Jennifer Wendland liegt auf dem Rücken im Wasser, zwischen dem hellen Blau des Himmels und dem dunklen Blau des Mittelmeers. Sie atmet. Die Anspannung weicht aus ihrem Körper. Gleichzeitig ist sie voll konzentriert, fokussiert auf ihr Ziel: die Tiefe. Einatmen, ausatmen. Ein. Aus. Ein. Dann taucht sie ab. Die Flossen an ihren Füßen biegen sich in sanften Wellen. Wendland schwimmt hinab. Mit einem einzigen Atemzug erreicht sie eine Tiefe von 93 Metern. Weltrekord. Das war 2021, bei einem Wettkampf auf Zypern. Es gibt Videos von diesem Tauchgang.

Wendland gehört zu den besten Apnoe-Taucherinnen – und Tauchern – der Welt. Sie hält Titel in verschiedenen Disziplinen des Freitauchens, also des Tauchens ohne Geräte, ohne Pressluftflasche. In Deutschland kann sie diesen Sport nicht ausüben. Nur wenige Seen sind überhaupt tief genug und die, die es sind, sind zu kalt, zu dunkel und wegen der Strömung zu gefährlich. 

Also reist Wendland ins Ausland, für insgesamt drei Monate, jedes Jahr: Frühjahrstraining im Roten Meer, Sommertraining im Mittelmeer, Wettkämpfe im Herbst, über den Globus verteilt. Dass das Folgen hat, weiß Wendland selbst. "Das ist ein Riesen-CO₂-Impact für ein bisschen Tauchen", sagt sie am Telefon.

Der Tauchsport bedroht die Welt, von der er lebt

Das trifft das Dilemma der Tauchsportindustrie, nicht nur auf Profisportlerniveau, gut: Denn sie bedroht die Welt, von der sie lebt. Um unter den Flossen eines Riesenmantas hindurchzutauchen, um tanzende Seepferdchen zu beobachten oder die Farbe wechselnde Kraken, müssen Menschen aus dem Globalen Norden eine recht weite Reise antreten, nahezu immer mit dem Flugzeug.

Und so, wie sich heute einige Skifahrerinnen fragen, ob sie noch guten Gewissens in ein Wintersportgebiet mit Schneegarantie reisen können, oder Bergsteiger mit den Bedingungen in den Basiscamps hadern, stellen sich einige Taucherinnen und Taucher die Frage, wie das gehen soll: umwelt- und klimafreundlich Tauchen. Oder die Frage, ob es eben gar nicht geht: Jennifer Wendland, für die das Tauchen viel mehr ist als nur ein Hobby, sagt zum Beispiel, sie sei nicht um jeden Preis bereit, weiterzumachen, nicht um jede Tonne CO₂. Im August wird eine WM in Kuba stattfinden. Sie überlegt, nicht hinzureisen.

Es ist weniger ein Nischenphänomen, als man meinen könnte: Die Zahl der Deutschen, die "ab und zu" in ihrer Freizeit tauchen gehen, beläuft sich laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts auf rund 4,5 Millionen. Etwa eine halbe Million Menschen sagen von sich selbst, sie gingen diesem Hobby "häufig" nach. Die wenigsten begnügen sich dabei mit dem Baggersee ums Eck. Der Recreational Scuba Training Council of Europe, ein Zusammenschluss europäischer Tauchsportorganisationen, spricht von europaweit rund 1,16 Millionen aktiven "Tauchurlaubern", die bis zu dreimal pro Jahr verreisen, besonders gern in fünf Regionen: ans Rote Meer, auf die Malediven, nach Südostasien, in die Mittelmeerregion und die Karibik. Fünf Regionen mit einer bunten, schillernden Unterwasserwelt, die von der Klimakrise akut bedroht ist. Und in der die Taucherinnen und Taucher auch unmittelbar ihre Spuren hinterlassen.

