Kompass im Kopf: Haie orientieren sich mit ihrem magnetischen Sinn im Ozean

Der «sechste Sinn» von Haien hat Wissenschafter seit Jahrzehnten fasziniert. Nun zeigt ein Experiment, dass Haie das Magnetfeld der Erde nutzen, um ihre Position im Ozean zu bestimmen.

Sabrina Weiss
Drucken
Der Allesfresser: Der Schaufelnasen-Hammerhai lebt in tropischen Küstengewässern und hat eine Vorliebe für Seegras, Krebse und Mollusken.

Der Allesfresser: Der Schaufelnasen-Hammerhai lebt in tropischen Küstengewässern und hat eine Vorliebe für Seegras, Krebse und Mollusken.

Ken Lucas / Imago

Wenn das offene Meer vor der amerikanischen Ostküste im Herbst abkühlt, beginnt für Schaufelnasen-Hammerhaie eine lange Reise. Sobald die Temperatur des Wassers unter 21 Grad sinkt, schwimmen die Haie los. Sie schwimmen Hunderte von Kilometern südlich, in die wärmeren Mündungsgebiete rund um Florida, um dort zu überwintern. Dass die Haie jedes Jahr in dieselben seichten Gewässer wandern, wissen Biologen schon lange, doch wie die Haie den Weg dahin finden, konnten sie bisher nur vermuten.

Meeresschildkröten kehren zum Nisten bekanntlich an den Strand zurück, an dem sie selbst geschlüpft sind. Dafür setzen sie einen aussergewöhnlichen Sinn ein. Sie nehmen die Intensität und den Neigungswinkel der magnetischen Feldlinien war, die die Erde umhüllen. So können die Schildkröten ihre Position im weiten Ozean bestimmen. Nun gibt es die ersten handfesten Beweise dafür, dass auch Haie auf ihren langen Wanderungen durch den Ozean das Magnetfeld der Erde nutzen.

Technik enträtselt die Geheimnisse der Tierwanderungen

In den letzten Jahrzehnten sind Forscher immer innovativer und kreativer geworden, wenn es darum ging, das Migrationsverhalten von Tieren zu untersuchen. Mittlerweile setzen sie Drohnen, Satelliten, GPS-Tracker ein oder führen chemische Analysen an tierischem Gewebe durch. Forscher vergleichen auch Bilder, die Taucher von Haien, Rochen oder anderen Meerestieren gemacht haben, um einzelne Tiere wiederzuerkennen und so deren Wanderung zwischen Korallenriffen zu bestätigen.

Es ist eine Sache, nachzuweisen, dass Tiere von A nach B migrieren. Weitaus schwieriger ist, nachzuvollziehen, wie sie dorthin gelangen, wenn die Forscher die Tiere nicht selbst unter Wasser begleiten können.

Es war bereits bekannt, dass Haie hochempfindlich auf elektrische Felder reagieren und über einen «sechsten Sinn» verfügen. Mit ihren Sinnesorganen unter der Haut am Kopf, den sogenannten Lorenzinischen Ampullen, nehmen Haie elektrische Spannungen wahr. Diese Spannungen werden etwa vom Herzschlag oder von den Muskeln flüchtender Fische erzeugt. Deshalb spekulierten Wissenschafter lange, dass Haie auch das Magnetfeld der Erde zur Navigation nutzen. Die Herausforderung bestand jedoch darin, diese Theorie an Haien zu testen.

Erste Versuche mit wilden Haien

Bryan Keller und seine Kollegen von der Florida State University griffen für ihr Experiment auf Spulen, GoPro-Kameras und 20 junge Haie zurück, die sie in freier Wildbahn gefangen hatten. «Um ehrlich zu sein, bin ich überrascht, dass es funktioniert hat», sagt Keller. Der Biologe arbeitete für dieses Forschungsprojekt mit der Save Our Seas Foundation zusammen, einer NGO, die sich für den Schutz der Ozeane einsetzt.

Für ihre Studie, die am 6. Mai in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Current Biology» publiziert wurde, legte sich die Gruppe auf Schaufelnasen-Hammerhaie (Sphyrna tiburo) fest. Erstens sind diese mit ihrer Durchschnittsgrösse von einem Meter klein genug für Versuche im Labor. Zweitens wandern sie jedes Jahr zwischen bestimmten Gebieten. «Dies bedeutet, dass die Haie wissen, wo sich ihr ‹Zuhause› befindet, und dass sie von einem entfernten Ort dorthin zurückkehren können», sagt Keller.

Ein junger Schaufelnasen-Hammerhai schwimmt in einem Becken und reagiert auf die magnetisch geladenen Spulen.

Bryan Keller / Save Our Seas

Um zu testen, ob Hammerhaie ihre langen Wanderungen mithilfe von magnetischen Feldlinien zuwege brachten, setzten die Forscher die 20 Haie in individuelle Becken. Mit Spulen bildeten sie die magnetischen Bedingungen von Gebieten entlang der amerikanischen Ostküste nach und platzierten die Spulen in den Becken.

Dabei wurden unter anderem folgende zwei Annahmen getestet: Die Haie schwimmen gegen Norden, sobald sie den magnetischen Bedingungen von einem 600 Kilometer südlich gelegenen Gebiet ausgesetzt werden, einem Gebiet, in dem sie in der Natur nicht vorkommen. Und: Die Haie schwimmen in unveränderter Richtung weiter, wenn sie den Bedingungen ausgesetzt werden wie jenen um Florida, dem Gebiet, das sie zum Überwintern aufsuchen und in dem sie für das Experiment gefangen worden waren.

Die Annahmen erwiesen sich tatsächlich als richtig. Die Haie reagierten auf die magnetischen Spulen oder eben nicht. Dadurch war bewiesen: Haie nehmen die magnetischen Bedingungen also nicht nur wahr, sie reagieren darauf, indem sie unter Umständen die Schwimmrichtung ändern.

Das GPS der Natur

Die Ergebnisse dieses Versuchs erklären möglicherweise das Migrationsverhalten von anderen Haiarten. Zum Beispiel wurde dokumentiert, dass 2003 ein weiblicher Weisser Hai namens Nicole 11 000 Kilometer von Südafrika nach Australien geschwommen war und im folgenden Jahr am genau gleichen Ort in Südafrika wieder auftauchte. «Es ist wirklich irre. In einer Welt, in der Menschen fast überall mit GPS navigieren, ist diese Fähigkeit wirklich bemerkenswert», sagt Keller.

Forscher hatten vor der damaligen Reise einen Satellitensender an der Rückenflosse des Hais angebracht, und dieser zeigte: Nicole schwamm mehrheitlich nah an der Oberfläche, als sie den Indischen Ozean durchquerte. Aufgrund dieser Beobachtung wurde spekuliert, dass Haie visuelle Hinweise wie den Standort der Sonne oder des Mondes verwenden, um zu navigieren. Diese Hypothese wurde bisher nicht belegt.

Für Keller von der Florida State University ist klar: Das Erdmagnetfeld ist das GPS der Natur. Nun stellt er sich die Frage, ob Haie sich auch in ihrem täglichen Verhalten an magnetischen Signalen orientieren und nicht nur, wenn sie über lange Strecken schwimmen. Keller plant zudem, zu erforschen, ob die elektrischen Spannungen von Kabeln, die auf dem Ozeanboden verlegt sind und Kontinente verbinden, einen Einfluss auf Haie haben. Dass Haie die Kabel zumindest wahrnehmen, hat sich schon gezeigt. Sie beissen diese immer wieder an.

Mehr von Weiss Sabrina (ina)