WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. „Land mit Zukunft“: Das deutsche Dorf muss sich selbst retten

Wirtschaft Strukturschwache Regionen

Heimatministerium? Das deutsche Dorf muss sich selbst retten

Chefökonomin
Bedrohtes Idyll: Der demografische Wandel macht Dörfern in Deutschland zu schaffen Bedrohtes Idyll: Der demografische Wandel macht Dörfern in Deutschland zu schaffen
Bedrohtes Idyll: Der demografische Wandel macht Dörfern in Deutschland zu schaffen
Quelle: Getty Images
Deutschland bekommt einen Heimatminister. Doch Experten halten dezentrale Lösungen für viel effektiver als neue Fördertöpfe. Denn es gibt vielversprechende Ideen, die Hoffnung in strukturschwache Regionen bringen.

Bei einer Neuauflage der großen Koalition wird es erstmals in Deutschland einen Heimatminister geben. CSU-Chef Horst Seehofer hat bei den Verhandlungen für seine Partei ein Superressort gezimmert, das die Bereiche Inneres, Bau sowie Heimat umfasst. Das Ministerium, das Seehofer wohl selbst übernehmen wird, soll sich der wachsende Kluft zwischen den boomenden Metropolen und den zunehmend abgehängten ländlichen Regionen widmen. Eine Menge Geld stellt der Bund dafür in Aussicht.

Unter der Überschrift „Heimat mit Zukunft“ kündigen SPD und Union in ihrem Koalitionsvertrag „ein neues gesamtdeutsches Fördersystem“ für strukturschwache Regionen an. Das Aufgabenfeld, um das sich der Heimatminister kümmern soll, reicht von der flächendeckenden Gesundheitsversorgung, über neue Mobilitätskonzepte bis hin zu Kultur- und Bildungsangeboten sowie der Wirtschaftsförderung.

Alterung der Gesellschaft trifft ländliche Regionen hart

Der Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz warnt allerdings bei diesem wichtigen Thema vor „politischem Aktionismus“. Der Niedergang vieler ländlicher Regionen könne mit teuren Großprogrammen nicht erfolgreich bekämpft werden. Dann fließe oft nur viel Geld, ohne dass sich an den Lebensbedingungen der Bürger etwas ändere. „Sinnvoller ist eine kleinteilige Förderung, die die Menschen vor Ort einbindet“, sagte der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung bei der Vorstellung der Studie „Land mit Zukunft“.

Lesen Sie auch
Heimat soll für weitaus mehr als Brauchtum stehen: CSU-Chef Horst Seehofer (2. v. l.)
Seehofer als Minister

Wie ein solcher Ansatz funktioniert, zeigen die Erfahrungen in sechs hessischen Kommunen, wo auf Initiative der Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ und der Herbert Quandt-Stiftung mit relativ wenig Geld in den vergangenen drei Jahren ganz konkrete Projekte verwirklicht wurden. Dabei wurden stets Ideen umgesetzt, die von den Bürgern selbst entwickelt wurden und stark auf ehrenamtliches Engagement bauen – ein Erfolgsmodell, das deutschlandweit Schule machen sollte, findet Klingholz.

Die Alterung der Gesellschaft trifft die ländlichen Regionen deutlich stärker als Metropolen und Universitätsstädte. Denn die Jungen zieht es zunehmend in die sogenannten Schwarmstädte. Wenn die Bevölkerung schrumpft, verschwinden auch die Geschäfte und Gaststätten, das Verkehrsnetz wird ausgedünnt, Schulen und Arztpraxen schließen. Weil mit dieser Entwicklung die Orte noch unattraktiver werden, droht eine Abwärtsspirale.

Lesen Sie auch

„Mit Geld allein lässt sich eine Region nicht stabilisieren“, heißt es in der Studie. Der wichtigste Rohstoff seien die Menschen mit ihrer Tatkraft, die es gerade in ländlichen Regionen überall gebe. Der Staat müsse diese Menschen allerdings dabei unterstützen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Staat muss Bürger unterstützen

In der nordhessischen Kleinstadt Homberg hatten viele Einwohner über die schlechten Nahverkehrsanbindungen geklagt. Man initiierte einen Runden Tisch mit 20 Teilnehmern. Die Stiftungen unterstützten die Idee, einen Bürgerbus anzuschaffen, der an zwei Wochentagen kostenlos Fahrdienste anbietet. Wer anruft, wird zu Hause abgeholt und zum Arzt oder Friseur kutschiert. Mittlerweile arbeiten 33 Ehrenamtliche, und der Anrufbus finanziert sich selbst über Spenden und Werbung. In Bad Karlshafen startete man mit 80 Teilnehmern, die bald die fehlenden Freizeitangebote im Ort als größtes Manko ausmachten. Für Jugendliche wurde ein Freiluft-Treffpunkt eingerichtet, außerdem gibt es nun ein Kinoprogramm. Anderswo haben sich mit geringer Anschubhilfe neue Kulturangebote etabliert oder wurden digitale Bürgerplattformen entwickelt.

Lesen Sie auch
Deutsche Vorortidylle: Das kann Heimat sein – aber vieles andere auch
Deutschland im Wandel

„Der Staat sollte mit Förderprogrammen nicht von oben vorgeben, wofür die öffentlichen Mittel vor Ort eingesetzt werden“, betonte Manuel Slupina, der die Initiativen wissenschaftlich begleitet hat. Nötig sei allerdings eine Unterstützung der Bürger und Bürgermeister durch Experten oder Ehrenamtliche, die schon Erfahrung gesammelt hätten. Meist reichten dann kleine Summen, damit Vorhaben verwirklicht werden könnten, sagte der Forscher. Oftmals gebe es aber bürokratische Hürden.

Wenn diese aber überwunden werden, entwickeln sich viele Projekte zum Selbstläufer. „Denn das Engagement macht den Menschen Spaß“, sagt Dirk Schumacher, einer der Ehrenamtlichen, die den Bürgerbus in Homberg betreiben. Ihm selbst gehe es darum, den Ort, an dem er seit fast 65 Jahren wohnt, auch in Zukunft lebenswert zu erhalten.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema