas umfangreicher aus. Naturlich gibt es noch viele weitere Bibelstellen, an denen das Thema Versuchung eine Rolle spielt. Es scheint jedoch schwer moglich, im vorgegebenen Rahmen auch nur die Halfte dieser Stellen in angemessener Grundlichkeit zu untersuchen, weshalb sie hier nicht behandelt werden.

Auf diese Weise wird ein Bogen vom AT zum NT und schlieBlich zum Film geschlagen. So folgt dem exegetischen Abschnitt im zweiten Teil der Arbeit, nach einem groberen Handlungsuberblick, die Analyse der einzelnen Versuchungsszenen. Dabei werden Bezuge zu den biblischen Texten hergestellt. Zudem ist vor der Analyse noch eine grundlegende Klarung des Christusbildes von Noten, das Scorsese in seinem Film zeichnet. Obwohl die titelgebende letzte Versuchung, wie sie im Film vorkommt, in den Evangelien nicht berichtet wird, ist sie doch eng mit den teuflischen Versuchungen in der Wuste verbunden. Deshalb erscheint es nur folgerichtig, sie ebenfalls zu behandeln. Querverweise innerhalb der Arbeit werden in Klammern mit der Nummer des entsprechenden Abschnitts vorgenommen, z. B. (s. 2.1.1.).

Erster Teil: Auslegung biblischer Versuchungstexte

1.1 Exegese von Genesis 3; Per Sundenfall

Das dritte Kapitel des Genesisbuchs handelt von der Entstehung der menschlichen Sunde. Es folgt dem zweiten Schopfungsbericht in Gen 2, der sich als Exposition verstehen lasst. Dort wird der Mensch von Gott, den die alttestamentlichen Schriften als Schopfer aller Dinge voraussetzen, geschaffen und in den Garten Eden gesetzt. Daraus resultiert eine klare Hierarchie, aus der heraus Gott Gebote erlasst. Er gibt dem Menschen einen Herrschaftsauftrag uber die Tierwelt und untersagt ihm, von den Fruchten des Baumes in der Mitte des Gartens, dem Baum der Erkenntnis, zu essen.

Die Erzahlung in Gen 3 lasst sich nach Scharbert in das Schema „Versuchung ^ Frevel ^ Verhor ^ Strafe“[6]gliedern. Nachdem das erste Menschenpaar, Adam und Eva, von Gott geschaffen und nackt in den Garten Eden gesetzt worden war, wird Eva von einer Schlange zum Verstofi gegen das Gebot, die Fruchte des Baumes der Erkenntnis nicht anzuruhren, verfuhrt. Sie versprach ihr die Fahigkeit, das Gute und Bose zu erkennen, wie sie auch Gott besitzt. Eva gibt auch Adam eine Frucht vom Baum. Daraufhin erkennen beide ihre Nacktheit und verstecken sich auf Grund ihres neu erlangten Schamgefuhls. Als Gott in den Garten kommt und ihr ungehoriges Verhalten bemerkt, weist er sie aus dem Garten Eden aus und straft sie mit einem Leben in Muhsal, das einst mit dem Tod enden soll. Die Schlange verurteilt er dazu, auf dem Bauch zu kriechen und Staub zu fressen.

In der christlichen Theologie wird dieses Geschehen als der „Sundenfall“ oder die „Ursunde“ der Menschen bezeichnet. Aus ihr resultiert die Erbsunde, die sich seit Adam und Eva in der Menschheit fortpflanzt.[7]

1.1.1 Vers 1-3; Per Beginn des Pialogs

Die Erzahlung beginnt mit dem rhetorisch subtil gestalteten Dialog zwischen der listigen Schlange und der Frau, die jetzt noch nicht Eva genannt wird. Mit dem Auftreten der Schlange begibt sich der Text in mythische Spharen und nimmt marchenhafte Zuge an, wenngleich er keineswegs als Marchen aufzufassen ist. Mittels einer vergrobernden, skeptischen Frage provoziert die Schlange ihr Gegenuber zum Widerspruch und zur Verteidigung Gottes. Sie schurt Angst und Misstrauen der Frau, der nun die Tragweite des gottlichen Verbots bewusst wird und sie daher das gottliche Essensverbot von sich aus auf ein Beruhrungsverbot ausweitet. „Sie glaubt also genau das, was Gott [...] Adam [nach dessen Schopfung in Gen 2] bereits suggeriert hatte, namlich dass etwas Todliches an diesem Baum ist. Ihr anfangliches Zogern, sich dem Baum zu nahern und von dessen Fruchten zu Essen, hat demnach weniger mit Gebotsbeachtung zu tun als mit dem Vertrauen auf eine Weisung Gottes, die - wie Eva glaubt - vor Gefahr schutzt.“[8]Ihre Empfanglichkeit fur die verfuhrenden Worte der Schlange bereitet ihr Angst. Sie will diese Weisung unbedingt befolgen und sich selbst die Hande binden um eine (mogliche) Versuchung durch die Begierde im Keim ersticken. ,,Es ist im Grunde eine Versicherungsmafinahme [...], die die Angst beruhigen soll, etwas zu tun, das man insgeheim tun mochte, das man aber auf gar keinen Fall tun darf.“[9]Die erneute Nennung Gottes als Verbotsurheber und Wiederholung der Todeskonsequenz, die einem Vergehen folgen wurde, bekraftigt ihre Furcht. Folglich ist die Verscharfung des Gebots Ausdruck eines gestorten Verhaltnisses zu Gott. So richtet die Verfuhrerin die volle Aufmerksamkeit der Frau auf das vom Schopfer Verbotene, den Baum der Erkenntnis, und weckt mit ihrer Frage Zweifel an der inneren Sicherheit des Menschen. Sie tauscht ihr vor, dass alle sichtbaren Dinge vom Menschen beherrscht werden konnten, und bewirkt, dass Gott im Bewusstsein der Frau als Ursache der Angst aufgefasst wird und nicht als helfende Kraft gegen sie.[10]

