Datenanalyse

Mehr als als eine Milliarde Menschen sind fettleibig – auch in Europa werden es immer mehr

1990 waren vor allem Erwachsene betroffen, nun sind es auch Millionen von Kindern. Wie sieht es in der Schweiz und Deutschland aus?

Stephanie Lahrtz, Florian Seliger 4 min
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Bewegungsmangel ist eine der Ursachen von Fettleibigkeit. Ein Mitglied der kubanischen Gruppe «Danza Voluminosa» übt in Havanna.

Bewegungsmangel ist eine der Ursachen von Fettleibigkeit. Ein Mitglied der kubanischen Gruppe «Danza Voluminosa» übt in Havanna.

Franklin Reyes / AP

Übergewicht ist ein globales und stetig zunehmendes Problem. 2022 waren 504 Millionen Frauen und 374 Millionen Männer so stark übergewichtig, dass sie als fettleibig, sprich adipös eingestuft wurden. Das sind fast viermal so viele Menschen wie vor dreissig Jahren. Auch bei Kindern und Jugendlichen ist der Trend zu sehr vielen Kilos angekommen. 1990 waren 31 Millionen fettleibig und damit nur rund 2 Prozent aller 5- bis 19-Jährigen. Nun sind es bereits fast 7 Prozent der Mädchen und über 9 der Jungen, insgesamt 220 Millionen. Damit sind die Zunahmeraten bei Kindern und Jugendlichen sogar noch grösser als bei den Erwachsenen.

Immer mehr fettleibige Frauen und Männer

Anteil der erwachsenen Frauen und Männer mit Fettleibigkeit an allen erwachsenen Frauen bzw. Männern weltweit, Schätzwerte in Prozent
Frauen
Männer

Die Daten wurden am Freitag in der Fachzeitschrift «The Lancet» präsentiert. Forscher haben anhand von 3663 Studien aus 200 Ländern die Daten nach den gleichen Kriterien ausgewertet. Die Untersuchungen umfassen den Zeitraum von 1990 bis 2022.

Erfasst wurden Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 und mehr. Erwachsene gelten dann als adipös. Ein Beispiel: Dies ist ein 1 Meter 80 grosser Mann ab einem Gewicht von 98 Kilogramm beziehungsweise eine 1 Meter 70 Meter grosse Frau mit mehr als 87 Kilogramm. Bei Kindern gelten altersabhängige Werte. Ab einem BMI von 25 ist man übergewichtig, so die Definition der Weltgesundheitsorganisation. Da in den Statistiken der Studie nur adipöse Personen eingeschlossen wurden, ist die Zahl von zu schweren Menschen und damit das weltweite Problem von zu viel Übergewichtigen sogar noch grösser.

Fettleibigkeit ist nicht nur ein kosmetisches oder ästhetisches Problem, sondern sie verursacht und verschlimmert zahlreiche Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Entzündungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die derzeitige globale Adipositas-Epidemie ist somit ein enormes medizinisches wie auch ein ökonomisches Problem.

Den höchste Anteil von fettleibigen Personen an der Bevölkerung, also die höchste Prävalenz, haben Inselgruppen wie Tonga oder Samoa in Polynesien. Dort sind mehr als 60 Prozent der Menschen stark übergewichtig. Aber auch in der Karibik und im Mittleren Osten, beispielsweise in Katar oder Brunei, schleppen ähnlich viele Menschen zu viele Kilos mit sich herum. In der USA sind mittlerweile fast 44 Prozent der Frauen, 42 Prozent der Männer und jedes fünfte Kind fettleibig.

