Die Zuger Schlagzeilen von damals: Von Feiertagen und Volksverdummung

Vor 150 Jahren wurde den Lehrern genau auf die Finger geschaut: Wenn öffentlich gegen die Kirche gesprochen wurde, liefen der Erziehungsrat und die Zeitung Sturm. Auch bei einem anderen Thema gab es keine Verhandlungsmöglichkeiten.

Andrea Muff
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Die Ausgabe der «Neuen Zuger-Zeitung» vom 14. November 1868.

Die Ausgabe der «Neuen Zuger-Zeitung» vom 14. November 1868.

Die verheerenden Niederschläge im Oktober 1868 beschäftigten die Autoren der «Neuen Zuger-Zeitung» auch noch einen Monat später: Für die «Wasserbeschädigten» wurde in der ganzen Schweiz gesammelt und die Beträge jeweils vom Chronisten vermeldet. Als es aber darum ging, an einem Feiertag, dem St. Martinstag, in der Spinnerei in Baar arbeiten zu dürfen, um den Ertrag an die Geschädigten zu spenden, wurde das nicht gebilligt. So schrieb der Baarer Gemeinderat an den Direktor der Spinnerei, dass er es zwar löblich finde, den Lohn der Arbeiter an diesem Tag zu verdoppeln, um damit den Beitrag des Kantons Zug an die Opfer zu erhöhen. «Um so unangenehmer muss es uns berühren, wenn wir uns in einer Lage sehen, die uns nicht wohl erlaubt, Ihrem Bittgesuche entsprechend entgegen zu kommen», stand im Brief vom 31. Oktober, welchen die «Neue Zuger-Zeitung» am 14. November 1868 publizierte. Das Fest des Heiligen Martins, des Kirchen- und Gemeindepatrons, fand aber schon am 11. November statt, die Zeitung veröffentlichte den Brief also nachträglich. Der Gemeinderat schrieb unter anderem, dass er nicht die Kompetenz habe, den Feiertag zu verschieben oder das Arbeitsverbot aufzuheben. Er zitierte aus einem regierungsrätlichen Erlass: «Während der ganzen Dauer der Sonn- und gebotene Festtage ist alles Arbeiten in Werkstätten, Fabriken und andern industriellen Arbeitslokalen untersagt.»

Auch ein anderer Vorschlag des Spinni-Direktors kam bei der Gemeinde nicht gut an: An der vergangenen Gemeindeversammlung habe der Direktor ausrichten lassen, dass er für den zusätzlichen Arbeitstag (am St. Martinstag) auch etwas springen lassen würde: «Eine neue Saugspritze erster Klasse» als Geschenk. Doch dafür liessen sich die Baarer anscheinend gar nicht begeistern: «Wir wissen mit welcher Entschiedenheit, wir möchten sagen Entrüstung, dieses Anerbieten einmüthig von einer ganzen Versammlung zurückgewiesen worden» ist, wärmte der Gemeinderat in seinem Schreiben die Geschichte nochmals auf. Und noch ein weiterer Punkt sprach aus Sicht der Gemeinde dafür, am arbeitsfreien Feiertag festzuhalten: «Man hat den Katholiken des Kantons Zug, ohne sie nur zu fragen, sechs Feiertage weggenommen, der Industrie zu lieb.» Dies seien die Gründe, weshalb das Bittgesuch der Fabrik abgelehnt worden ist, schloss der Gemeinderat die Argumentation.

Ein Lehrer stellt die Wissenschaft über die Kirche

Im Kanton beschäftigte aber noch ein anderes Thema: An der Lehrerkonferenz tanzte ein Lehrer, Professor Annaheim, aus der Reihe. Dabei ging es um Aussagen, wie dass der «Mensch vom Affen abstammt» und «ferner soll er die katholische Kirche als eine Lehrerin der Volksverdummung, und als Finsterling bezeichnet haben», berichtete die Zeitung. «Sollte sich Annaheim zu solchen Grundsätzen und Lehren, welche an Gottesleugnerei streifen, bekennen, so sind Eltern zu warnen, ihre Söhne einem solchen Lehrer anzuvertrauen», fand der Autor klare Worte. «Herr Erziehungsrath Wyss fand, dass Herr Annaheim wirklich zu weit gegangen und sich von der Begeisterung für sein Fach in einer Weise habe hinreissen lassen, dass er einseitig geworden und es mit der Wahrheit nicht genau genommen habe», hiess es weiter in der Zeitung.

Der geschmähte Lehrer kam eine Woche später zu Wort. Von ihm wurde am 21. November eine Erklärung publiziert. Sein Wort sei «falsch verstanden und aufgefasst und demgemäss auch anders gedeutet worden». Er schrieb weiter: «Von katholischer Kirche und von Geistlichkeit ist hierbei nicht im Entferntesten die Rede, ja nie daran gedacht worden.» Die Erklärungen liess die «Neue Zuger-Zeitung» unter dem Titel «Beleuchtung einiger Stellen des an der Lehrerkonferenz von Herrn Professor Annaheim vorgelesenen Aufsatzes» nicht unkommentiert. Das Urteil fiel nicht zu Gunsten des Lehrers aus; dass er nicht «daran gedacht» habe, dass seine Aussagen beleidigend sein könnten, zählte für den Autor nicht. «Das ist wahrhaft zu naiv und für einen Studirten eine etwas allzu einfältige Auslegung.»

