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Die Nordschleife. Grandios schön und grandios gefährlich

Rund 20 Kilometer lang schlängelt sich die Schleife durch die Eifel. Hier wird der Begriff "Grüne Hölle" verständlich Rund 20 Kilometer lang schlängelt sich die Schleife durch die Eifel. Hier wird der Begriff "Grüne Hölle" verständlich
Rund 20 Kilometer lang schlängelt sich die Schleife durch die Eifel. Hier wird der Begriff "Grüne Hölle" verständlich
Quelle: Robert Kah / Imagetrust
Die Nordschleife ist für Petrolheads Wallfahrtsort, Sehnsucht, Lebensader - und wird 90. Wir feiern die grandios schöne Strecke in der Eifel mit ihren Touristenfahrern und sprechen über Bremspunkte, Bodenwellen, Anekdoten.

Daran erkennst du den Freak. Er (oder selbstverständlich auch sie) wird nicht von seiner Rundenzeit auf der Nordschleife sprechen, sondern eben von „BTG“ – Bridge to Gantry.

Komplette Runden gibt es nur für die Rennfahrer, unsereins, wir Touristen, fädeln bei der Antoniusbuche ein, drücken das Geld ab, 25 Euro an Wochentagen, 30 Euro am Wochenende, fahren BTG (also bis nach dem Galgenkopf), dann wieder von vorn; die Saisonkarte für 1900 Euro lohnt sich also erst ab 76 Versuchen, sich und seinen ganz eigenen inneren Schweinehund zu besiegen.

Tausende Autofans an der Nordschleife: Der Carfreitag ist der Saisonauftakt der Autofans
Tausende Autofans an der Nordschleife: Der Carfreitag ist der Saisonauftakt der Autofans

Es ist wie Achterbahnfahren, bloß sitzt man nicht einfach da und schreit, sondern muss es mit sich selbst, dem Fahrzeug, der Strecke ausmachen. Oder wie es mein werter Freund Tobias, BTG in 8:02 in über 250 Versuchen, Lieblingskurve Bellof-S bis Zufahrt Schwalbenschwanz, Hasskurve Wippermann, so schön sagt: „Sie ist so verdammt lang – und ich hab jedes Mal die Hosen voll.“ Er wird wohl auch wieder da sein zur Saisoneröffnung, der diese Freaks einen eigenen Feiertag gewidmet haben, den Car-Freitag.

Nach offizieller Schreibweise sind es 73 Kurven, es gibt einen Anstieg von 18 Prozent auf die Hohe Acht und ein Gefälle von 11 Prozent bei der Fuchsröhre; 20,832 Kilometer sind es nach dem letzten Umbau. Der Kurs selber, um einen englischen Journalisten zu zitieren: „Als der Ring geplant wurde, hat man wohl einen torkelnden Riesen im Vollrausch losgeschickt, um die Strecke festzulegen.“

Nordschleife
Quelle: Nürburgring

Stefan Bellof war der Schnellste von allen

Den offiziellen Rundenrekord auf der Urstrecke, der nur in einem Rennen aufgestellt werden kann, hält Clay Regazzoni mit 7:06,4 Minuten, also einem Schnitt von 192,8 km/h, gefahren in einem Ferrari beim Großen Preis von Deutschland 1975; die schnellste je gefahrene Zeit wird Stefan Bellof zugeschrieben, 6:11,13 Minuten, erzielt am 28. Mai 1983 auf einem Porsche 956C; Durchschnittsgeschwindigkeit über 202 km/h.

Er war der Schnellste aller Zeiten. Stefan Bellof steuerte am 28. Mai 1983 einen Porsche 956 in exakt 6:11,13 Minuten über die Nordschleife. 1985 starb er im Alter von 27 Jahren bei einem Rennunfall – nachdem seine Formel-1-Karriere gerade erst extrem vielversprechend begonnen hatte
Er war der Schnellste aller Zeiten. Stefan Bellof steuerte am 28. Mai 1983 einen Porsche 956 in exakt 6:11,13 Minuten über die Nordschleife. 1985 starb er im Alter von 27 Jahren be...i einem Rennunfall – nachdem seine Formel-1-Karriere gerade erst extrem vielversprechend begonnen hatte
Quelle: picture-alliance / Sven Simon

Gerade wird wieder um Zeiten diskutiert, ein Lamborghini Huracán Performante will 6:52 geschafft haben, was ein neuer Rekord für ein Serienauto wäre (bisher: Porsche 918 Spyder in 6:57), doch es gibt da gewisse Zweifel. Gibt es immer wieder, Zweifel und Diskussionen, welche Reifen sind zugelassen, was ist noch ein Serien-Auto.

