In Japan ist Heidi ein Star der Pop-Kultur, in Zürich fristet sie ein Mauerblümchendasein. Damit soll es jetzt vorbei sein

Die Kinderbuchfigur und ihre Schöpferin erhalten in Zürich bald mehr Aufmerksamkeit. Dafür sorgt auch ein prominenter Botschafter.

Isabel Heusser 4 min
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Die Japaner lieben Heidi: eine Szene aus dem Heidi-Anime von 1974 mitsamt Geissenpeter und dem Bernhardiner Joseph. Der Hund wurde für die Serie dazu erfunden.

Die Japaner lieben Heidi: eine Szene aus dem Heidi-Anime von 1974 mitsamt Geissenpeter und dem Bernhardiner Joseph. Der Hund wurde für die Serie dazu erfunden.

Imago

Die wohl berühmteste weibliche Romanfigur der Schweiz ist ein Waisenmädchen, und es hat Fans bis nach Asien. Besonders in Japan ist Heidi ein Phänomen der Pop-Kultur, in den siebziger Jahren war sie der Star einer Fernsehserie im Anime-Stil, sie ziert Mangas, die Heidi-Bücher wurden unzählige Male neu aufgelegt.

Heidi, das einfache, natürliche Mädchen mit einem reinen Herzen und Kulleraugen, das bei seinem Grossvater in der idyllischen und unberührten Bergwelt aufwächst, prägt im Ausland bis heute das Bild der Schweiz. Eine romantische Verklärung, die vielen Schweizerinnen und Schweizern eher unangenehm ist.

Hierzulande wird Heidi vor allem touristisch vermarktet. Am Zürcher Flughafen ist sie die Botschafterin in der Skymetro, der unterirdischen Bahn, die das Flughafengebäude mit dem Dock E verbindet.

Gleich eine ganze Region bewirbt sich als Heidiland: Bad Ragaz, das Taminatal, das Gebiet Pizol, Flumserberg, die Region Walensee und die Bündner Herrschaft. Dort, in Maienfeld, lebte die Romanfigur Heidi auf einer Alp. Touristen können einen Rundgang machen durch das «Heididorf» mitsamt Alphütte und Dorfschule, Alpöhi-Schnitzkursen und Kräuterheilkunde.

In ihrer literarischen Heimat hingegen, in Zürich, ist es noch nicht weit her mit der Heidi-Vermarktung. Dabei hat ihre Schöpferin, die Schriftstellerin Johanna Spyri, ihre Heidi-Bücher in der Stadt geschrieben. Immerhin hat die Stadt eine Strasse, einen Platz und einen Steig nach Spyri benannt. Und auf dem Hirzel ob der Zürichsee-Gemeinde Wädenswil gibt es ein Johanna-Spyri-Museum, das mit viel Freiwilligenarbeit betrieben wird.

Eine chinesische Ausgabe aus dem Jahr 1970.

Eine chinesische Ausgabe aus dem Jahr 1970.

Heidi-Archiv Zürich, Heidiseum-Stiftung

Und in Zürich werden zwei bedeutende Sammlungen unterhalten und von der Universität begleitet: das Johanna-Spyri-Archiv sowie das Heidi-Archiv mit über 1000 Dokumenten wie Originalausgaben, Comics und Kinoplakaten. Beide wurden letztes Jahr in das Unesco-Register «Memory of The World» aufgenommen. Es hat zum Ziel, historische Dokumente zu erhalten und sie für die Nachwelt verfügbar zu machen.

«Keine Knieprobleme wie Roger Federer»

Die Aufnahme ist allein deshalb bemerkenswert, weil von den bis heute über 400 registrierten Dokumenten bisher erst 5 in direktem Zusammenhang mit Frauen standen. Als das EDA die frohe Botschaft auf Instagram auf seinem Account «About Switzerland» verkündete, brachen vor allem internationale Follower in Begeisterungsstürme aus und schilderten in den Kommentaren ihre Erinnerungen an Heidi.

