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Zweiter Weltkrieg Holocaust

Der „Judenstern“, dieser „gelbe Lappen in Herzhöhe“

Bereit 1938 hatten SS-Stellen stigmatisierende Zeichen für Juden entworfen, als Möglichkeit, „die viele andere Dinge erleichtert“. Im September 1941 wurde der „Judenstern“ im ganzen Reich eingeführt.

„Gestern, als Eva den Judenstern annähte, tobsüchtiger Verzweiflungsanfall bei mir. Auch Evas Nerven zu Ende.“ So schrieb Victor Klemperer am 20. September 1941 über sich und seine Frau in sein Tagebuch. Einen Tag zuvor hatten die Nationalsozialisten die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ in Kraft gesetzt. Erlassen worden war sie am 1. September 1941. Alle jüdischen Bürger über sechs Jahre hatten den gelben Davidstern, in der NS-Propaganda „Judenstern“ genannt, gut sichtbar an ihrer Kleidung zu tragen. Ein weiterer Schritt der Diskriminierung – der letzte vor Beginn der Deportationen in die Vernichtungslager.

Hunderttausende nähten das Symbol widerwillig auf. Sie wussten nur zu gut, dass der Stern allgegenwärtige Stigmatisierung bedeutete: Für Klemperer (1881–1960), 1935 entlassener Professor der Technischen Hochschule Dresden, brach eine Welt zusammen. „Ich selber fühle mich zerschlagen, finde keine Fassung … Das bedeutet für uns Umwälzung und Katastrophe“, schrieb der Romanist, der aus einer jüdischen Familie stammte und 1912 Protestant geworden war. „Ich will das Haus nur bei Dunkelheit auf ein paar Minuten verlassen.“

Reinhard Heydrich, Chef des NS-Reichssicherheitshauptamtes, hatte sich schon im November 1938, kurz nach den reichsweiten Pogromen, für die Kennzeichnung der Juden ausgesprochen, auch um die „inneren Feinde“ des Reiches „für alle Welt sichtbar“ zu machen, wie er formulierte: „Jeder Jude im Sinn der Nürnberger Gesetze muss ein bestimmtes Abzeichen tragen. Das ist eine Möglichkeit, die viele andere Dinge erleichtert.“

Die Entwürfe aus Heydrichs Amt sind erhalten geblieben: Angedacht war etwa ein Sechsstern in blauer Farbe mit schwarzen Rändern und gelbem Schriftzug „Jude“. Andere Skizzen zeigen runde blaue Metallplaketten, auf die entweder ein Davidstern oder der Buchstabe „J“ aufgedruckt werden sollte. Doch die Pläne blieben zunächst noch in der Schublade, Historikern zufolge vermutlich aus Sorge vor negativen Reaktionen im Ausland.

Nach Kriegsbeginn 1939 spielte derlei Rücksichtnahme keine Rolle mehr: Zuerst zwang die SS polnische Juden, ein Stigma zu tragen – einen gelben Stofffetzen, in den ein schwarzer Davidstern und ein „J“ oder das Wort „Jude“ gedruckt waren. Schließlich drängte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels Hitler zu einer Entscheidung. Am 18. August 1941 genehmigte der Diktator die Einführung des Sterns auch für alle Juden im Deutschen Reich, eine Nachricht, die sich in der Hauptstadt wie ein Lauffeuer verbreitete.

Laut Heydrichs Polizeiverordnung war es „verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen“. Der hatte aus einem „handtellergroßen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift ‚Jude‘ zu bestehen“. Das Abzeichen „ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen“.

Ab 1942 fahren erste Züge nach Auschwitz

Ein Ortsname als Synonym für Massenmord nach Plan – mechanisch, systematisch, gründlich. Ab Februar 1942 rollen die Todeszüge nach Osten. Endstation Auschwitz. Hier sterben über eine Million Juden.

Quelle: STUDIO_HH

Außerdem war es Juden fortan verboten, Orden und sonstige Ehrenzeichen zu tragen sowie ihren Wohnbezirk ohne eine polizeiliche Genehmigung zu verlassen: entscheidende „Vorausmaßnahme“ für den Transport der Opfer gen Osten in die Vernichtungslager, der im Oktober 1941 begann.

Das Verteilen der Sterne überließen die NS-Behörden den jüdischen Repräsentanten der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“. Pro Person sollten vier Sterne ausgegeben werden.

Den Zuschlag für deren Herstellung erhielt die Berliner Fahnenfabrik Geitel & Co., die innerhalb weniger Tage den Auftrag ausführte. „Fast eine Million Sterne, aufgedruckt auf langen Stoffrollen und verpackt in schweren Ballen wurden geliefert“, schreibt der Bochumer Historiker Hubert Schneider.

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Bei einer Gedenkstunde im Bundestag berichtete die Holocaust-Überlebende und Autorin Inge Deutschkron 2013 von ihren Erinnerungen: „Die Mehrheit der Deutschen, denen ich in den Straßen Berlins begegnete, guckte weg, wenn sie diesen Stern an mir bemerkte oder guckte durch mich, die Gezeichnete, durch oder drehte sich weg“.

„Der Stern schuf eine diskriminierende Isolation für uns“

„Tragt ihn mit Stolz, den gelben Stern“: Mit diesen Worten hätten die Funktionäre der Jüdischen Gemeinde in Berlin ihre Mitglieder zu ermutigen versucht, als sie gezwungen wurden, „diesen gelben Lappen in Herzhöhe zu befestigen“, wie Deutschkron beschrieb. „Mit Stolz? Auf der Straße gewöhnte ich mir an, meinem Gesicht den Ausdruck einer Maske zu geben. Niemand sollte auch nur ahnen, wie es wirklich um mich stand“, erinnerte sich Deutschkron: „Fraglos, der Stern schuf eine diskriminierende Isolation für uns.“

Historiker Hubert Schneider schreibt: „Manche Juden waren dem zunehmenden Druck nicht mehr gewachsen, sie gaben auf. Sie schlossen sich in ihren Wohnungen ein, starben an Hunger oder wählten einen schnelleren Weg in den Freitod.“ Andere ließen sich kaum noch in der Öffentlichkeit sehen und wenn, so versuchten sie hinter Aktentaschen, Paketen oder Büchern das gelbe Erkennungszeichen zu verbergen.

Doch „gegen diese Praxis ging die Gestapo drakonisch vor“, betonte der Historiker. Die Polizei war angewiesen, die „Tragweise“ der Sterne genauestens zu überwachen. Jeder Verstoß war „grundsätzlich mit Schutzhaft zu ahnden.“

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epd/bas

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