Egal: Den Touristenfahrerinnen und -fahrern ist es streng verboten, Stoppuhren oder Kameras mitzuführen. Na ja, es soll trotzdem hin und wieder vorkommen. Sonst hat man ja dann nichts zu plaudern: Grill, Rennwurst und Campingstuhl gehören zu einem Nordschleifen-Ausflug mindestens so sehr dazu wie ein Fahrzeug.

Mitfahren ist schlimmer als Fahren

Am schlimmsten ist es auf dem Beifahrersitz. Keine Ahnung mehr, wann das war, mindestens 25 Jahre ist es her, aber meine erste Runde auf der Nordschleife werde ich auch deshalb nie wieder vergessen. Ich hatte mich für einen Fahrkurs angemeldet, zur Einführung knallte ein älterer Herr mit mir in einem BMW M5 über die Strecke, und ich war schon nach wenigen Hundert Metern grün im Gesicht; es war die Hölle.

Er plauderte zwar noch etwas, dass ich mir die Kurven merken solle, aber ich war derart mit mir selbst und meinem Mageninhalt beschäftigt, dass ich weder etwas sah, geschweige denn mir etwas merken wollte. Aussteigen wollte ich – und nach Hause fahren. Der Ausdruck „Grüne Hölle“, erfunden einst von Jackie Stewart, war mir da zwar schon gefäufig, aber ich sah das eigentlich in einem anderen Zusammenhang.

Der Ring bot Rennsport zum Anfassen, die Zuschauer kamen in Scharen – und hinterließen Spuren
Der Ring bot Rennsport zum Anfassen, die Zuschauer kamen in Scharen – und hinterließen Spuren
Quelle: UIG via Getty Images
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Selbstverständlich fuhr ich dann doch, zuerst in einem Opel Corsa, 75 PS. Und war wieder völlig überfordert – von mir, dem Auto, dem nicht vorhandenen Talent und der Überschätzung meines Könnens, dem Verkehr auf der Strecke (es gab noch langsamere Gefährte, einen Reisebus, den ich erst im letzten Moment sah; es soll auch vorkommen, dass Mofas unterwegs sind, die die Hohe Acht hochstrampeln müssen) und vor allem von jenen Wahnsinnigen, die mir um Zentimeter an den Rückspiegeln vorbeiknallten.

Natürlich wurde nicht gemessen (es dauerte eine gefühlte Viertelstunde), der zweite Anlauf war schon deutlich besser, und auf der dritten Runde hatte ich sogar so etwas wie Spaß. Man gab mir dann andere Autos, stärkere, andere Instruktoren, nervenstärkere, und als ich nach zwei Tagen, viel Schweiß, Muskelkater in den Unterarmen dann auch auf den M5 wechseln durfte, fühlte ich mich wie der König vom Nürburgring.

Die Nordschleife fordert Demut

Der seinen Namen übrigens aus einem Preisausschreiben hat, den Einfall hatte ein ehemaliger Regierungspräsident, der Bindestrich des ursprünglichen Nürburg-Rings wurde mit den Jahren abgeschliffen. 1925 hatten die Bauarbeiten an einer „ersten Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke“ begonnen, am 18. Juni 1927 wurde sie offiziell eröffnet, Rudolf Caracciola war auf einem Mercedes-Benz der erste Sieger – und sagte später: „Fünf Siege in Monza können einen Sieg auf dem Nürburgring nicht aufwiegen.“

Die Nordschleife ist eine Sucht. Zwar bin ich als Schweizer durch einen etwas langen Anfahrtsweg leicht benachteiligt, aber früher, da waren es schon zwei, drei Wochenenden pro Saison. Irgendwann merkt man, dass sich die Strecke nicht besiegen lässt, dass man sie immer mit Ehrfurcht, Respekt, fast schon Demut angehen muss.

Autos wie der Turbo-Dreier-BMW fuhren in den Siebzigern auf der Nordschleife. Unter der Hülle steckte reine Renntechnik. Aber sie sahen Serienwagen ähnlich – das sorgte für Identifikation beim Publikum
Autos wie der Turbo-Dreier-BMW fuhren in den Siebzigern auf der Nordschleife. Unter der Hülle steckte reine Renntechnik. Aber sie sahen Serienwagen ähnlich – das sorgte für Identif...ikation beim Publikum
Quelle: picture alliance / Erhardt Szaka

Sie kann dich jederzeit abwerfen, viel Verkehr eben, aber auch schlechtes Wetter (auch wenn ich das in all den Jahren nie erlebt habe, diese anscheinend berüchtigten Wetterwechsel: Schnee auf der Döttinger Höhe, 30 Grad und Sonnenschein im Adenauer Forst), vor allem aber: zu wenig Konzentration.