Die Schlange galt in atl. Zeiten als ein Symbol der Weisheit. Das hebraische Wort fur 'klug, weise' (carum) bekommt in V. 1 eine negative Konnotation, wie 'listig, tuckisch'. Auf diese Weise hat der Erzahler ein Wortspiel eingebaut, das in der deutschen Ubersetzung leider verlorengeht. Das Wort carum ist identisch mit dem, im letzten Vers von Gen 2 vorkommenden, Ausdruck fur 'nackt' (carom), denn im Hebraischen wurden ursprunglich nur Vokale und keine Konsonanten geschrieben. Das Aufgehen der Augen, das die Schlange den Menschen verspricht, ist also keine Luge. Sie erkennen wirklich etwas Neues. Dass sie allerdings Weisheit wollten, jedoch nur (ihre) Nacktheit vorfanden, wird ihnen erst dann (V. 7) bewusst.[11]

Nach Schungel-Straumann stellt der Jahwist hier anschaulich einen Prozess der Schuldentstehung dar, der sich sonst im Inneren des Menschen abspielt. Verfuhrerische Krafte, wie die Schlange, und seine Schwache fur die Begierde treiben ihn dazu, Dinge entgegen seines ursprunglichen Willens zu tun.[12]Bemerkenswert ist, dass in dem Dialog die Verwendung des Gottesbegriffs 'Jahwe' vermieden wird, wenn die Schlange als widergottliche Macht oder die Frau zu ihr spricht, und stattdessen der allgemeine Ausdruck fur Gott 'Elohim' benutzt wird, um die empfundene Heiligkeit des Wortes 'Jahwe' nicht zu entkraften (s. auch 1.1.2).[13]Die in der Antwort der Frau enthaltene Gesetzesverscharfung wurde auBerdem in verschiedenen Kommentaren als eine Art ,,kindlicher Eifer“ im harmlosen, unschuldigen Sinne gedeutet. Demgegenuber postuliert Drewermann: „Wenn es wirklich richtig ist, daB die Frage der Schlange „MiBtrauen und Argwohn“ in der Frau gesat hat, dann ist es unmoglich, ihre Antwort als kindlichen Eifer, als eine Art „Unklugheit“ [...] oder gar noch als im Zustand der UnbewuBtheit gesprochen zu verstehen.“[14]

1.1.2 Vers 4-5: Die eigentliche Verfuhrung und Versuchung

Vers 4f. stellt den zentralen Moment der Verfuhrung dar. Nachdem die Schlange die Grundlage fur ihre Verfuhrung in V. 1f. geschaffen hatte, leugnet sie nun entgegen der gottlichen Warnung ausdrucklich die todliche Gefahr, obwohl sie sich eines besseren bewusst ist. So fuhrt sie die Frau in Versuchung. Ihr Ziel ist es, Eva die Angst vor der Todesdrohung zu nehmen. Zwar fordert sie nicht direkt zum Probieren der Frucht auf, jedoch umschreibt sie detailliert, was es bewirken wurde. Der wichtige gedankliche Giftkeim ist damit gelegt und kann im Kopf der Frau wachsen. Die Verfuhrerin wahnt sich ihrer Sache sicher.

Der Ausdruck des Erkennens von Gut und Bose ist komplementar gedacht. Zu beachten ist hier, dass keine direkte Wertung der Wirkung des Probierens vorgenommen wird. Man weiB nicht, ob die Erkenntnis von Gut und Bose sich positiv oder negativ auf den Menschen auswirkt. Doch wie ist sie dann zu verstehen? Westermann konstatiert: ,,gemeint ist das Erkennen dessen, was dem Menschen forderlich und was ihm abtraglich ist.“[15]Das bedeutet sie bewahrt sich in der richtigen Entscheidung daruber, ,,was das Dasein fordert und was ihm schadet“[16]. Auf diese Weise ist sie eine „Schlusselqualifikation fur eine gottgemaBe, funktionierende Lebensgestaltung“[17].

Obgleich der Frau bis jetzt noch jedes Wissen uber eine Erkenntnis und deren Folgen abgeht, ist sie dennoch fasziniert und begehrt sie. Hier wird deutlich, wonach es den Menschen verlangt, namlich nach Erkenntnis und Weisheit. Beide Begriffe sind eng miteinander verbunden. Nach Schule wird damit ,,fast unterschwellig eine fundamentale anthropologische Aussage in den

Erzahlfluss eingeflochten“[18]. Menschen sind Wesen die nach Erkenntnis streben. Dieser Umstand ist eines der zentralen Themen der Eden-Erzahlung. Verfuhrung (bzw. verfuhrt werden) und Versuchung sind zutiefst menschliche Phanomene, aus denen die Begrenztheit des Menschen resultiert. Dies will der Erzahler illustrieren.[19]

Die Versuchung Evas grundet sich nun in der Mafilosigkeit, die auch den Satan gegen Gott antreibt (s. u.). Konnte sie sich vor dem Auftreten der Schlange noch mit dem begnugen, was ihr Schopfer fur sie und Adam vorgesehen und ihnen gegeben hatte (die Herrschaft uber die Erde), begehrt sie nun das, was die Schlange ihr in Aussicht stellt, namlich eine neue Moglichkeit des Daseins ohne auf die gottliche Offenbarung angewiesen zu sein (V. 4).[20]Die Erzahlung darf an an dieser Stelle nicht so verstanden werden, dass die ganze Verantwortung des Verstofies der Schlange zugeschrieben wird. Das war nicht im Sinne des Autors. Die eigentliche Entscheidung gegen Gott trifft der Mensch (bzw. Adam und Eva) selbst, die Schlange hilft dabei gewissermafien lediglich nach (vgl. 1.2.5).

