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Alfred Hrdlicka, der zärtliche Berserker

Künstler Alfred Hrdlicka wird 80 Künstler Alfred Hrdlicka wird 80
Quelle: DPA/A2931 Bernd Weißbrod
Er kann zupacken, egal ob mit Hammer, Meißel und Bleistift. Der österreichischen Bildhauer und Maler Alfred Hrdlicka wird an diesem Mittwoch 80 Jahre alt. In seiner Heimat umstritten, wird er von den Linken besonders verehrt. auch Oskar Lafontaine hat viele lobende Worte für ihn übrig.

Die Berichte und Interviews im Vorfeld seines runden Geburtstags glichen ärztlichen Bulletins: Ja, Alfred Hrdlicka lebt, es geht ihm bereits viel besser. Er ist immer noch ein Linker, kann dementsprechend entschlossen die Faust ballen, und er trinkt auch wieder seine tägliche Ration Wodka. Die freilich hat, verglichen mit früheren Zeiten, einen Hauch von homöopathischer Dosierung.

Besäße er nicht seine buchstäbliche Rossnatur, Hrdlicka wäre längst unter der Erde. Genauer gesagt, läge er unter dem vom ihm für seine erste Frau Barbara errichteten Grabstein. Eine detaillierte Beschreibung desselben verbietet das Jugendschutzgesetz. Auch abgebrühte Totengräber müssten beim Anblick des obszönen Gebildes schamrot werden. Aber so ist er nun mal, dieser Alfred Hrdlicka: Sogar angesichts der Verwesung feiert er das Leben, wo es am lebensprallsten ist - im Sexuellen.

Immer auf Streit aus

Wer seine Hände gesehen hat, die längst Pranken sind, der ahnt heute noch: Niemand konnte so zupacken wie dieser zärtliche Berserker mit Hammer und Meißel. Aus den Granit- und Marmor- und Sandsteinblöcken schlug er unerbittlich seine Gestalten heraus: Köpfe, Oberkörper, Glieder, das entblößte Geschlecht. Verrenkt, verzerrt, geschändet - legen sie Zeugnis ab von der Gewalt, die ihnen angetan wurde oder die sie ausgeübt haben. Sein Welt- und Menschenbild kennt Opfer und Täter, Lust und Qual. Daher ist er ein gefragter, den öffentlichen Raum und das Stadtbild prägender Monumentalbildhauer.

Streit wich Hrdlicka nie aus, er hat (wenn schon nicht bewusst provoziert, so doch) Provokation in Kauf genommen. Stets war Ästhetik für ihn mit Politik, mit Gesinnung verbunden. Am meisten Getöse riefen seine Stein und Bronze gewordenen Statements naturgemäß in seinem Vaterland hervor.

Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus auf dem Wiener Albertina-Platz sollte ein Pfahl im Herzen der Hauptstadt des Verdrängens sein. Es gehört zu den bitteren Ironien der Geschichte, dass auf dem knienden, die Straße waschenden Juden nachträglich eine Art Stacheldraht montiert werden musste, um zu verhindern, dass sich arglose Touristen weiterhin auf den Rücken der Figur setzten - zum gemütlichen Ausruhen, Essen und Trinken.

Spuren in Hamburg und Wuppertal

Wirklich verstört allerdings reagierten Juden, die das Symbol ihrer Erniedrigung - sie hatte in den Wiener antisemitischen Exzessen des Jahres 1938 die bis dato schlimmsten Ausmaße erreicht - nicht ein halbes Jahrhundert danach neuerlich präsentiert bekommen wollten.

Gewaltige Spuren hat Alfred Hrdlicka auch und gerade außerhalb von Österreichs Grenzen hinterlassen - sei's mit dem Friedrich-Engels-Denkmal in Wuppertal, sei's in Hamburg mit dem Fragment gebliebenen Gegendenkmal zu einem Nazimonument.

