Politik

"Schon fast Heiligenverehrung" Haiders Fans pflegen den Mythos

Jörg Haider starb vor zehn Jahren bei einem Autounfall. Seine Anhänger zweifeln an der offiziellen Version.

Jörg Haider starb vor zehn Jahren bei einem Autounfall. Seine Anhänger zweifeln an der offiziellen Version.

(Foto: imago stock&people)

In Kärnten trauern Jörg Haiders Anhänger am zehnten Todestag um ihr Idol. Ein Gedenken, das nicht ohne Verschwörungstheorien auskommt. Am Grab kommt es aber auch zu einer posthumen Versöhnung.

Links Elvis Presley, rechts Jörg Haider. Das sind, wenn man so will, die zwei Männer in Alois Ferks Leben. Er hat sich ihre Gesichter auf die Oberarme tätowieren lassen: auf den linken den King of Rock'n'Roll, auf den rechten den ehemaligen Landeshauptmann. Ferk zeigt die Tattoos stolz, aber nur flüchtig. Hastig zieht er die Ärmel seiner schwarzen Lederkutte wieder runter. "Das waren beides Ehrenmänner", ruft er noch, dann muss er los. Hoch zur Kapelle, zum Grab vom "Jörg", wie er Haider nur nennt.

Haider war nicht als "Trinker" bekannt, weshalb es Zweifel an der Darstellung gibt, er habe bei seinem Unfall zu viel Alkohol im Blut gehabt.

Haider war nicht als "Trinker" bekannt, weshalb es Zweifel an der Darstellung gibt, er habe bei seinem Unfall zu viel Alkohol im Blut gehabt.

(Foto: picture alliance / dpa)

In einer Stunde beginnt hier im Kärntner Bärental der Gedenkakt für den Mann, der Österreichs Politik seit Mitte der 80er-Jahre prägte wie kein anderer, der den modernen Rechtspopulismus erfand und zum Exportschlager in ganz Europa machte. Vor genau zehn Jahren starb Haider bei einem Unfall in seinem VW Phaeton - in einer nebligen Nacht, die seinen Anhängern bis heute keine Ruhe lässt.

Dass ihr Jörg einfach einer von 678 Unfalltoten des Jahres 2008 war, dass er wie jeder Dritte davon einfach nur zu schnell unterwegs war, auch noch volltrunken - sie glauben es nicht. Für sie ist er nicht wirklich tot, bis er einen anderen Tod gestorben ist. Am Unfallort halten sie seinen Mythos mit Kerzen und Verschwörungstheorien am Leben, während am Grab sein politisches Erbe verteilt wird.

"Zur Gedenkstätte"

Der VW Phaeton, mit dem Haider verunglückte, ist im Besitz der FPÖ.

Der VW Phaeton, mit dem Haider verunglückte, ist im Besitz der FPÖ.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Im Minutentakt rollen die Autos jetzt aus Richtung Klagenfurt an. Heiner Mühlmann betrachtet sie von seiner Holzhütte aus, die er vor ein paar Jahren kurzentschlossen zu einem Imbiss umfunktioniert hat. Er ist ein gemütlicher Mann im Rentenalter, der Riesenportionen Backhendl serviert und ungläubige Blicke mit einem dahingenuschelten "Is eh nur ein halbes" quittiert.

Wer zu Haiders Grab will, kommt an seinem Imbiss vorbei, nur eine einzige schmale Straße führt ins Bärental hinein. Von Rissen zerfurcht und an unzähligen Stellen geflickt, schlängelt sie sich sieben Kilometer bis zu einem Parkplatz, auf der ein Holzschild mit der simplen Aufschrift "Zur Gedenkstätte" den Weg zu Haiders Grab weist.

Noch immer besuchen regelmäßig Menschen die Neu-St.-Michaels-Kapelle, erzählt Imbisswirt Mühlmann. Die schlichte Kirche mit dem Holztürmchen wird nur noch zu Ostern, Weihnachten und für Hochzeiten geöffnet. Links neben der Kapelle steht eine runde Mauer aus hellen Steinen, darunter ein kreisrundes Beet, auf dem frische Kränze liegen. Rechts, etwas abseits, ein Ensemble von marmornen Engelsfiguren, davor eine Baumrinde, in der Mitte herzförmig ausgeschnitten. Zwei Namen sind hineingeritzt: links Jörg, rechts Elvis. Ein Geschenk von Alois Ferk, natürlich, der sich selbst manchmal nur Elvis nennt.

Schon vor fünf Jahren erinnerte man an der Gedenkstätte an Haider.

Schon vor fünf Jahren erinnerte man an der Gedenkstätte an Haider.

