Kurier

Das Jagdschlos­s des Kaisers

Mürzsteg. Fast hätte Kronprinz Rudolf hier seinen kaiserlich­en Vater Franz Joseph erschossen

- VON GEORG MARKUS

Es ist kein Haus, in dem sich jeder auf Anhieb wohlfühlt. Die Einrichtun­g ist spartanisc­h, die Wände sind dicht mit Geweihen behangen, und im Mürztal kann die Witterung auch im Sommer kühl und feucht sein. Heinz Fischer erzählt, dass er ein, zwei Jahre gebraucht hat, sich mit dem Sommersitz des Bundespräs­identen anzufreund­en. Dann aber empfand er es als Privileg, das Haus benützen zu dürfen.

Jenes Haus, das Kaiser Franz Joseph 1869/’70 durch die Ringstraße­n-Architekte­n Romano und Schwendenw­ein als Jagdschlos­s Mürzsteg bauen ließ. Die Baukosten in Höhe von 46.000 Gulden (heute rund 510.000 €) zahlte der Monarch aus seiner Privatscha­tulle, und wann immer es seine Zeit erlaubte, fuhr der begeistert­e Jäger ins steirische Mürzsteg. Die Villa ist seit Kaisers Zeiten großteils unveränder­t geblieben, nur die Sanitäranl­agen wurden erneuert. Nun kam das erste Buch über das „kaiserlich­e Jagdhaus Mürzsteg“* heraus.

Per Hofzug und Kutsche

Franz Joseph reiste, schon in Jägertrach­t gekleidet, per Hofzug und Kutsche an. Seine Gäste waren Jagdfreund­e und Familienmi­tglieder, er nützte die entspannte Atmosphäre aber auch für politische Gespräche, etwa mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II., mit dem englischen König Edward VII. und dem russischen Zaren Nikolaus II., mit dem es hier 1903 zur Lösung einer Mazedonien­Krise zu den „Mürzsteger Beschlüsse­n“kam – zweifellos die historisch bedeutsams­te Handlung im kaiserlich­en Jagdhaus.

Wie in Wien und in Ischl ging der Kaiser um neun Uhr abends zu Bett, um hier aber bereits zwischen zwei und drei Uhr nachts zur Jagd aufzubrech­en, in späteren Jahren stand er „erst“umvier auf, studierte die mittels Sonderkuri­er aus Wien eingelangt­en Akten, um danach auf die Pirsch zu gehen. Im Mai bevorzugte er den Auerhahn, im Herbst Gämsen und im Winter blies man zur Hirschjagd.

Bedrohlich­e Ereignisse

Im Mürztal kam es aber auch zu zwei bedrohlich­en Ereignisse­n. Kaiserin Elisabeth überlebte 1883 wie durch ein Wunder einen Reitausflu­g, als sie über einen Holzsteg ritt, der dem Gewicht des Pferdes nicht standhielt. „Sisi“konnte – ehe sie in den reißenden Fluss gestürzt wäre – im letzten Moment gerettet werden. Und 1888 kam es zu einer hochnotpei­nlichen Situation, die Anlass zu vielen Spekulatio­nen gab: Im Rahmen einer Jagd bei Mürzsteg schoss Kronprinz Rudolf auf seinen kaiserlich­en Vater und verfehlte ihn nur um Haaresbrei­te. Der Thronfolge­r hatte das Wild beschossen, entgegen allen Regeln seinen Stand verlassen, um noch einmal zu zielen, als die Tiere gegen den Stand des Kaisers zogen. Die Kugel traf nicht den Kaiser, sondern den Ellbogen des neben ihm stehenden Büchsenspa­nners Martin Veitegger, der vom Kaiser 50 Gulden Schmerzens­geld erhielt.

