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Albin Stranig - Werner Berg Museum

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»EIN WÄRMENDES FEUER IN EISKALTER NACHT« 1 –<br />

ALBIN STRANIG 2<br />

Harald Scheicher<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

Selbstbildnis, 1930<br />

Öl auf Leinen, 39,5 x 25 cm<br />

1 <strong>Werner</strong> Augustiner, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum,<br />

Graz 1980.<br />

2 Die biografischen Angaben dieses Textes folgen über weite Strecken dem Text von Karl Wolf im Katalog<br />

zur Gedächtnisausstellung <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> im Landesmuseum Joanneum Graz 1980.<br />

3 Freundliche Mitteilung von Frau Helga Titz, geb. Fabiani.<br />

4 Elisabeth Fiedler: Die Kunst des Bundes Neuland, S. 98, Graz 1989.<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> wurde am 24. Oktober 1908 in Kapfenberg geboren. Sein Vater war<br />

dort Gemeindesekretär. Als dieser 1918 starb, hatte <strong>Albin</strong>s Mutter, eine gelernte<br />

Hutmacherin, es schwer, in der allgemeinen Not der frühen Nachkriegszeit in dem<br />

Industrieort alleine für nun insgesamt fünf Kinder zu sorgen. Neben <strong>Albin</strong> und<br />

seinen beiden Schwestern gab es noch zwei Söhne aus der ersten Ehe des Vaters,<br />

den sie als Witwer geheiratet hatte.<br />

Nach Vollendung der Bürgerschule kam <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> 1922 an die Kunstgewerbeschule<br />

nach Graz. Er fand dort verständnisvolle Lehrer – den Bildhauer Wilhelm<br />

Gösser sowie die Maler Fritz Silberbauer und Alfred Wickenburg – und gewann<br />

rasch Freunde unter seinen Mitschülern: Margret Bilger, Walter Ritter, Rudolf<br />

Szyszkowitz und Alexander Silveri. <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> beeindruckte die Menschen,<br />

denen er begegnete, durch seine Aufrichtigkeit und Offenheit. »Er war jemand den<br />

man nur gern haben konnte, ein schöner Mensch, und er hatte keine schlechte<br />

Eigenschaft. Es gab nichts, was man ihm übel nehmen konnte.« 3<br />

Die jungen Künstler verband die Zugehörigkeit zu Gruppen der Jugendbewegung.<br />

Mit Rudolf Szyszkowitz und Alexander Silveri fand <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> zum Bund Neuland.<br />

Naturverbundenheit, Wandern, die Gemeinschaft in der Gruppe und insbesondere<br />

die Suche nach einem erneuerten Christentum waren die Ziele dieser Vereinigung<br />

von Schülern und Studenten. »Jeden Sommer wurden weite Fahrten<br />

unternommen, um in jugendlicher Gemeinschaft die Theorie von der Naturverbundenheit<br />

auch zu leben. Es wurde viel gesungen, Laientheater gespielt, man<br />

übernachtete in Bauernhöfen, Heustadeln oder <strong>Berg</strong>ruinen, auf jeden Fall ohne<br />

Gewissheit auf ein sicheres Lager.« 4<br />

1927 folgte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> Rudolf Szyszkowitz nach Wien an die Akademie der<br />

bildenden Künste, wo er in die allgemeine Malschule Prof. Karl Sterrers aufgenommen<br />

wurde. Zur Aufnahmsprüfung hatte er Fotografien seiner bei Wilhelm<br />

Gösser gefertigten Plastiken mitgenommen, wusste aber bereits, dass er unbedingt<br />

7


8<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> um 1924<br />

5 Brief <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s an Rudolf Szyszkowitz vom 21. Juni 1927, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur<br />

Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum, Graz 1980.<br />

6 Max Weiler, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum, Graz<br />

1980.<br />

7 Elisabeth Fiedler, Die Kunst des Bundes Neuland, S. 88, Graz 1989.<br />

8 Gottfried Boehm, in: Der Maler Max Weiler, S. 37, Wien 2001.<br />

9 Max Weiler: »Ich schreibe so wie ich male«, in: W. Skreiner: Max Weiler, S. 17, Salzburg 1975.<br />

Maler werden wollte: »Vor der Bildhauerei in Wien graust es mir, aber zum Malen<br />

habe ich so große Freude.« 5<br />

In Wien fand <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> weitere Künstlerfreunde: <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> kam gemeinsam<br />

mit ihm 1927 an die Akademie, Leopold Birstinger war dort schon seit 1926, 1930<br />

kam Max Weiler und 1931 Karl Weiser in Sterrers Malklasse. Die jungen Künstler<br />

vereinte ein glückliches Jugendleben im Bund Neuland. So lernten sich Max Weiler<br />

und <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> bei einer Neuland-Tagung kennen. <strong>Stranig</strong> riet bei dieser Gelegenheit<br />

Weiler, doch auch zu Karl Sterrer zu gehen, denn dieser sei der beste Lehrer<br />

in Wien. 6<br />

Karl Sterrers Ziel war es, seine Schüler nicht bloß fachlich, sondern auch allgemein<br />

menschlich durch philosophische und literarische Anregungen zu bilden. Seine<br />

Künstler- und Lehrerpersönlichkeit, die bestimmt und kompromisslos ihre Forderungen<br />

an die Schüler weitergab, übte starken Einfluss auf die jungen Neuland-<br />

Künstler aus. »Da geistige Forderungen des Bundes sich künstlerisch bereits in frühen<br />

Arbeiten von Sterrer finden lassen, war das Verständnis Sterrers für die Künstler<br />

von Anfang an da und erbrachte sogar gegenseitige Befruchtung. Sterrers<br />

Formwille und sein angestrebtes Vermeiden jeglicher Oberflächlichkeit bilden<br />

somit für die Künstler die Ausgangsbasis ihres Arbeitens.« 7<br />

Fahrten, Tagungen, Stehgreifspiele und Theateraufführungen, Gottesdienste in<br />

der erneuerten Liturgie und das gemeinsame Engagement in der Neulandschulsiedlung<br />

schufen unter den Künstlern eine Atmosphäre von franziskanischer<br />

Askese und unbedingter Solidarität. »Dieser Jugendbund schuf sich eine Gegenwelt<br />

jenseits der bestehenden Gesellschaft und ihrer Zwänge, er gab sich seine<br />

eigenen Gesetze, die jedenfalls mehr durch Solidarität und Gemeinschaftsgeist<br />

denn durch Hierarchie und entfremdete Pflichterfüllung gekennzeichnet waren.<br />

Das Jugendreich bestand aus einem freien Bund Gleichgesinnter und Gleichberechtigter.<br />

Sein Ziel war es, ein Land jenseits des Bestehenden zu entwerfen und<br />

zu entdecken, ein ›Neuland‹ nicht irgendwo in Träumen oder im fernen Westen<br />

oder Osten, sondern doch hier, in dieser Welt wie eine Insel eingeschlossen.« 8 Max<br />

Weiler etwa bekannte später: »Nie wieder habe ich dieses Gefühl der Gemeinsamkeit,<br />

dieser allgemeinen Sympathie, dieses Zutrauen und das Bedeutungsvolle<br />

jedes Einzelnen erlebt.« 9<br />

Die Künstler gingen zusammen mit den Malgeräten und wenigen Habseligkeiten<br />

im Rucksack auf »große Fahrt«, wie sie die wochenlangen Wanderungen bezeichneten,<br />

die sie weit durch Österreich und andere Länder Europas führten. Auf offe-<br />

Neuländergruppe, um 1929<br />

Sterrer war ein großer breitschultriger Herr,<br />

sehr exakt gekleidet. Er hatte einen Kinnbart<br />

und eine Glatze, er trug sogar einen Halbzylinder.<br />

Seine Sprache war hochdeutsch und<br />

die Stimme hoch.<br />

Es ist ihm nie ganz geglückt eine neue Form<br />

für sein Wesen zu finden, dafür nahm er sich<br />

vielleicht nicht die Zeit.<br />

Sterrer war ein sehr moderner Lehrer. Mit der<br />

größten Vorsicht behandelte er seine Schüler<br />

und dachte ganze Nächte über sie nach. Er<br />

versuchte, das aus ihnen herauszuholen, was<br />

in Ihnen steckte.<br />

Ich habe Sterrer nie etwas vorzeichnen oder<br />

malen gesehen, seine Lehrmethode beruhte<br />

auf Kritik. Wenn ihm etwas gefiel, so lobte er<br />

es vorbehaltlos.<br />

Max Weiler, 1975<br />

10 Karl Wolf, in: Rudolf Szyszkowitz zum Gedenken, Neuland Heft Advent 1976, S. 17, Wien 1976.<br />

11 Max Weiler, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum, Graz<br />

1980.<br />

12 Hugo Macher: »Auf Fahrt«, in: Rudolf Szyszkowitz zum Gedenken, Neuland Heft Advent 1976, S. 54,<br />

Wien 1976.<br />

13 Max Weiler, wie Anm. 11.<br />

14 Karl Weiser, ebd.<br />

nem Feuer wurden die sehr einfachen Mahlzeiten selbst zubereitet. Oft übernachteten<br />

sie unter freiem Himmel oder sie kehrten am Abend bei einem Bauern zum<br />

Heulager ein. Dann gab es Gespräche mit den Hausleuten und man sang gemeinsam<br />

zur »Klampfe«, die stets einer mithatte. Im Rucksack war meist auch eine<br />

selbst geschnitzte Handpuppengarnitur mit Spielgarderobe verstaut, für heitere<br />

Spiele vor altem und jungem Publikum, manchmal vor einer ganzen Schulklasse. 10<br />