(Foto: picture alliance / dpa)

Heiner Mühlmann schmunzelt. Elvis kommt öfter bei ihm vorbei, ein guter Typ. Wie der Jörg auch. "Handschlagqualität." Es heißt, Haider habe jedem Kärtner mindestens einmal die Hand geschüttelt. Hier im Bärental stimmt es ganz sicher. Zur Hälfte gehört es den Haiders, hier wohnte er mit seiner Familie, hierhin wollte er fahren in der Nacht, in der er starb. Mühlmanns Züge werden ernst. "Er hat nicht getrunken", sagt er. "Ganz sicher." Laut Ermittlungen soll Haider 1,8 Promille intus gehabt haben, ein Oktoberfest-Wert. Ein Rätsel für viele, tatsächlich war Haider nicht als Trinker bekannt. Und überhaupt, sagt Mühlmann, 142 Sachen, so viel sei das nicht. "Die Kurve in Lambichl verträgt 160."

Ein Lichtermeer für Haider

Lambichl beginnt fast mit dem Ortsausgangsschild Klagenfurt, an der B91, der Loiblpass-Straße, die auf die Bergwände der Karawanken zu und nach Slowenien führt. Zweispurig verläuft sie am Unfallort, dem Ende der Linkskurve, in der nur Tempo 70 erlaubt war. Haider raste doppelt so schnell, als er von der Straße abkam und auf die Böschung am rechten Rand geriet. Sein VW Phaeton überschlug sich, über 150 Meter zog sich die Unfallspur. Mittlerweile müssen Autofahrer dort ihr Tempo auf 50 km/h drosseln, was zumindest heute gerechtfertigt scheint, wo sich Dutzende Menschen an der Gedenkstätte direkt an der Straße drängen.

Jörg Haider
  • Jörg Haider, geboren am 26. Januar 1950 in Goisern in Oberösterreich, hinterließ bei seinem Tod am 11. Oktober 2008 seine Frau Claudia und die gemeinsamen Töchter Ulrike und Cornelia.
  • Nach dem Abitur 1968 ging er zum Bundesheer und ein Jahr später zum Jura-Stadium nach Wien.
  • 1973 machte er seinen Doktor und arbeitete an der Universität.
  • In der FPÖ leitete er von 1971 bis 1975 die Jugendorganisation Ring Freiheitlicher Jugend.
  • 1979 wurde er Parlamentsabgeordneter in Wien.
  • 1986 stürzte er den eher liberalen Norbert Steger und übernahm die FPÖ als Parteichef, die unter ihm ihren Stimmanteil stetig steigern konnte.
  • Von 1989 bis 1991 war er erstmals Landeshauptmann in Kärnten.
  • 1999 führte er die Bundespartei als Juniorpartner in eine Koalition mit der ÖVP unter Kanzler Wolfgang Schüssel. Er selbst blieb von 1999 bis zu seinem Tod Landeshauptmann in Kärnten.
  • 2005 trennte er sich im Streit von der FPÖ und gründete das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), einen Haider-Wahlverein, mit dem er im Bund den Sprung ins Parlament schaffte.

Früher hätten sie am Todestag wenigstens eine Spur gesperrt, schimpft Marianne Ganz. Die 88-Jährige trägt ein langes Dirndlkleid, darüber einen jägergrünen Kärtner-Janker. Von Anfang an habe sie den Haider bewundert, sagt sie. "Weil er für unsere Leut' da war." Die Geschichten sprudeln nur so aus ihr heraus, wie die über die arme Frau, der der Landeshauptmann geholfen habe, mit Tausenden von Euro, einfach so, aus seiner Tasche. Nur ein paar Gespräche an der Gedenkstätte und schon hört man Dutzende solcher Geschichten, die sich offensichtlich mündlich verbreitet haben. Jeder hat etwas gehört vom Haider und mit jeder Geschichte ähnelt er mehr einer Sagenfigur, in der Version seiner Fans: einem Robin Hood Kärntens.

Wer nicht zu "unseren Leuten" gehört, um die sich Haider gekümmert hat, sagt Ganz unverblümt: die Slowenen, die in Kärnten eine verschwindend kleine Minderheit bilden - und ein historisches Feindbild, das bis heute nachwirkt. Haider wusste es zu bedienen. An der Gedenkstätte mit dem Marterl, der lebensgroßen Haider-Pappfigur, den Gedenktafeln und der Justitia-Statue, liegt auch ein Kranz vom "Kärtner Abwehrkämpferbund", der an den bewaffneten Kampf gegen die Slowenen nach dem Ersten Weltkrieg erinnern will.

Marianne Ganz muss sich immer wieder unterbrechen, einige Autos brausen in Armlänge an der alten Frau vorbei. Hunderte Grabkerzen säumen den Bürgersteig vor der Gedenkstätte. Ein Etikett klebt auf den Kerzen, darauf ein Foto von Haider, darüber ein Schriftzug in Fraktur: "Landesfürst Dr. Jörg Haider". Und unter dem Foto: "10. Todestag 11.10.2018 - Wahrheit für Jörg!"

