Die markanten Mauern am Berg über Bodman sind von Legenden umrankt und sie thronen kilometerweit sichtbar über dem See. Jeder kennt sie? Und jeder kennt die Geschichten? Die vom Kessel zum Beispiel, in dem die Amme beim Burgbrand 1307 der einjährige Grafensohn gerettet hat. Alles bekannt und ein alter Hut? Die Forschung hat den Volksmund inzwischen längst überholt.

Rudolf Martin vom Nellenburger Kreis im Hegau-Geschichtsverein beschäftigt sich intensiv mit den Burgen im Hegau. Aktuell arbeitet er an einer Monografie zur Ruine Bodman, die 2019 oder 2020 erscheinen soll. Dafür hat er sich auch mit der Familiengeschichte der Herren von Bodman befasst, insbesondere mit der des 13. bis 15. Jahrhunderts. Die Herren von Alt-Bodman? Nein, das genau nicht. Die Ruine auf dem Bergsporn ist weithin unter diesem Namen bekannt, aber eigentlich nicht Alt-Bodman. Es gab noch andere Bauwerke und es gibt das heutige Kloster Frauenberg. "Wann die erste Burg auf dem Frauenberg gebaut wurde, wissen wir noch nicht sicher, vermutlich Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts. Sie war aber mit Sicherheit nicht die Burg, die in einer Urkunde 1298 als "Neue Burg" bezeichnet wurde", erklärt Rudolf Martin. Diese neue Burg war auf dem Nachbarsporn des Frauenbergs gebaut worden und wird heute fälschlicherweise als Alt-Bodman bezeichnet. Es standen also um 1300 zwei Burgen über Bodman, auf dem Frauenberg die alte und auf dem Nachbarsporn die neue Burg.

Rudolf Martin begutachtet bei einer Begehung der Ruine über Bodman die Reste des ersten Burgtores. Bilder: Claudia Ladwig
Rudolf Martin begutachtet bei einer Begehung der Ruine über Bodman die Reste des ersten Burgtores. Bilder: Claudia Ladwig

Es gab mehrere Burgen

1277 wurde Johannes von Bodman von König Rudolf von Habsburg mit dem Ort Bodman belehnt. Dieser Johannes, Reichministeriale im Dienste des Königs, war bis dahin die prominenteste Person dieser Familie und dadurch quasi der Stammvater aller nachfolgenden Bodmaner. Ihm zu Ehre trugen im 14. und 15. Jahrhundert viele Nachkommen seinen Namen. Die neue Burg wurde nicht von Johannes, sondern von dessen völlig überschuldetem Vetter Ulrich von Bodman erbaut. Der verkaufte die Burg an Johannes, wie die Kaufurkunde von 1298 belegt. Dieser Johannes hatte drei Töchter und mindestens zwei Söhne. Alle Töchter und ein Sohn (Name unbekannt) kamen 1307 ums Leben, als die alte Burg während eines Familienfestes nach einem Blitzschlag mit anschließendem Brand zerstört wurde. Das belegen schriftliche Quellen. Martin sagt: "Der jüngste Sohn Johannes überlebte. Er war jedoch zu diesem Zeitpunkt kein Säugling mehr, wahrscheinlich aber auch noch nicht volljährig." Laut den schriftlichen Quellen war der umgekommene Sohn nicht verheiratet und hatte auch keine Kinder. "Dass ein Kind oder sogar ein Säugling gerettet wurde, ist nicht überliefert und auch unwahrscheinlich. In der gläubigen Welt Anfang des 14. Jahrhunderts wäre sowas als Wunder sicher überliefert worden", so Martin. Zwei Jahre nach dem Unglück schenkten Stammvater Johannes und sein Sohn Johannes den Platz, auf dem die alte Burg gestanden hatte, dem Kloster Salem, zum Gedenken der Opfer.

Durch starke Erosionen wurde eine bisher verborgene Mauer sichtbar, die zu einem ehemaligen Nebengebäude im Burghof gehörte. Eine ...
Durch starke Erosionen wurde eine bisher verborgene Mauer sichtbar, die zu einem ehemaligen Nebengebäude im Burghof gehörte. Eine Zeitangabe ist noch nicht möglich. Anstelle des bisher angenommenen Wehrganges scheint hier ein größeres Nebengebäude gestanden zu haben. Der Burghof war also wesentlich kleiner. Wichtigste Aufgabe sei es jetzt laut Rudolf Martin, diese Mauer zu sichern.

