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Kultur Drittes Reich

Für Gerhart Hauptmann hatte sich Hitler "bewährt"

Leitender Feuilletonredakteur
Den Terror der Nazis hielt er zunächst für eine "Kirmesprügelei". Dennoch hatte Gerhart Hauptmann ein schlechtes Gewissen, denn er stellte sich nicht schützend vor seine jüdischen Freunde.

Gerhart Hauptmann war wichtig. Der Nobelpreisträger und zu seinen Lebzeiten (1862 bis 1946) mit Abstand prominenteste Dichter der Deutschen wurde bei allen historischen Zäsuren umworben. Und er stimmte jeweils zu. Ob es 1914 oder 1918 war, ob 1933 oder selbst noch 1945: seine Reaktion hieß: "Ich sage ,ja!" - so seine Worte zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund 1933.

Damit bekannte er sich klar zum Dritten Reich und erteilte den literarischen Emigranten seine Absage. 1914 war er ebenso bereitwillig zur Stelle gewesen. Die Einberufung seines Sohnes Ivo begrüßte er euphorisch mit den denkwürdigen Zeilen: "Diesen Leib, den halt ich hin / Flintenkugeln und Granaten: / eh ich nicht durchlöchert bin / kann der Feldzug nicht geraten."

1918 galt Hauptmanns Begeisterung Friedrich Ebert, und die Identifikation mit dem neuen Regime ging schnell so weit, dass Thomas Mann den Kollegen 1922 als ungekrönten König der Republik feiern konnte. Und noch 1945 zeigte sich der schon vom Tode gezeichnete Greis in einigen Zeilen bereit zur Zusammenarbeit mit den neuen sowjetischen Herren.

Gerhart Hauptmann ist wichtig. Nicht nur, dass er mit Brecht zusammen weiterhin als meistgespielter deutschsprachiger Dramatiker des 20. Jahrhunderts gilt. Jede Generation von Theatermachern erobert sich seine Stücke neu - zuletzt hat Michael Thalheimer mit seiner avantgardistischen Skelettierung von "Einsame Menschen" in Berlin Furore gemacht. Vor allem aber ist Hauptmann wichtig, weil er, mehr als jeder andere deutsche Schriftsteller seiner Zeit, repräsentativ war für den deutschen Geist.

Wer die Deutschen in ihrem katastrophischen Jahrhundert verstehen will, kann auch viel von Benn und Becher, von Döblin oder Jünger erfahren. Doch das waren für die Zeitgenossen Randfiguren, Literaten für Liebhaber.

Der Nationaldichter hieß Hauptmann - und nicht Thomas Mann, dem lange der Ruch des blutarmen Intellektuellen anhaftete. Das geistige Deutschland der Zeit zwischen 1871 und 1945 hielt aber vom Intellekt nicht sonderlich viel. Weniger "kritisches Bewusstsein" war gefragt als "Weltanschauung", und da stand Hauptmann obenan.

Vom Naturalismus hat er sich um 1910 abgewandt. Nicht zufällig waren zu seinen Lebzeiten weder "Die Weber" noch "Die Ratten" seine meistaufgeführten Stücke, sondern "Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama". Hauptmann faszinierten im Laufe der Jahrzehnte immer stärker Natur- und Lebensphilosophie, Religionswissenschaft im allgemeinen und Mystik im besonderen.

Er steht für die vage spirituelle Ausrichtung der Deutschen, die bis in unsere Tage kennzeichnend ist, da die Erzählung einer Pilgerreise, die ein Fernsehunterhalter unternahm, über Monate hinweg die Bestsellerlisten anführte. Man kann sicher sein: Auch Harpe Kerkelings "Ich bin dann mal weg" hätte der Dichter mit seiner Vorliebe für Kolossalwendungen "unendlich bedeutsam" gefunden.

Er hätte sich auch an der stilistischen Anspruchslosigkeit des Buches kaum gestört. Hauptmann teilte nämlich auch das eingewurzelte deutsche Unverhältnis zur Form mit seinen Landsleuten und stand auf dem Standpunkt "Sprachschliff ist kalte Ausländerei". Worauf es ihm ankam, war die Tiefe.

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Das macht ihn so repräsentativ für ein Volk, das gedankliche Brillanz, sprachliche Geschmeidigkeit und Eleganz im Grunde "undeutsch" fand, in jedem Fall aber "oberflächlich". Und letzteres vor allem ging natürlich gar nicht.

Es ist das große Verdienst des Berliner Germanisten Peter Sprengel, des gegenwärtig größten Kenners Gerhart Hauptmanns, das Exemplarische dieses Autors in seiner neuen Studie über "Gerhart Hauptmann im Dritten Reich" noch einmal nachhaltig ins Bewusstsein zu rücken.

Sprengel, der auch die Edition der Tagebücher betreut und demnächst den letzten Band zu den Jahren 1933 bis 1946 herausbringen wird, zeichnet in seiner kurzweilig zu lesenden und eminent anregenden Monografie detailliert Wege und Wandlungen, Willfährigkeitsbezeugungen und Winkelzüge Gerhart Hauptmanns während der Nazizeit nach.

