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Mode Homeoffice-Look

Frauen entdecken die Kittelschürze wieder für sich

Freie Redakteurin
Bestseller unter den Hauskleidern: die „Nap Dresses“ von Hillhouse Home - sie waren den Sommer über ständig ausverkauft Bestseller unter den Hauskleidern: die „Nap Dresses“ von Hillhouse Home - sie waren den Sommer über ständig ausverkauft
Bestseller unter den Hauskleidern: die „Nap Dresses“ von Hillhouse Home - sie waren den Sommer über ständig ausverkauft
Quelle: Hillhouse Home
Statt in Jogginghosen zu lümmeln, entdecken manche Frauen das Hauskleid neu. Die Heimchen-Symbolik schreckt sie dabei nicht ab – im Gegenteil. Vom Comeback des Selbstbewussten in Hausfrauen-Looks.

Manchen Frauen sind ja selbst Jogginghosen zu kompliziert. Man muss mit beiden Beinen umständlich reinschlüpfen, dann noch ein Oberteil dazu aussuchen. Wenn man aus dem Homeoffice doch mal kurz raus und zum Supermarkt rennen will, kommt man sich in den ausgebeulten Röhren, die wie leere Weißwursthäute von den Beinen hängen, doch ein wenig schäbig vor. Also zieht man sich wieder um.

Solche Probleme hat man mit dem Hauskleid nicht. Einmal morgens übergestreift, ist man für den kompletten Tag gerüstet. Sein luftiger Schnitt umschmeichelt Taille und Hüften, ohne zu zwicken, ein dezenter Ausschnitt wirkt feminin, ohne sich aufzudrängen, der Stoff ist nicht zu edel für den schnellen Geschirrabwasch, aber hübsch genug für eine spontane Kaffeepause mit der Freundin.

Kittelschürze für das Pandemie-Büro

So denkt zum Beispiel die New Yorker Modedesignerin Batsheva Hay, die zu einer Generation junger Frauen gehört, die im Zuge der erzwungenen neuen Häuslichkeit das Hauskleid für sich wiederentdeckt. Hay, die sich in der Branche mit züchtigen Rüschenkleidern im modernisierten Großmutter-Look einen Namen gemacht hat, kam im Mai auf die Idee. „Ich wollte eine bequeme Alternative zu Jogginghosen, etwas, das leicht zu tragen und zu waschen ist, aber mit spannenden Prints“, sagt sie.

Athleisure gehört gerade zu den wenigen Kategorien in der Mode, die sich richtig gut verkaufen, aber Hay glaubte daran, dass es außer ihr noch andere Frauen gibt, die es auch zu Hause eher romantisch als sportlich mögen. Für diese entwirft sie nun nostalgische Blusenkeider aus Vintage-Stoffen, mit Blümchen, Vichy-Karos oder aus Cord.

Wie in guten alten Zeiten: Gemustertes Hauskleid aus recycelten Vintage-Stoffen von Batsheva
Wie in guten alten Zeiten: Gemustertes Hauskleid aus recycelten Vintage-Stoffen von Batsheva
Quelle: Batsheva

Ihre Modelle erinnern an die Uniformen einer Generation, von der man sich als selbstständiger Millennial doch eigentlich emanzipieren wollte: Hausfrauen in Kittelschürzen, ihr Leben ein Mikrokosmos bestehend aus Küche und Waschkeller, ihre Kleidung funktional und soßenresistent. Im frühen 20. Jahrhundert symbolisierte die Idee eines bequemeren, formloseren Hauskleides – vor allem für Frauen wohlhabender Gesellschaftsgruppen – noch das Voranschreiten einer modischen Befreiungsbewegung, die die Abschaffung des Korsetts zur Folge hatte.

Ab dem Ersten Weltkrieg stand sie für die eher wenig fortschrittliche Frauen-Rolle der Haus- und Kinderhüterin. Die „American Housewive“ trug nach US-Präsident Herbert Hoover benannte „Hooverettes“, also taillierte Schürzenkleider, die italienische „Mamma“ körperbetonte Blusenvarianten, und die DDR-Bürgerin den Dederon-Kittel.

Nicht ganz die italienische „Mamma“: Sophia Loren 1977 im Film "Ein besonderer Tag"
Nicht ganz die italienische „Mamma“: Sophia Loren 1977 im Film "Ein besonderer Tag"
Quelle: picture alliance / Everett Collection

„Die bunten Kittel und Blumenkleider, die etwa in Italien auf den Märkten noch reichlich angeboten werden und oft die Mode inspirieren, hängen stark mit der Rolle und Aufgabe vieler Frauen im Kontext der Familie zusammen“, sagt die Modeprofessorin Antonella Giannone, die an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Modetheorie, Modegeschichte und Bekleidungs-Soziologie lehrt.