Eine solche gemeinsame Wanderung zu Fuß führte Rudolf Szyszkowitz und <strong>Albin</strong><br />

<strong>Stranig</strong> einmal durch den Böhmerwald bis nach Prag.<br />

»Es waren damals viele Handwerksburschen und Arbeitslose auf der Straße. Nur<br />

wenige Autos. Kein Asphalt. Wir übernachteten in Heustadeln. Meist waren schon<br />

andere da oder kamen später. In der Früh staunten wir, wer alles da übernachtet<br />

hatte,« 11 berichtete später Max Weiler. Der damaligen Wirtschaftskrise suchte man<br />

mit anspruchslosen, einfachen Lebensformen zu begegnen. »Wir hatten damals<br />

viel Zeit und waren freie, unbeschwerte Menschen.« 12<br />

Max Weiler erzählte: »Binerl hatte einen festen blauen Mantel mit schwarzem<br />

Samtkragen, der ihm wie eine Glocke bis zu den Knöchel reichte und Rudolf<br />

Szyszkowitz nannte ihn ›die wandelnde Glocke‹«, 13 und Karl Weiser ergänzte: »Wir<br />

›Nichtwiener‹ wohnten damals im ›Wienerheim‹ im 18. Bezirk. Rudi war mein<br />

rechter Nachbar, zwei Türen weiter wohnte Max, und gegenüber Rudi wohnte<br />

Binerl. Er war im Vergleich zu Rudi, dem geist- und witzsprühenden Intellektuellen<br />

mit Herz, ein stiller, eher verschlossener bäuerlicher Mensch, der sich auf seine<br />

Art seine Gedanken machte und mitunter ein sehr treffendes, leicht ironisches<br />

Urteil über seine Mitmenschen aussprach. Er war ein tiefgläubiger und erdnaher<br />

Mensch. Er kannte keine Eile, sprach bedächtig, und seine hellen Augen sahen<br />

gerne in die Weite. Im Frühjahr standen immer ein paar selbst gepflückte Wiesenblumen<br />

auf seinem Tisch, und auf der Straße machte er in seinem langen dunkelblauen<br />

Umhängmantel mit Samtkragen einen feierlichen Eindruck. … Ich erinnere<br />

mich noch sehr gut an eine Begebenheit als ich Binerl in seiner Zelle – die Zimmer<br />

waren kleiner als Mönchszellen – aufsuchte, in der er auf einer Feldstaffelei<br />

das Bild ›Die Geburt Christi‹ stehen hatte; an ihr malte er so menschlich nahe, dass<br />

ich neben der liegenden Maria einen Kübel voll blutgetränkter Leinentücher entdeckte.<br />

… Unsere Gedanken tauschten wir in der so genannten ›Alpenländergruppe‹<br />

aus, die sich in der Neuland-Schulsiedlung in Grinzing, zuerst in der<br />

Baracke, dann im großen Neubau von Clemens Holzmeister traf. Binerl verließ<br />

bald Wien, wo er sich nie wohl fühlte, und zog aufs Land.« 14<br />

9


10<br />

Advent auf einer Almhütte, um 1928<br />

2. von links: Rudolf Szyszkowitz, ganz rechts:<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

15 Max Weiler, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum,<br />

Graz 1980.<br />

16 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 8.11.1930.<br />

17 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 15.2.1931.<br />

18 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 20.10.1931.<br />

Max Weiler erzählte über seine erste Zeit in Wien: »Ich sah einige Bilder von <strong>Stranig</strong>,<br />

Binerl genannt, die mir gut gefielen. Die Menschen waren symbolisch dargestellt,<br />

und auf einem Bild faszinierten mich Figuren, die wie Statuen am Horizont<br />

standen. Ich verwendete diese Kompositionsweise gleich in einer Zeichnung für<br />

die Aufnahmsprüfung. ... Wir waren dann in der gleichen Klasse, kamen auch<br />

wöchentlich in der Neulandschule in Grinzing in der Gruppe des Rudolf Szyszkowitz<br />

zusammen. … Es wurde dann sehr spannend, und ich sah, wie Recht Binerl<br />

hatte, dass er Sterrer empfahl, und Binerl freute sich, dass er Recht hatte. Am Ende<br />

des Jahres bekam ich den Schulpreis. Ich dachte aber, Binerl müsste ihn bekommen,<br />

und überließ ihm das Geld.« 15<br />

Neben Rudolf Szyskowitz war <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an der Ausgestaltung der Kapelle der<br />

nach Plänen von Clemens Holzmeister 1931 fertig gestellten Neulandschule in<br />

Grinzing beteiligt. Zuvor hatte <strong>Stranig</strong> in seinem Bild »Jesus, der Kinderfreund«<br />

die noch unverbaute Anhöhe, auf der sich heute die Schule befindet, dargestellt: in<br />

der Ferne sind dabei die Häuser der Stadt zu sehen, Anna Ehm, die Schulgründerin,<br />

ist neben weiteren Neuländern und zahlreichen Kindern im Alltagsgewand<br />

um den in ihrer Mitte lehrenden Jesus versammelt. Plastiken <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s<br />

schmücken noch heute die nüchterne Kapelle der Schule, in deren Mitte ein einfacher<br />

Altartisch steht. Der Bund Neuland hatte den Volksaltar in die Liturgie eingeführt,<br />

um den herum die Gläubigen im gemeinsamen Gebet standen.<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> fühlte sich in der Großstadt nie richtig wohl – »in Wien stinkst noch<br />

zwei Stockwerke unter der Erde« 16 – und sehnte sich fort aufs Land: »Ich werde<br />

heuer schon mit der Akademie fertig und vielleicht bin ich auch heuer schon das<br />

letzte Jahr in Wien. Bin wohl sehr neugierig wie es mit mir weitergehen wird. Im<br />

Großen und Ganzen bin ich aber sehr unbesorgt um meine Zukunft, wenn ich nur<br />

immer gut arbeiten kann und daneben das notwendigste zum Leben habe.« 17 Seine<br />

Situation besserte sich, als er im Oktober 1931 Meisterschüler Karl Sterrers wurde<br />

und ein eigenes Atelier erhielt: »In meinem neuen Atelier kann ich wunderschön<br />

arbeiten, es ist groß und licht und ich bin dort Herr, das gibt mir ein ganz freies<br />

Gefühl. Der Rudi Sz. befindet sich zwar nebenan nur durch eine spanische Wand<br />

getrennt, ist aber zu ertragen. Kleinmütig können mich meine Geldsorgen wohl<br />

nicht machen, nur ärgern tut’s mich oft, dass man so vogelfrei ist.« 18 Die allgemeine<br />

drückende Armut war jedoch sein ständiger Begleiter: »Ich kenne hier einige<br />

ganz furchtbar arme Menschen. Wenn Du irgendwelche alte Kleidungsstücke<br />

hättest (männlich und weiblich), die Du nicht mehr brauchst, bitte ich Dich mir<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, um 1935<br />

19 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 24.10.1931.<br />

20 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 15.10.1931.<br />

21 Eugen Kogon in »Hochland«, in: Karl Wolf, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung,<br />

Landesmuseum Joanneum, Graz 1980.<br />

22 Karl Stark, ebd.<br />

23 Brief <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s an Rudolf Szyszkowitz vom 1. April 1933, ebd.<br />

dieselben zu schicken, Du tätest damit ein sehr gutes Werk. Verzeih mir meine<br />

ständigen Belästigungen!« 19 »Eigentlich ist es etwas Merkwürdiges mit uns Künstlern;<br />

wir arbeiten ständig, oft aufreibend, und kein Mensch und kein Staat zahlt<br />

etwas dafür.« 20<br />

Im Februar 1932 zeigte das Landesmuseum Joanneum in Graz eine Ausstellung<br />

der drei jungen Maler Szyszkowitz, Birstinger und <strong>Stranig</strong>. Über die Ausstellung<br />

schrieb Eugen Kogon in der Zeitschrift »Hochland«: »In einer Zeit, in der die<br />

Kunst nach Brot geht wie noch nie, ist es tröstlich zu wissen, dass auf österreichischem<br />

Boden drei junge Maler leben, die ihrer Kunst wie einem Kultus leben,<br />

obwohl der Kultus diese Kunst nicht heranzieht, obwohl sich diese Künstler von<br />

Zeit zu Zeit buchstäblich das Brot vom Munde absparen müssen, um das Geld für<br />

Leinwand und Malutensilien zu haben.« 21<br />

Karl Stark erinnerte sich an diese Ausstellung: »Durch die Jugendbewegung Neuland<br />

wurde <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> in der Themenwahl seiner Bilder zu religiösen Inhalten<br />

angeregt. In diesen Werken, wie z.B. ›Christi Geburt‹, fühlte ich eine starke intime<br />

Naturverbundenheit, die vor allem durch die Farbgebung bestimmt war: Warme<br />

gelbe, braune und rote Töne und tiefes Ultramarin herrschten vor.<br />

Besonders schön und stark ansprechend waren vor allem einige größere Herbstlandschaften,<br />

bei denen man empfand, dass diese Jahreszeit und Stimmung seinem<br />

ruhigen innigen Gemüt besonders entsprachen. Nach meinem Gefühl hat er darin<br />

vielleicht das Bedeutendste geschaffen, weil in diesen herbstlichen Stimmungsbildern<br />

seine schwermütige und zarte Empfindungsseele am reinsten zur Anschauung<br />

kommt.« 22<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s Freund Rudolf Wolf setzte sich zu dieser Zeit immer wieder für den<br />