Richtig rausgeflogen bin ich nur einmal, BMW M3 CSL, Reifen noch nicht richtig warm, zu viel Enthusiasmus, reine Dummheit, aber da war ein Kiesbett auf der Grand-Prix-Strecke, das zählt irgendwie nicht.

„Zwölfdreißiger“ sind die Sonntagsfahrer

Ich habe viel gelernt über Physik und Fahrdynamik auf der Nordschleife, ich habe in den vergangenen Jahren meinen Fahrstil angepasst an die neuen Qualitäten der Autos, nicht mehr auf der letzten Rille, dank viel Drehmoment besser, entspannter einen Gang höher, ich weiß, wo meine fahrerischen Grenzen sind. Mehr als 300 PS sollten es nicht sein, bei meinem letzten Auftritt in einem Aston Martin war ich wieder einmal schlicht überfordert.

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Aber das ist wichtig, diese Fahrschule des Lebens, die Nordschleife stärkt auch den Charakter, irgendwie – also: vielleicht. Keke Rosberg, später Formel-1-Weltmeister, hatte derart viel Respekt vor dem Rundkurs, dass er nachts nie fuhr; Felice Bonetto nahm den Großen Preis von Deutschland 1952 dagegen mit einer Pfeife im Mund in Angriff und schied schon in der ersten Runde aus.

Für die Wetterkapriolen war der Ring immer berüchtigt. Graham Hill fährt Ende der Sechziger durch den strömenden Regen, auch hier steht das Publikum bis an die Strecke
Für die Wetterkapriolen war der Ring immer berüchtigt. Graham Hill fährt Ende der Sechziger durch den strömenden Regen, auch hier steht das Publikum bis an die Strecke
Quelle: picture-alliance / ASA

Und ich bleibe ja ein Anfänger, Amateur mit meinen vielleicht 200 Runden, von denen die meisten schon bald zwei Jahrzehnte alt sind; die aktuellen „Taxifahrer“ Claudia Hürtgen, Hans-Joachim Stuck und Sabine Schmitz haben mehrere Tausend Runden in den Armen.

Dass Erfahrung auf so einer langen Rennstrecke viel wert ist, bewies der damalige Mercedes-Entwicklungschef Uhlenhaut seinen Rennfahrern 1954: Er war über 10 Sekunden schneller als seine beiden Piloten Hermann Lang und Hans Hermann. Und das waren ja auch keine Bettnässer. Die übrigens unter jenen, die BTG kennen, „Zwölfdreißiger“ heißen; man kann es sich ja etwa ausrechnen. Walter Röhrl sagt: „Für alles über 8 Minuten auf der Nordschleife ziehe ich keinen Helm auf.“

Jeder hat seine Hass-Ecken

Alex G. hat BTG auch schon gut 1000 Mal hinter sich, behauptet, „nie gemessen“ zu haben, weiß aber, dass er mit dem Porsche 911 GTS (997.2) auf der Döttinger Höhe 270 draufhatte. Liebste Kurve? „Schwierige Frage, aber ich würde sagen, der schnelle Hatzenbach-Bogen – weil man da gleich zu Beginn zeigen kann, wo der Hammer hängt.“ Schwierigste Kurve? „Ex-Mühle, denn wenn die nicht passt, verhungerst du bis ins Steilstück.“

Tobi H. erklärt Pflanzgarten II zu seinem schwierigsten Teil, „im Schwalbenschwanz bin ich immer unzufrieden danach“, dafür mag er „Hohe Acht plus Wippermann“. Das sagt auch Sebastian B., 350 Runden, schnellste in 8:12 Minuten in einem Renault Megane RS: „Hohe Acht bis Wippermann: anspruchsvoll, schnell, toller Fluss. Wenn es eine ganz spezifische sein muss, ist es wohl die Rechts-links-rechts-Kombination in den Wippermann rein.“

Publikumsmagnet und Teil des Mythos: Michael Schumacher im Ferrari-Formel-1
Publikumsmagnet und Teil des Mythos: Michael Schumacher im Ferrari-Formel-1
Quelle: Getty Images