Im Blick auf das ,,Sein wie Gott“ ist ferner zu beachten, wie oben bereits erwahnt, dass hier nicht der Name Jahwe sondern Elohim vom Erzahler gebraucht wird. Wahrend Jahwe speziell den Gott des Volkes Israel meint, ist Elohim ein allgemeiner Gattungsbegriff, der auch kanaanaische Gottheiten einschliefit. Es geht hier also nicht um ein ,,Sein wie Jahwe“, sondern mehr um die Uberwindung des Menschlichen hin zu einer hoheren Ebene.[21]Zur Bedeutung der Schlange gab es in der Vergangenheit sehr verschiedene Interpretationen. So wurde sie z. B. als Verkorperung des Satans gesehen, als blofies Symbol fur die menschliche Begierde oder als ein Sinnbild des, fur das Volk Israel gefahrlichen, Einflusses heidnischer Religiositat[22]und damit als ursprunglich mythologische Gestalt, die durch die israelitische Tradition zum Tier abgewertet wurde.[23]In letzterer Sichtweise wird sie als Symbol fur den kanaanaischen Fruchtbarkeitskult aufgefasst, in dem die Schlange ein Zeichen des Lebens ist. Dies wurde mit ihrer Intention, sich als Lebensversprecherin im Gegensatz zu Gott darzustellen, einhergehen (s. 1.1.2.1). Jedoch geht es dem Erzahler nach Westermann beim Urgeschehen, dem Sundenfall, um eine Sache, die die ganze Menschheit betrifft und die nicht in verschiedene Volksgruppen differenziert.[24]Besonders wichtig im Blick auf die spatere Filmanalyse ist hier offenbar die Deutung der Schlange als Gegenspielerin Gottes bzw. als Personifikation des Satans. Diese soll nun naher untersucht werden.

1.1.2.1 Die Schlange als Gegenspielerin Gottes

Die Art und Weise, wie die Schlange der Frau ihre durch das Verbot eingeschrankte Freiheit vor Augen fuhrt, bezeugt ihr groBes rhetorisches Geschick. Sie stellt sich selbst als eine Helferin des Menschen dar, von der er mehr bekommen kann als von Gott.[25]Paul Heinisch konstatiert dementsprechend, dass die Schlange ,,HaB [sic!] gegen Gott und Neid gegen die Menschen [hegt], denen sie ihr Gluck rauben will“[26]. Fur ihn besteht kein Zweifel, dass sich unter ihr ein gottfeindliches Wesen verbirgt.

Mit der Verneinung der Todeskonsequenz eines Vergehens gegen das gottliche Gebot bezichtigt die Schlange den Schopfer der Luge und stellt so seine Glaubwurdigkeit in Frage. Ihr primares Ziel ist es, Gott entgegenzuwirken und sein Vorhaben zu unterminieren, indem sie Zweifel und Zwietracht im Frieden des Gartens Eden sat. Das Verderben der Menschen ist dabei das Mittel zum Zweck, also eventuell sogar eher nebensachlich. Missgunst und Neid auf Gott sind hier von groBer Bedeutung. Gott lasst, aus Sicht der Schlange, dem Menschen nicht volle Liebe zuteil werden und behalt sich selbst die souverane Erkenntnis vor, weil er sie seiner Schopfung nicht gonnt und dafur sorgen will, dass der Zustand der Uberlegenheit weiter bestehen bleibt.[27]Es ist ihr Ziel, dem Menschen dies vor Augen zu fuhren. Deshalb stellt sie im Dialog mit Eva die Gottahnlichkeit in Aussicht, die durch das Essen einer Frucht erlangt werden konnte und verspricht ein ,,Aufgehen der Augen“ (V. 5). Auf diese Weise soll dem Menschen die Erkenntnis verschafft, die Gott ihm vorenthalt, und er gleichzeitig um das fur ihn bestimmte ewige Leben betrogen werden. ,,Was ihm von Gott gegeben wurde, die Fulle des Paradieses, die Nahe Gottes, es soll klein werden und versinken vor dem Neuen, Unbekannten, das hier in greifbare Nahe geruckt scheint.“[28]So verleitet die Schlange den Menschen dazu, sich etwas zu nehmen, was er eigentlich nur aus gottlicher Hand hatte erhalten sollen. Der Raub des Wissens, das der Frau vorgehalten wird, ist das eigentlich Bose. Insofern kommt der aktiven Handlung gegen Gott wesentliche Bedeutung zu. Es geht weniger darum was gestohlen wurde, sondern dass es gestohlen wurde.[29]

Solch eine Auffassung legt die Deutung der Schlange als Verkorperung des Satans oder zumindest als ein von ihm gebrauchtes Instrument der Verfuhrung nahe. In der Offenbarung des Johannes wird sie beispielsweise ahnlich umschrieben: ,,Die alte Schlange, die da heiBt der Teufel und Satan, der die ganze Welt verfuhrt“ (12, 9).

Doch woher kommt die Schlange? Ihre Erwahnung in V. 1 kommt recht unerwartet, zudem steht sie als erstes Substantiv und Subjekt des ersten Verses, obwohl sie vorher nie Erwahnung fand. Zweifellos ist auch sie eines der Geschopfe Gottes. Sie wird als das klugste der geschaffenen Tierwesen dargestellt, was darauf schlieBen lasst, dass die gute Schopfung (Gen 1,31) paradoxerweise auch die Verfuhrung impliziert. Das soll nicht bedeuten, dass Gott oder die Schlange als Quelle des Bosen gesehen werden kann, denn die Texteinheit will nach Meinung vieler Exegeten keine Aussage uber die Herkunft des Bosen machen.[30]So postuliert Westermann, es gehe dem Jahwisten darum, mittels des unerwarteten, unerklarlichen Auftauchens der Verfuhrung zu verdeutlichen, dass die Herkunft des Bosen gerade nicht erklarbar ist (vgl. dazu 1.2.5).[31]

Allerdings eroffnet die Passivitat Gottes bosen Kraften die Moglichkeit, ins Paradies Eden einzudringen. Durch seine Passivitat wird die Versuchung des Menschen durch die Schlange zugelassen. ,,Zwar versucht [Gott] selbst niemanden (Jak 1,13), aber er benutzt die Versuchung Satans als Werkzeug zur "Qualitatsprufung" des Menschen“[32], um ihn zu groBerer Reife zu fuhren. So erlieB er ein Gebot und verschloss den Garten nicht nach auBen. ,,Deshalb steht Jak 1,13[[33]] auch nicht im Widerspruch zu Mt 4,1 par, wo berichtet wird, dass Jesus vom Geist in die Wuste gefuhrt wurde, um versucht zu werden.“[34]Demgegenuber ist es eines der Ziele des Teufels, durch die Verfuhrung des Menschen dessen Fall herbeizufuhren. Wer dieser Verfuhrung allerdings widerstehen kann, bezeugt seine Qualitat vor dem gottlichen Auge.