Heidi gehört nun also offiziell zum Weltkulturerbe. Doch gerade im links-urbanen Umfeld in Zürich findet Heidi als Weltliteratur, gelinde gesagt, wenig Beachtung. Zu Unrecht, wie Hans Peter Danuser findet. Für den ehemaligen langjährigen Kurdirektor von St. Moritz ist Johanna Spyri eine der ersten Feministinnen der Schweiz: als Frau, die Ende des 19. Jahrhunderts zur Bestsellerautorin wurde, obwohl sie bis zu ihrem 44. Lebensjahr keinen einzigen Text veröffentlicht hatte.

Danuser kann getrost als Heidi-Botschafter betrachtet werden. Schliesslich war er es, der die Marke «Heidiland» einst in Japan kreierte und schützen liess, damals noch für das Engadin. Heute ist er Stiftungsrat des Heidiseums in Zürich. Dieses hat es sich zum Ziel gemacht, das literarische Lebenswerk von Johanna Spyri zu würdigen und Heidi als Kulturerbe zu bewahren – mit Forschung, Projekten und Ausstellungen in der ganzen Welt.

Die erste Heidi-Illustration von Friedrich Wilhelm Pfeiffer, autorisiert von Johanna Spyri.

Die erste Heidi-Illustration von Friedrich Wilhelm Pfeiffer, autorisiert von Johanna Spyri.

Heidi-Archiv Zürich, Heidiseum-Stiftung

Danuser sagt, im Ausland habe Heidi ein gutes Image. In der Schweiz aber sei sie wie Micky Maus, eine Kinderfigur. Dabei sei sie eine perfekte Botschafterin, «und sie hat keine Knieprobleme wie Roger Federer».

Heidi-Zentrum mit Selfie-Spot

Deshalb soll Heidi nun endlich die Ehre zuteilwerden, die ihr gebührt: mit einem Heidi Heritage Center. In Zürich plant das Heidiseum auf rund 350 Quadratmetern ein multimediales Zentrum für ein breites, internationales und junges Publikum. Einen Ort, an dem wichtige Dokumente und Artefakte aus dem Heidi-Archiv gezeigt werden.

Aber nicht in einem museal-verstaubten Umfeld, sondern unter anderem mit einem Raum, in dem die Ausstellungsstücke mit Videoprojektionen zum Leben erweckt werden. Als Vorbild dient etwa die 2015 in Kassel eröffnete «Grimmwelt», die sich dem Leben und Werk der Brüder Grimm widmet. Wo genau das Zentrum in Zürich erstellt werden soll, steht noch nicht fest, auch die Kosten sind unklar.

«Very instagrammable» soll das Ganze jedenfalls werden, darum darf ein Selfie-Spot nicht fehlen. Immerhin hat dieser einen literarischen Anspruch: Die Besucherinnen und Besucher können sich in einem virtuellen unendlichen Besucherturm ablichten lassen.

Johanna Spyri (1827–1901) schrieb die Heidi-Bücher in der Stadt Zürich.

Johanna Spyri (1827–1901) schrieb die Heidi-Bücher in der Stadt Zürich.

Zentralbibliothek Zürich

Heidi, sagt Peter Büttner, sei wie ein ungeschliffener Diamant, der für die Schweiz interessant gemacht werden solle. Der Literatur- und Kulturwissenschafter ist Präsident des Heidiseums und hat einen ganz speziellen Bezug zur Romanfigur: Büttner ist ein Urenkel des Kunstmalers Friedrich Wilhelm Pfeiffer, der 1880 die ersten Zeichnungen für Johanna Spyri schuf, darunter auch solche von Heidi.

Dass das Mädchen aus den Bergen im Ausland mehr Beachtung findet als in der Schweiz, ist Büttner gewohnt. Allein letztes Jahr ist er vier Mal nach Japan gereist, er hat unter anderem Yoichi Kotabe getroffen, den Charakterdesigner der japanischen Heidi-Filme, der auch die Pokémon-Filme mitgestaltete oder die Super-Mario-Figuren von Nintendo. 2025 wird Heidi in Japan der Star im Schweizer Pavillon an der Expo in Osaka sein.

«Heidi kann so viele Emotionen freisetzen», sagt Büttner. «Jeder von uns hat eine Heidi-Erinnerung.» Er hofft darauf, dass mit dem neuen Zentrum in Zürich explizit auch das hiesige Publikum einen neuen, frischen Zugang zum Schweizer Kulturerbe bekommt.

Und beim Namen Heidi nicht als Erstes an ein deutsches Model denkt.