Verkauf von Bildern besonders unter jenen befreundeten Neuländern ein, die über<br />

bescheidene eigene Mittel verfügten. »Leider kann ich das gar nicht genug ausnützen«,<br />

bedauerte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, »weil ich viel zu wenig arbeite, zumindest an ›Verkäuflichem‹.<br />

Ich bin glücklich, dass es so ist, aber das Geschäftemachen (oft mit<br />

den besten Sachen) ist mir manchmal sehr unangenehm. Es wird vielleicht immer<br />

so eine Kleinkrämerei bleiben und ein Gefrett. ... Aber es ist für mich doch besser<br />

als Lehren. ... Zu malen (wenn auch schlecht) scheint mir aber doch bedeutungsvoller,<br />

als ein Haus zu bauen oder eine Schule zu errichten.« 23<br />

Die potentiellen, von Rudolf Wolf ausgemachten Käufer waren jedoch mit den<br />

Zahlungen säumig und <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> musste auf das dringend zum Überleben<br />

benötigte Geld oft lange warten: »Aus Erfahrung weiß ich schon, dass es das<br />

Sicherste ist, wenn man seine Bilder erst nach der vollständigen Bezahlung herge-<br />

11


12<br />

Hüttenmahlzeit, um 1931<br />

Links: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, rechts: Rudolf Wolf<br />

24 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 11.6.1932.<br />

25 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 29.6.1930.<br />

ben soll, weil sonst die Besitzer, wenn sie das Bild schon vorher bekommen, sich<br />

schon so sicher im Besitze fühlen und glauben, nichts mehr dazu beitragen zu<br />

brauchen. Diese Tatsache bekomme ich jetzt leider sehr schmerzlich zu spüren. Ich<br />

bin sicher nicht ungeduldig und anspruchsvoll aber jetzt bin ich oft schon ganz<br />

beunruhigt und unsicher, weil nichts kommt und ich nichts habe. Das ist mir in<br />

der Arbeit oft eine große Hemmung. Sogar mit Farben muss ich oft sparen. Diejenigen,<br />

die von mir ein Bild haben, sollten nicht so kleinlich sein und mit dem<br />

Geld nur ›bezahlen‹, sie sollten sich denken, dass sie mir nur helfen zu leben und<br />

weiter zu arbeiten. Ich bekomme so nur für einen ganz kleinen Teil meiner Arbeit<br />

einen ›Lohn‹ und da muss ich das Gefühl haben, dass es nur vom Überfluss der<br />

anderen ist.<br />

Jedenfalls sind das meine Gründe um Dein und der anderen Herz zu erweichen:<br />

dass ich mir wenigstens genug Farben anschaffen möchte um immer malen zu<br />

können, dass es unbedingt notwendig sein wird, wieder einmal aus der Enge<br />

heraus zu kommen und zu schauen, was es anderswo gibt, also möglichst zu reisen,<br />

zum Schluss: es wirkt auf mich und auf die ganze Familie deprimierend, wenn<br />

ich so daheim mich erhalten lasse und aus bloßem Idealismus begeistert ein Bild<br />

nach dem anderen male und ganz selten etwas dafür erhalte. Ich kann Dir das<br />

peinliche meiner Lage, wie sie mir in ›ganz ehrlichen‹ Augenblicken oft zum<br />

Bewusstsein kommt nicht ganz schildern, aber jedenfalls ist es oft schon peinlich –<br />

ich hoffe aber doch, dass ich das Recht habe für meine Arbeit und zu deren Förderung<br />

etwas zu fordern. …<br />

Diesmal wirst Du wieder genug von meinem Jammer haben, das ist aber nur eine<br />

Seite aus meinem jetzigen Leben, auf andern Gebieten (wo es mehr von mir<br />

abhängt) geht es mir viel besser, besonders mit meinem Malen erlebe ich manche<br />

glückliche Stunde. Die Ausstellung hat mir in geistiger Beziehung ja sehr viel<br />

geholfen.<br />

Ich bin viel sicherer und weit mehr daheim in meiner Arbeit geworden.« 24<br />

Seit Beginn seiner Akademiezeit verbrachte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> die Sommermonate in<br />

dem einsamen Weiler Weiketsedt südlich von Ried im Innkreis. Seine Mutter<br />

war, nachdem sie ihr Hutgeschäft in Kapfenberg im Zuge der Wirtschaftskrise aufgegeben<br />

hatte, dorthin gezogen und arbeitete als Schneiderin für die Bauern der<br />

Umgebung und auch <strong>Stranig</strong>s Schwestern lebten zeitweise dort. In Ried lernte<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> Margarete Krausmann, seine spätere Frau, kennen.<br />

Seine Finanzen waren weiterhin meist »weit unter dem Nullpunkt«, 25 dennoch<br />

unterstützte er seine Familie, sobald er einmal ein Bild verkaufen konnte: »Für die<br />

erhaltenen 50 Schilling danke ich sehr! Leider konnte ich es nicht für mich<br />

verwenden, sondern es fiel der ganzen Familie zum Opfer. Ich glaube, mit einer<br />

von mir so heiß ersehnten Steiermarkfahrt wird nichts mehr werden in diesen<br />

Ferien.« 26<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> im Fischerboot, um 1935<br />

26 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 20.8.1931.<br />

27 Brief <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s an Rudolf Szyszkowitz vom 15. Juni 1932, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur<br />

Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum, Graz 1980.<br />

28 Brief <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s an Rudolf Szyszkowitz vom 16. März 1933, ebd.<br />

29 Ebd.<br />

30 Max Weiler, ebd.<br />

An Rudolf Szyszkowitz schrieb er aus Weikestedt: »Bis jetzt habe ich noch keinen<br />

Augenblick bereut, dass ich nicht in Wien geblieben bin … Hier bin ich der reinste<br />

Bauern- und Holzknecht. So bin ich oft neben der edlen Malerei beschäftigt. Meinem<br />

Ansehen unter den Bauern kommt es sehr zugute. Wenn sie mich nicht<br />

manchmal schaufeln oder mit einem Wagen herumfahren sehen, glauben sie, ich<br />

tu überhaupt nichts … Was ist mit Max Weiler und Karl Weiser? Existiert unsere<br />

Gruppe noch? Und wie?« 27<br />

Nach Abschluss der Akademie lebte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> von 1932 bis 1934 hauptsächlich<br />

in Weiketsedt. Er lud auch Rudolf Szyszkowitz ein, nach Oberösterreich zu kommen,<br />

bevor die schönste Zeit – der Frühling – vorbei sei: »Komm recht bald. Rüst<br />

dich gut aus mit Malzeug, es stehen dir sämtliche Landschaften in allen Stimmungen<br />

und verschiedene Modelle, menschliche, und Tiere zur Verfügung.« 28 Er<br />

beklagte sich bei gleicher Gelegenheit aber auch über das Unverständnis der dortigen<br />

Bauern mit ihren »ewigen Vieh- und Geldgeschichten«: »Ich kann mich hier<br />

absolut nicht mit Einzelnen anfreunden, während mir das Ganze ihrer Arbeit, ihr<br />

Leben als Typus ungeheuer wichtig und bewundernswürdig erscheint. Die Einheit<br />

der Bauern mit dem Boden ist das Schöne, aber ohne seinen Boden ist er nichts. In<br />

der Stadt geht es mir umgekehrt; da kenne ich nur einige Einzelne sehr gut (und<br />

jeder ist eine Welt für sich), aber ich sehe kein Ganzes, das Volk … Ich bin froh,<br />

dass ich hier sein kann, in Wien könnte ich nicht malen. Dort kann man nur<br />

malen, wenn man dort leben kann … Aber mit dem Pinsel zu problematisieren,<br />

während man sich hinaussehnt, halte ich für höchst unmalerisch. Malen an und<br />

für sich ist ja so wunderbar, ohne hineingepresste Philosophie; diese wirkt nur<br />

dann nicht ›verunreinigend‹, wenn sie ganz unabsichtlich ›mit‹ gemalt wird …<br />

Was gibt es unter Euch in Wien Neues, besonders bei den leidenden Sterrerschülern?«<br />

29<br />

Im Sommer 1933 unternahm <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> eine Rompilgerfahrt. Auf dem Heimweg<br />

besuchte er Max Weiler in Hall in Tirol, und die beiden Künstler potraitierten<br />

sich gegenseitig. Von Hall wanderte er zu Fuß nach Salzburg weiter. Max Weiler<br />

erzählte von diesem Zusammentreffen: »Jahre später, Binerl hatte die Akademie<br />

schon verlassen, besuchte er mich in Hall in Tirol während der Ferien. Er hatte<br />

eine Rompilgerfahrt unternommen und schaute auch wie ein bäuerlicher Rompilger<br />

aus. Lange Hose und dunkler Rock aus grobem Stoff, einen Steyrerhut hatte er<br />

sich rund zurechtgebogen.« 30<br />

Aus Hall schrieb <strong>Stranig</strong> an seinen Freund Wolf: »In Italien war es herrlich! Wir<br />

waren in Venedig, Florenz – Fiesole, Rom (1 Woche) und in Assisi.<br />

13


14<br />

Gerade so schön wie die Kunst, ist in Italien das Volksleben. Abends ist täglich<br />

Jahrmarkt auf allen Straßen. – Jetzt gehe ich zu Fuß nach Salzburg.« 31<br />

1934 zog <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> mit seiner Mutter und seiner Schwester Auguste nach Graz.<br />