In Vers 4f. kommt so die MaBlosigkeit Satans zum Vorschein, die, wenn man eine Verbindung zu Jes 14,12ff und Hes 28,12 sieht, ein Antrieb fur seinen Aufstand gegen Gott war. Der Erzahler veranschaulicht auf diese Weise die Divergenz zwischen dem, was der Teufel fur erstrebenswert halt, und dem, was Gott fur gut befindet. Wahrend dem Menschen von Gott mehr gegeben wird als er benotigt, wird ihm von Satan das versprochen, was er begehrt.[35]Eine Identifizierung der Schlange mit Satan, oder zumindest eine Deutung als von ihm gelenktes Wesen, scheint also nicht abwegig. Westermann kritisiert solch eine Interpretation der Schlange allerdings insofern, dass sie aus dem Geschriebenen in keiner Weise ersichtlich sei, da der Text keine Grundlage fur eine Verbindung zum Satan biete. Es werde die Paradoxie geschwacht, dass das zum Ungehorsam verfuhrende Wesen von Gott geschaffen wurde.[36]Auch Scharbert sieht diese Verbindung nicht, da der Teufel erst spater in alt- und neutestamentlichen Texten auftrete.[37]Meines Erachtens ist beiden Exegeten zuzustimmen, denn gerade in einer Deutung, die hinter der Schlange eine fremde, nicht von Gott kommende Macht sieht, die dann der Grund fur die Entscheidung gegen Gott ware, zeigt sich die Intention, die Schuld des Menschen von ihm auf diese andere Macht abzuwalzen. Dadurch wurdejedoch ebenjener Umstand geleugnet, dass sie vom Menschen selbst kommt und zu ihm gehort (vgl. dazu 1.2.5).

1.1.3 Vers 6-7: Der Verstofi gegen das gottliche Gebot

Die Verfuhrungsszene wird in Vers 5 abgeschlossen. In Vers 6 vervollstandigt sich nun das, was im Dialog mit der Schlange, und nicht erst beim Anschauen des Baumes (V. 6), begonnen hatte. Die Frau kann der Kraft der Versuchung nicht widerstehen und probiert eine der verlockenden Fruchte. ,,Der tabuisierte Baum, auf den sich ohnehin im Zustande der Angst alle Aufmerksamkeit der Frau gerichtet hatte, erscheint [...], nach Beseitigung der Angst-Barrieren, als Inbegriff alles Erstrebenswerten.“[38]Hier entfaltet sich das Wirken der Schlange in vollem Ausmafi: aus dem Zweifel an Gott folgt die Begierde und daraus wiederum die Tat. Mit drei Eigenschaften des Baumes (bzw. seiner Fruchte), die die Frau ihm zuordnet und die sich schrittweise steigern, veranschaulicht der Erzahler, wie das Verlangen in ihrem Inneren immer weiter wachst. Der Reiz des Verboten verweist auf ein generelles anthropologisches Verhaltensmuster. Was dem Menschen untersagt ist, das begehrt er. ,,Gerade das Verbot lenkt den Blick auf das Verbotene und gibt ihm den Reiz des geheimnisvoll Verlockenden, des unwiderstehlich Anziehenden.“[39]

Wichtig zu erwahnen ist an dieser Stelle, dass es sich nach Schungel-Straumann bei der Versuchung (in Gen 3) nicht um eine sexuelle Versuchung handelt, da das hier verwendete Verb nicht in diesem Sinne gebraucht werden kann. Im Hebraischen werden dafur andere Verben benutzt. So ist das Vergehen nicht von sexueller Art, wenngleich auch das Essen einer Frucht haufig ein Euphemismus fur Geschlechtsverkehr war. Solch eine missverstandliche Interpretation resultiertjedoch aus „spat-alttestamentlicher Engfuhrung“.[40]Nachdem die Schlange es so geschickt vermochte, sich als Helferin und Gott als neidischen, herrschsuchtigen Gebieter darzustellen, handelt die Frau nur konsequent, wenn sie das Verbot ubertritt. Denn wenn Zweifel und Misstrauen sie vollig vereinnahmen, muss sie ihrem neuen „Feind“ entgegenwirken. So wird mit ihrem Vergehen die Grenze uberschritten, ,,in der der Mensch im Gegenuber zu Gott bewahrt und geborgen ist; die Grenzuberschreitung liegt im Verlust der Mafistabe.“[41]Erneut ist ein allgemein menschliches Phanomen erkennbar. Er hat stets den Drang sich selbst zu transzendieren und uber sich hinauszuwachsen, und zwar indem er die Grenzen uberschreitet, die ihm gesetzt wurden.

In Vers 6 tritt erstmals in Gen 3 der Mann in Erscheinung. Er misstraut Gott genauso wie die Frau und probiert ebenfalls eine der Fruchte des Baumes. Die bosen Gedanken der Schlange infizieren auch ihn. Dahinter steht der Dualismus der Verfuhrung und Verfuhrbarkeit des Menschen. Er kann verfuhren und verfuhrt werden.[42]

Im Zuge des Auftretens des Mannes stellt sich die Frage, warum die Schlange nur mit der Frau und nicht auch mit ihm spricht. In alterer, mannlich dominierter Sichtweise wurde sie haufig als impulsiver und damit leichter verfuhrbar dargestellt.[43]Deshalb deutete man sie als (Uber-) Tragerin der Sunde, als Verfuhrerin des Mannes, und wies ihr damit die eigentliche Schuld zu. Solch eine Unterordnung wurde zudem mit Gen 2 einhergehen, wo die Frau aus der Rippe des Mannes geschaffen wird.