Die geistige Heimat des Urwieners Hrdlicka ist zweifellos Deutschland, gerne bezeichnet er sich spöttisch als "Großdeutschen". Hier hatte er mehrere Professuren inne, hier wurde sein herausragendes Künstlertum gewürdigt, als ihn die Österreicher - wie einen Kokoschka in seinen Anfängen - bloß für einen "Oberwildling" hielten.

Und hier hat er tatsächlich politischen Einfluss: Er ist, Oskar Lafontaine bezeugt es selbst, "der heimliche Pate der neuen Linken". Nachzulesen in der eben erschienenen "Hommage" an Hrdlicka (Residenz Verlag, 160 S., 34,90 Euro). Wie das? Der Jubilar sekkierte Lafontaine und Gregor Gysi mit Aufforderungen zur Zusammenarbeit, bis die gemeinsame Plattform "Die Linke" aus der Taufe gehoben war.

Der "Plötzenseer Totentanz" in Berlin

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Der verbalen Vermischung der ideologischen Sphären - hie atheistischer Marxismus, da Christentum - eignet übrigens in dem Fall nichts Abwegiges. Gleich weiland Bertolt Brecht hat Hrdlicka ein Lieblingsbuch: "Sie werden lachen, die Bibel!"

Der Sammler Reinhold Würth zeigt in seiner Kunsthalle in Schwäbisch Hall bis Ende September die umfangreichste Hrdlicka-Retrospektive seit zehn Jahren, das Wiener Dommuseum rückt mit selbigem Recht dessen religiöses Werk ins Zentrum. Denn zum Eindrucksvollsten seines Oeuvres zählt etwa der "Plötzenseer Totentanz" im Evangelischen Gemeindezentrum von Berlin-Plötzensee.

Kein Wunder auch, dass es sich dabei um Wandbilder von riesenhafter Dimension handelt. Denn gewiss lässt sich über die ästhetische Qualität seiner übergroßen Denkmäler trefflich diskutieren, während die kleineren Skulpturen auf Anhieb überzeugen: Vom geschundenen Marsyas bis zum Schmerzenskörper des gekreuzigten Christus strahlen sie allesamt überwältigende Intensität aus. In ihnen scheint der Stein Fleisch geworden. Ohne Mühe begreifen wir den Kommentar von Hrdlickas Lehrer Fritz Wotruba: "Sie wollen wohl ein zweiter Michelangelo werden!"

Völlige Einigkeit herrscht unter Kennern indes über die Leistungen des Zeichners und Radierers Hrdlicka: Ihm billigt man schlichtweg Genialität zu. Seine Zyklen zur Französischen Revolution, zum Massenmörder Haarmann, zu Schubert und Richard Wagner sind Virtuosenstücke von finsterstem, deftigem Witz und apokalyptischer Ernsthaftigkeit.

Hrdlicka sieht sich als "Menschenbildner"

Auch in diesen Genres gilt Hrdlicka Devise: "Alle Macht in der Kunst geht vom Fleische aus." Den Verächter des Abstrakten kann man durch nichts tiefer kränken, als wenn man ihn zu den so genannten "gegenständlichen" Künstlern rechnet. Empört verbessert er: Er sei ausschließlich und nicht weniger als ein "Menschenbildner".

Eintracht und Konzilianz waren und sind die Sache dieses Dissidenten aus Leidenschaft nicht, seine Wollust ist der Widerspruch. Obwohl er schon im Gefolge des niedergeschlagenen Ungarn-Aufstands 1956 aus der KPÖ austrat, versteht und bezeichnet er sich, um Antikommunisten zu ärgern, kokett als "Uralt-Stalinisten".

Sein Beruf, seine Passion hat ihm Rückgrat und Bandscheiben ruinös beschädigt, er ist um 16 Zentimeter geschrumpft. Der tschechische Name Hrdlicka verheißt Liebliches: den Charakter des Täubchens. Das Gegenteil davon ist wahr. Vermag er auch nicht mehr den Stein mit unbändiger Kraft zu formen, auf dem Papier mit nimmermüdem Stift ist er, was er seit den späten fünfziger Jahren war: gefährlich wie ein Raubvogel. Heute wird Alfred Hrdlicka achtzig.

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