Sein Freund Rudolf Wolf half ihm, eine Wohnung ausfindig zu machen. <strong>Stranig</strong><br />

schrieb ihm dazu noch aus Weiketsedt: »Unsere Auswanderungsabsicht hat sich<br />

bis jetzt derart gefestigt, dass wir schon ganz konkrete Schritte unternommen<br />

haben, Kündigen der Wohnung, Nichtbebauen unseres Gartens u. ähnliches.<br />

Kommt nichts Unvorhergesehenes mehr dazwischen, so sind wir am 1. Mai mit<br />

Sack und Pack in Graz. … Könntet Ihr mich, während unserer Obdachlosigkeit,<br />

beherbergen? … Wie Ihr Euch vorstellen werdet können, freuen wir uns alle auf<br />

den Augenblick, in dem wir wieder im unbekannten neuen Heim das ruhige Leben<br />

fortsetzen werden können. Trotz der Aufregung, der ich jetzt schon manchmal<br />

unterliege, im Hinblick auf die bevorstehenden Erlebnisse, versuche ich mir eine<br />

gewisse Ruhe zu bewahren, um nicht aus der künstlerischen Bahn zu kommen. Ich<br />

möchte nicht in dem Wirbel untergehen, auch nicht kurze Zeit.<br />

Unsere Nachbarn können unser Vorhaben gar nicht begreifen, sie sind sehr überrascht<br />

und bei einigen hat es jetzt schon Tränen gegeben. … Es sind aber nur die<br />

nächsten Leute, denen an uns etwas gelegen ist, im Übrigen sind wir als Besitzlose<br />

nicht hochgeschätzt. Wir wären sicher immer nur die ›Zugereisten‹ geblieben und<br />

man ist doch lieber unter Seinesgleichen.<br />

Sicher werde ich in Graz mehr Verständnis und Interesse für meine Arbeit und<br />

meine Interessen finden, als unter den Bauern. Auf die Dauer müsste es doch<br />

schädlich wirken, unter Menschen zu leben, die mit ihren Augen nichts sehen. Dies<br />

alles stimmt mich froh gegenüber dem Unangenehmen, wenn wir Weiketsedt verlassen.«<br />

32<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, um 1939 <strong>Albin</strong> und Grete <strong>Stranig</strong>, um 1938<br />

31 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 19.8.1933.<br />

32 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 6.4.1934.<br />

Die folgenden Jahre lebte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> als freischaffender Künstler in Graz.<br />

1938 heiratete er Margarete Krausmann. Sie war ihm 1936 von Ried nach Graz<br />

gefolgt, wo sie, bei Schulschwestern wohnend, eine Ausbildung zur Krankenschwester<br />

absolvierte.<br />

1939 wurde Tochter Margarete geboren, 1940 Tochter Trude. In zahlreichen Zeichnungen<br />

hielt <strong>Stranig</strong> die junge Mutter und vor allem die heranwachsenden Säuglinge<br />

fest.<br />

Die junge Familie wohnte nun im Waldhof in Mariatrost. Nicht weit entfernt in<br />

Rettenbach hatte sich <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> schon 1937 ein Atelier errichten können.<br />

1940 erfolgte die Berufung <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s zum Lehrer an die Grazer Kunstgewerbeschule,<br />

an der sein Freund Rudolf Szyszkowitz bereits seit 1935 die Malklasse<br />

leitete.<br />

33 <strong>Werner</strong> Augustiner, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum,<br />

Graz 1980.<br />

34 Otto Brunner, ebd.<br />

<strong>Werner</strong> Augustiner, damals Schüler am Ortweinplatz, berichtete später: »<strong>Albin</strong><br />

<strong>Stranig</strong>, an den ich mich noch gern zurückerinnere, den Lehrer mit den großen<br />

hellblauen, gläubigen, leuchtenden Augen, der uns damals in den Jahren 1940–<br />

1941 den Holzschnitt beibrachte, in der Meisterklasse Prof. Szyszkowitz, wo er als<br />

dessen Assistent wirkte. Damals waren wir bald nur mehr ein kleiner Rest von<br />

Schülern – der grausige Krieg hatte sie nacheinander geholt. Er war uns mehr<br />

Freund als vorgesetzter Lehrer, und wenn einem eine gute Arbeit gelang, so freute<br />

er sich mit uns, ja arbeitete auch neben uns, und wir staunten wie rasch und sicher,<br />

ohne viel vorzuzeichnen, unter seinen geschickten Händen ein Holzschnitt entstand.<br />

Wenn er mittags nach Hause ging, hatte man das Gefühl, die Stunden bei<br />

uns waren für ihn glückliche gewesen. Alle mochten ihn gut leiden.<br />

In Rettenbach hatte er sich ein kleines Atelier gebaut, und aus den nahen Wäldern,<br />

welche er gerne wandernd durchstreifte, holte sich seine Seele den gesunden Atem<br />

der Natur.« 33<br />

1941 wurde <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> zum Kriegsdienst einberufen und kam am 1. Mai vorerst<br />

nach Dresden an die König-Georg-Kaserne, wo er zum Funker ausgebildet wurde.<br />

Er litt unter der harten Rekrutenausbildung, fand aber in seiner Freizeit immer wieder<br />

Gelegenheit zum Malen. Als der Kompaniechef darauf aufmerksam wurde,<br />

wurde <strong>Stranig</strong> gebeten, vier Kompanieräume auszumalen.<br />

Otto Brunner, ein Schüler <strong>Stranig</strong>s, berichtete über diese Zeit: »Im Mai 1941<br />

wurde ich gemeinsam mit <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, der bis dahin einer meiner Lehrer an der<br />

Meisterschule in Graz war, zur Luftnachrichtentruppe nach Dresden eingezogen.<br />

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis hat sich sehr bald in eine enge Freundschaft gewandelt.<br />

Wenn auch der Kasernenalltag das Leben bestimmte, so hat diese musische<br />

Stadt in uns viele gemeinsame Empfindungen geweckt. Wohl stand seine ungewöhnliche<br />

Sensibilität im Kontrast zur harten Rekrutenausbildung, doch hat seine<br />

innere Festigkeit dazu beigetragen, diese grausame Wirklichkeit nicht nur zu überwinden,<br />

sondern mit viel Humor den nötigen Abstand zu finden. Durch die<br />

künstlerische Ausgestaltung verschiedener Kompanieräume war es ihm gegönnt,<br />

seinem musischen Empfinden Ausdruck zu verleihen. Diese Arbeiten haben <strong>Albin</strong><br />

<strong>Stranig</strong> nicht nur Dank und Anerkennung bei seinen Vorgesetzten eingebracht, er<br />

weckte damit bei den Kameraden die Hoffnung auf ein lebenswürdiges Dasein,<br />

mit der man mit der grausamen Realität des Krieges leichter fertig wurde.« 34<br />

Nur bei den Heimurlauben konnte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> das Glück mit seiner jungen<br />

Familie genießen und in zahlreichen Zeichnungen immer wieder seine heranwachsenden<br />

Töchter darstellen. So entstanden seine schönsten Kinderzeichnungen.<br />

Über diese Urlaubstage schrieb <strong>Werner</strong> Augustiner: »Als <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> auf Urlaub<br />

kam, da wanderten wir rasch hinaus nach Rettenbach, ihn zu besuchen. Wir trafen<br />

15


<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> mit Tochter Grete, um 1940<br />

16 35 <strong>Werner</strong> Augustiner, ebd.<br />

ihn gerade Kohle schaufelnd vor dem Bauernhaus, in dem er mit seiner Familie<br />

wohnte. Freudig führte er uns in die Stube – in einer Wiege lag die jüngste Tochter,<br />

klein und winzig. Er erzählte von Dresden, wo er stationiert war und wo er, wenn er<br />

dienstfrei hatte, auf die Akademie Aktzeichnen ging. Wir staunten auch nicht<br />

wenig, als wir erfuhren, dass die dortigen Akademieschüler von der Existenz eines<br />

Cezanne oder van Gogh überhaupt nichts wussten. Ja freilich, die gehörten ja auch<br />

zur ›Entarteten Kunst‹ – da waren wir in Graz noch glücklicher dran: Wir waren ja<br />

sehr stolz darauf, dass wir auch alle ›Entartete‹ waren.« 35 Tatsächlich erscheinen die<br />

Arbeiten der Grazer Künstler für die damalige Kunstauffassung erstaunlich frei, mit<br />

oft gestischem Pinselstrich wurde das real Gesehene impulsiv, kürzelhaft und großzügig<br />

vereinfacht. Es war Rudolf Szyszkowitz anscheinend gelungen, die Schule aus<br />

dem Einflussbereich der nationalsozialistischen Kunstdoktrin fernzuhalten. Die<br />

Kunstgewerbeschüler erhielten auf ihren Wienreisen durch Bruno Grimschitz auch<br />

die Gelegenheit, in öffentlich nicht zugänglichen Räumen die abgehängten »entarteten«<br />

Bilder der Österreichischen Galerie zu sehen und so auch hier in Kontakt<br />

mit einer sonst allseits verfemten Moderne zu kommen.<br />

Aufgrund einer nicht ausreichend therapierten schweren Mittelohrentzündung<br />

und Mastoiditis in der Kindheit, die vermutlich eine bleibende Gehörsschädigung<br />

zurückließen, war <strong>Stranig</strong> frontuntauglich und wurde im Juli 1941 zur Zeichenstelle<br />

des Stabes versetzt. Seine Aufgabe war es nun, offiziell für die Kompanie zu<br />

zeichnen, daneben waren von ihm viele Schreibarbeiten sowie Telefon-, Wachund<br />

Kurierdienste zu erledigen. Auch mit so kriegswichtigen Tätigkeiten wie dem<br />

Aussuchen von Weihnachtsbäumen wurde er betraut. Zusätzlich absolvierte er im<br />