Von einer Verfuhrung wird in V. 6 allerdings nicht gesprochen, lediglich davon, dass die Frau dem Mann ,,gab und er afi“. Schungel-Straumann macht dementsprechend geltend, dass das Motiv Frau - Baum - Schlange als ein wertungsfreier Komplex zusammen gehort. In der atl. Tradition waren weibliche Gotterbilder stark mit dem Baum als lebensspendende Kraft verbunden. Dabei reprasentiert die Frau die gesamte Menschheit, ohne jedwede Geschlechtsspezifikation. Folglich musste der Jahwist die weibliche Figur, und nicht die mannliche, in seine Erzahlung einbauen, um die Motive Baum - Schlange (Fruchtbarkeitssymbol) und Baum - Frau gebrauchen zu konnen.[44]

Auch nach Westermann sah der Jahwist die Frau nicht als Verfuhrerin, wenngleich er vor dem Hintergrund der patriarchalisch strukturierten Gesellschaft des ersten Jahrtausends v. Chr. schrieb, die auch die ubrigen Verfasser der atl. Schriften widerspiegeln. Es kommt hier neben der Verfuhrung in V. 1-5 noch ein weiterer Aspekt hinzu, der den Anstofi zum Frevel gegen Gott gibt, und trotzdem gleichzeitig zum Dasein des Menschen dazugehort. Er hat eben jene Eigenschaft, dass er fur eine Versuchung anfallig ist und einfach mitmacht, wenn er sieht, dass der Baum ,,gut zu essen war“. Auch in der Gemeinschaft kann sich diese Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit ausdrucken. Demgemafi findet dann auch in der Verfehlung ein Zusammenhalten, wie bei Adam und Eva, statt.[45]Folglich kann die Frau nicht als Verfuhrerin des Mannes gesehen und ihr damit eine grofiere Schuld zugeschrieben werden.

In einem Punkt behalt die Schlange gewissermafien recht. Adam und Eva sterben nicht, als sie die Fruchte des Baumes essen, und ihnen gehen wahrlich die Augen auf (V. 7). Jedoch nicht so, wie sie es erwartet hatten. Die Erkenntnis ihrer Nacktheit - nicht die erwartete Weisheit - weckt ein Schamgefuhl. Dies bezieht sich allerdings nicht auf ihre Geschlechtsteile, wie es haufig gedeutet wurde, sondern auf eine Scham vor Gott, was daran zu sehen ist, dass sie sich vor ihm und nicht voreinander verstecken. Es ist hier das Erlangen des Wissens gemeint, dass sie selbst nun ohnmachtig ohne Gott sind, also ein nacktes Dasein fristen. ,,Indem sie wie [er] um Gut und Bose wissen, sind sie von [ihm] unendlich weit entfernt, so weit wie das Geschopf von seinem Schopfer.“[46]So stellt Adams und Evas Reaktion ein Zeichen von Schuld dar, durch die die Angst vor Gott geschurt wird. Deshalb verstecken sie sich vor ihm. An ihrem Vergehen gegen das gottliche Gebot ist die Solidaritat, die ,,Unmittelbarkeit des Zusammenlebens“[47], der Menschen zerbrochen.[48]

1.1.4 Vers 8-24 Das Gesprach mit Gott und die Strafe

In Vers 8-13 folgt das Verhor Gottes. Er kommt in den Garten und ruft nach Adam, der sich zusammen mit Eva versteckt hatte. ,,Das [...] Verhor stellt Gott nicht als unerbittlichen Untersuchungsrichter dar, sondern eher als Erzieher, der seinen ertappten Zogling behutsam zum Eingestandnis seiner Tat [und seiner Schuld] zu bewegen versucht, das die Voraussetzung fur die Umkehr und fur die Vergebung ware.“[49]Sein Umgang mit Adam und Eva zeigt menschliche Zuge. Nicht umsonst wird beschrieben, dass er, gleich einem Menschen, bei der Kuhle des Tages durch den Garten wandelt (V. 8). Er erdruckt sie nicht mit seiner Allwissenheit und richtet nicht ganzlich von oben herab, sondern lasst ihnen gnadigerweise mit seinen Fragen Raum zu antworten.[50]Auf diese Weise veranschaulicht der Jahwist das enge Verhaltnis, das vor dem Vergehen zwischen Gott und dem Menschen bestand und von Gott aus auch noch besteht, solange er nichts von dem Frevel gegen sein Gebot weifi.[51]

Beim entscheidenden Sundenbekenntnis, das von ihm erwartet wird, versagt Adam allerdings. Er schiebt die Schuld von sich auf jemand anderen (auf Eva - V. 12), etwas das der Mensch nur allzu haufig tut. Indem er betont, dass ihm die Frau von Gott gegeben wurde, bezichtigt er Gott sogar einer Mitschuld an der Verfuhrung. Doch auch Eva nimmt die Schuld nicht auf sich, sondern schiebt sie ebenfalls weiter (auf die Schlange - V. 13). Hier wird die zerstorte menschliche Solidaritat offenbar. Beide berauben sich selbst der Moglichkeit, umzukehren und Vergebung zu erlangen.[52]

In den Versen 14-19 verhangt Gott die Strafe uber alle drei Beteiligten. Nach Drewermann[53]bilden die Strafworte den Hohepunkt der Sundenfall-Erzahlung, da sie die gegenlaufige Darstellung des Menschenlebens, das in Genesis 2 beschrieben wurde, einschliefien. Es soll illustriert werden, wie das menschliche Leben fern von Gott, also mit all den beschriebenen Muhsalen, zustande kommt und wie es im Widerspruch zu dem aussieht, was ursprunglich in der Schopfung vorgesehen war. Ergo bildet die Ausweisung aus dem Garten Eden in Gen 3, 23 die eigentliche Strafe.