Und die schwierigste? „Für mich der Linksknick Ende Fuchsröhre. Grandios schön, innen über den Curb zu fräsen. Grandios gefährlich, wenn du richtig schnell bist, sich das Fahrwerk nach der Senke noch nicht richtig stabilisiert hat und du trotzdem die Kiste noch irgendwie zum Anbremsen vor dem Linksknick geradekriegen musst. Wenn nicht, fliegst halt ab. Und da bist’ schnell genug, dass es ordentlich wehtut.“

Natürlich geht es auch um den Vergleich, aber nicht um Schwanzlängen, natürlich willst du dich nicht von diesem gepimpten Suzuki Swift vernaschen lassen. Doch im Gegensatz zu den Längsdynamikern auf der Autobahn oder am Rotlicht ist man auf der Nordschleife zuerst einmal im In-Fight mit sich selbst, es zählt weniger die Zeit als endlich einmal eine richtig saubere Runde, das Einswerden mit Gerät und Gasse, die Konzentration auf das Wesentliche. Man wird nie schnell sein, wenn man nicht den Kampf mit und gegen sich selbst vorab ausgefochten hat. Insofern ist es auf der Nordschleife wie im richtigen Leben.

„Schwedenkreuz“, „Kesselchen“ – das ist Ring-Code

Nur schon die Namen der Streckenabschnitte und Kurven: Tiergarten, Schwedenkreuz, Fuchsröhre (die ihren Namen daher hat, dass sich bei den Bauarbeiten hier ein Fuchs in einer Drainage-Röhre versteckte), Wehrseifen, Bergwerk, Kesselchen, Wippermann, Brünnchen, Schwalbenschwanz, Galgenkopf.

Es wird eine ganz eigene Sprache gesprochen, den Freak erkennt man nicht nur an BTG, sondern vor allem am Wissen um Bremspunkte, Bodenwellen, Anekdoten, es beginnen die meisten Sätze mit: „Weißt du noch...?“ oder „Damals...“.

Nach einem Zusammenstoß in der zweiten Runde beim Grand Prix auf dem Nürburgring am 01.08.1976 brennt der Ferrari des österreichischen Formel-1-Weltmeisters Niki Lauda. Lauda trägt schwere Verbrennungen davon und wird in eine Ludwigshafener Klinik geflogen. |
Auch ein Teil der Ring-Geschichte: Niki Laudas Feuerunfall von 1976 trug entscheidend dazu bei, dass die Formel 1 nicht mehr über die Nordschleife fuhr
Quelle: picture-alliance / dpa

Es heißt, dass bislang etwa 140 Menschen ihr Leben an die Nordschleife gegeben haben, die letzte Tragödie war jene des Engländers Jann Mardenborough, dessen Nissan GT-R Nismo GT3 am Flugplatz abhob und über die Fangzäune katapultiert wurde. Dabei kam ein Zuschauer ums Leben, zwei weitere wurden schwer verletzt.

Den ersten Toten hatte die Grüne Hölle ziemlich genau ein Jahr nach ihrer Eröffnung gefordert. Der Sportwagenfahrer Vinzenz Junek verunglückte bei der Ex-Mühle. Auch das erste Todesopfer der 1950 eingeführten Formel 1 war auf dem Nürburgring zu beklagen: Der Argentinier Onofre Marimón verunglückte beim Training zum Großen Preis von Europa 1954 in seinem Maserati 250F.

200.000 Zuschauer an der Strecke

Doch es gibt natürlich auch viele schöne Anekdoten zu erzählen – Geschichten, die den Nürburgring zum Mythos machten. In den 60er- und 70er-Jahren säumten bei den wichtigen Rennen jeweils über 200.000 Zuschauer die Strecke – davon kann die Formel 1 heute nur noch träumen.

Perfekte Idylle: Juan Manuel Fangio fährt 1957 über einen Ringabschnitt ohne irgendeine ernsthafte Art von Sicherheitsvorkehrung
Perfekte Idylle: Juan Manuel Fangio fährt 1957 über einen Ringabschnitt ohne irgendeine ernsthafte Art von Sicherheitsvorkehrung
Quelle: picture-alliance / ASA

1965 zum Beispiel, als Chris Amon seinen Ford GT40 von der Antoniusbuche rund zwei Kilometer bis zu den Boxen schob – es geht dort bergauf. Amon/Bucknum wurden beim 1000-Kilometer-Rennen noch gute Achte.

Die Silberpfeile sollen 1934 auf dem Nürburgring ihre berühmte Bezeichnung erhalten haben; 1947 bestritt ein aus der „Sowjetisch Besetzten Zone“ angereister Motorradrennfahrer das Rennen mit seinem Rucksack – und fuhr gleich nach der Zieldurchfahrt und einem guten fünften Rang wieder nach Hause.

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