Für die bunten Unterwasserwelten, wie hier in Thailand, sind Taucherinnen und Taucher häufig eine Gefahr. © Lillian Suwanrumpha/​AFP/​Getty Images

Der negative Einfluss des Tauchens lässt sich auf mehrere Ebenen herunterbrechen: Lokal geht es um Schäden im und am Wasser. Die Anker von Booten, die Touristinnen an besonders eindrucksvolle Spots bringen, reißen Scharten in die empfindlichen Ökosysteme. Aufgewirbeltes Sediment kann das Wasser trüben und zum Beispiel das Wachstum von Korallen langfristig beeinflussen.

Es kommt vor, dass Urlauber Korallen verletzen oder ganz abbrechen – mutwillig, um sie verbotenerweise als Urlaubsmitbringsel einzupacken, oder unabsichtlich wegen einer verzerrten Optik durch die Taucherbrille und Riesenflossen an den Füßen. Das passiert nicht selten: Studien haben gezeigt, dass 70 bis 90 Prozent aller Taucherinnen und Taucher die Riffe während eines Tauchgangs berühren und oft auch beschädigen. Haben sie eine Kamera dabei, steigt der Prozentsatz noch einmal. Und es gibt Hinweise, dass sich Fische und andere Riffbewohner allein durch die Anwesenheit von Tauchern gestört fühlen und stressbedingt ihr Verhalten ändern.

Regional kommen Probleme wie Überdüngung, Überfischung und Verschmutzung der Strände und Küsten hinzu. Diese Probleme verstärkt der Tauchtourismus zum Teil, wenn auch indirekt: An beliebten Tauchspots entstehen Hotelburgen und Ferienresorts, deren Müll in die Umwelt, deren Abwasser ins Meer gelangt.

Und global ist die Klimakrise eine Gefahr für das Leben im Meer: Weil der Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre steigt, erwärmt sich die Erde, die Ozeane mit ihr – und mit den steigenden Temperaturen und einem abnehmenden pH-Wert sinken für zahlreiche marine Arten die Überlebenschancen.

Korallenriffe sind Kipppunkte des Klimasystems

Deutlich zeigt sich das am Zustand der Korallenriffe. Diese Riffe beheimaten ein Viertel aller Tier- und Pflanzenarten aus den Meeren, nirgendwo im Ozean ist die Biodiversität größer. Doch für diese Ökosysteme ist die Erderwärmung eine tödliche Gefahr: Sollte die durchschnittliche Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um zwei Grad Celsius steigen, überleben voraussichtlich nur ein bis zwei Prozent der Korallen. Weil die Folgen dieses Verlusts für das Leben in den Meeren verheerend wären, gelten Riffe als Kipppunkt im globalen Klimasystem.

Viele Lebewesen aus dem Meer sind auf intakte Riffe angewiesen. © Hiroko Yoshii YiafdaCeeZI/​unsplash.com

Noch ist die Zweigradmarke nicht erreicht. Doch in der Karibik etwa ist schon seit den Siebzigerjahren die Hälfte aller riffbildenden Korallen gestorben. Weltweit gilt mittlerweile nur noch ein Drittel aller Korallenriffe nicht als bedroht. Ungefähr ein Drittel könnte schon innerhalb der kommenden Jahre absterben, unwiederbringlich. Das übrige Drittel stufen Fachleute als stark gefährdet ein – bis zur Mitte des Jahrhunderts könnten auch diese Riffe verschwinden. Und mit ihnen ihre Bewohner. Eine Studie des WWF aus dem Jahr 2020 legte nahe: Die Fischbiomasse in den Meeren wird schrumpfen – je nach Szenario um zwischen fünf bis zwanzig Prozent.

Besonders dramatisch sind die Folgen dieses Fischschwundes für die Menschen, die vom Fischfang leben. Doch sichtbar wird die zunehmende Leere der Meere auch für Taucherinnen und Taucher. Wie Wendland. "Man sieht, wie nach und nach die Meere immer leerer werden", sagt sie. Seit zwölf Jahren taucht sie, seit sechs Jahren auf Leistungsniveau. Diese Zeitspanne genügt, um eine Veränderung wahrzunehmen, sagt sie. Riffe verblassen, Fische verschwinden, nur der Müll wird mehr.