Ein Verhor mit der Schlange findet nicht statt. Gott verurteilt sie ohne Vorrede dazu, im Dreck zu kriechen und Staub zu fressen (V. 14). Scheinbar hatte sie dies vorher noch nicht getan und der Jahwist will ihre „unasthetische“ Art, sich zu bewegen, erklaren. Man konnte sich an dieser Stelle fragen, warum Gott die Schlange nicht nach ihren Beweggrunden fur ihre Verfuhrung fragt, sondern sie direkt verflucht (V. 14); dies scheint ein weiterer Anhaltspunkt dafur zu sein, dass der Text nichts uber die Herkunft des Bosen aussagen will. Es wird bedingungslos vorausgesetzt. Der Erzahler klart nur, was im Menschen vor sich geht, wenn er eine Sunde begeht, nicht woher sie kommt. So verliert sich „der eigentliche Ursprung des Bosen [...] in der Schopfung selbst.“[54]

Der gottliche Fluch, der uber die Schlange ausgesprochen wird, symbolisiert den in V. 1-5 begonnenen, niemals endenden Kampf des Menschen mit der Versuchung („Feindschaft der Samen“). Dieser Kampf gehort zu seiner Natur, denn, wie oben bereits erlautert, stehen hier anthropologische Grundaussagen im Hintergrund. Der Mensch wird als verfuhrbar charakterisiert. Auch wenn er sich bemuht, der Versuchung Herr zu werden, so setzt er sich ihr doch immer wieder aus.[55]

Bei der Bestrafung der Schlange gilt es nach Meinung vieler Theologen[56]zu beachten, dass der Erzahler die Schlange nicht mit Satan, also einer damonischen bosen Macht, identifiziere. Diese Deutung wurde in der neutestamentlichen Vergangenheit haufiger vollzogen, um eine Grundlage fur den Sieg Christi uber den Teufel herzustellen. In dem Fluch uber die Schlange sah man die Ankundigung der Uberwindung des Bosen (Samen der Schlange) und des Todes durch Christus (der eine Samen der Frau).[57]Auf Grand der Schilderung der Fortpflanzung der Schlange, sei es hier allerdings eindeutig, dass die Schlange selbst, also das Tier, bestraft wird und keine dahinterstehende bose Macht. Das Faktum, dass sie ein Geschopf Gottes ist, gehe mit der Absicht des Erzahlers einher, keine Aussage uber den Ursprung der Versuchung zu machen.

Die Strafe der Frau (V. 16) erfasst sie in ihrer existentiellen Gesamtheit, ihrem ganzen Dasein als Frau. Laut Westermann wird gerade das, was ihr im Leben Erfullung gibt, ihr Verhaltnis zu Mann und Kindern, durch Schmerz und Unterordnung ersetzt.[58]Eine patriarchalische Tendenz mit konservativen Rollenmustern ist hier unverkennbar. Sie soll sich ganzheitlich nach dem Mann verlangen, wahrend er es jedoch nicht erwidert, sondern es entartet. ,,So zeigen die Spruche uber die Frau den Zustand, wie er nicht sein soll, die Perversion der ursprunglichen Schopfungsabsicht.“[59]Die Strafe scheint zudem ein Versuch des Jahwisten zu sein, die Herkunft der Schwangerschaftsschmerzen der Frau „rational“ zu erklaren. Am Bruch der Beziehung zwischen Mann und Frau („... aber er soll dein Herr sein“) wird erneut (s. 1.1.3) das Auseinanderbrechen der menschlichen Solidaritat deutlich.

Das Urteil uber Adam (V. 17-19) fallt ausfuhrlicher und textlich umfangreicher aus. Es markiert den Umbruch vom Huter des Gartens Eden zum bestraften Ackermann. Auffallig ist an dieser Stelle, dass Gott eine Begrundung fur seinen Richterspruch gibt. Adam bekommt sie dafur, dass er Eva gehorcht hat und nicht der Schlange. So ist der eigentliche Vorwurf, dass es auf menschlicher Seite uberhaupt eine Gemeinsamkeit der Schuld existiert.[60]Die Absicht des Erzahlers ist hier nicht die Einfuhrung charakteristischer Elemente, wie z. B. der Disteln (V. 18), sondern vielmehr, die Verwandlung ursprunglich guter Dinge in bose aufzuzeigen. Gott setzt „den Boden, der dem Menschen bisher zum Wohl gedient hatte [...] nun als Mittel eines Gerichts-Fluches gegen ihn ein.“[61]Die anfangs erhoffte existentielle Erhohung wird ihm nicht zuteil. Der Boden des Ackers ist nun nicht mehr fruchtbar und die Arbeit nicht mehr muhelos; ein Umstand, der angesichts der begrenzten Lebenszeit des Menschen („und sollst zu Erde werden“) etwas Absurdes und Sinnloses birgt. Denn welchem Zweck dient die muhselige Arbeit, wenn er sowieso sterben wird? So ist erneut ein Erklarungsversuch des menschlichen Muhsals seitens des Jahwisten erkennbar.

Man konnte meinen, dass die Worte der Schlange sich vollends bewahrheiten, wenn Gott den Menschen nicht zum sofortigen Tod sondern zu einem befristeten Leben verurteilt (V. 19, vgl. dazu auch 1.1.2.1). Doch hier soll eher seine Souveranitat betont als der Schlange Recht gegeben werden. Er hat nicht nur die Macht uber Leben und Tod, sondern auch daruber, sein Wort zu andern und zumindest eine gewisse Gnade walten zu lassen.[62]

Schlussendlich geschieht das, was nach dem Frevel der Menschen gegen das Gebot zu erwarten war. Gott weist Adam und Eva aus dem Garten aus, um sie vom Baum des Lebens fernzuhalten, damit sie sich nicht auch an diesem vergehen und Unsterblichkeit erlangen.[63]Jedoch sorgt er danach immer noch gnadig fur sie, was am Beispiel der Bekleidung ersichtlich ist. Darin liegt die tiefere Bedeutung von V. 21.[64]Zudem taucht das Motiv vom Neid der Gotter in V. 22 erneut auf.

