Am Regnitz-Ufer in Bamberg ist Klein-Venedig. Das sehen manche aber anders: Ein Mann blickte neulich von der Oberen Brücke in Bamberg nach Norden und schimpfte: "Das soll Klein-Venedig sein? Das ist doch völlig anders!" Dem armen Touristen muss geholfen werden.

Schon in früheren Jahrhunderten machten viele Händler und Reisende in Richtung Orient im "großen" Venedig Station. Venedig, das war seit eh und je die faszinierende, von Kanälen durchzogene Seestadt an der Adria, die man besucht haben musste.

Seit Jahrhunderten haben Reisende dieses Bild mit nach Hause gebracht und bisweilen Ähnlichkeiten entdeckt. Angesichts der pittoresken Häusergruppen an der Bamberger Regnitz, die unmittelbar am Wasser stehen und mit ihm eine eindrucksvolle Einheit bilden, drängte sich der Vergleich mit Venedig auf.

Auch in Nürnberg gab es ein Venedig

Aber auch andere Orte wecken Assoziationen mit der Lagunenstadt. In Nürnberg gab es eine ähnliche Situation, und zwar an der Pegnitz, im östlichen Sebalder Viertel, das die Bomben des letzten Krieges jedoch völlig ausgelöscht haben.

Noch immer gibt es ein "Kleines Venedig" dagegen in Erfurt, am Fischersand beim Durchfluss der Gera, südlich des Domhügels gelegen. Es ist heute ein sehr beliebter, romantisch wirkender Platz in der Innenstadt. Die kleine Stadt Salzwedel in der Altmark nennt einen pittoresken, sehenswerten Durchfluss des Flüsschens Jeetze mit seinen verschlungenen Armen ebenso. Selbst die vorwiegend vom Spätbarock geprägte Residenzstadt Potsdam hatte einst einen venezianisch wirkenden Seitenarm der Havel so betitelt, auch dieser ist aber leider zerstört.

Klein-Venedig gibt es nicht nur in Franken

Schließlich existiert in "Klein-Venedig" auch in Straßburg und in Colmar im Elsass, in Saarburg an der Saar, im württembergischen Esslingen und im niedersächsischen Wolffenbüttel. Immer sind es die malerischen Durchzüge von Wasserarmen in dicht besiedeltem Stadtgebiet, die Erinnerungen an Venedig erzeugen.

Noch im frühen 20. Jahrhundert hat man im kleinen Ort Rangsdorf südlich von Berlin am Ufer eines beliebten Badesees ein künstliches Kanalsystem gestaltet, um begüterte Käufer anzulocken. Die stadtplanerische Absicht ging auf. Es entstand ein Wohnquartier mit Wassergrundstücken, das man unter dem Titel "Klein-Venedig" vermarktete. Es heißt heute noch so. Ähnliches ging in "Tiefwerder" vonstatten, einer bebauten Wasserlage an der Havel in Berlin-Spandau.

In Bamberg ist die Bezeichnung "Klein-Venedig" - auf gut Oberfränkisch "Klaa-Fnedich" - für die Fischerei-Häuser am linken Regnitz-Arm seit langem fest eingebürgert. Schon in den 20er Jahren warb der Fremdenverkehrs- und Verschönerungsverein der Stadt damit.

Keine für Touristen gedachte Publikation lässt sich das Motiv entgehen. Die Romantik wird mit entsprechenden Worten beschrieben und zum Fotografieren bieten sich die Reihen kleiner, ehemaliger Fischerhäuser mit liebevoll gepflegten Gärtchen und Holzbalkonen, auf denen früher die Fischernetze trockneten, geradezu an.

Klein-Venedig ist auch deshalb sehr bekannt, weil es am Sandkerwa-Sonntag die Kulisse für das berühmte Fischerstechen auf der Regnitz bildet. Der Organisator, die Untere Schiffer- und Fischerzunft Bamberg, residiert seit Jahrhunderten in einem der pittoresken Häuschen am Wasser. Außerdem schippert Brose-Boss Michael Stoschek, einer der reichsten Deutschen, schon seit mehreren Jahren mit einem Amphibienfahrzeug zur Sandkerwa. Das "schwimmende Auto" tuckert an Klein-Venedig vorbei, hält dann an - und Stoschek geht die Sandkerwa besuchen, was immer für einige Medienbeachtung sorgt.

Woher kommt der Begriff Fränkische Schweiz?

Mit dem Begriff "Klein-Venedig" ist es wie mit der Beliebtheit der "Fränkischen Schweiz". Woher der Name kommt, lässt sich leicht erraten: Das kleine Alpenland Schweiz wurde im 18. Jahrhundert bei europäischen Reisenden immer beliebter. Sie rühmten die idyllische Landschaft, die Naturverbundenheit der Schweizer, das Leben in den Bergen. Und so kam es, dass an den europäischen Fürstenhöfen schon bald die Schweizer Mode begann: Künstlich gestaltete Schweizerhäuser und so genannte Schweizereien waren en vogue.

Kein Wunder, dass Gegenden, die an die Schweiz erinnerten, aus ihrer Topographie Profit schlagen wollten. Erlanger Naturforscher und Studenten "entdeckten" so die "Fränkische Schweiz". Doch es gibt noch viel mehr so genannte "Schweizen" in Deutschland - in Sachsen, Holstein, Brandenburg oder Mecklenburg -, auch wenn nirgendwo ein Matterhorn steht. Zum Autor : Prof. Dr. Manfred Fischer, Jahrgang 1936, stammt aus dem thüringischen Ohrdruf, ist Kunsthistoriker und Denkmalpfleger mit Berufsstationen in München, Rom, New York und Hamburg. Er lebt heute in Bamberg.

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