Junge, berufstätige Frauen in den 70er- und 80er-Jahren, die sich als Mitspielerinnen einer modernen Arbeitswelt neu definierten, wollten das Hauskleid dementsprechend loswerden, bevorzugten T-Shirts und Jogger. Oder sie inszenierten sich als sinnliche, aber unabhängige Multitasker im „Wrap Dress“ von Diane von Furstenberg, dessen Wickelsilhouette und sportlicher Jersey-Stoff die Einfachheit und Bequemlichkeit des Hauskleides replizierte.

Vom Nachthemd inspiriert

Mit der Heimchen-Symbolik halten sich die neuen Fans des Hauskleids nicht mehr auf: Ihre Selbstständigkeit ist ihnen so selbstverständlich, dass sie sie nicht mehr mit Hosen verteidigen müssen. Das Zuhause dient nun als Büro, das Video-Meeting findet auf der Couch statt, und dafür will man eben gut aussehen. Die amerikanische Marke Hillhouse Home, eigentlich auf Bett- und Nachtwäsche spezialisiert, hat mit ihren Hauskleidern einen Bestseller geschaffen.

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Ihre „Nap Dresses“, zu Deutsch „Kleider für den Mittagsschlaf“, waren den Sommer über ständig ausverkauft. Der Look: weiter Rock, Empire-Taille, gesmokte Brustpartie, die man nach Angaben des Labels etwa zum Stillen leicht herunterziehen kann. Hillhouse Home hat mit dem „Nap Dress“ ein Hybrid aus Nachthemd und Hauskleid geschaffen, das in seiner femininen Uneindeutigkeit perfekt zu einem Leben passt, in dem die Grenzen zwischen drinnen und draußen zunehmend verschwimmen.

Lieber romantisch als sportlich: So sieht das Label Batsheva die Frau von heute am Laptop
Lieber romantisch als sportlich: So sieht das Label Batsheva die Frau von heute am Laptop
Quelle: Batsheva

Die nostalgische Note vermittelt dabei genau das Gefühl von Gemütlichkeit und häuslicher Sicherheit, das viele Menschen in diesen Krisenzeiten auch in traditionellen Haustätigkeiten neu entdeckt haben.

„Sie haben während des Lockdowns angefangen, Brot zu backen, alte Rezepte zu kochen“, sagt Antonella Giannone. „Anders als modernere, sportlich orientierte Freizeitkleidung bringt das Hauskleid die Faszination des Vintage und der ‚guten alten Zeit‘ mit sich.“ Und passt genau deswegen perfekt in die neue Zeit.

Gemütlich, aber erotisch: Das Hauskleid im Film

Die „schöne Italienerin“ der späten 40er- und 50er-Jahre trug eine „vestaglietta“, ein Haus- oder Unterkleid, in dem sie sich durch die Nöte des Nachkriegsitaliens kämpfte. So jedenfalls inszenierten Regisseure des Neorealismo wie Giuseppe De Santis in „Bitterer Reis“ oder Luchino Visconti in „Bellissima“ Silvana Mangano oder Anna Magnani, deren Auftritte im dünnen Hemdchen explizit erotische Untertöne haben.

Schöne Italienerinnen in dünnen Hemdchen - aus Luchino Viscontis Werk "Bellissima" von 1951
Schöne Italienerinnen in dünnen Hemdchen - aus Luchino Viscontis Werk "Bellissima" von 1951
Quelle: picture alliance / United Archives/IFTN

Das gilt auch für Elizabeth Taylor als biestige Negligé-Trägerin in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“. Generell unterstrich das Hauskleid im amerikanischen Kino aber die Tugend einer Doris Day: effizient, brav, blond.

Gewollt erotisch: Elizabeth Taylor in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (1958)
Gewollt erotisch: Elizabeth Taylor in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (1958)
Quelle: picture-alliance / Mary Evans Picture Library

Dem stellt Penélope Cruz als unwiderstehliche Männermörderin in „Volver“ tief ausgeschnittene Trägerkleider und leuchtend bunte Schürzen entgegen.

Hola! Penélope Cruz ist in „Volver“ keine Hausfrau, sondern Familienernährerin und männermordend aus Notwehr
Hola! Penélope Cruz ist in „Volver“ keine Hausfrau, sondern Familienernährerin und männermordend aus Notwehr
Quelle: picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Kann es mit dem gemütlichen Schlunz-Look ewig so weitergehen?

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Dieser Text ist aus WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: Welt am Sonntag

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