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Amish People leben noch so wie vor 300 Jahren

Sie kleiden sich wie ihre Vorfahren vor 300 Jahren, lehnen technische Errungenschaften ab und folgen strengen Verhaltensregeln: Etwa 180.000 Amish People leben abgeschieden in den USA und Kanada. Neugierige Besucher werden stoisch geduldet, denn Klagen ist in der Religionsgemeinschaft verpönt.

Alma Hershberger hebt den Deckel ihres gusseisernen, altertümlich anmutenden Kochtopfes und strahlt. „Essen ist fertig, bitte setzt euch“, sagt sie zu ihren Gästen, während zwei ihrer Nichten auftragen. Gegessen wird in der Stube des schlicht eingerichteten Farmhauses. Hier gibt es keine Elektrizität, keinen Anschluss ans Gasnetz, keinen Fernseher, kein eigenes Telefon, kein Internet – es ist ein Amish-Haus.

Alma Hershberger ist eine Amish und lebt nahe der kleinen Ortschaft Berlin im US-Bundesstaat Ohio. Tagsüber arbeitet die 59-Jährige auf der Farm, kocht für Besucher, gibt eigene Kochbücher heraus und verkauft selbst gemachte Marmelade. Am Abend fährt sie mit der Kutsche nach Hause, auf ihre eigene Farm, in deren Nachbarschaft auch ihre 23 Nichten wohnen.

Insgesamt etwa 180.000 Amish – oder Amische – leben in den USA und Kanada noch wie ihre Vorfahren, als diese ab 1720 vorwiegend aus Deutschland und der Schweiz in die USA emigrierten. Sie lehnen bis heute fast alle technischen Errungenschaften ab. Das macht sie auch für Touristen interessant, die ihre Dörfer regelmäßig besuchen.

Ihre Felder pflügen die Amish mit Hilfe ihrer Pferde, sie tragen altmodische, einheitliche Kleidung und verbieten sich jedes modische oder andere Detail, das sie voneinander unterscheiden oder gar den Eindruck von Eitelkeit erwecken könnte. Sie sind streng religiös und leben nach der Bibel, deren Schriften sie nicht hinterfragen. Nicht nur in diesem Punkt unterscheiden sich die Amish von den Mennoniten, die zwar ebenfalls sehr religiös, insgesamt jedoch offener sind und sogar eigene Autos besitzen, während sich die Amish fast ausschließlich in ihren Kutschen („Buggys“) fortbewegen.

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Die größere Offenheit der Mennoniten und die Liebe zu einer ihrer Mitglieder ließen Paul Coblentz im Alter von 17 Jahren die Entscheidung treffen, seine Amish-Eltern und die Gemeinde zu verlassen. Dies allerdings konnte er nur deshalb einigermaßen unbeschadet tun, weil er noch nicht getauft war und damit der Gemeinde noch nicht als vollwertiges Kirchenmitglied mit allen Verpflichtungen und Bindungen angehörte. „Wäre ich damals schon getauft gewesen, wäre ich für immer verbannt worden und dürfte nie wieder meine Familie und alte Amish-Freunde besuchen“, erzählt der heute 63-Jährige seinen Besuchern.

„Das Leben war langsam und entspannt, wir haben viel Sport gemacht und saßen oft zusammen auf der Wiese und haben gesungen, während mein Bruder Mundharmonika spielte“, erzählt Coblentz von früher. Auch als Kind habe man schon bei der Feldarbeit mitgeholfen, und vor lauter Müdigkeit am Abend – vor allem im Sommer – habe man sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ob man etwas wie Fernsehen, Radio oder Kino überhaupt vermissen könnte. Nach seinem Weggang von der Gemeinde habe er sich allerdings so schnell wie möglich ein Auto zugelegt. Coblentz sagt: „Es war in vielerlei Hinsicht eine neue Art von Freiheit, die gut getan hat, zudem hatte ich plötzlich auch die Möglichkeit, neue Dinge und Interpretationen über die Heilige Schrift zu erfahren, das fand ich sehr bereichernd und spannend.“

Von solcherlei einschneidenden Änderungen will Alma Hershberger nichts wissen. Schließlich fehle es ihr an nichts in ihrem Leben, wie sie betont. Und doch: „Ein eigenes Telefon, das wäre schön – und ich würde so gerne einmal nach Bayern fahren, um zu sehen, woher meine deutschen Vorfahren stammen.“ Zu einer solchen Reise allerdings wird es niemals kommen, denn die Amische dürfen zwar mit Bussen oder Schiffen reisen, nicht aber in Flugzeugen. Darüber, dass sie vor Jahrzehnten an Kinderlähmung erkrankte und noch heute auf Grund der damals fehlenden medizinischen Versorgung – die Amish lehnen Impfungen ab – schlecht stehen und laufen kann, spricht Alma nicht.

Zu klagen ist bei den Amish People streng verpönt. Daher beschweren sich die Mitglieder, von denen in Ohio etwa 36.000 leben, auch nicht über das bisweilen unhöfliche Verhalten mancher Touristen, die in Bussen anreisen, um den für sie unvorstellbaren Lebensstil zu bestaunen. So fallen manche Besucher durch penetrante Versuche auf, die Amish verbotenerweise zu fotografieren und machen sich dabei über deren Kleidung und Kopfbedeckung lustig. „Manchmal behandeln sie die Menschen hier wie Tiere im Zoo, aber mittlerweile haben sich die Amish daran gewöhnt – und viele profitieren ja auch von den Gästen“, sagt die ehemalige Amish JoAnn Hershberger, auf deren Farm auch Alma arbeitet.

Auch ein Mädchen der „Old Order Amish“, der konservativsten Gruppe, ist bei JoAnn angestellt und trägt selbst im Hochsommer das typische langärmelige, knöchellange Kleid. „Diese Mädchen sind aber nicht neidisch oder denken in diesem Moment: Wie gerne würde ich auch ein kurzärmliges T-Shirt tragen, sondern sie denken sich: Wenn du wüsstest, was ich weiß, wärest du auch Amish“, erzählt JoAnn. Denn Amish zu sein, bedeutet, dass der Eintritt ins göttliche Paradies nach dem Tod wegen des gut geführten Lebens und der strengen Religiösität garantiert ist. Auch werde keiner gezwungen, der Gemeinde beizutreten oder bis ans Lebensende zu bleiben, betont JoAnn. Trotz dieser Wahlfreiheit sei die Austrittsquote bei den Amish niedrig. „Möglicherweise liegt das daran, dass die Amish eigentlich ganz froh darüber sind, dass sie vom Rest der Welt nicht so viel mitbekommen und in ihrem eigenen Universum leben“, sagt JoAnn.

Auskunft: Great Lakes of North America, Schwarzbachstraße 32, 40822 Mettmann (Tel.: 02104/79 74 51); www.greatlakes.de , www.visitamishcountry.com

dpa

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