Die Ausweisung ist als Praventivmafinahme zu verstehen, denn eine Ruckkehr bleibt wegen der mythischen Bewacher, den Cherubim (V. 24), ausgeschlossen. Nach Westermann liegt in V. 23 das Ziel der Eden-Erzahlung, da es hier nicht mehr, wie in V. 14-19, um begrenzte Phanomene des Daseins, sondern um die Existenz selbst geht. Das Entferntsein von Gott wird deutlicher denn je.[65]So endet der rote Faden der Erzahlung, der sich vom Moment der Hineinsetzung in den Garten (Gen 2) bis zur Ausweisung zieht. Es istjedoch kein positives Gefuhl, dass am Ende zuruckbleibt.

1.1.5 Resumee

Im Laufe des ersten Kapitels ist deutlich geworden, dass die alttestamentlichen Schrifien (bzw. die Erzahler) das menschliche Dasein klar in seiner Geschaffenheit von Gott sehen. Die Existenz des Menschen ist nun, nachdem sie zunachst als Segen bewertet wurde, von Versuchung und Sunde gepragt und daran kann er nichts andern. Der Autor will keine Aussage uber die Herkunft der Versuchung und der Begierde im Inneren des Menschen machen, stellt allerdings grundlegende anthropologische Dinge, wie die Empfanglichkeit fur den Reiz des Verbotenen, fest. So berichtet er nicht wie die Gott entgegenwirkenden Krafte in das menschliche Dasein gelangen konnte, sondern veranschaulicht auf vielfaltige Weise, dass sie schlichtweg da sind und auf ihn selbst in seinem Innersten zuruckgeht. Aus biblischer Sicht ist Versuchung immer eine Verfuhrung zum Abfall von Gott. Sie nimmt ihren Anfang im Misstrauen, und zwar dem Misstrauen am Wort Gottes und der von ihm gesetzten Grenze, die eigentlich zum Schutz des Menschen vorgesehen war und ihn davor bewahren sollte, sich selbst von seinem Schopfer zu entfernen. Zwar versucht die Schlange Eva zum Ungehorsam gegen Gott zu verfuhren, indem sie ihr Misstrauen schurt, ihr kannjedoch nicht die Verantwortung ubertragen werden, denn die eigentliche Entscheidung gegen Gott fallen Adam und Eva selbst. So verkehrt die Sunde des Menschen sein Dasein ins Gegenteil und birgt auf diese Weise die Strafe in sich. Deshalb wird ,,der Mensch [...] von sich aus immer wieder in einen endlosen Kampf mit dem Bosen hineingezogen werden, das er zu besiegen meint, wahrend er in Gefahr gerat, davon besiegt zu werden “[66]

1.2 Exegese von Matthaus 4.1-11

Die Perikope Mt 4,1-11 erzahlt, wie der Teufel Jesus in der Wuste in dreifacher Weise versucht. Nachdem Jesus vierzig Tage und vierzig Nachte gefastet hatte, kommt Satan zu ihm und fordert ihn zweimal auf, zu beweisen, dass er der Sohn Gottes ist. Doch Jesus widersteht und antwortet in beiden Fallen mit einem Zitat aus dem Alten Testament. Bei der dritten Versuchung will der Teufel ihn auf seine Seite ziehen und sich unterwerfen, indem er ihm die Weltherrschaft anbietet. Erneut bleibt Jesus standhaft und zitiert das AT. So endet die Erzahlung damit, dass Satan ihn verlasst und Engel zu ihm kommen und ihm dienen.

1.2.1 Textanalyse und erste Deutungen

Die Versuchungsperikope folgt der Taufe Jesu durch Johannes den Taufer in Kapitel 3. Beide Texte sind inhaltlich durch das Wirken des Geistes verbunden, das in Mt 3,16[67]uber Jesus kommt und ihn direkt danach in die Wuste fuhrt (Mt 4,1). V. 11 schliefit die Erzahlung ab, denn in V. 12 wird berichtet, wir er an einen anderen Ort (Galilaa) geht und dort sein Wirken beginnt (Mt 4,12-17). Insofern bildet Mt 4,1-11 eine eigene, abgeschlossene Erzahlung mit geradliniger Handlungsstruktur, in der sich keine Ungereimtheiten finden lassen. Mit den restlichen Abschnitten von Mt 4, die unter anderem von ersten Predigten und den ersten Jungern handeln, dient das Kapitel zur Vorbereitung auf die folgende Bergpredigt (Mt 5-7).

,,Die drei Versuchungen kommen mit einem Minimum an erzahlerischen Requisiten aus; dadurch fallt das Gewicht auf die zentralen Schriftzitate.“[68]Sie steigern sich im Laufe des Geschehens. Nachdem Satan zunachst „nur“ den Beweis der Gottessohnschaft fordert (V. 3 u. 6), mit dem Mt hier auf die Gottessohnproklamation in Mt 3, 17[69]verweist, verlangt er zuletzt vollig unverhullt die Anbetung und damit die Unterwerfung.[70]Die Antworten Jesu sind dabei jedes Mal ein Zitat aus dem Deuteronomium mit dem vorgestellten Zusatz „Es steht geschrieben“ (ysypamai), der in V. 6 ebenfalls vom Teufel verwendet wird. Die Handlung findet aufierdem in (geografisch) immer hoheren Ebenen statt. Zunachst in der Wuste, dann auf einer Tempelzinne und schlussendlich auf einem Berg. So wird dem Geschehen eine besondere Dramatik verliehen.[71]

[...]


[1]Wolf, 1989,21.

[2]Vgl. Wolf, 1989, 5f.

[3]Thompson, 1998, 298.

[4]Thompson, 1998, 298.303.

[5]Der Wortlaut dieser, und dazugehoriger, Textstellen befindet sich im Anhang. Dabei wurden die Ubersetzungen der Elberfelder Bibel entnommen, da sie dem hebraischen bzw. griechischen Originaltext am nachsten ist. Die Namen der Evangelisten werden im Text in der ublichen Weise abgekurzt: Markus - Mk; Lukas - Lk; Matthaus - Mt; Johannes - Joh.