Februar 1942 noch einen Krankenträgerkurs.<br />

Im November 1942 kam <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> mit seiner Einheit nach Frankreich. Nach<br />

einigen Tagen Aufenthalt in Paris war er längere Zeit in Belfort in der Region<br />

Franche-Comté stationiert. Er war auch hier der Zeichenstelle des Stabes zugeteilt<br />

und als Kriegszeichner tätig. So erhielt er den Auftrag, die Vogesen zu bereisen und<br />

deren Landschaft in Zeichnungen und Aquarellen festhalten. Längere Zeit hielt er<br />

sich dabei in Rougemont auf.<br />

Viele der Landschaftsdarstellungen aus der Kriegszeit sind erhalten geblieben. Sie<br />

zeigen, wie es <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> offensichtlich gelang, sich auch in dieser Zeit einen<br />

inneren Freiraum zu bewahren. Immer wieder portraitierte er auch die Landbevölkerung.<br />

Das große Interesse der Portraitierten an den Arbeiten wie auch der<br />

Umstand, dass ein Teil dieser Arbeiten später während des fluchtartigen Rückzugs<br />

der Einheit in Besançon zurückblieb, ist die Ursache, dass viele dieser Portraits im<br />

Gegensatz zu den Landschaftsdarstellungen verschollen sind.<br />

Im August 1943 zog Grete <strong>Stranig</strong> mit den beiden kleinen Töchtern nach Ried im<br />

Innkreis, wo ein Verbleiben sicherer schien als in dem zunehmend durch Bombenangriffe<br />

bedrohten Graz. Weihnachten 1943 konnte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> letztmals bei<br />

einem Heimurlaub mit seiner Familie zusammentreffen.<br />

Im Mai 1944 kam seine Einheit nach Besançon, in den französischen Jura, wo er<br />

einen Lehrgang in Physik absolvieren musste. Es folgte nun eine Zeit häufigerer<br />

Ortswechsel. Dabei geriet die Einheit auf einer dramatischen Flucht in Kontakt<br />

mit dem Chaos der sich auflösenden Truppenverbände. <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, der bisher<br />

in der Etappe mit den Schrecken des Krieges kaum in Berührung gekommen war,<br />

schilderte eindringlich in Briefen das dabei gesehene Grauen. Als sich die Einheit<br />

für einige Tage auf deutsches Gebiet zurückgezogen hatte, wurde er mit seinen<br />

Kameraden wiederum zu so kriegerischen Tätigkeiten wie Kartoffelverladen und<br />

Champignonsuchen eingeteilt. Voller Ironie schildert <strong>Stranig</strong> in seinen Briefen<br />

diese beinahe surreale Situation: die Stahlhelme als Körbe benutzend, mussten<br />

die Soldaten die Gegend zum Pilzesuchen durchstreifen. Im Oktober 1944 wurde<br />

die Einheit zur Grenzsicherung an die Schweizer Grenze versetzt. Darauf folgten<br />

Aufenthalte in der Gegend von Montbéliard, zuletzt in der kleinen Ortschaft<br />

Désandans. Dort wurde ein mit deutschen Soldaten besetzter Transportlastwagen<br />

von einem französischen Panzer voll getroffen. Unter den bis zur völligen<br />

Unkenntlichkeit zerfetzten Toten hat sich vermutlich auch <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> befunden.<br />

Als offizieller Todestag wurde der 16. November 1944 angegeben. 1959 wurde für<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> auf dem Soldatenfriedhof Andilly ein Grabkreuz errichtet.<br />

17


Ob und wie er sich entwickelt oder gewandelt<br />

hat, weiß ich nicht. Seine Entwicklung könnte<br />

ich mir nur als Entfaltung vorstellen. Ob diese<br />

Ausstellung es bestätigt? Dass man sie zum<br />

Gedächtnis eines stillen Einzelgängers veranstaltet,<br />

will mir verdienstlicher erscheinen als<br />

so manches Feiern viel beredeter Größen.<br />

<strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong>, 1981<br />

<strong>Stranig</strong> kam nicht mehr zurück. Er ist in<br />

Frankreich geblieben. Und doch kann man<br />

sagen: <strong>Stranig</strong> hat überlebt. Denn sein<br />

Wesen, das sehr stark aus seinen Bildern<br />

strahlt, hat etwas Dauerhaftes, etwas Bleibendes<br />

– es ist eine Innigkeit, eine menschliche<br />

Tiefe und Wärme in ihm, welche ihr Fundament<br />

im Ewigen verwurzelt hat. Wenn auch<br />

die äußere Form seiner Bilder manchen Heutigen<br />

passé erscheinen mag, so wage ich es<br />

doch ruhig zu sagen, dass die Seele <strong>Stranig</strong>s<br />

nicht etwas Rückständiges, sondern etwas<br />

Zukünftiges ist. <strong>Stranig</strong> ist nicht einer, der<br />

vergangen ist, nein, <strong>Stranig</strong> ist einer, der zu<br />

uns kommt: Es liegt an uns, ihn anzunehmen.<br />

Unsere Zeit hat großen Mangel an solcher<br />

Wesenhaftigkeit, wie sie in <strong>Stranig</strong> sichtbar<br />

wird. So ist diese Austellung ALBIN STRANIG<br />

wohl zu begrüßen wie ein wärmendes Feuer<br />

in eiskalter Nacht.<br />

<strong>Werner</strong> Augustiner 1980<br />

18<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

Selbstportrait, um1935<br />

Bleistift auf Papier, 25,4 x 34,5 cm<br />

36 Gottfried Boehm, in: Der Maler Max Weiler, Wien 2001, S. 43f.<br />

Gedanken zum Werk <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s<br />

Was rechtfertigt aus heutiger Sicht das Unterfangen, das Werk <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s dem<br />

Kunstpublikum wieder vor Augen zu führen? Was meinte <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong>, als ihm<br />

dies verdienstvoller erschien, als »so manches Feiern viel beredeter Größen«?<br />

Von <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> sind insgesamt etwa 500 Arbeiten erhalten, wenige Ölbilder,<br />

eine größere Zahl von Aquarellen und Tempera-Arbeiten, einige Holzschnitte und<br />

Radierungen, zahlreiche Zeichnungen und mehrere Holzplastiken. Die künstlerische<br />

Qualität der Arbeiten ist unterschiedlich, der Künstler selbst konnte aufgrund<br />

seines frühen Todes im Kriege hier nicht mehr sichtend und vielleicht manches<br />

verwerfend eingreifen. Auch bei großem Wohlwollen ist in diesem Werk keine die<br />

Kunstgeschichte vorantreibende »Neuerung« zu entdecken, die <strong>Stranig</strong> als Einzelpersönlichkeit<br />

der Vorhut, der Avantgarde, einer angeblich zielgerichtet voranschreitenden<br />

Moderne zurechnen ließe. Warum also sollte man seine Werke<br />

zeigen?<br />

In seiner Einfachheit und »Ungekünsteltheit« belegt das Werk <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s in<br />

vielen Aspekten die Intentionen jener Gruppe junger Maler aus der Schule Karl<br />

Sterrers, die unter dem Begriff »Neuland-Künstler« zusammengefasst werden.<br />

Gerade weil seinem Werk eine weitere Entwicklung nach dem Krieg durch den<br />

frühen Tod des Künstlers versagt blieb, zeigt es »unzensuriert« durch späteres,<br />

zuweilen korrigierend eingreifendes Erinnern exemplarisch jene nahezu naive<br />

innere Wahrhaftigkeit des Empfindens und Gestaltens, um die alle diese Künstler<br />

bemüht waren.<br />

Die Malerfreunde – zivilisationskritisch und antibürgerlich – fanden im Jugendbund<br />

Neuland zu einer Theologie des einfachen Lebens und einem gemeinsamen<br />

Erlebnis der Natur als göttliches Mysterium. »Mit der Devise: Jugend! aber wurde<br />

nicht nur einem Lebensalter Recht verschafft, sondern wurden Ideale formuliert,<br />

die insgesamt und für alle Geltung beanspruchten: Wahrhaftigkeit, Einfachheit,<br />

Askese, existenzielle Ernsthaftigkeit, Gefühl, sittliche und soziale Erneuerung, Solidarität!«<br />

36<br />

Dies seien vorwiegend philosophisch-moralische Ideale, mag hierzu eingewendet<br />

werden, religiöse Bestrebungen – doch was hat dies mit Kunst, einer nach hauptsächlich<br />

formalen Aspekten zu beurteilenden Kunst, zu tun?<br />

Für die jungen Künstler in ihrem Bestreben nach moralischer Erneuerung war als<br />

künstlerische Hervorbringung nur gültig, was durch die eigene Lebensführung<br />

und Empfindung unmittelbar gedeckt war, ein sich in lediglich formalen Experimenten<br />

gefallendes »Artistentum« lehnten sie kategorisch ab. Die Einfachheit der<br />

19


20<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, der von Rudolf Szyszkowitz<br />

beeinflusst, seinerseits wiederum Einfluss auf<br />

den frühen Max Weiler hatte, stellte mit einer<br />

wieder aufgenommenen Symbolisierung und<br />

naturverbundenen Weltsicht eine eigene<br />

Komponente der Kunst des Bundes dar.<br />

Nicht problematische Auseinandersetzung<br />

oder soziales Engagement wie bei Rudolf<br />

Szyszkowitz kennzeichnen seine Arbeit, sondern<br />

der Versuch nach einer zeitlosen Symbolfindung,<br />

was vor allem in seinen Weihnachtsdarstellungen,<br />

aber auch in Arbeiten<br />

mit keiner eindeutig christlichen Ikonographie<br />

deutlich wird. Verschlossenheit und Stille<br />

der Figuren, die um ihren inneren Auftrag<br />

wissen, das Lob des einfachen Lebens sowie<br />

das Aufzeigen der Sinnhaftigkeit und des Einfindens<br />

in den christlichen Glauben charakterisieren<br />

sein Werk. Er gestaltet den für den<br />

Bund typischen Verinnerlichungsprozess in<br />

Verbindung mit der Natur. In starkem Symbolisierungsdrang<br />

legt er vergessene Zeichen<br />

frei, womit er die oftmalige Verwendung<br />

überkommener ikonographischer Hinweise<br />

neu zu interpretieren sucht.<br />

Elisabeth Fiedler 1989<br />

37 <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong>, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum,<br />