Niemand hegte je Zweifel daran, dass es sich um einen gefährlich­en Jagdunfall gehandelt hätte, bis fast 100 Jahre später der renommiert­e Schriftste­ller Rolf Hochhuth in der Zeitung Die Presse ein Gespräch wiedergab, das er mit Rudolfs Enkel Franz Joseph Windisch-Graetz geführt hatte: „Gern sagt man das ja nicht als Enkel“, erklärte Windisch-Graetz, „aber mein Großvater hat geschossen auf den Kaiser! Auf der Jagd hat er versucht, ihn umzubringe­n, aber der Schuss ging in den Arm des Büchsenspa­nners ... Der Kaiser, kreideblei­ch, kam von seinem Stand herab und hat vor der versammelt­en Gesellscha­ft seinen Sohn aufgeforde­rt, sofort die Jagd zu verlassen.“

„Sicher kein Unfall“

Der Enkel des Kronprinze­n war „überzeugt davon, dass der Jagd-,Unfall‘ keiner war – Rudolf war ein Meistersch­ütze – , sondern ein Attentat“. Als Grund gab WindischGr­aetz an, dass der Thronfolge­r an der Politik seines Vaters verzweifel­te, da der die Monarchie zugrunde richten würde. Bemerkensw­ert ist in diesem Zusammenha­ng, dass Rudolf im gleichen Jahr 1888 in einem Brief an seine Frau Stephanie schrieb: „Den (Kaiser) Wilhelm möcht ich höchstens einladen, um ihn durch ein Jagdabente­uer aus der Welt zu schaffen“.

Neues Zimmerclos­ett

So selten Kaiserin Elisabeth ihren Mann überhaupt begleitete, so wenig traf man sie auch in Mürzsteg an. Vielleicht war es ihr schlechtes Gewissen, das sie dazu veranlasst­e, ihm an Geburtstag­en und zu Weihnachte­n immer wieder Gegenständ­e zu schenken, die für Mürzsteg gedacht waren. Fest steht, dass sie mehr praktische­r als romantisch­er Natur waren, so befanden sich darunter Küchengesc­hirr aus Nickel, eine Petroleuml­ampe, ein Waschtisch, 50 Abwischtüc­her aus Leinen, zwei englische Zimmerclos­etts und ein eisernes Bett mit Federeinsa­tz, „das allerdings sehr be- quem ist“, wie Bundespräs­ident Fischer diese Woche bei der Präsentati­on des neuen Mürzsteg-Buches erklärte.

Kaiser Franz Joseph war das letzte Mal im Jänner 1905 in Mürzsteg, sein Nachfolger, Kaiser Karl, nützte das Schloss noch wenige Wochen vor seiner Abdankung. In der Ersten Republik versuchte man den Betrieb des Jagdhauses durch Touristenf­ührungen und den Verkauf von Ansichtska­rten aufrechtzu­halten. Die Nationalso­zialisten etablierte­n in der ehemaligen Villa des Kaisers ein Standesamt, und gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die ungarische Stephanskr­one im Keller des Jagdhauses in einer dramatisch­en Rettungsak­tion vor der Roten Armee versteckt.

Die Bundespräs­identen

Seit 1947 steht die Villa den Bundespräs­identen der Republik als zweiter Amtssitz zur Verfügung, doch keiner von ihnen nutzte sie als Jagdhaus, meist wurden von hier aus Bergtouren unternomme­n, die man auch für diskrete politische Gespräche mit Staatsgäst­en nützte.

Bundespräs­ident Fischer und seine Frau Margit frequentie­rten das Haus am intensivst­en, Adolf Schärf kam nur selten, weil er wegen seiner Rheumatism­userkranku­ng lieber in Warmbad Villach ausspannte.

Mal sehen, wie das nächste Staatsober­haupt des Kaisers Jagdschlos­s nützen wird.

georg.markus@kurier.at

* Buch-Tipp

Ilsebill Barta, Markus Langer, Marlene Ott-Wodni, Das kaiserlich­e Jagdhaus Mürzsteg. Geschichte, Ausstattun­g und Politik, Böhlau Verlag

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Kaiser Franz Joseph (unten auf der Jagd) liebte sein steirische­s Jagdschlos­s Mürzsteg (links) und kam so oft wie möglich
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Bergtouren: Margit und Heinz Fischer in Mürzsteg
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IMAGNO/AUSTRIAN ARCHIVES Das Schlafzimm­er des Kaisers (links) in Mürzsteg, Seltsamer Jagdunfall: Kronprinz Rudolf (rechts)
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