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Wo der Hammer hängt

Der Hammer des Hammerhais – nur einer von vielen sonderbaren Auswüchsen, die die Evolution hervorgebracht hat. Wie nahezu alles in der Natur hat selbst dieses Gebilde seinen Sinn, auch wenn sich die Wissenschaft nicht ganz einig ist.

Man denke nur an ein riesiges Elchgeweih, das im Durchmesser an die 2,5 Meter lang und über 40 Kilogramm schwer werden kann, den ultra-langen Giraffenhals oder auch an die bezaubernde, aber wahnsinnig unpraktische Schleppe des Pfaus. Da fallen einem doch spontan erst mal eine ganze Reihe von Nachteilen für die Besitzer solcher »Auswüchse« ein. Aber bei genauerer Betrachtung stellt sich schnell heraus: Jede dieser anatomischen Besonderheiten hat ihre Daseinsberechtigung. Der Elch braucht seinen Kopfschmuck zum Imponieren und Kämpfen, und vielleicht sogar zum Schnee schaufeln, und hier gilt immer noch: je größer, desto besser. Die Giraffe kommt mit ihrem Hals an die Blätter von Bäumen, von denen andere Paarhufer nur träumen können, und der Pfau zieht zwar den kürzeren, wenn ein Tiger in der Nähe ist, sichert sich aber ansonsten – dank Schleppe – das hübscheste Weibchen und die meisten Nachkommen. Die vermeintlichen Launen der Natur sind in den meisten Fällen das Resultat einer knallharten Kosten-Nutzen-Analyse. Was nichts bringt verschwindet.

Auch der Hammerhai sticht gegenüber seinen Kollegen im Haifischbecken durch eine ungewöhnliche Struktur, seine Kopfform, heraus. Der hammerförmige Kopf, Cephalofoil genannt – eine Zusammensetzung aus dem griechischen Wort für »Kopf« (Cephalos) und dem lateinischen für »Folie« (Folium) – ist das Markenzeichen der Familie Sphyrnidae, in der es insgesamt neun Arten gibt. Unter ihnen ist der Große Hammerhai mit knapp sechs Metern die größte und der Bogenstirnhammerhai die am häufigsten vorkommende Art. Erstaunlicherweise aber ist die Herkunft und die biologische Funktion des Cephalofoils im Gegensatz zu anderen lustigen oder anmutigen Strukturen im Tierreich noch eher unbekannt – trotz 50 Jahren Forschung. Es gibt aber viele Theorien, denn eines ist klar: Grundlos und einfach so war der Hammer nicht plötzlich da.

Die Hydrodynamik-Hypothesen

Nach der »Hypothese des hydrodynamischen Lifts« funktioniert der Hammer angeblich wie die Tragfläche eines Flugzeugs, speziell wie die eines Canards oder Entenflugzeugs, die dem vorderen Ende des Körpers Auftrieb geben. Eine ähnliche Funktion erfüllen übrigens auch die Brustflossen, die bei Hammerhaien mit einem großen Cephalofoil aber kleiner sind als bei anderen Haiarten. Eine Tatsache, die für diese Theorie spricht, ist, dass die Gesamtfläche von Cephalofoil und Brustflossen grundsätzlich bei allen Hammerhaiarten immer gleich groß ist; alle haben letztendlich den gleichen ‚Lift‘, sei es durch Hammer- oder Flossengröße. Haiarten, die kein Cephalofoil haben, besitzen dementsprechend eben größere Brustflossen, um das Fehlen der »Hammertragfläche« auszugleichen.

Die zweite Hydrodynamik-Hypothese besagt, dass die Manövrierfähigkeit des Hais durch den Hammer erhöht wird. In Versuchen wurde herausgefunden, dass Hammerhaie in der Tat wendiger und flexibler sind als Sandbankhaie.

Die Beute-Theorie

Eine dritte Hypothese besagt, dass die Haie den Hammer nutzen, um ihre Beute zu manipulieren.

Zumindest beim großen Hammerhai wurde auf den Bahamas vereinzelt beobachtet, wie er Adlerrochen und amerikanische Stechrochen mit dem Hammer regelrecht ‚ausknockte‘, zu Boden warf, und festpinnte.