Ein weiteres Ereignis, das in die Legende Einzug gefunden hatte, fand 40 Jahre nach dem Schlossbrand statt. Konrad und Johannes waren die Enkel des Stammvaters, also die Söhne des Kindes, das 1307 bei dem vernichtenden Schlossbrand nicht anwesend war. 1346 fiel der junge Konrad in der Schlacht bei Crécy. 1347 wurde sein Sohn Johannes, den er mit der kurz zuvor geheirateten Margarethe von Klingen hatte, von seinem Bruder und seinem Vater, beide Johannes zu Möggingen genannt, als Erbe anerkannt. Da es jetzt drei Johannes von Bodman gab, wurde der Säugling zur Unterscheidung "Konrads Selig Sohn" genannt. Diese Bezeichnung behielt er bis ins hohe Alter. Mit seiner Volljährigkeit bekam der Urenkel des Stammvaters 1367 die Burg Alt-Bodman und begründete damit die Linie Bodman zu Bodman. Die Mögginger Linie starb schon 1447 aus. Rudolf Martin stellt fest: "Somit ist richtig, dass alle Bodmaner Nachkommen von diesem Säugling abstammen, allerdings hat das nichts mit dem Schlossbrand 1307 zu tun. Diese geschichtlichen Tatsachen, die einen Zeitraum von 170 Jahren umfassen, wurden zur bekannten Schlossbrand-Sage komprimiert."

Herabstürzende Steine in diesem Durchgang haben die Sanierung von 2006 veranlasst. Der Bogen wurde bewusst mit modernen Backsteinen ...
Herabstürzende Steine in diesem Durchgang haben die Sanierung von 2006 veranlasst. Der Bogen wurde bewusst mit modernen Backsteinen rekonstruiert, um die nachträgliche Baumaßnahme kenntlich zu machen.

Die Sage, der einjährige Johannes von Bodman, habe die Katastrophe 1307 überlebt, weil die Amme das Kind in einen großen Kessel gesteckt und diesen aus dem Fenster geworfen habe, tauchte erstmals im 16. Jahrhundert auf. Die geschichtlichen Tatsachen waren zu dieser Zeit schon so verwischt, dass ab da die Söhne aufgrund dieser Legende den Vornamen Johannes erhielten. Heute noch kann man den vermeintlichen Kessel des Geretteten im Schloss Bodman bewundern, der laut Martin aber frühestens aus dem 16. Jahrhundert stammen kann.

Eine Mannpforte im Torbau. Wenn das Haupttor geschlossen war, konnten durch das Nebentor Personen eingelassen werden, ohne das Haupttor ...
Eine Mannpforte im Torbau. Wenn das Haupttor geschlossen war, konnten durch das Nebentor Personen eingelassen werden, ohne das Haupttor öffnen zu müssen. Der Torbau mit der Mannpforte stammt aus einer späteren Bauphase, wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert. Sie wurde Mitte des 16. Jahrhunderts zugemauert, als der Torbau in der letzten Bauphase nochmals erweitert wurde.

Auf der Spur des Brandes

Nun weist die Ruine Alt-Bodman aber auch Brandspuren auf, die nichts mit der Zerstörung 1643, also gegen Ende des 30-jährigen Krieges, zu tun haben. Wann dieses erste Feuer war, ist nicht gesichert. Rudolf Martin ist sicher: "Ausschließen können wir die kriegerischen Ereignisse – den Schweizer Krieg 1499 und den Bauernaufstand 1525. Hier haben wir genügend schriftliche Quellen, in denen nirgends von einem Brand die Rede ist." Vielmehr vermutet er auch hier einen Blitzschlag oder eine Unachtsamkeit mit dem Feuer, was früher häufig Ursache eines Großbrandes gewesen sei. Jedenfalls hat sich das Ereignis nicht schriftlich niedergeschlagen. Bei Ausbruch des 30-jährigen Krieges wohnten die Herren von Bodman schon nicht mehr auf der heute Alt-Bodman genannten Burg, sondern bereits im bequemeren und moderneren neuen Schloss in Espasingen (heute die ehemalige Brauerei). 1760 zog die Familie dann in das Schloss in Bodman.

