Überholmanöver zum Luftanhalten, spektakuläre Abflüge, dazu Gewitter, Starkregen und Nebel inklusive Unterbrechung des Wettbewerbs – das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring hat dieses Jahr wieder einmal den Ruf der Nordschleife als härteste Rennstrecke der Welt gefestigt. Was deren Attraktivität für die Branche nur steigert.
„Jeder lobt, was Nürburgring-erprobt“ – dieses nicht mehr ganz neue Werbeschild ziert den Verbindungstunnel zwischen historischem und aktuellem Fahrerlager, und es belegt, dass die 1927 eröffnete Nordschleife nie nur für den Motorsport gedacht war.
Schon damals war der Eifelkurs zusätzlich als Mess- und Prüfstrecke konzipiert worden, auch deshalb verfügt er über eine so tückische Topografie. Die lockt nicht nur Privatpiloten an (30 Euro pro Runde), auch die Autoindustrie hat sich hier eingenistet.
Von März bis Oktober nutzt der Industriepool, ein Zusammenschluss aus 40 Herstellern und Zulieferern, die Strecke für jeweils 14 Tage im Monat, immer von neun bis 18 Uhr. Viele Mitglieder des Pools unterhalten im Gewerbegebiet nebenan ein Technikzentrum, wo die Autos vorbereitet werden.
„Von uns sind immer 50 bis 60 Techniker vor Ort“, sagt Markus Schrick, Deutschland-Chef von Hyundai. „Die Nordschleife ist von der Streckenführung und der Straßenbeschaffenheit her so anspruchsvoll, dass ein Auto, das hier einen Langstreckentest besteht, auf jeder anderen Straße der Welt fahren kann.“
Die große Ruppigkeit der Nordschleife, mit Steilkurven, mit Kuppen, mit Steigungen bis 18 Prozent und bis zu elf Prozent Gefälle, bewirkt eine Art Multiplikation: Ein Kilometer Nordschleife lässt sich mit fünf bis 20 Kilometern im wahren Autoleben berechnen, je nach Fahrstil. In jedem Fall ist die Strecke ein den Verschleiß förderndes Asphaltmonster – auch weil vor einigen der 73 Kurven aus sehr hohem auf sehr niedriges Tempo abgebremst werden muss.
Von Aston Martin bis Hyundai – alle testen in der Eifel
Zudem ist der Belag nicht annähernd so perfekt wie etwa auf dem Grand-Prix-Kurs des Nürburgrings oder typischen Teststrecken wie Contidrom oder Bilster Berg. Da die 91 Jahre alte Nordschleife häufig ausgebessert wurde, haben Renn- und Testfahrer immer wieder mit dem Wechsel des Gripniveaus zu kämpfen – und das launische Eifelwetter tut das Seine, um Test- und Wettfahrten so weit wie möglich von idealen Bedingungen zu entfernen.
Wer hier im Rennen seine Gegner niederringt, ist wirklich ein guter Fahrer, wer hier ein Auto erfolgreich abstimmt, muss sich seines späteren Serienproduktes nicht schämen.
David King, Entwicklungsvorstand des englischen Sportwagenherstellers Aston Martin, gibt es offen zu: „Als ich 1995 zu Aston Martin kam, hatten wir den Ruf, dass wir schöne Autos bauten, die aber nicht besonders belastbar waren und keine Konkurrenz für Porsche darstellten. Das wollten wir ändern und begannen in den späten 90er-Jahren, unsere Autos auf der Nordschleife zu testen.“
Zwischen Hyundai und Aston Martin könnten die Unterschiede größer nicht sein, dennoch nehmen beide Hersteller die Nordschleife gleich wichtig. „Diese Tests sind unter anderem die Basis dafür, dass wir fünf Jahre Garantie auf unsere Autos geben“, sagt Hyundai-Chef Schrick.
Und Aston Martins Chefingenieur King betont das Image der Strecke: „Wir erzählen unseren Kunden, dass wir an demselben Ort arbeiten wie die großen Jungs, also Porsche oder Mercedes. Das ist hilfreich.“
Und die Krone der Nützlichkeit ist der Rundenrekord, ein geradezu mythischer Wert. Die Stoppuhr lügt nicht. Porsche, derzeitiger Rekordhalter für Serienautos und GT-Rennwagen, zieht bei seinen Rekordversuchen sogar einen Notar hinzu.
