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Israelisches Kinodrama "An ihrer Stelle" Propaganda mit Jungfrauenerotik

Der gefeierte israelische Film "An ihrer Stelle" verspricht einzigartige Einblicke in die streng abgeschottete jüdisch-orthodoxe Community. Doch hinter der keusch-kitschigen Weichzeichner-Erotik des Liebesdramas verbergen sich zweifelhafte Botschaften.
Von Kirsten Rießelmann
Israelisches Kinodrama "An ihrer Stelle": Propaganda mit Jungfrauenerotik

Israelisches Kinodrama "An ihrer Stelle": Propaganda mit Jungfrauenerotik

Foto: NFP

An Vorschusslorbeeren, mit denen dieser Film zum deutschen Kinostart bekränzt ist, herrscht kein Mangel. Im vergangenen Jahr gab es bei den Filmfestspielen von Venedig die Coppa Volpi für Hadas Yaron als beste Hauptdarstellerin. Die Israelische Film- und Fernsehakademie zeichnete so gut wie alles aus: Film, Regie, Drehbuch, Kamera, Maske, mehrere Darstellerinnen. Bei den Oscars gab es die Nominierung als bester fremdsprachiger Film. Von Göteborg über Istanbul bis Sundance - an die 20 Festivals hatten "An ihrer Stelle" ("Fill the Void") schon im Programm. Womöglich reichte bereits die zunächst spektakulär klingende Information, dass eine ultra-orthodoxe Jüdin einen Spielfilm mit ultra-orthodoxem Setting gedreht hat, als Grund für manche Einladung.

Regisseurin Rama Burshtein, geboren 1967 in New York, wandte sich selbst erst mit 26 Jahren, nach dem Abschluss ihres Filmstudiums, dem chassidischen Glauben und Leben zu. Für ihre Gemeinde in Tel Aviv drehte sie kleine Melodramen mit erzieherischem Gestus, mit Frauen besetzt, nur für Frauen gedacht und hinter verschlossener Tür vorgeführt. Dann aber ereilte sie offenbar die Erkenntnis, dass Ultraorthodoxe im Kulturleben Israels und der Welt nicht präsent sind, dass Kultur als Medium der Repräsentation also nicht gerade ihre Stärke ist. Und was ist schon das Kino, wenn man als Mann den ganzen Tag Thorastudien zu betreiben und als Frau den Haushalt, die reproduktiven Pflichten und oft auch das Geldverdienen zu besorgen hat.

Rama Burshtein sagt heute, dass sie mit ihrem Spielfilmdebüt "An ihrer Stelle" den Menschen draußen ein Fenster in die abgeschottete chassidische Welt habe öffnen wollen. Was einen überaus spannenden, authentischen Einblick in eine Lebenswelt verspricht, die mit ihren Schläfenlocken, Gebetsriemen, Kinderhorden und Perücken sogar für die allermeisten modern lebenden Israelis exotisch ist.

Eine universal gültige Liebesgeschichte?

Die Hoffnung darauf wird aber genauso enttäuscht wie jeder andere Anspruch an einen guten Film. Erzählt wird die Geschichte der 18-jährigen Shira (Hadas Yaron), die mit ihrer Familie in der im Vergleich mit Jerusalem sehr kleinen ultraorthodoxen Community von Tel Aviv lebt und bald verheiratet werden soll. Aufgeregt besichtigt sie den Kandidaten ihrer Eltern am Kühlregal im Supermarkt.

Dann aber stirbt die ältere Schwester bei der Geburt des ersten Kindes. Aus Angst, der verwitwete Schwiegersohn könne im Ausland neu heiraten und ihr das Enkelsöhnchen entreißen, will die Mutter, dass Shira statt des Supermarktkandidaten den Schwager ehelicht. In der Folge verhandelt der Film Shiras Ringen mit dem Sollen und Wollen.

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"An ihrer Stelle": Begehren kommt von gehorchen

Foto: NFP

Zunächst sträubt sie sich. Dann aber erwacht das Begehren. Und der Film scheut keine klischierte Bebilderung: Weichzeichner allenthalben, keusch niedergeschlagene Lider, nervöses Lippenkauen, der Schwager, wie er sich im Close-up mit der Zunge die Lippen befeuchtet. Sich seine aufkeimende Verliebtheit einzugestehen, dafür braucht der brave Teenager mehrere Anläufe, aber am Schluss gibt der wohlmeinende Rabbi den richtigen Anstoß, und mit einem geflüsterten "Mazel Tov!" kommt es zum Jawort.

Was Burshtein hier macht, ist nicht ansatzweise aufklärerisch-dokumentarisch. Das ultraorthodoxe Leben wird zum bloßen Sehgenuss, es liefert nur einen Rahmen für das, was sie selbst eine "universal gültige Liebesgeschichte" nennt. Edel glänzen die hochgeschlossenen, mit Dekor-Blumen besetzten Blusen der Frauen; die radgroßen Zobelhüte und Brokat-Revers-Mäntel der Männer sind immer fabrikneu.

Lebensinhalt Fortpflanzung

Mit der Lebenswirklichkeit der meisten israelischen Ultraorthodoxen, die oft abhängig von Sozialleistungen in slumartigen Vierteln hausen, hat das wenig zu tun. Dazu sind sämtliche Schauspieler und Schauspielerinnen - die meisten von ihnen übrigens säkular - sehr gutaussehend. So produziert Burshtein ein glänzendes Abziehbild, vor dessen Hintergrund der unschuldig-feuchte Traum einer Coming-of-Age-Geschichte in Zwangsjacke ausbuchstabiert wird. Kitsch also - mit problematischer Message.

Denn Burshtein verpasst dem traditionellen Lebensinhalt chassidischer Frauen - heiraten und Kinder kriegen - mit Hilfe fast Vermeer'scher Lichtsetzung etwas anmutig Aufregendes: Und schon hat das repressive Rollenmodell eine zeitlose, seifenopernhafte Qualität.

Letztendlich ist "An ihrer Stelle" ein konservativer Propagandafilm, weil er behauptet, dass Begehren aus dem Sich-Fügen entsteht. Schließlich lässt er über eine keusch bebilderte Jungfrauenerotik eine zentrale konservative Überzeugung wahr werden: Dass nämlich das Nicht-Ausbrechen und die strikte Einhaltung traditioneller Geschlechterrollen Garanten sind für Lebensglück und -lust. Kurz: Dieser Film behauptet, dass es - angedeutet auch sexuell - befriedigend ist, soziale Normen zu erfüllen. Was so eklig wie entlarvend ist.