Als erstes räumt er mit dem Vorurteil auf, dass sich vor allem auf die Schilderungen des Hauptmann-Freundes Erich Ebermayer stützt und besagt, Hauptmann sei damals ein bereits vergessener und obendrein von den Nazis verfemter Autor gewesen. Im Gegenteil: Hauptmann wurde 1933 ff. wie eh und je landauf, landab gespielt.

Die Modernen wenden sich ab

Neue Stücke wurden an den ersten Bühnen des Reiches uraufgeführt, alte (oft mit "Aktualisierungen" des Autors versehen, die der herrschenden Ideologie Rechnung trugen) von den bekanntesten Schauspielern und Regisseuren neu interpretiert. Auch seine Prosa verkaufte sich nach wie vor. Sicher, die Modernen hatten sich von Hauptmann abgewandt - bei ihnen war er seit Thomas Manns Hauptmann-Parodie des Mynheer Peeperkorn im "Zauberberg" eine Spottfigur.

Doch der gewöhnliche Deutsche sah weiterhin zu seinem Hauptmann als einer nationalen Identifikationsfigur auf - je älter dieser wurde, umso inniger. Und waren nicht auch die mentalen Muster, die sich bei Hauptmanns Reaktionen auf Deutschlands "Abmarsch in die Barbarei" abzeichnen, die mentalen Muster des deutschen Bürgertums?

Zu diesen Mustern gehören vor allem zwei, die sich bei Hauptmann in allen Verästelungen zeigen. Das erste könnte man Beschönigen und Beschwichtigen nennen. Terror der Nazis in den Anfangsmonaten? Eine "Kirmesprügelei", die sich schon geben würde.

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"Vertrauen wir! Stören wir und komplizieren wir nicht." Also keine "Einmischung" oder gar öffentliche Kritik. Hitler ein Gewaltmensch? Das wohl, aber doch einer, der sich "in zäher Arbeit bewährt" hat und darüber hinaus wunderbare Reden hält - noch 1941 hält Hauptmann eine solche Rede für "seit Menschengedenken das größte politische Ereignis Deutschlands".

Naivität Hauptmanns hinsichtlich des Juden-Schicksals

Am meisten machte Hauptmann damals offenbar das Schicksal seiner jüdischen Freunde zu schaffen. Einem, der 1933 das Land verlässt, schreibt er: "Ich nehme an, Sie kommen bald wieder nach Deutschland: Sie sollten es unbedingt tun." Hauptmann wollte wohl nur höflich sein. Einer Freundin, die später nach Palästina auswandert, versichert er, er verstehe ihr Entzücken über die "südliche Schönheit des heiligen Landes", als ginge es um reizvolle neue Reiseziele.

Und artig fügt er sogar hinzu: "Wer weiß, vielleicht gewährt auch mir das Schicksal vor dem Abscheiden noch einen Blick auf die Zinnen der ewigen Stadt." Hier schlüge bürgerliche Konvention (über Probleme spricht man nicht) ins Perfide um, müsste man Hauptmanns Vogel-Strauß-Politik nicht für Naivität halten (man kann auch sagen Dummheit. Schon Schnitzler sprach von Hauptmanns "großer Persönlichkeitswirkung bei mäßiger Intelligenz").

Doch das schlechte Gewissen, sich nicht schützend vor die Juden zu stellen, verfolgt den Dichter bis in seine Träume. Aber dann, im Augenblick des "Anschlusses" von Österreich 1938 ermannt er sich: "Ich muss endlich diese sentimentale ,Judenfrage' für mich ganz und gar abtun: es stehen wichtigere, höhere deutsche Dinge auf dem Spiel."

Streben nach höheren Dingen

Zu "höheren deutschen Dingen" aber sagte man selbstverständlich ja. Wie auch die Kriegserfolge Hauptmann begeisterten und belebten: Der letzte große Produktionsschub, seine "Atriden-Tetralogie" - auch das weist Sprengel nach - geht klar auf die allgemeine Euphorie nach dem Sieg über Frankreich zurück.

Und hier zeigt sich das zweite Muster: Anbetung der normativen Kraft des Faktischen, dergegenüber Zweifel und Skepsis "niedergerungen" werden müssen: "Sind wir bei Wiederherstellung dessen, was uns geraubt wurde? Oder nicht?", fragt immerhin das Tagebuch nach dem Polenfeldzug. Egal, findet der Dichter wenig später und lässt zur Feier des Tages Champagner auffahren.

Im Einklang mit seiner Zeit, das wollte er vor allem sein, dieser Dichter, dazu eins mit seinem Volk, bejahend dabei, wenn es sich "erhob". Nur nicht im Abseits als ein Fremdling stehen! Dieses verdienstvolle Buch zeigt am exemplarischen Einzelfall, aus welchen deutschen Denk- und Verhaltenstraditionen sich das Jasagen nährt. Können wir uns so sicher sein, dass diese Traditionen heute nicht mehr lebendig sind?

Peter Sprengel: Der Dichter stand auf hoher Küste. Gerhart Hauptmann im Dritten Reich. Propyläen, Berlin. 380 S., 24, 90 Euro.

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