Manchmal entsteht Schönheit genau dann, wenn etwas nicht zusammenpasst. Die Sonne scheint an diesem Nachmittag am Strand von Santa Monica in Los Angeles. Auf einer langen Asphaltbahn laufen Menschen, die aus nichts anderem als Sehnen und Muskeln gebaut sind und wahrscheinlich nur Wasser und Vitaminpillen in sich haben. Es ist ein reines und gesundes Amerika, und es wäre auch ein langweiliges Amerika, säße da nicht diese mehr breite als große Frau. Sie blickt aus dem Fenster, bechert Rotwein und lacht gurgelnd und tief, als wäre es fünf Uhr morgens in einer Bar, aus der sie nicht nach Hause will.
Ihre Haare sind an den Schläfen rasiert und auf dem Kopf zu einem Nest toupiert, die Ohrringe sind bierdeckelgroß. Sie tritt auf als eine Unvorsichtige in einer Welt aus lauter Vorsichtigen.
"Family Portrait", die bittere Anklage eines Scheidungskindes
Sie heißt Alecia Beth Moore, ist bekannt unter dem Namen Pink, und man muss Korken in den Ohren gehabt haben, wenn man in den vergangenen Jahren keines ihrer Lieder gehört hat. "So What" und "Trouble" hießen die lauten; es gab auch leise, die sich ganz anders in den Kopf schlichen: unvergessen "Family Portrait", die bittere Anklage eines Scheidungskindes.
Seit 17 Jahren macht Pink eine mal wütende, brüllende, ironische, aber auch traurige, melancholische Begleitmusik des jungen wahrhaftigen Amerikas, vielleicht sogar der ganzen jungen wahrhaftigen Welt. Dann anders als die Bankierstochter Taylor Swift und das laute Pfarrerskind Katy Perry kommt Pink von unten, wo das Leben wehtut.
Sie will hier am Strand von ihrem neuen Album erzählen, "Beautiful Trauma". "What about us" ist ein Song davon, und der Titel ist so ein Satz, den sich vom Streit oder vom Leben ermattete Liebende nachts in der Küche sagen, wenn es nicht weitergeht: "Und was ist mit uns?" Ein erschöpfter Satz aus einem erschöpften Leben, und er kommt aus Pinks Eheleben mit ihrem Mann Carey Hart, von dem sie sich zweimal trennte und doch nicht loskam.
Sie haben zwei Kinder, und ja, sie arbeiten an ihrer Ehe. "Es ist ein einziger Kampf – und das jeden Tag. Seit 16 Jahren. Solche Beziehungen sind nicht leicht, erst recht nicht mit mir." Denn, so sagt sie: "Carey ist im Grunde wie ein zwölfjähriger Junge, und ich bin nicht viel weiter als eine 17-Jährige. Wenn man das weiß, geht es."
In den USA war die Hin-und-her-Ehe von Pink und Hart, einem Motocross-Fahrer, lange Futter für die Klatschspalten. Beim Hören von Pinks Liedern spürt man die Bemühungen einer Generation von Scheidungskindern, die das mit dieser verdammten Liebe, der Ehe, der Familie, den Kindern hinbekommen will. Die nicht gleich hinschmeißt, wenn es schwierig wird. "Mir ist klar geworden, dass ich mit meinen Sorgen und Problemen nicht allein bin", sagt Pink, "sondern dass alle Menschen das Gleiche durchmachen. Deshalb sind meine Konzerte auch eine Art Gruppentherapie, bei der wir uns einen Dämon nach dem nächsten vorknöpfen."
Bei Pink klingt es nach Schmerz
Das könnten andere auch sagen. Taylor Swift beschimpft in ihren Liedern auch Ex-Freunde, aber das wirkt oft wie Schulhof und Whatsapp-Lyrik. Bei Pink klingt es nach Schmerz, breitbeinig und mit tiefer Stimme erzählt, als ginge es ums Überleben. Denn sie hat erlebt, was passiert, wenn Erwachsene eben nicht festhalten, was sie haben.
Sie wurde 1979 in Doylestown geboren, einem Nest in Pennsylvania. Ihr Vater, ein Vietnam-Veteran, verkaufte Versicherungen; ihre Mutter arbeitete als Krankenschwester. Als Alecia sieben war, ließen sich ihre Eltern scheiden, der Verlust des Vaters wurde zum Riss in ihrem Leben. Mit ihrer Mutter Judith wurde es kompliziert, Türen knallten, Geschrei, die Tochter fing mit elf an zu trinken und Drogen zu nehmen. Als Alecia 16 war, warf ihre Mutter sie aus dem Haus, und Alecia erschien nicht mehr in der Schule. Sie schlief bei Freunden, arbeitete in Imbissketten und hatte ihren Drogenkonsum kaum unter Kontrolle. 1995 führte das zum Kollaps. Ganz unten. Da hätte sie bleiben können. Wie so viele.
