Selbst wenn es gelingt, die weltweite Erwärmung auf 1,5 Grad über der Durchschnittstemperatur der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, wird Forschern zufolge fast die Hälfte aller Gletscher schmelzen. Bis zum Jahr 2100 würden fast 50 Prozent von 215.000 Gletschern in diesem Szenario verschwinden, heißt es in einer im Fachjournal Science veröffentlichten Studie.

Bei den in der Studie berücksichtigten Gletschern geht es um Gebirgsgletscher. Die Eismassen auf Grönland und in der Antarktis gehören hier nicht dazu. Mit seinen Berechnungen bestätigt das internationale Team um David Rounce von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh bisherige Erkenntnisse zum Ausmaß der Gletscherschmelze. Erst im November 2022 warnte die UN-Organisation Unesco, bis 2050 drohe das Verschwinden von einem Drittel jener Gletscher, die zum Welterbe gehören. 

Neu sind an der Studie vor allem die genutzten Berechnungsmethoden. Laut den Autoren lassen sich damit vor allem Schätzungen für die Zukunft verbessern, wann genau wie viel an Gletschermasse verloren geht. Da weltweit viele Menschen von dem Süßwasser aus den Gletschern abhängig sind, ließe sich dadurch die Anpassung an die Folgen des Klimawandels erleichtern.

Sogar vier von fünf Gletschern könnten verschwinden

Gletscher sind große Massen aus Schnee, Firn und Eis, die meist von Bergen langsam in Richtung Tal strömen. Der Studie zufolge steht ihr Schmelzen in linearem Zusammenhang mit dem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg. Bei einem Anstieg um zwei Grad – dem im Pariser Abkommen vereinbarten Ziel für die maximale Erwärmung – könnten knapp 70 Prozent der Gletscher bis zu einer Größe von einem Quadratkilometer verschwinden. Von den Gletschern zwischen einem und zehn Quadratkilometern würden fast 20 Prozent komplett abschmelzen.

Ausgehend von den Klimazusagen der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow im Jahr 2021, auf deren Grundlage ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts prognostiziert wurde, werden Gletscher in vielen Regionen nahezu ganz verschwinden, heißt es in der Studie weiter. Dazu zählten die der europäischen Alpen, die im westlichen Kanada, den USA sowie Neuseeland.   

Bei einem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von vier Grad würden der Studie zufolge 83 Prozent aller Gletscher weltweit bis 2100 verschwinden. Das hätte dramatische Folgen: Das Schmelzen der Gletscher lässt den Meeresspiegel ansteigen. 

"Wir brauchen einen kompletten Wechselkurs"

"Jeder Millimeter mehr Meeresspiegelanstieg führt zu mehr Überschwemmungen an den Küstengebieten, und die Gletscher sind eben einer der Hauptantriebe des Meeresspiegelanstiegs", sagte Fabien Maussion von der Universität Innsbruck, Co-Autor der Studie. "Wir brauchen einen kompletten Wechselkurs, was unsere Emissionen angeht, wir müssen die globalen Emissionen wirklich deutlich stärker reduzieren."

Außerdem seien die Gletscher natürliche Süßwasserspeicher. "Wenn sie weg sind, heißt es zwar nicht, dass wir kein Wasser mehr haben, aber dass das Wasser nicht mehr dann kommt, wenn es benötigt wird – nämlich in trockenen, heißen Sommermonaten", sagte ein weiterer Co-Autor, Matthias Huss von der ETH Zürich. Wenn das Eis weg sei, sei vor allem in Dürrephasen mit Wasserknappheit zu rechnen. "Das ist ein Problem für Bewässerung, Trinkwasser, Warentransport, Fauna und Flora und so weiter", sagte Huss.

Noch ist es der Studie zufolge möglich, die Schmelze durch sofortige und umfassende Klimaschutzmaßnahmen auf globaler Skala mittelfristig zu verlangsamen. "Auch wenn wir die Gletscher nicht so retten können, wie sie aktuell aussehen, bewirkt jedes Zehntelgrad eingesparter Erwärmung einen geringeren Rückgang und damit auch geringere negative Auswirkungen", sagte Huss.

Deutsche Gletscher bis 2050 geschmolzen

Die deutschen Gletscher sind nach Worten von Olaf Eisen, Forscher am Helmholtz-Institut für Polar- und Meeresforschung, allerdings nicht mehr zu retten: "Das Thema ist durch", sagte der Glaziologe. Im vergangenen Jahr sei mit dem Südlichen Schneeferner ein Gletscher weggeschmolzen, somit gebe es in Deutschland nur noch vier Gletscher. "Die wird das gleiche Schicksal ereilen", sagte Eisen.

Wie schnell die Schmelze in Deutschland vorangehe, hänge lediglich von den Temperaturen in den kommenden Wintern ab. "Wenn wir solche Winter kriegen wie 2020 oder 2021, als es im Frühjahr kalt und nass war, dann werden sie vielleicht noch ein Jahrzehnt länger halten, aber die deutschen Gletscher werden 2050 vermutlich nicht erreichen."