[6]Scharbert, 1983, 54.

[7]Die Begriffe Versuchung, Sunde und das Bose bezeichnen im biblischen Verstandnis sehr unterschiedliche Sachverhalte. Dennoch werden sie in dieser Arbeit aus praktischen Grunden oft sinngemafi synonym verwendet.

[8]Schule, 2009, 74.

[9]Drewermann, 1992, 60.

[10]Vgl. Guthrie, 1980, 96, sowie Drewermann, 1992, 62.

[11]Vgl. Schungel-Straumann, 1999, 96.

[12]Vgl. Schungel-Straumann, 1999, 95.

[13]Vgl. Scharbert, 1983, 54f.

[14]Drewermann, 1992,58f.

[15]Westermann, 1979, 132.

[16]Westermann, 1979, 132.

[17]Hasenburger, Jochen: Verfuhrung im Garten Eden, heruntergeladen am 24.04.12 von: http://glaube-und-gemeinde.de/Heft%2011%20-%20Verfuehrung%20im%20Garten%20Eden.pdf. Seite 16. Auf diese Quelle wird von nun an mit „Hasenbuger“ und der entsprechenden Seitenzahl verwiesen.

[18]Schule, 2009, 75.

[19]Vgl. Westermann, 1979, 131.

[20]Vgl. Hasenburger, 14.

[21]Vgl. Schungel-Straumann, 1999, 101.

[22]So Scharbert, 1983, 55.

[23]Vgl. http://www.reli-mat.de/seiten/examina/suendenfall.htm#Z16, abg. 25.04.12.

[24]Vgl. Westermann, 1979, 132.

[25]Vgl. Zimmerli, 1984, 156.

[26]Heinisch, 1930, 120.

[27]Vgl. Heinisch, 1930, 120f.

[28]Zimmerli, 1984, 156.

[29]Vgl. Zimmerli, 1984, 156.

[30]Beispielsweise Erich Sauer: Das Morgenrot der Wefterfosung, Wuppertal41985, 34. Vgl. Hasenburger, 4.

[31]Vgl. Westermann, 1979, 131.

[32]Hasenburger, 6.

[33]„Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bosen, und er selbst versucht niemand.“

[34]Hasenburger 6.

[35]Vgl. Hasenburger, 14.

[36]Vgl. Westermann, 1979, 131.

[37]Vgl. Scharbert, 1983, 55.

[38]Drewermann, 1992, 67.

[39]Westermann, 1974, 338.

[40]Schungel-Straumann, 1999, 96.

[41]Westermann, 1979, 133.

[42]Vgf. Westermann, 1979, 131.

[43]So z. B. Scharbert, 1983, 27 oder Gunkel, Hermann, Genesis, Gottinger Handkommentar zum AT, Bd. 1, Gottingen4 1917, 16. Ebenfalls J. Hempel, vgl. Westermann, 1974, 340.

[44]Vgl. Schungel-Straumann, 1999, 97ff.

[45]Vgl. Westermann, 1974, 340, sowie Schungel-Straumann, 1999, 121.

[46]Drewermann, 1992, 72.

[47]Zimmerli, 1984, 162.

[48]Vgl. Schungel-Straumann, 1999, 103.

[49]Scharbert, 1983, 56f.

[50]Vgl. Zimmerli, 1984, 166.

[51]Vgl. Drewermann, 1992, 79.

[52]Vgl. Scharbert, 1983, 68.

[53]Bzw. nach von Rad, vgl. Drewermann, 1992, 87.

[54]Drewermann, 1992, 86.

[55]Vgl. Drewermann, 1992, 88.

[56]So z.B. Westermann, 1974, 355 und Zimmerli, 1984, 171 und Drewermann, 1992, 89.

[57]Scharbert (1983, 58) sieht diese Deutung ebenfalls.

[58]Vgl. Westermann, 1979, 358.

[59]Schungel-Straumann, 1999, 112.

[60]Vgl. Drewermann, 1992, 91.

[61]Guthrie, 1980, 97.

[62]Vgl. Zimmerli, 1984, 178.

[63]Zu den letzten drei Versen existieren viele entstehungshistorische Theorien, vergleiche beispielsweise Scharbert, 1983, 60f. oder Westermann, 1974, 369ff. Auf diese Aspekte soll hier nicht eingegangen werden.

[64]Vgl. Schule, 2009. 82.

[65]Vgl. Westermann, 1974, 367f.

[66]Drewermann, 1992, 107.

[67]Und als Jesus getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser herauf; und siehe, die Himmel wurden ihm7 geoffnet, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und auf sich8 kommen.

[68]Luz, 1985, 159.

[69]Und siehe, eine Stimme kommt aus den Himmeln, welche spricht: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.

[70]Vgl. Luz, 1985, 159.

[71]Vgl. Gnilka, 1986, 83.

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Versuchung - Auslegung biblischer Versuchungstexte und deren Rezeption in Martin Scorseses "Die letzte Versuchung"
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Theologische Fakultät)
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
77
Katalognummer
V198905
ISBN (eBook)
9783656253495
ISBN (Buch)
9783656253716
Dateigröße
1528 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit befasst sich mit dem Film "Die letzte Versuchung Christi", der auf dem Roman "Die letzte Versuchung" von Nikos Kazantzakis basiert. Es werden insbesondere die Szenen behandelt, die die Versuchungen Jesu thematisieren. Dementsprechend werden vorher die zugrundeliegenden Bibelstellen Gen 3 und Mt 4,1-11 untersucht, deren Wortlaut sich im Anhang befindet.
Schlagworte
Filmanalyse, Martin, Scorsese, Nikos, Kazantzakis, Versuchung, Exegese, Verführung, Teufel, Wüste, Satan, Schlange, Genesis, Adam, Eva, Baum
Arbeit zitieren
Steffen Schütze (Autor:in), 2012, Versuchung - Auslegung biblischer Versuchungstexte und deren Rezeption in Martin Scorseses "Die letzte Versuchung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198905

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