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50 Jahre Wickie Glückwunsch, kleiner Wikinger! Du hast uns frecher und klüger gemacht

Szenenfoto Wickie und Vater Halvar auf einem Schiff
Große Fahrt: Wickie und sein Papa Halvar
© Mary Evans / Imago Images
Vor 50 Jahren enterte der Wikinger-Wutz Wickie das deutsche Kinderfernsehen. Heute weiß kaum noch wer, dass der mutige Junge zwar in Schweden erfunden, aber aus Japan zu uns exportiert wurde. Zeit für eine Würdigung. 

Er hätte auch an Fäden hängen können. Das hatten sie jedenfalls damals geplant. An diesen Marionettenfäden der Augsburger Puppenkiste, die damals schon berühmt für ihr Ensemble aus Wackelfiguren wie Kater Mikesch oder Jim Knopf und die wilde 13 war und bei der – wer es als Kind gesehen hat, wird's nie vergessen – das Meer aus einer wogenden Plastikplane und die Rüstungen der Ritter aus Konservendosen waren. Wunderbar analoges Do-it-yourself-Kinderfernsehen, jeden Sonntag eine Folge. Und genau in diese Puppenkiste sollte er 1974 auch hinein: Wickie, der behelmte Wutz, Sohn des Wikinger-Häuptlings Halvar von der Insel Flake.

Erfunden und aufgeschrieben vom schwedischen Journalisten und Buchautor Runer Jonsson, war „Wickie und die starken Männer“ 1964 als Kinderbuch nach Deutschland gekommen und wurde ein Jahr später ob seines Erfolgs zum Kinderbuch des Jahres. Jonsson erzählte später, dass er sich die Wickie-Geschichten ausgedacht hatte, um seinem Sohn etwas vorzulesen, und dass er den Wikingersohn dabei immer klüger und friedlicher als die kriegerischen und nicht immer cleveren Wikingermannen um seinen Vater hatte darstellen wollen. Eine feine Volte, die zum Erfolg der Wickie-Geschichten wesentlich betrug, von der hölzernen Pädagogik jener Zeit aber auch massiv kritisiert wurde. 

Jedenfalls landete dieses Buch auf dem Tisch des Kinderprogramm-Verantwortlichen beim Hessischen Rundfunk Josef Göhlen, der damals schon die Produktionen mit der Augsburger Puppenkiste verantwortete und von dem man nun einen Wickie an Fäden erwartete. Doch Göhlen dachte schon anders und weiter, über das reichlich betuliche Sandmännchen-Kinderfernsehen hinaus. Er wollte mit Wickie das Kinderprogramm entstauben und gegen die Konkurrenz der Disney-Cartoon-Filme eigene Zeichentrick-Figuren ins Fernsehen bringen. Das Problem war nur, dass es in Deutschland weder die dafür nötige Technik noch die nötigen Zeichner gab, eine solche Produktion also absehbar teuer werden würde.

Szenenbild zeigt Wickie mit Wikingern
Wickie ist der kleinste und schlaueste aller Wikinger
© Mary Evans / Imago Images

Also wich Josef Göhlen aus, und zwar in die Exotik Japans und ins ferne Kalifornien. In Japan war die Zeichentricktechnik wegen der Manga-Kultur damals schon sehr viel weiter entwickelt, Filme konnten schneller und preiswerter hergestellt werden als in Europa oder den USA. In Los Angeles wurden derweil die Drehbücher der „Wickie“-Serie geschrieben. Göhlen hatte bereits mit der japanisch-deutschen Co-Produktion der „Heidi“-Serie erste Erfahrungen gemacht, „Wickie“ sollte nun die erste gleichberechtigte Zusammenarbeit der Deutschen und Japaner werden.