In diesem Nebel und Sumpf gab es etwas, an das sie sich klammerte: ihre Stimme. Als Kind bekam Alecia, die unter Asthma litt, Gesangsunterricht und schaffte es als einzige Weiße in einen Gospelchor. Sie sang Lieder, die ihr Vater mit ihr an der Gitarre geübt hatte, und sie schrieb nachts, nach dem Abwasch in den Bratküchen, kleine Verse auf fettige Zettel. "Please, Don't Leave Me" und solche Sachen. Die innere Weichheit kann offenbar gedeihen, wenn die harte Schale sie schützt.
Wie wenig Menschliches Pink fremd ist, davon künden ihre laute Stimme sowie die vielen "fucking" und "ass"-Wörter. Sie weiß, wie man nachts auf einem Imbissparkplatz Besoffenen zwischen die Beine tritt. Sie kennt den Wumm in den Augen, wenn die Drogen den Körper fluten. Sie ist vertraut mit den muffigen Küchen in den kleinen Häusern, in denen Amerikaner sich für den Präsidenten Trump entschieden haben. "Mein Vater ist ein 70-Jähriger, der sich vergessen fühlt", erzählt sie, "und meine Mutter fühlt sich wegen ihrer 72 Jahre diskriminiert. Sie haben Trump gewählt, weil sie dachten, er werde ihnen helfen. Und jetzt sind sie umso verzweifelter, weil das nicht der Fall ist." Kann sie mit ihnen darüber sprechen? "Nein, sie sind zu verbittert."
Das Staunen der Soziologen und Wahlforscher über Trumps Wahlsieg kann Pink nicht nachvollziehen; sie kennt die dunkle Seite der amerikanischen Seele. "Der Rassismus war nie verschwunden, sondern hat sich einfach nur versteckt und auf den richtigen Moment gelauert. Das ist wie ein Geschwür, das sich nun zeigt. Deshalb kann man es jetzt an seinen Wurzeln packen."
"Sei, wer du willst."
Pink hat von ihren sechs Alben 47 Millionen Stück verkauft, und sie hat mit ihren Videos Maßstäbe gesetzt: kleine Spielfilme, die aus den Vorstädten, den Schlafzimmern und vom Rockstar-Wahnsinn mal innig, mal ironisch erzählen. Pink tritt in ihnen auf als eine Rampensau mit großem Herz. "Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit" seien die Währung, in der sie denke, sagt Pink. Ihre Bekanntheit mit nichtigen Nachrichten zu befeuern – neuer Freund, neue Frisur oder eigenes Parfüm – sei nicht ihre Sache. "Mir war klar, dass ich das nicht gewinnen kann." Viel entscheidender seien die Substanz ihrer Songs sowie ihre Arbeit als tourender Popstar – auf der Bühne vor den Menschen zu stehen, um die es gehe.
Fünf Jahre hat sie sich für das neue Album Zeit gelassen. In dieser Zeit kümmerte sich Pink um Familie, Leben, Kinder. "Harte Arbeit, wenig Schlaf", sagt sie. Sie ist in die Weinberge von Santa Barbara, drei Stunden nördlich von Los Angeles, gezogen, der alte Folksänger David Crosby wohnt nebenan. Weniger kompliziert ist das Leben auch da nicht geworden. Neulich sagte ihre sechsjährige Tochter zu ihr: "Mama, ich glaube, ich bin das hässlichste Mädchen der Welt. Ich sehe aus wie ein Junge mit langen Haaren." Andere Mütter hätten da gesagt: Nein, du bist doch wunderschön. Aber Pink? "Ich habe ihr von David Bowie erzählt, und wir haben uns Bilder angesehen. Bowie geschminkt als Ziggy Stardust. Ich habe ihr gesagt, mir war immer egal, ob der ein Mann oder eine Frau ist, er ist Bowie! Du musst einfach weghören, wenn andere über dich reden. Sei, wer du willst." Noch ein Glas Wein, donnerndes Lachen, sie möchte die Beine auf den Tisch legen, auch wenn ihre Schuhe nicht zur Flasche passen. Schönheit ist, wenn es nicht zusammenpasst.