Marzahn! Woran denken Sie, wenn Sie das lesen? Seien Sie ruhig ehrlich. Kein Marzahner ist Ihnen böse, wenn Sie denken: Plattenbau, Plattenbau, Plattenbau. Das Kuriose ist: Beim Ankommen, am S-Bahnhof Marzahn, sehen Sie davon noch nicht viel. Die Bahnlinie führt als Tangente am Bezirk vorbei. Hier und da ein Hochhaus am Horizont, aber sonst: der weite Himmel. Willkommen am Rand vom Rand von Berlin!

Aber keine Sorge: Sie müssen nur ein paar Minuten laufen, um tief einzutauchen in Europas größtes Siedlungsgebiet. Vom S-Bahnhof laufen Sie über die Fußgängerbrücke zum Einkaufscenter Eastgate. Das lassen Sie links liegen und gehen die Marzahner Promenade entlang: eine Fußgängerzone, gesäumt von Bäumen auf der einen und Geschäften auf der anderen Seite. Holen Sie tief Luft. Es stimmt, was Katja Oskamp in ihrem Roman Marzahn, mon amour schreibt: Die Jahreszeiten riechen hier intensiver. Vielleicht, weil in Marzahn der Wind immer einen Zacken schärfer weht als im Rest von Berlin.

Gehen Sie noch ein Stück weiter die Promenade entlang. Bald schießen die Plattenbauten nur so vor Ihnen empor. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Marzahn, müssen Sie bedenken, das war mal die Zukunft. Damals, Ende der Siebziger, als man hier in Rekordzeit Hunderttausend Wohnungen errichtete. Dazu Schulen, Kindergärten, Parks. Eine fast utopische Stadt entstand. Doch der Sozialismus, der hier blühen sollte, ist längst vergangen.

Für den ungeübten Blick sieht das alles sehr trist aus. Versuchen Sie, die Vielfalt im Einheitsbau zu entdecken. Es gibt: 6-Geschosser, 11-Geschosser, 21-Geschosser. Graue und rote, grüne und gelbe Platten. Selbst die Formen unterscheiden sich. Kastenartig, sternförmig; manche Häuser machen sogar einen Bogen.

Alle paar Hundert Meter werden Sie einen Zigarettenverkäufer erblicken. Nach der Wende wurde Marzahn ja vor allem für zwei Dinge bekannt: Nazis und einen Bandenkrieg verfeindeter vietnamesischer Zigarettenschmuggler. Heute hasten keine Reporterteams mehr mit Handkamera durch den Bezirk. Die verbliebenen Nazis treffen sich in einschlägigen Kneipen. Der Zigarettenschwarzmarkt scheint befriedet und irgendwie toleriert. Die Verkäufer haben sich kleine Gestelle gebastelt, auf denen sie die angebotenen Marken drapieren. Die Schachtel Marlboro gibt es derzeit für 2,20 Euro.