Im Mauerwerk sind die Folgen eines Blitzschlages sichtbar. Dort, wo sich das Doppelfenster befindet, war ursprünglich ein Turmaufbau, ...
Im Mauerwerk sind die Folgen eines Blitzschlages sichtbar. Dort, wo sich das Doppelfenster befindet, war ursprünglich ein Turmaufbau, quasi ein Wehrturm auf dem Wohnturm. Laut Rudolf Martin war das sehr außergewöhnlich. Es gebe dazu keine Vergleichsbeispiele. Nach dem Brand wurde der Wehrturm abgebrochen, die Lücke zugemauert und das Doppelfenster eingefügt. Der Wohnturm wurde dann noch zwei Mal erhöht, Zinnen aus Backsteinen kamen hinzu. Die letzte Erhöhung fand um 1600 statt.

Das nordöstliche Nebengebäude der Burg auf dem Berg wurde wahrscheinlich bis Mitte des 18. Jahrhunderts weiter benutzt. Davon geht Martin aufgrund einer Bauakte, gefundener Keramikteile und eines Siegels aus, das auf Anfang des 18. Jahrhunderts datiert werden konnte.

Die Futtermauer, hinter der sich der Burgfelsen befindet, wurde etwa um 1300 durch eine Stützmauer gesichert. Diese Maßnahme wurde schon ...
Die Futtermauer, hinter der sich der Burgfelsen befindet, wurde etwa um 1300 durch eine Stützmauer gesichert. Diese Maßnahme wurde schon bald nach dem Bau der neuen Burg notwendig, da der Grund auf dem die Burg steht, aus weichem Molasse-Sandstein besteht, der dem großen Druck des schweren Wohnturms nicht standgehalten hat. Vielleicht handelt es sich aber dabei auch um die Baumaßnahme 1332, die in einer schriftlichen Quelle erwähnt wurde und immer wieder fälschlicherweise als Baubeginn der neuen Burg zitiert wird, so Rudolf Martin.

1910 gab es die erste Sanierungsmaßnahmen der Burgreste wegen Rissbildungen durch Blitzschlag. Dabei stürzte ein großes Mauerstück aus der bis dahin noch intakten Südwestwand ab. 1956 fanden erneut umfangreiche Erhaltungsmaßnahmen zur Sicherung des Ruinenbestandes statt. Wild wachsendes Strauchwerk hatte die Mauern gesprengt, Witterungseinflüsse und Blitze hatten weitere Teile des Mauerwerks einstürzen lassen. Graf Wilderich von Bodman ließ 1997 die Ruine von Baumbewuchs befreien. 2006 erfolgte die jüngste Sanierung, die zu einer ersten genaueren Untersuchung der Burg Anlass gab.


Serie und Person

  • Zur Person Rudolf Martin
    Rudolf Martin, Jahrgang 1956, ist Mitglied des Hegau-Geschichtsvereins, der über 1000 Mitglieder hat. 2001 wurde eine Arbeitsgruppe "Nellenburger Kreis" gegründet, eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern und an der Burgenforschung interessierter Laien. Es sollen die Burgen des Hegaus inventarisiert und mittelfristig ein Lexikon der Burgen, Schlösser und Festungen im Hegau publiziert werden. Der Hegau-Geschichtsverein (www.hegau-geschichtsverein.de) bietet auch immer wieder Burgenführungen an, für Mitglieder und andere Interessierte.
  • Zur Serie „Perspektivwechsel“
    In oder hinter bekannten und alltäglichen Dingen kann sich Interessantes verbergen. In der Serie „Perspektivwechsel“ macht die Redaktion genau das, was der Name sagt und schaut sich etwas aus einem anderen, neuen Blickwinkel an. Was verbirgt sich zum Beispiel in diesem einen Gebäude, an dem jeden Tag so viele vorbeigehen? Gibt es vielleicht aktuelle Forschungen, die ein neues Licht auf einen historischen Ort werfen? Auch die scheinbar ganz normale Natur hat hier und da noch eine Überraschung parat. Die Serie geht dem Ungewöhnlichen im Alltäglichen auf die Spur. Die Redaktion nimmt auch Leservorschläge an: Was hat Sie schon immer fasziniert und würde Sie aus einer anderen Perspektive interessieren? Kontakt: Südkurier Stockach, Hauptstraße 16, 78333 Stockach oder stockach.redaktion@suedkurier.de (sk)

Und wie gelangen Forscher heutzutage zu neuen Erkenntnissen? Durch Studium der schriftlichen, bauhistorischen und archäologischen Quellen. Nur wenn alle drei Disziplinen wie ein Puzzle zusammengefügt werden, kann es zu neuen stichhaltigen Erkenntnissen kommen. Dazu gehört zum Beispiel das steingerechte Aufmaß und genaues Beobachten des Mauerwerks. Es wird mit Spezialkameras fotografiert und das Bild am Computer entzerrt. Dadurch lassen sich Strukturen und Bauphasen besser erkennen. Auch archäologische Lesefunde helfen. Darunter fällt alles, was an der Oberfläche entdeckt wird, beispielsweise auch zufällig freigeschwemmte Mauerreste. Wissenschaftliche archäologische Ausgrabungen haben bisher übrigens noch auf keiner Burg im Hegau stattgefunden.

Eingang zum Keller. Nur der nordöstliche Teil des Ende des 13. Jahrhunderts hoch modernen Wohnturmes war unterkellert. Ursprünglich war ...
Eingang zum Keller. Nur der nordöstliche Teil des Ende des 13. Jahrhunderts hoch modernen Wohnturmes war unterkellert. Ursprünglich war dieser Keller nur durch diese Tür von außen zugänglich. Später wurde dieser Eingang zum Fenster verkleinert und der Keller von innen erschlossen. Am Südrand der Ostwand befanden sich in jedem Stockwerk die Abort-Erker. Als die Burg ausbrannte, waren diese Abort-Erker wie eine Sollbruchstelle und die komplette Ostwand stürzte in die Tiefe. Im Schutthang findet man heute noch die abgestürzten Mauerpartien.

Ein besonderer Fund

Im Fall Alt-Bodman war Martin bald klar, dass es nicht nur eine Bauphase gegeben haben konnte. Die Möglichkeit, das genauer zu erforschen, ergab sich für ihn 2006, als Stefan Uhl, hauptberuflicher Bauforscher, vom Landesdenkmalamt den offiziellen Auftrag zur bauhistorischen Untersuchung erhielt und er ihn dabei unterstützen konnte. Wo Spaziergänger heute zum Beispiel nur Steinformationen sehen, erkennt Martin etwas ganz anderes und Spannendes: Durch starke Erosionen wurde eine bisher verborgene Mauer sichtbar, die zu einem ehemaligen Nebengebäude im Burghof gehörte. Eine Zeitangabe ist noch nicht möglich. Anstelle des bisher angenommenen Wehrganges scheint hier ein größeres Nebengebäude gestanden zu haben. Der Burghof war also wesentlich kleiner. Die wichtigste Aufgabe sei es jetzt laut Rudolf Martin, diese Mauer zu sichern.

Die Bauklammer stammt nach Rudolf Martins Erkenntnissen aus dem 16. Jahrhundert. Damit sei ein baufälliger Abort-Erker befestigt worden. ...
Die Bauklammer stammt nach Rudolf Martins Erkenntnissen aus dem 16. Jahrhundert. Damit sei ein baufälliger Abort-Erker befestigt worden. Erstaunlich sei die Ausführung aus Eisen mit modernem Gewinde.

Die Burgruine Alt-Bodman ist über einen Waldweg aus Richtung Bodenwald oder über einen Wanderweg vom Tal aus Richtung Bodman erreichbar. Sie ist frei zugänglich, jedoch darf dort weder gegrillt noch überschwänglich gefeiert werden. Immer wieder werden mutwillige Zerstörungen festgestellt, wie die Graffitis am Palas zeigen.

Die roten Steine in der Mauer sind Brandspuren. Es gab zwei Brände. Der erste ließ sich nur bauhistorisch feststellen, darüber gibt es ...
Die roten Steine in der Mauer sind Brandspuren. Es gab zwei Brände. Der erste ließ sich nur bauhistorisch feststellen, darüber gibt es keine schriftlichen Quellen. Rudolf Martin datiert ihn auf die zweite Hälfte des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts. Oben links und rechts springt die Mauer vor, die den Wehrturm getragen hat. Sie war also nicht nur nach außen, sondern auch nach innen vorkragend, um den mächtigen Wehrturm zu tragen.