Graz 1980.<br />

38 Eugen Kogon in »Hochland«, in: Karl Wolf, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung,<br />

Landesmuseum Joanneum, Graz 1980.<br />

39 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 23.10.1932.<br />

40 Elisabeth Fiedler, Die Kunst des Bundes Neuland, Graz 1989.<br />

41 Gottfried Boehm, in: Der Maler Max Weiler, Wien 2001, S. 41ff.<br />

42 Berthold Ecker, in: Leopold Birstinger, Wien 2003, S. 13ff.<br />

43 Rudolf Szyszkowitz, hg von Gudrun Danzer und Christa Steinle, Wien 2006, S. 35ff.<br />

Gestaltung war auch Voraussetzung, den einfachen Menschen als Betrachter zu<br />

erreichen, »unmittelbar und unverfälscht« dessen Empfindung für das Kunstwerk<br />

zu wecken.<br />

Die Künstler forderten daher vehement die Einheit von Kunst und Lebenspraxis.<br />

Dies schien ihnen unabdingbare Voraussetzung zum Erfahren und Darstellen der<br />

»inneren Figur«, jener bereits von Karl Sterrer geforderten Bedingung für das<br />

wesenhafte Erfassen der Wirklichkeit im Kunstwerk. Die Radikalität und Kompromisslosigkeit,<br />

mit der sie ein einfaches Leben abseits der Spielregeln der bürgerlichen<br />

Gesellschaft zu verwirklichen suchten, ist in der österreichischen Kunstgeschichte<br />

bis zu dieser Zeit einzigartig. Ihr Bekenntnis zur materiellen Armut entsprang<br />

einem hohen Gefühl sozialer Verantwortung, aus dem heraus sie die<br />

gesellschaftliche Stellung des Künstlers thematisierten. Die künstlerische Produktion<br />

sollte Ausdruck eines bewusst gewählten Lebenskonzeptes sein, nicht den<br />

Bürger erfreuend oder schockierend Lust verschaffende Hervorbringungen wurden<br />

angestrebt, die Kunstäußerung sollte aus dem innerlich Empfundenen und<br />

Geschauten kommen. »Einfachheit, Innigkeit, Innerlichkeit – verpönte Vokabeln<br />

heutzutage –, im Gedenken an dich erstehen sie neu und frisch«, 37 schrieb etwa<br />

<strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> rückblickend auf <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>.<br />

Ja auch die bewusste Wahl der möglichen »gleichgesinnten« Rezipienten war Teil<br />

des Konzeptes einer Erneuerung der Kunst. »Obwohl sich diese Künstler von Zeit<br />

zu Zeit buchstäblich das Brot vom Munde absparen müssen, um das Geld für<br />

Leinwand und Malutensilien zu haben, nehmen sie jedes Bild zehnmal in die<br />

Hände; ehe sie sich entschließen können, es zu verkaufen, und fragen voll Misstrauen,<br />

ob die Käufer zum Bilde passen.« 38 So stellt auch <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> Bedingungen<br />

an die Käufer seiner Bilder: »Wichtig ist, dass die Leute nicht allein durch<br />

Überredungskunst zum Bilderkaufen gebracht werden, sondern dass sie es doch<br />

hauptsächlich aus Idealismus und Liebe tun! … Verkaufen kann ich ein Bild aber<br />

nur an einen ganz besonderen und verständigen Liebhaber! Einige mir sehr wertvolle<br />

Bilder kann ich mitschicken. Sie sind alle vielleicht äußerlich recht unscheinbar,<br />

ich möchte aber doch haben, dass sie nur in würdige und liebevolle Hände<br />

gelangen.« 39<br />

Zur Neuland-Kunst existiert die richtungweisende, zusammenfassende Arbeit Elisabeth<br />

Fiedlers. 40 Aber auch in den Monographien zu Max Weiler, 41 Leopold Birstinger<br />

42 oder Rudolf Szyszkowitz 43 finden sich entsprechende Darstellungen der<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

Sonnenschienalm im Hochschwab,<br />

1937<br />

Bleistift auf Papier, 44 x 30 cm<br />

44 Elisabeth Fiedler: Die Kunst des Bundes Neuland, Graz 1989, S. 200.<br />

45 Aus Novalis, Schriften, im Verein mit Richard Samuel hg. v. Paul Kluckhohn, 4. Bd., 1929, S. 190.<br />

46 Elisabeth Fiedler: Die Kunst des Bundes Neuland, Graz 1989, S. 90.<br />

Neuland-Zeit im Werk dieser Protagonisten. Die gemeinsame Neuland-Zeit wird<br />

dabei im Hinblick auf das Gesamtwerk des Einzelnen zum mehr oder weniger<br />

interessierenden Durchgangsstadium eines jeweils als individuelle Leistung wahrgenommenen<br />

Werkes.<br />

Kann daher überhaupt von einer Neuland-Kunst gesprochen werden? Elisabeth<br />

Fiedler erklärt dazu: »Die genannten Intentionen aller Künstler, die von einer<br />

gemeinsamen geistig-religiösen Grundeinstellung her zu erklären sind, lassen für<br />

die bis 1938 entstandenen Werke die Bezeichnung ›Neulandkunst‹ zu.<br />

Da ihre Darstellungsform des Menschenbildes von den Nationalsozialisten für<br />

deren Zwecke entfremdet wird, kann die Kunst des Bundes nach 1945 keine Ausgangsbasis<br />

einer neuen Kunst darstellen. Gerade deshalb ist es notwendig, ihre<br />

ernst gemeinten Ideale und Vorstellungen von Freundschaft, Treue, Wahrhaftigkeit,<br />

Einfachheit, Allgemeinverständlichkeit und -zugänglichkeit zu betonen, aber<br />

auch die in diesen Idealen liegende Gefahr einer Polarisierung und Unbedingtheit<br />

zu erkennen.« 44<br />

Ist es also berechtigt, in der Neuland-Kunst« mehr als einen Entwicklungsschritt<br />

der beteiligten Künstler zu sehen? Lässt sich diese Neuland-Kunst in spezifischer<br />

Weise von vorangegangenen oder zeitgleichen Strömungen abgrenzen? Und liegt<br />

nicht im radikal konzeptuellen Ansatz der Neuländer etwas die nur ästhetisch<br />

definierten Normen Sprengendes und uns daher gerade heute besonders Interessierendes?<br />

Nicht zuletzt durch den Einfluss Karl Sterrers auf seine Schüler lassen sich im<br />

Beginnen der einzelnen Künstler große Gemeinsamkeiten entdecken. Durch Sterrer<br />

vermittelt, ist vor allem die deutsche Romantik mit ihrer Auffassung von Innerlichkeit<br />

prägend für die frühesten Arbeiten der Neuländer.<br />

Karl Sterrer zitierte oft vor seinen Schülern die Forderung Novalis’: »Der erste<br />

Schritt wird Blick nach Innen, absondernde Beschauung unseres Selbst. Wer hier<br />

stehen bleibt, gerät nur halb. Der zweite Schritt muss wirksamer Blick nach Außen,<br />

selbsttätige, gehaltene Beobachtung der Außenwelt sein«. 45 Der »Blick nach<br />

Außen« solle aus einer inneren Auseinandersetzung kommen, das »Schauen« im<br />

Sinne von Insichgekehrtsein aufgefasst werden. 46<br />

Auch <strong>Albin</strong> Egger Lienz war für die Neuländer ein Vorbild. Aufgrund seiner Naturverbundenheit<br />

und Hochschätzung des Landlebens, aber auch aufgrund seines<br />

Strebens nach der »großen Form« ist er einer der Wegbereiter ihres Verständnisses<br />

von einer durch die existentielle Erfahrung gedeckten Kunst.<br />

Während sich Spuren der Neue Sachlichkeit der zwanziger Jahre in manchen<br />

Momenten akribisch genauer Schilderung im Werk der Künstler vor allem bis 1930<br />

finden, führte die Rezeption des Spätwerks Lovis Corinths ab 1931 bei <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong>,<br />

21


22<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

Familie, Mutter beim Stillen, 1929<br />

Pastell auf Papier, 64 x 57 cm<br />

Rudolf Szyszkowitz und <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

zu einer den Pinselduktus betonenden,<br />

gestischen, auf das großzügige Erfassen<br />

der Formen ausgerichteten Malweise.<br />

Max Weiler hingegen suchte, durch<br />

Karl Sterrer auf die frühe chinesische<br />

Landschaftsmalerei der Sung Dynastie<br />

verwiesen, in seinen Zeichnungen und<br />

Aquarellen eine immer sparsamere<br />

Schilderung von einzeln der Natur verbundenen<br />

Personen.<br />

Rudolf Szyszkowitz, Leopold Birstinger<br />

und <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> setzten sich auf jeweils<br />

eigene Weise mit dem deutschen Expressionismus<br />

auseinander. Die große<br />

deutsche Grafikerin Käthe Kollwitz beeinflusste<br />

Szyszkowitz, aber auch Birstinger<br />

und <strong>Stranig</strong> vor allem in deren<br />

Radierungen; Ernst Barlach wurde für<br />

diese drei Künstler wie auch für den<br />

Bildhauer Alexander Silveri zum gemeinsamen<br />

Vorbild.<br />

Die Neuland-Kunst unterscheidet sich<br />

jedoch in ganz charakteristischer Weise<br />

von vorausgehenden oder zeitgleichen<br />

Strömungen wie Expressionismus oder<br />

Neue Sachlichkeit. Ihr fehlt das outriert<br />

Anklagende, der typische Schrei des<br />

Expressionismus. In der Sozialkritik, vor allem bei Rudolf Szyszkowitz, finden sich<br />