Während der arme Rochen auf den Untergrund gepresst wurde, drehte sich der Hai um den eigenen Körper, um eine »biss-günstige« Position einzunehmen.

Hypothesen vier und fünf: ­Sinneswahrnehmung

Die vierte und fünfte Hypothese vermutet eine Verbesserung des Geruchs- sowie des Sehsinns durch den Hammer. Die »olfaktorische Gradienten Hypothese« postuliert, dass unter anderem eine bessere Ausrichtung entlang einer Duftspur (»olfaktorische Klinotaxis«) stattfindet. Geruchsgradienten, also ein stärker oder schwächer werdender Geruch, könnten besser wahrgenommen werden, wenn die Nasenlöcher weiter voneinander entfernt sind. Durch die Anordnung der Nasenlöcher auf dem Hammer und deren seitliche Vergrößerung, die erst durch den Hammer ermöglicht wird, kann außerdem mehr Seewasser auf Geruchsmoleküle hin getestet werden. Und schließlich könnte dem Hai durch die größeren Nasenlöcher mehr Riechepithel zur Verfügung stehen, wodurch sich der Geruchssinn noch einmal verbessert.

Während bisherige Erkenntnisse die ersten beiden Annahmen dieser Hypothese unterstützen, konnte experimentell nicht nachgewiesen werden, dass das Riechepithel, also jene mit Geruchszellen ausgestattete Gewebeschicht, bei Hammerhaien größer ist als bei Haien ohne Cephalofoil. Die »verbesserte binokulares Sehen Hypothese« wiederum besagt, dass durch die seitliche Position der Augen am Hammer das binokulare Sehen verbessert und das Gesichtsfeld insgesamt vergrößert wird. Auch zu dieser Hypothese gibt es bereits Studien, deren Ergebnisse beide Annahmen stützen.

Die Hauptthese: Elektrosensorik

Die bekannteste und am häufigsten vorgebrachte Hypothese ist die »verbesserte Elektrosensorik Hypothese«. Sie besagt, dass die größere Fläche des Cephalofoils mit mehr Elektrorezeptoren bedeckt sein muss, um eine ähnliche Porendichte zu erreichen wie bei anderen Haien. Dadurch würden dem Hai insgesamt mehr Poren und somit ein verbesserter elektrischer Sinn zur Verfügung stehen. Haie nutzen dieses Sinnessystem unter anderem, um bioelektrische Impulse wahrzunehmen, die von Beutetieren unwillkürlich abgeben werden. Anhand dieser Impulse können sie zum Beispiel auch im Sand versteckte Tiere leicht aufspüren.

Eine höhere Sensitivität des elektrischen Sinns kann weiterhin auch durch eine Verlängerung der Kanäle innerhalb der elektrischen Poren erreicht werden. Beim Hammerhai wird eine solche Verlängerung durch das Cephalofoil ermöglicht. Auch zu dieser Hypothese gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, die sie zumindest teilweise bestätigen.

Wie auch beim Elch, der sein Geweih zum Kämpfen, Imponieren und zum Schaufeln nutzt, wird es wahrscheinlich auch beim Hammerhai mehrere Gründe geben, ­warum sich eine so beachtliche Kopfform entwickeln konnte – ein Merkmal, das sich auch über die letzten 55 Millionen Jahre nicht wesentlich verändert hat. 

 

 

Hammerhaie

Teilklasse: Euselachii (Haie und Rochen)
Neoselachii (rezente Haie und Rochen)
Selachii (Haie)
Überordnung: Galeomorphii
(umfasst vier Ordnungen moderner Haie)
Ordnung: Grundhaie (Carcharhiniformes)
Familie: Hammerhaie (Sphyrnidae)
Gattung: Eusphyrna
Art: Flügelkopf-Hammerhai (Eusphyra blochii)
Gattung: Sphyrnidae
Art: Korona-Hammerhai (Sphyrna corona)
Bogenstirn-Hammerhai (S. lewini)
Löffelkopf-Hammerhai (S. media)
Großer Hammerhai (S. mokarran)
Schaufelnasen-Hammerhai (S. tiburo)
Kleinaugen-Hammerhai (S. tudes)
Glatter Hammerhai (S. zygaena)
Sphyrna gilberti (im Aug. 2013 erstmals ­beschrieben)