Agrarwirtschaft Tierwohl-Cent: Özdemirs Idee klingt harmlos, ist aber Volksverdummung

Cem Özdemir, Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung, hält im Abferkelstall eines Schweinehaltungsbetrieb ein Ferkel auf dem Arm. Quelle: imago images

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will eine neue Fleischsteuer. Finanzminister Christian Lindner und die FDP lehnen die Idee ab – zu Recht. Die meisten Bauern würden nichts davon haben und die Umsetzung wäre extrem kompliziert. Ein Kommentar.

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Cem Özdemir entwickelt sich zur tragischen Figur. Als Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in trauter Dreierrunde beschlossen, die Steuervergünstigung beim Agrardiesel zu kappen, wurde Özdemir als zuständiger Bundeslandwirtschaftsminister erst gar nicht gefragt. Trotzdem musste er dann in der Folge die Wut der Bauern über sich ergehen lassen. Sein Versuch, sich vom Beschluss des Ampel-Trios zu distanzieren, endete in einem Kompromiss, der keinen zufrieden stellte und auch die Traktordemos im ganzen Land nicht stoppte.

In seiner Not verfiel Özdemir dann auf den Neuaufguss einer alten Idee: der „Tierwohlabgabe“. Vordergründig geht es darum, mit dieser neuen „Fleischsteuer“ eine haltungsgerechte Umrüstung der Ställe zu finanzieren. Im Kern sucht Özdemir aber nach Wegen, um die Gemüter seiner aufgebrachten Klientel in der Landwirtschaft zu besänftigen. Doch obwohl das erste Echo verhalten ausfiel und Lindner darauf verwies, dass der Koalitionsvertrag neue oder höhere Steuern ausschließt, legt Özdemir jetzt nach. Auf Bitten der SPD- und Grünen-Fraktion hat er in seinem Ministerium ein Konzept für einen „Tierwohlcent“ erarbeiten lassen. „Tierwohlcent“ hört sich erst einmal harmlos an. Mein Gott, nur ein Cent! Wer würde nicht gerne einen Cent mehr bezahlen, wenn es den Tieren dafür besser geht?

Doch was so niedlich klingt wie ein kleines Ferkelchen ist in Wahrheit eine ausgemachte Sauerei, genauer gesagt Volksverdummung. Zum einen ist kaum vorstellbar, dass große Mastbetriebe ihre riesigen Stallungen umbauen, wenn ihnen ein „Tierwohlcent“ winkt. Wer heute immer noch auf Massentierhaltung und Billigfleisch setzt, wird sich davon nicht beeindrucken lassen. Zum anderen würde mit dieser neuen Steuer nur eine kleine Gruppe von Landwirten bevorzugt. Alle anderen, die Getreide, Obst, Wein oder Gemüse anbauen, hätten nichts vom „Tierwohlcent“.

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Schließlich: Wie soll das alles umgesetzt werden? Ein erheblicher Teil des Fleischs, das in Deutschland konsumiert wird, stammt aus dem europäischen Ausland oder gar aus Übersee. Soll diesen Produzenten künftig der Tierwohlcent an der deutschen Grenze abgenommen werden? Der Zoll ist jetzt schon damit überfordert, seine originären Aufgaben zu erfüllen – auf die Kontrolle und Versteuerung riesiger neuer Warenströme wie Fleisch aller Art haben die Zollbeamten bestimmt nicht gewartet.

Last but not least kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass sowohl die Produzenten als auch der Handel die Gelegenheit nutzen werden und zum Cent für die Tiere noch einen weiteren für die eigene Kasse aufschlagen. Beispiele dafür gibt es genug – man erinnere sich nur an die Benzinpreisbremse und das Verhalten der Tankstellen und Mineralölkonzerne.



Außerdem ist jetzt schon klar, dass Özdemir sich mit dieser „Fleischsteuer“ den Bauern und ihren Forderungen vollständig ausliefern würde. Es gibt keine Steuer oder Abgabe, die im Laufe der Zeit nicht regelmäßig erhöht würde. Spätestens wenn wieder die Traktoren zum Brandenburger Tor rollen, wird aus dem „Tierwohlcent“ schnell ein „Tierwohleuro“. Und das, obwohl die Landwirtschaft schon jetzt mit Milliardenbeträgen der Steuerzahler subventioniert wird.

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Es gibt also eine ganze Menge guter Gründe, warum Lindner und die FDP die Idee von Özdemir ablehnen. Wer etwas für das Tierwohl tun möchte, verzehrt entweder gar kein Fleisch oder kauft jetzt schon Produkte aus nachhaltiger Landwirtschaft. Das ist eine – wenn auch wachsende – Minderheit. Zur bitteren Wahrheit gehört, dass der Mehrzahl der Konsumenten das Tierwohl bei der konkreten Kaufentscheidung im Supermarkt herzlich egal ist. Die kann man auch nicht mit einem Tierwohlcent umerziehen.

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