Parallelen zur Neuen Sachlichkeit, und doch lässt sich die aus dem christlichen<br />

Glauben resultierende Hinnahme des Leidens in Hinblick auf die zu erwartende<br />

Erlösung nicht mit dem klassenkämpferischen Impetus, der oft beißenden Ironie<br />

oder der betont kühlen Nüchternheit der Künstler der Neuen Sachlichkeit vergleichen.<br />

Dieser völlig verschiedene Ansatz führt auch zu jeweils ganz unterschiedlichen<br />

Bildlösungen. Die Figuren der Neulandkünstler kommunizieren nicht in auffordernder<br />

Weise mit dem Betrachter, ihr Blick geht meist äußerlich ins Leere, in<br />

Wahrheit nach innen. Dieser Gerichtetheit ins eigene Innere entspricht ein meist<br />

untätiges Stehen, Sitzen oder Liegen. Die dargestellten Personen finden sich eingebettet<br />

in eine undefinierte, symbolisch aufgefasste Natur, die reale städtische<br />

Lebenswelt des Proletariats ist kaum in den Bildern vorhanden. Auch und vor<br />

allem der erniedrigte Mensch, der in seinem Leiden das Leiden Jesu Christi von<br />

neuem durchlebt, behält seine Würde und Größe.<br />

47 <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong>, in: <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, Katalog zur Gedächtnisausstellung, Landesmuseum Joanneum, Graz<br />

1980.<br />

48 Max Weiler, ebd.<br />

49 Karl Wolf, ebd.<br />

Die explizit im Hintergrund wirkende christliche Botschaft unterscheidet die Bilder<br />

der Neuländer auch vom oberflächlich ähnlich Geheimnisvollen, Mythischen<br />

des Magischen Realismus. Die »innere Figur« scheint einer »inneren Sendung«,<br />

einer Gewissheit im Aufgefangensein in der Hand Gottes zu entsprechen. Diese<br />

zugrunde liegende Gewissheit gibt den alltäglichsten Handlungen einen feierlichen<br />

Ernst. Die Nüchternheit und Strenge der formalen Mittel, die »Herbheit« der<br />

Darstellung verhindert dabei ein Abgleiten sowohl ins drohende Pathos wie auch<br />

zur betulichen gefühlsseligen Empfindsamkeit. Die existentielle Geworfenheit<br />

wird zum gemeinsamen Charakteristikum der dargestellten Personen.<br />

Ist nun nicht gerade aus der Zielsetzung der Neuländer, im Einfachen das Besondere<br />

zu suchen, der Blick auf das vorerst so unspektakulär erscheinende Werk<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s zu begründen?<br />

Neben der Zugehörigkeit zur Gruppe der Neuländer sollte ja etwas dem Werk<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s Eigenes, Besonderes die neuerliche Beschäftigung mit seinen Arbeiten<br />

rechtfertigen.<br />

»Sparsam in der Rede, war er in seinen künstlerischen Hervorbringungen jedoch<br />

voller Mitteilung. Was man leichthin als anekdotisch abtun würde, war in Wahrheit<br />

ein Reichtum an innerer Figur, um den ihn jeder Akademiker hätte beneiden<br />

müssen. Was andere in einem langen Leben und Bemühen suchen mussten, hatte<br />

er in sich und stellte es dar aus der Fülle unverbrauchter Jugend und Anschauung«<br />

47 äußerte mit sichtlicher Bewunderung rückblickend <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong>, und Max<br />

Weiler bekannte zur gleichen Zeit: »Ich sah einige Bilder von <strong>Stranig</strong>, Binerl<br />

genannt, die mir gut gefielen. Die Menschen waren symbolisch dargestellt, und auf<br />

einem Bild faszinierten mich Figuren, die wie Statuen am Horizont standen. Ich<br />

verwendete diese Kompositionsweise gleich in einer Zeichnung für die Aufnahmsprüfung.«<br />

48<br />

Die »innere Figur«, der »symbolisch dargestellte Mensch« waren jeweils für <strong>Berg</strong><br />

und Weiler ganz zentrale künstlerische Anliegen, die diese augenscheinlich von<br />

<strong>Stranig</strong> gültig realisiert sahen. Ein größerer Ausdruck der Wertschätzung ist kaum<br />

vorstellbar. Nicht formale Neuerungen, sondern die Wahrhaftigkeit des inwendigen<br />

Erlebens und Darstellens beeindruckten die Malerfreunde <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s.<br />

»<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> ging seinen Weg als Mensch und Künstler unbeirrt von Moden und<br />

bloß hirngeborenen Einfällen. Er beteiligte sich nicht am Wettlauf um neueste<br />

ästhetische Reize, seine Werke aber sind Ausdruck der Hoffnung auf in Redlichkeit<br />

und Einfachheit erneuertes Leben.« 49 Hier liefert der Biograph Karl Wolf eine<br />

prägnante Charakterisierung <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s und fügt ergänzend das Urteil eines<br />

von <strong>Stranig</strong>s Schülern an: »Er war ein klarer, sehr scharfer Zeichner. Er hat sich<br />

23


24<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

Landschaft bei Maria Trost, 1938<br />

Kreide und Bleistift auf Papier, 39 x 49,5 cm<br />

50 Ebd.<br />

51 Karl Stark, 1980, ebd.<br />

52 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 1933.<br />

53 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 3.6.1931.<br />

niemals einem Formalismus ergeben.<br />

Atmosphäre und räumliches Empfinden<br />

sind Kennzeichen seiner grafischen<br />

und farbigen Werke. Er war ein scharfer<br />

Beobachter und ein feinsinniger Portraitist.<br />

Seine spezielle Begabung lag in<br />

der figürlichen Komposition.« 50<br />

»Seine Kopfstudien und Bildnisse sind<br />

hervorragend gebaut und von größter<br />

Ähnlichkeit seiner Zeichnungen.« 51<br />

Bereits mit dem Eintritt <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s<br />

an die Wiener Akademie offenbarte<br />

sich eine hohe zeichnerische Begabung.<br />

Manche der Figuren auf seinen<br />

religiösen Bildern dieser Zeit wirken<br />

wohl etwas verloren in einem sie isoliert<br />

lassenden, weiten Umraum, doch<br />

in den durch kein narrativ-religiöses<br />

Thema gebundenen Darstellungen von<br />

einzelnen oder mehreren Figuren, von<br />

vor sich hinsinnenden, beim Schauen nach außen in sich versunkenen Menschen<br />

wird <strong>Stranig</strong>s Eigenart deutlich. Das legendenhaft Erzählende tritt zuweilen in<br />

manchen der aquarellierten Blätter mit Engels- oder Heiligendarstellungen in den<br />

Vordergrund, die Kritik an seiner »nazarenischen« Gestaltung mag gerechtfertigt<br />

sein – aber wenn er sich von der starr vorgegebenen Legende befreien kann und<br />

den Menschen nur symbolisch im Zusammenhang des allgemeinen Werdens,<br />

Pflanzens und Aufblühens als in Gottes Welt aufgehoben darstellt, gelingen ihm<br />

überzeugende Bildfindungen. Zu erwähnen sind hier die um ein aufblühendes<br />

Bäumchen gruppierten Familienmitglieder in den Frühlings-Pastellen oder die<br />

um ein kleines Lamm versammelten Jugendlichen. Mit der Darstellung von Baum<br />

oder Lamm gelingt es ihm, die unmittelbare Anwesenheit des Evangeliums unter<br />

den Menschen frei aller Gedankenbefrachtung im besten Sinne des Wortes naiv<br />

darzustellen. »Für mich gibt es aber nichts Natürliches, das nicht auch Übernatürlich<br />

wäre«, 52 so charakterisierte der junge Künstler seine Sicht der gesamten<br />

Natur als göttliches Mysterium. Gemäß der Forderung nach Einheit von Kunst<br />

und Lebenspraxis ist dabei immer das durch eigenes Erleben gedeckte und legitimierte<br />

Gestalten Grundvoraussetzung der Bildfindung: »Ich muss nämlich das,<br />

was ich durch ein Bild sagen will, zuerst selbst ganz glauben und leben. Das<br />

braucht Zeit und Ausdauer.« 53<br />

Rudolf Szyszkowitz<br />

St. Radegund im Winter,<br />

um 1938/41<br />

Kaltnadelradierung, Pl. 20 x 25,5 cm<br />

54 Brief <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s vom 16.März1933 an R. Szyszkowitz, ebd.<br />

55 <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> an Rudolf Wolf, 29.6.1930.<br />