Explosionen, Schusslöcher, K.o.-Tropfen

Was denn die Wahrheit ist, weiß Marianne Ganz nicht, auch nicht all die anderen, die sich ins Gespräch einmischen, einige zeternd, einige ruhig, einige nachdenklich. In einem Punkt sind sich alle einig: Die offizielle Version ist es nicht. Auf jeden Fall Fremdverschulden. Vielleicht K.-o.-Tropfen. Oder sogar ein Attentat. Haider sei zu mächtig gewesen, habe zu viel gewusst.

Ganz berichtet von einer Zeugin, die eine Explosion gesehen haben will. Die habe man ruhiggestellt. Ein Mann im roten Pullover demonstriert an einer Betonkante, welchen Schaden so ein VW Phaeton überhaupt nehmen könne bei einem Aufprall. Er geht kurz, kommt wieder, deutet auf ein paar Fotos, die jemand auf ein Plakat gedruckt hat: Da sehe man, dass etwas nicht stimme mit dem Wrack. Manche hätten Schusslöcher gesehen, erzählt er noch, bevor er verschwindet. Daran glaube er nicht, sagt später ein anderer. Er habe das analysiert - er formuliert das wirklich so -, da habe sich ein Bauzaun ins Auto gebohrt.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erhält von Haiders Witwe Claudia die Jörg-Haider-Medaille.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erhält von Haiders Witwe Claudia die Jörg-Haider-Medaille.

(Foto: dpa)

Wenn die Polizei den Fall noch einmal aufrollen wollte, hier hätte sie jedenfalls genug Hinweise gefunden und etliche Unfallsachverständige noch dazu. Besonders eifrig suchen die "Fall Haider Freunde" nach der "Wahrheit für Jörg" - eine Gruppe, die sich auch um die Pflege der Gedenkstätte kümmert, sich aber nicht zu erkennen gibt und auf Anfrage nicht mit der Presse reden will. Dafür lässt sie Tafeln sprechen, die sie inmitten der Kerzen aufgestellt hat. Von "einem Eindruck von Manipulation und Vertuschung" schreibt man dort, den die offiziellen Ermittlungen bei ihnen hinterlassen würden. Von offenen Fragen. Etwa: "Warum wird der Unfallwagen bis heute nicht gezeigt?"

"Schon fast Heiligenverehrung"

Eine Frage, die man Toni Schweiger stellen kann, dem Landesgeschäftsführer der FPÖ Kärnten. Der VW Phaeton befindet sich im Besitz der Partei, sie bewahrt das Wrack in einer Kiste aus Fichtenholz auf, 5,20 Meter lang, 2,10 Meter breit, 1,55 Meter hoch, an einem geheimen Ort. Gerade wurde sie geöffnet, für das Filmteam einer TV-Dokumentation, nun musste Schweiger das Auto umsiedeln. "Nach den Berichten hat eine Pilgerschaft eingesetzt, die Leute suchen danach. Und ich wollte es aus dem Schussfeld der Journalisten holen." In österreichischen Zeitungen wurde er mit den Worten zitiert, für eine nochmalige Untersuchung würde die Partei das Auto freigeben. Das klingt Schweiger, dem Politfunktionär, dann aber doch zu nah an den Wahrheitssuchern aus Lambichl.

"Im Moment gibt es keine Pläne für das Auto", sagt er. Von den Funktionären der Partei glaube keiner an ein Attentat. "Das Thema ist abgehakt. Ich kenne die Strecke, der Unfall ist erklärbar." Schweiger trägt Kärntner Tracht an diesem Tag. Gemeinsam mit Hunderten geladenen Gästen besucht er das Gedenken im Bärental an Haiders Grab. Es steht im Zeichen einer politischen und persönlichen Versöhnung: 2005 hatte der Übervater seine FPÖ verlassen und seine eigene Partei gegründet, das BZÖ, eher ein Wahlverein, eine Haider-Bewegung. Sein Ziehsohn Heinz-Christian Strache, der Haider einst bewundernde Briefe geschrieben hatte, übernahm die FPÖ und keilte fortan gegen den "Judas", dem er live im Fernsehen das Du-Wort entzog. Kurz vor der Todesfahrt sprachen sich die Alpha-Tiere aus.

Nun empfing Strache am Rande des Gedenkens die "Jörg-Haider-Medaille" und nahm seinerseits den "unvergesslichen Doktor Jörg Haider" wieder in die "freiheitliche Familie" auf. Vielleicht auch taktisch ein kluger Schachzug, mit dem sich das politische Erbe Haiders in Wählerstimmen ummünzen lässt.

Der bekannte Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer hat zwar die Ära Haider in Kärnten im März nach dem Sieg des Sozialdemokraten Peter Kaiser bei den Landtagswahlen für beendet erklärt, weil es "nur noch ein kleines Grüppchen Hardcore-Fans" gebe. Es könnte aber ein vorschnelles Urteil gewesen sein. In Umfragen vor der Wahl sagten 36 Prozent der Befragten, sie würden noch immer Haider wählen. "Das grenzt schon fast an Heiligenverehrung", sagte der Studienautor damals. Wäre er gestern in Lambichl und im Bärental gewesen, er hätte es pointierter formuliert.

Quelle: ntv.de

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