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Die letzten Monate der Anne Frank in Bergen-Belsen

Anne Frank - Millionen kennen ihr Tagebuch. Über ihre letzten Monate wissen wir wenig. 70 Jahre nach ihrem Tod suchen Historiker nach Spuren.

Die letzten Monate der Anne Frank in Bergen-Belsen
Die letzten Monate der Anne Frank in Bergen-Belsen

Der 4. August 1944 ist ein sonniger Tag. Kurz nach 10 Uhr hält ein Auto an der Prinsengracht 263 in Amsterdam. SS-Oberscharführer Karl Josef Silberbauer und holländische Polizisten in Zivil steigen aus. Ihr Ziel: Das Hinterhaus. Verborgen hinter einem Bücherregal führt eine steile Stiege ist das Versteck von acht Menschen. Darunter auch das jüdische Mädchen Anne Frank.

Drei Tage vor dem Verrat und der Verhaftung hatte die 15-jährige Anne zum letzten Mal in ihr Tagebuch geschrieben. Etwa sechs Monate später ist sie tot. Sie stirbt im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Flecktyphus, nur wenige Wochen vor der Befreiung am 15. April 1945.

Über das Leben im Versteck wissen wir viel - durch Annes Tagebuch. Doch was in den Monaten nach der Verhaftung geschah, ist kaum bekannt. Im Auftrag der Amsterdamer Anne-Frank-Stiftung machten sich jetzt die beiden niederländischen Historiker Erika Prins und Gertjan Broek auf Spurensuche.

Fast alle Unterlagen wurden vernichtetDoch 70 Jahre später ist das schwierig. Zumal die deutsche Leitung des KZ Bergen-Belsen fast alle Unterlagen vernichtet hatte. Und dann hatten die britischen Soldaten nach der Befreiung alle Baracken verbrannt. Doch mit Hilfe von Archiven und Erinnerungen ehemaliger Häftlinge skizzieren die Historiker Annes letzte Monate.

Die Familie Frank wird am 3. September mit dem letzten Transport aus dem niederländischen Deportationslager Westerbork nach Auschwitz gebracht. Anne, ihre Schwester Margot und Mutter Edith werden von Vater Otto getrennt. Die Frauen leisten schwerste Zwangsarbeit, durchstehen stundenlange Zählappelle, leiden unter Hunger und Gewalt.

Am 30. Oktober müssen sie sich mit Hunderten Frauen erneut auf dem Appellplatz versammeln. Anne und Margot werden für die Zwangsarbeit in der deutschen Kriegsindustrie ausgewählt. Sie sehen ihre Mutter zum letzten Mal.

In einem Viehwaggon werden die Mädchen abtransportiert und erreichen am 3. November Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide. Es ist kalt, es regnet, die Mädchen sind viel zu dünn gekleidet. Bewaffnete Wärter mit Hunden treiben die Häftlinge an. Immer wieder fallen Schüsse.

Das Lager ist bereits übervoll. Auf dem Platz stehen Zelte ohne Licht und mit primitiver Wasserversorgung. Die Häftlinge liegen auf völlig verlausten Strohballen. Wenige Tage später zerstört ein heftiger Sturm die Zelte. Panik bricht aus. Überall liegen Tote und Verletzte.

In Bergen-Belsen treffen Anne und Margot Bekannte aus Amsterdam und früheren Lagern. Nanette Blitz zum Beispiel sieht ihre frühere Schulkameradin Anne im Dezember 1944 zufällig. "Sie war da schon ein Skelett", erinnert sie sich später. "Sie war in eine Decke eingehüllt. Sie konnte ihre eigenen Sachen nicht mehr anziehen, denn die waren voller Läuse."

Flecktyphus bricht ausImmer neue Transporte erreichen das Lager. Es gibt kaum noch Essen und Wasser. Flecktyphus bricht aus. Täglich sterben mehr als 1000 Menschen. Auch Margot und Anne werden krank, berichten Bekannte. Sie sehen im Januar 1945 die ersten Symptome: Fieber, Hautausschlag.

Doch Anne schleicht sich noch manchmal zu dem Zaun zwischen zwei Lagerteilen, wo Häftlinge Nachrichten austauschen. Dort trifft sie im Januar ihre beste Freundin aus Kindertagen: Hanneli Goslar. Hier in der grausamen Wirklichkeit von Bergen-Belsen, so erinnert sich Hanneli später, war von dem lebenssprühenden Mädchen nichts mehr übrig. "Das war nicht dieselbe Anne, die ich gekannt hatte. Das war ein gebrochenes Mädchen."

Anne leidet unter Hunger und ist davon überzeugt, dass ihre Eltern tot sind, sagt Hanneli Jahre später in einem Interview. "Ich denke immer, wenn Anne gewusst hätte, dass ihr Vater noch lebte, dann hätte sie mehr Kraft zum Überleben gehabt."

Dreimal treffen sich die Freundinnen am Zaun, sehen können sie sich wegen großer Strohballen zwischen dem Stacheldraht nicht. Einmal wirft Hanneli Anne ein kleines Päckchen zu. Wahrscheinlich sind es Lebensmittel, die Hannelis Großmutter vom Roten Kreuz bekommen hat.

Am 7. Februar endet die Spur - unwiederbringlich. Freundinnen und Bekannte werden in andere Lager geschafft.

Das Rote Kreuz stellt später den 31. März als Annes Todestag fest. Das aber ist, so die Historiker, unwahrscheinlich. Sie war im Januar bereits an Flecktyphus erkrankt, und die meisten Patienten sterben daran innerhalb von 12 Tagen.

Anne starb also vermutlich im Februar, kurz nach ihrer Schwester Margot. Genau wird man es nie wissen. Eines Tages, so erinnert sich die ehemalige Mitschülerin Rachel van Amerongen, "eines Tages waren sie einfach nicht mehr da".

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