Die Sensation ist abgesagt, der Schaden bleibt. Ein von einem Filmemacher und einer Journalistin initiiertes Untersuchungsteam will herausgefunden haben, dass Anne Franks Familie von einem jüdischen Notar verraten wurde, der damit seine eigene Familie retten wollte. Mittlerweile sprechen Historiker von einem „Kartenhaus an Beweisen“, das zusammengestürzt ist. Selbst der veröffentlichende Buchverlag distanzierte sich vorsichtig.

Das lukrative, aber offensichtlich unwürdige Schauspiel überdeckt den Kern von Anne Franks Tagebuch. Eine Geschichte, die nun in „Meine beste Freundin Anne Frank“ (Netflix) aus der Perspektive von Annes Freundin Hannah Goslar, genannt Hanneli, neu erzählt wird.

In farbenfrohen, kraftvollen Bildern spazieren Anne und Hanneli durch Parks, schwärmen für Buben und schleichen in Kinos, wo sie Filme auf der Rückseite der Leinwand ansehen – der reguläre Zutritt ist Juden verboten. Auf den Straßen Amsterdams regiert die faschistische Hölle. Jüdische Passanten werden geschlagen, Geschäfte demoliert, Menschen verschwinden. Die zweite Erzählachse ist durch und durch düster: Im KZ Bergen-Belsen begleitet man Hanneli durch einen Überlebenskampf zwischen Hunger, Angst, Demütigung. Ihre Freundin vermutet sie auf der anderen Seite eines Zauns. Hannelis wiederholte Frage, „was würde Anne tun?“, wird zum greifbaren Schlüssel, den jeder aus diesem Film mitnehmen kann.

Dieses Drama trifft den richtigen Ton, bewahrt den Kern dieses berührenden Dokuments über den Terror des Nazi-Regimes und offenbart deshalb, was an der eingangs erwähnten, verunglückten Verräter-Recherche so falsch lief.