In der unvollendet gebliebenen Darstellung einer Familie im Freien von 1929 und<br />

dem thematisch verwandten Bild »Schwermut« von 1930 erreichte <strong>Stranig</strong> eine<br />

beklemmende Eindringlichkeit und Selbstverständlichkeit, gerade wegen des Fehlens<br />

jeglichen sozialkritischen oder religiösen zusätzlichen Inhaltes. »Malen ist ja<br />

so wunderbar, ohne hineingepresste Philosophie. Diese<br />

wirkt nur dann nicht ›verunreinigend‹, wenn sie ganz unabsichtlich<br />

›mit‹ gemalt wird …« 54 »Das jetzige Bild ist ja ganz<br />

ohne Zweck entstanden, ich glaube aber, dass gerade diese<br />

Absichtslosigkeit, dem Bild einen besonderen Wert verleiht.«<br />

55<br />

Aus der Zeit der gemeinsamen Wanderungen mit den<br />

Freunden existieren klare, prägnante Landschaftsdarstellungen.<br />

Auch hier spielen sich nicht Wetterumschwünge oder<br />

Wolkenstimmungen dramatisierend in den Vordergrund,<br />

die gewählten Ausschnitte stehen unspektakulär für ein mit<br />

Melancholie empfundenes Ganzes. Neben Darstellungen<br />

der <strong>Berg</strong>welt der Hohen Tauern oder des Hochschwab-<br />

Gebirges ist es oft die hügelige Innviertler Landschaft, die<br />

Gegend um Kapfenberg oder die Grazer Umgebung, die<br />

<strong>Stranig</strong> in Aquarell und Tempera darstellte.<br />

Anders als in den von Millet und Egger-Lienz ausgehenden,<br />

durch ihre leuchtende Farbigkeit beeindruckenden Frühlingspastellen versuchte<br />

<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> in einzelnen Ölbildern auch eine von düsteren Erdfarben geprägte,<br />

an Egger-Lienz orientierte, monumentalisierende Darstellung der Bauern. Ein<br />

Vorhaben, das man nur als misslungen bezeichnen kann – zuwenig passt das hier<br />

vordergründig Wuchtige, Klobige, Schwere zum einfühlsamen, den verletzlichen<br />

Menschen schildernden und vieles nur andeutend und unausgesprochen belassenden<br />

sonstigen Gestalten <strong>Stranig</strong>s, zum scheinbar stets fragenden und gleichzeitig<br />

auf keine Antwort mehr hoffenden Ausdruck vieler seiner Figuren.<br />

Ab 1932 entstand eine erste Serie von Kinderzeichnungen nach seinem Neffen<br />

<strong>Albin</strong> Brandstetter. Auch andere Kinder aus der Nachbarschaft wurden in Zeichnungen<br />

und Ölbildern immer wieder von <strong>Stranig</strong> dargestellt. Das schutzlose,<br />

schlafende oder fragend in die Welt blickende Kind steht dabei in seiner Unschuld<br />

und Verletzlichkeit stellvertretend für den Menschen in seiner existentiellen<br />

Geworfenheit.<br />

Um 1935/36 datiert eine Folge von Radierungen, die große Ähnlichkeit zu Werken<br />

in derselben Technik von Rudolf Szyszkowitz oder Leopold Birstinger erkennen<br />

lässt. Manchmal scheint <strong>Stranig</strong> geradezu ein gemeinsames Thema zu paraphrasieren.<br />

In der einfachen, zeitlosen Gewandung erinnern die Figuren an Ernst Barlach,<br />

25


<strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

Mitterndorf, 1938<br />

Kreide auf Papier, 39,7 x 50,7 cm<br />

26 56 Brief <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s an Rudolf Szyszkowitz vom 16.März 1933, ebd.<br />

dessen Einfluss auch für die zeitgleichen<br />

Holzschnitte <strong>Stranig</strong>s von großer<br />

Bedeutung ist, wobei es vor allem auch<br />

die Holzschnitte Barlachs sind, die ihn<br />

sehr beeindrucken. Das Empfinden der<br />

eigenen und allgemeinen Not dürfte<br />

<strong>Stranig</strong> zur Darstellung der meist düsteren<br />

Themen gedrängt haben, denen<br />

jedoch im Gegensatz zu vielen Arbeiten<br />

von Szyszkowitz die Sozialkritik fehlt.<br />

Auch das bei Szyszkowitz vorhandene<br />

Gedankengebäude, das eine ganz bestimmte<br />

Deutung als literarische Allegorie<br />

zu fordern scheint, fehlt bei <strong>Albin</strong><br />

<strong>Stranig</strong>. Seine stummen Figuren verweigern<br />

die Mitteilung.<br />

Mit der Übersiedelung nach Graz wendete<br />

sich <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> immer mehr<br />

dem Bereich seiner nächsten Umgebung<br />

zu, sowohl in den Portraitdarstellungen als auch in seinen Landschaften.<br />

Zuvor waren seine Bilder deutlich »malerischer« geworden, die oft akribische<br />

Schilderung einer den Duktus betonenden Pinselschrift gewichen, die ihn in den<br />

Winterbildern wie »Mann, Kind tragend« atmosphärische Effekte der hereinbrechenden<br />

Winternacht eindringlich gestalten ließ. Hier war sicherlich das Beispiel<br />

Rudolf Szyszkowitz’, der sich ab 1931 einem gestischeren Malstil zuwandte, neben<br />

dem großen Vorbild des späten Lovis Corinth wirksam. Auch <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

bewunderte die späten Arbeiten Lovis Corinths und berichtete bereits 1933<br />

begeistert an Rudolf Szyszkowitz: »Als ich im Jänner drei Tage in Wien war, bin<br />

ich stundenlang in der Modernen und in der Galerie des XIX. Jahrhunderts gewesen.<br />

So gierig und mit Genuss habe ich noch nie Bilder betrachtet. Der Corinth<br />

hat mich sozusagen aus dem Häusel gebracht, wie der malt, der löst sich auf beim<br />

Malen!« 56 Auch die Spuren der intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk<br />

Vincent van Goghs finden sich in vielen Ölbildern <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>s aus der Mitte<br />

der dreißiger Jahre. Dabei wird um 1936/37 sein Pinselstrich sogar für kurze Zeit<br />

ausgesprochen heftig, nie verliert sich jedoch der den Darstellungen zugrunde liegende<br />

klare strenge Aufbau.<br />

In den Jahren 1939 und 1940 malte <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> eine größere Zahl von Landschaftsbildern<br />

aus der Grazer Umgebung in Tempera auf Papier, die in leicht<br />

gebrochenen, von Blautönen beherrschten Farben und klar gegliederten Flächen<br />

eine eigene, reduzierte und klare Auffassung der Landschaftsdarstellung vertreten,<br />

wie sie sich ähnlich nach dem Krieg bei <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> findet. Voll innerer Ruhe<br />

zeigen sie – im völligen Gegensatz zu den damals von den Nazis geforderten Strömungen<br />

– eine neue, auf das große Sinnganze hin vereinfachende, flächige Darstellung<br />

der Motive. Man denkt an zeitgleiche Arbeiten Josef Dobrowskys und<br />

selbstverständlich an Rudolf Szyszkowitz, dessen unruhig heftiger Pinselstrich sich<br />

jedoch ganz charakteristisch von <strong>Stranig</strong>s klar bauenden Flächen unterscheidet.<br />

Edvard Munch mit seinen Herbst- oder Winterlandschaften mag hier Vorbild<br />

gewesen sein, aber manchmal auch Henri Matisse, den Karl Sterrer bereits 1931,<br />

nach seiner Amerika-Reise, seinen Schülern nahe brachte. Diese Landschaftsdarstellungen<br />

von 1939 bis 1941 weisen eine große Eigenheit auf, die <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong>, im<br />

Krieg gefallen, nicht mehr weiter entwickeln konnte.<br />

Nach seiner Einberufung zum Militärdienst 1941 nach Dresden fand <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong><br />

immer wieder Zeit für atmosphärische Darstellungen der Stadt und ihrer Umgebung<br />

sowie für prägnante Portraits seiner, oft schlafend beobachteten, Kameraden.<br />

Es sind Zeichnungen, die <strong>Stranig</strong> für sich selbst anfertigte, während seine Auftragsarbeiten,<br />

wie die Ausgestaltung von Kompanieräumen oder Kinosälen mit Wandbildern,<br />

zerstört sind.<br />

Auch aus der Kriegszeit in Frankreich sind viele Arbeiten – Aquarelle und Zeichnungen<br />

aus Belfort und seiner Umgebung – erhalten geblieben. Man merkt diesen<br />

Blättern, obwohl im Auftrag der Stabsstelle entstanden, die Suche nach eigenen<br />

formalen Lösungen an, aufgrund der äußeren beengenden Umstände konnte ein<br />

unbeschwert freies Reifen des Werkes jedoch nicht mehr weiter erfolgen.<br />

Nur bei den Heimurlauben, in den Zeichnungen seiner kleinen Töchter und seiner<br />

Frau fand <strong>Albin</strong> <strong>Stranig</strong> zu letzter Meisterschaft vor seinem allzu frühen Tode.<br />

Mit unheimlicher Plastizität gebaut, von nachvollziehbar größter Ähnlichkeit und<br />

Wahrhaftigkeit, offenbaren diese Darstellungen einen Zeichner auf höchstem<br />

künstlerischem Niveau. Die vordergründige Anspruchslosigkeit des Motivs – des<br />

Künstlers schlafenden Töchter oder seine schlafende Frau – wird aufgrund der<br />

einfühlsamen Gestaltung zur Aussage von allgemeiner Gültigkeit. Es ist, als wollte<br />

der Künstler mit aller Eindringlichkeit festhalten, wovon er durch den Krieg so<br />

rasch wieder entfernt werden sollte – als gelte es, das unsagbar starke und doch so<br />

zerbrechliche und gefährdete Leben des Kindes, der schlafenden Frau der allgemein<br />

wütenden Zerstörung als bleibendes Zeichen für immer entgegenzuhalten.<br />

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