In Europa sieht es – noch – etwas besser aus. Doch Grossbritannien, Irland, Grönland, aber auch Griechenland oder Malta weisen eine Prävalenz von 27 bis 36 Prozent adipösen Erwachsenen und 8 bis 14 Prozent bei den unter 20-Jährigen auf. Für die nordischen Staaten wurden Werte zwischen 11 und 24 Prozent ermittelt. Italien und Spanien melden Werte unter 20 Prozent bei den Erwachsenen. Den geringsten Anteil an Adipösen hat Frankreich mit 10 Prozent bei den Erwachsenen und 4 bei den Kindern und Jugendlichen. Vielerorts hat sich der Anteil in den vergangenen dreissig Jahren verdoppelt.

Die Schweiz steht vergleichsweise gut da. So sind gemäss der Studie «nur» 10 Prozent der Frauen, 15 Prozent der Männer und 6 bis 7 Prozent der Mädchen und Buben deutlich zu schwer. Das bedeutet allerdings, dass mehr als eine Million Menschen in der Schweiz fettleibig sind. Auch hierzulande gab es innert dreissig Jahren eine erhebliche Zunahme bei Männern und ungefähr eine Verdopplung bei den Kindern und Jugendlichen. Immerhin hat sich dieses Wachstum, ebenso wie in Deutschland, in letzter Zeit stark verlangsamt.

In der Bundesrepublik gibt es fast 18 Millionen Fettleibige. Fast jede fünfte Frau hat einen BMI über 30 und sogar 23 Prozent der Männer. Vor dreissig Jahren waren es nur halb so viele. Auch bei den Buben gab es in diesem Zeitraum fast eine Verdopplung, mittlerweile ist jeder zehnte fettleibig. Hingegen gab es bei den Mädchen keine Veränderung, der Wert stagniert bei 7 Prozent.

Sehr wenige Fettleibige, jeweils weniger als 10 Prozent in allen Gruppen, gibt es in Japan und Südkorea, aber auch in China und Indien. Allerdings steigen die Werte auch hier teilweise sogar stark an.

Man habe in der Studie nicht nach den Ursachen der Gewichtszunahmen geforscht, betonen die Autoren. Das hätte den Rahmen gesprengt. Aber es gebe einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Veränderungen im Essverhalten und beim Lebensstil und der Fettleibigkeit, betonen sie. So nähmen die Menschen in sehr vielen Ländern immer mehr Kalorien zu sich, würden mehr tierische Produkte, mehr Zucker und mehr verarbeitete Lebensmittel konsumieren als vor 1990. Zudem würden sich viele Menschen weniger bewegen als früher.

Die gute Nachricht: Unterernährung nimmt ab

Übergewicht und Fettleibigkeit schaden oftmals doppelt. Sie sind nämlich keine Anzeichen dafür, dass die Betroffenen ausreichend mit allen nötigen Nährstoffen und Vitaminen versorgt sind. Denn in der Regel sammelt man die unnötigen Kilos durch ungesundes Essen, das fett- und kalorienreich ist, aber sonst nicht viel enthält. Fettleibigkeit ist daher medizinisch gesehen eine Form von Mangelernährung. Die andere ist Untergewicht. In der Alltagssprache spricht man dann von Unterernährung.

Viel weniger Menschen sind unterernährt

Anteil der erwachsenen Frauen und Männer mit Untergewicht an allen erwachsenen Frauen bzw. Männern weltweit, Schätzwerte in Prozent
Frauen
Männer

Diese nimmt gemäss der neuen Studie weltweit ab. Bei Erwachsenen hat sich die Anzahl unterernährter Personen halbiert, bei Mädchen ist sie um ein Fünftel, bei Buben um ein Drittel zurückgegangen. Vor allem in Ländern in Afrika und Südasien grassiert Unterernährung nach wie vor. Hier ist es eine Folge der Armut.

Eine besorgniserregende Ausnahme ist Japan. Dort nimmt nämlich der Anteil an untergewichtigen Frauen seit einigen Jahren zu. 2022 waren 16 Prozent der Frauen untergewichtig, das sind mehr als in Indien. Vermutlich seien Schönheitsideale und generell gesellschaftlicher Druck die Ursachen, so die Autoren der Studie.