Der Jurist könnte zwar keine Manipulationen an Motor und Fahrwerk erkennen, gibt Frank-Steffen Walliser zu, der bei Porsche verantwortlich ist für die Renn- und Serienwagen der GT-Kategorie. „Aber er kann die Abläufe und die Plausibilität beurteilen, das ist schon mal wichtig.“ Walliser ist ein Mann der feinen Andeutungen.
Nie würde er direkt sagen, dass es bei Rekordfahrten der Konkurrenz nicht mit rechten Dingen zugehe, etwa dass nicht serienmäßige Reifen verwendet werden – lieber lässt er einen Notar die ordnungsgemäße Abwicklung eines Porsche-Rekordversuchs beurkunden.
Erst vor wenigen Monaten gab es wieder einen Stempel unter den aktuellen Rundenrekord: 6:47:30 Minuten hat der 700 PS starke Porsche 911 GT2 RS gebraucht und damit den aufmüpfigen Lamborghini Huracán Performante (6:52:01) deutlich in die Schranken gewiesen.
Mit dem 918 Spyder (6:57:00) und, ganz aktuell, dem 911 GT3 RS (6:56:40) hat Porsche nun als einziger Hersteller drei Serienmodelle unterhalb der Siebenminuten-Marke platziert.
Auch Reifenhersteller testen in der Eifel
Laut Walliser ist die „Fahrbarkeit“ das Erfolgsrezept – dass also der Mensch am Steuer sich wohl und sicher im Auto fühlt, selbst wenn er auf einer sehr schnellen Runde unterwegs ist. „Ich kann dem Auto auch eine noch spitzere Charakteristik geben. Dann ist es extrem schnell im Simulator, aber ich finde dafür keinen Fahrer mehr.“
Dass in einem echten Rennwagen gar nicht mehr so viel bessere Rundenzeiten möglich sind, hat das 24-Stundenrennen gezeigt. Die Autos befahren hier die Nordschleife und zusätzlich den Grand-Prix-Kurs, was die Strecke von 20,832 auf 25,378 Kilometer verlängert.
Mit 8:09:105 Minuten hat Porsche-Werksfahrer Laurens Vanthoor einen neuen Rekord aufgestellt, laut Walliser wären das 6:30 Minuten nur für die Nordschleife gewesen – gerade 17,3 Sekunden schneller als ein Serien-Porsche ohne spezielle, profillose Rennreifen.
Überhaupt, die Reifen. Sie sind es, die den Kontakt zwischen Auto und Straße herstellen, und in den letzten Jahren haben die Hersteller enorme Fortschritte gemacht, was den Grip angeht – unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Nasshaftung und Lebensdauer.
Auch dabei hilft die Nordschleife als Teststrecke, wie Markus Bögner sagt, Europachef der weltweit sechstgrößten Reifenmarke Falken. „Wir testen hier regelmäßig die Reifen unter extremen Bedingungen, das ist sonst nirgends auf der Welt möglich.“
Gleichzeitig unterhält Falken einen Rennstall, zu dem ein Porsche 911 und ein BMW M6 zählen, beide fuhren beim 24-Stunden-Rennen um den Gesamtsieg mit. Im Qualifying holte der Falken-911, der von Porsche-Werksfahrer Sven Müller gesteuert worden war, sogar den Rundenrekord (8:09:522 Minuten) – bis er von Laurens Vanthoor abgefangen wurde.
Der übrigens auf Michelin unterwegs ist. Aber ob die Reifenmarke den Unterschied gemacht hat oder das Talent des Fahrers – das bleibt bei nur 14 Meter Vorsprung auf mehr als 25 Kilometern eines der Mysterien der Nordschleife.
Kann ein Bildband über eine Rennstrecke ohne Autos auskommen? Er kann: Fotograf Stefan Bogner hat die Nordschleife des Nürburgrings aus der Sicht des Fahrers porträtiert. Stefan Bogner, Thomas Jäger: Tracks. Nürburgring Nordschleife. Delius Klasing Verlag