Ein neuer Präsident steht in den Startlöchern

Auf dem internationalen Parkett passierte im November 1868 nicht viel. Der Chronist schrieb: «Mit Mühe und Noth werden wir eine ordentliche Wochenchronik zusammenbringen.» In Nordamerika sei die Wahl von Ulysses S. Grant, einem Republikaner, zum Präsidenten, und diejenige des Sprechers des Unterhauses Colfax zum Vizepräsidenten «absolut gesichert». Des Weiteren berichtete der Chronist über die Situation in Spanien, nachdem Königin Isabella II. gestürzt worden ist. «Was aus Spanien werden soll, ist bis zur Stunde unsicher», war am 14. November 1868 zu lesen. Denn es sei «niemand da, der sich die Krone auf sein Haupt setzen» möchte.

Weitere Meldungen vom November 1868

Wohlgenährt

«In Stuttgart ist ein neuer Orden aufgetreten – die Vegetarianer – nämlich solche, die bloss von Speisen aus dem Pflanzenreich sich nähren und , wie die Hindu, kein Fleisch essen.» Gustav Struve, der während der Märzrevolution eine tragende Rolle spielte und später auch am Sezessionskrieg in Nordamerika teilnahm, stehe an der Spitze der Bewegung oder anders ausgedrückt: «der in beiden Welttheilen für die Freiheit gestritten und gezeigt hat, dass man auch ohne Fleischkost beissen kann.»

Basel-Muri-Connection

Die Bierbrauerei des Herrn Merian in Steinenvorstadt in Basel setzt auf Swissness: Gebraut wird das Bier mit dem sogenannten Muri-Hopfen. «Die Feinheit und der angenehme Geschmack diese Bieres wird von den Konsumenten allgemein gerühmt», heisst es in der Zeitung.

Opfer bringen

Ein alter Einsiedler Kutscher hat der Kirche Euthal 2000 Franken zur Anschaffung einer Glocke vermacht. Wie der «Bote der Urschweiz» damals schrieb, hatte der Kutscher bei der Befreiung des «Dr. R. Steigers» aus dem luzernischen Gefängnis mitgewirkt. «Er habe in dieser gefährlichen Situation das Gelübde gethan, er wolle beim glücklichen Gelingen Etwas für einen religiösen Zweck opern.»

Das Böse

In der Westschweiz muss sich «Krankenwärterin Jeanneret» vor Gericht verantworten. «Sie ist überwiesen und geständig, nicht weniger als neuen ihrer Pflege anvertraute kranke mittelst Belladonna vergiftet und getödtet zu haben» Damit habe sie experimentieren wollen. «Sie ist jedoch ein dämonisches Wesen, das Freude hatte an den Leiden der sterbenden Opfer», heisst es weiter in der Zeitung. Der Prozess begann am 23. November und sorgt laut Nachricht für grosses Aufsehen.

Erschütternd

Vor 150 Jahren bebte am 12. November mittags um 12.30 Uhr die Erde: Gespürt wurde das Beben im ganzen Kanton, hauptsächlich aber in Locarno und Bignasco. Es dauerte drei bis vier Minuten, «dessen Wellenbewegungen sich von Westen nach Nordwesten
erstreckten».

Unter Schwestern

Eine Frau «benützte die Abwesenheit ihres Mannes, um einige Schnapsschwestern zu einem Abendsitz einzuladen.» Wie viel schlussendlich getrunken worden sei, weiss der Autor nicht. Jedoch: «Dass die galante Wirthin in Folge des übermässigen Schnapsgenusses am andern Morgen todt im Bette gefunden wurde.»

Rumpedibum

Die Tambouren möchten ein Konzert geben. Der Erlös soll an die «Wasserbeschädigten» gespendet werden. «Wir wünschen diesem ‹Rumpedibun› einen grossartigen Erfolg.

Benzin ist entzündlich

Die Tochter eines Bürgermeisters hat sich die Handschuhe mit Benzin gewaschen und «dieselben dazu angezogen», berichtet die «Neue Zuger-Zeitung» am 21. November 1868. Ein Geräusch an der Tür veranlasste sie mit dem Licht hinauszugehen. «Wobei das sehr flüchtige und brennbare Benzin an den Handschuhen vom Lichte Feuer fängt, und im Nu stehen beide Hände in hellen Flammen.» Fast sei es zu einer Amputation beider Hände gekommen. Die Zeitung warnt: «Also vorsichtig mit brennbaren Flüssigkeiten.»