Junge oder Mädchen? Die Zeichner waren sich bei Wickie nicht sicher

Was, wie Göhlen später sagte, nicht ganz einfach war. „Im ersten Entwurf wirkte Wickie ziemlich gewöhnungsbedürftig, er hatte eindeutig japanische Gesichtszüge. Ich glaube auch, unsere Zeichner wussten gar nicht so genau, ob die Figur ein Mädchen oder ein Junge sein soll“. Eine Unsicherheit, die auch mit den ersten Wickie-Darstellungen des Illustrators Ewert Karlsson in Jonssons Original-Büchern zu tun hatte. Karlsson hatte sich, wie er später zugab, für Wickie vom Aussehen seiner Tochter inspirieren lassen.

Doch die Zeichner im japanischen Zuiyo Enterprise-Studio lernten schnell, Wickie, Halva, Yva und den schrecklichen Sven globaler darzustellen, was auch an der Zeichentechnik lag, die, verglichen mit Animé-Standarts von heute, mit wenig Strichen, wenig Details und recht mechanischen Bewegungen auskam. Die Finesse der Wickie-Serie, deren erste Folge exakt vor 50 Jahren am 31. Januar im ZDF gezeigt wurde, lag eben nicht wie bei Disney in der lieblichen Spiegelung eines jedes Regentropfens – sondern in der Charakterzeichnung Wickies. Eine Mischung aus Friedensbotschafter, Pippi Langstrumpfs Frechheit und der Cleverness von MacGyver verband sich in der Figur, und zur Signatur Wickies wurde letzterdings dann dessen Reiben der Nase, immer wenn sich eine Idee ankündigte. Göhlen hat diesen kleinen, klugen Einfall für reklamiert.

Die Stimme bis heute in Hollywood-Filmen zu hören

Darüber hinaus hatte die Wickie als erste Serie im deutschen Fernsehen das Zeug, eine echte Kultfigur zu schaffen. Man denke nur an die erwachsenen Wikingern, die Streithähne Tjure und Snorre, den dicken, ewig Fleisch mampfenden Faxe oder den ungeliebten Bänkelsänger Ulme. Sie alle waren für sich genommen liebeswert, und mussten gleichwohl bei jedem Problem vom schlauen Wickie gerettet wurden. Dieser Wickie, der, ein Baumarkt-Bewohner gleich, selbst aus Stein und Bindfaden noch eine Lösung zusammenzubasteln wusste. Und der vor nichts Angst hatte – außer vor Wölfen. Nicht zuletzt war es dann die charakteristische Stimme von Wickie-Sprecher Florian Halm, die den Erfolg sicherte und heute in etlichen Hollywood-Filmen zu hören ist. Der Titelsong „Hey, hey Wickie“, gesungen von Christian Brun, brannte sich ein, und so wurde Wickie, anders als „Heidi“ zuvor und Göhlens „Biene Maja“ später, zum ersten Zeichentrick-Role-Model im deutschen Fernsehen.

Jeden Donnerstag um 17.10 Uhr war seit jenem Januar 1974 Wickie-Zeit. Insgesamt wurden 78 Episoden bis 1976 gezeigt, eine jede 23 Minuten lang, und unzählige Wiederholungen im Kinderkanal KIKA und im ZDF sollten folgen. In Japan war der Serie ein ähnlicher Erfolg beschieden, weshalb sie danach in neun Länder verkauft wurde, darunter Taiwan und Südafrika. 40 Jahre nach dem ersten Zeichentrick-Wickie kam 2014 eine computeranimierte 3D-Neufassung heraus, die zwar im Design glatter und perfekter geriet, aber an den Charme des Originals nicht heranreichte. Denn bei Wickie war es 1974 nur um eines gegangen, das hat Produzent Göhlen immer wieder betont: Dass nämlich „Wickie in poetisch-humorvoller Bindung ein Prototyp der Emanzipation eines Kindes in einer Gesellschaft Erwachsener ist und dadurch beispielhaft sein kann. Ein Junge, der ängstlich, aber mutig den Erwachsenen Paroli bieten kann.“ 

Gar nicht so schwierig eigentlich. Aber schwierig zu erfinden.         

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