Ansichtssache Motorrad- und Autofahrer
Das Leben der anderen

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Auto- und Motorradfahrer - in Deutschland ist das nicht immer eine friedliche Koexistenz. MOTORRAD-Redakteur Stefan Kaschel beschreibt die Sicht der Zweirad-Fraktion.

Motorradfahrer, Stau
Foto: Jörg Künstle

Manchmal muss man auch mal Glück haben im Leben. So wie ich jetzt. Ich darf in einer Autozeitschrift etwas schreiben zum Verhältnis von Auto- und Motorradfahrern. Oder besser zum Missverhältnis. Und was wir Motorradfahrer uns von den Autofahrern wünschen, um dieses Verhältnis zu verbessern. Das ist in etwa so, als dürften Sie in der "Brigitte" als Vorzeige-Mann dem anderen Geschlecht mal in aller Klarheit stecken, was wir uns so in unserer Beziehung wünschen.

Unsere Highlights

Ja, ich weiß, was Sie jetzt denken (sofern Sie ein Mann sind). Und natürlich ist auch hier die Rede vom Verkehr. Aber mit einem kurzen "mehr Sex" ist es leider nicht getan. Die Sache ist komplizierter, und das fängt schon mit der Rollenverteilung an. Denn im Konfliktfall, wenn es hart auf hart geht, sind wir Motorradfahrer zwar das schwache Geschlecht, tun uns höllisch weh, brechen uns die Knochen oder gar das Genick. Aber: Wenn es um Geschwindigkeit geht, um Dynamik, um individuelle Freiheit – dann kehrt sich die Sache um. Dann sind wir eindeutig die Stärkeren.

In Italien, Frankreich, Spanien – da machen sie bereitwillig Platz

Und gerade das ist vermutlich ein Teil des Problems. Jedenfalls aus Motorradfahrersicht. Denn immer dann, wenn wir freie Fahrt haben könnten, stellt Ihr Euch entschieden in den Weg. So wie an der Ampel in der Rush-Hour. In Italien, Frankreich, Spanien – da machen sie bereitwillig Platz, lassen eine Gasse für die Zweiräder, weil die ohnehin weg sind, bevor so mancher Autofahrer seinen Gang eingelegt hat. Ganz anders in Deutschland. Da rücken einige noch näher zur Fahrbahnmitte. Bloß keinen nach vorne lassen – so als müsstet Ihr deshalb länger warten. Stimmt aber nicht. Denn wir verlängern die Schlange ja nicht, sondern fahren nur an ihr vorbei.

Überhaupt basieren viele unserer Schwierigkeiten miteinander vorrangig auf der unzureichenden Kenntnis der anderen Seite. Ein schönes Beispiel: das Beschleunigungsvermögen, egal in welchem Geschwindigkeitsbereich. Denn wir sind nicht nur an der Ampel blitzschnell weg, sondern auch auf der Autobahn ruck, zuck an Euch vorüber. Wenn Ihr uns nur lassen würdet. Einfach mal nach rechts einscheren, wenn der Lastwagen überholt ist, selbst wenn am Horizont ein zweiter auftaucht. Uns reicht ein kurzer Augenblick, dann sind wir vorbei. Nur mal zum Vergleich: Ein modernes Sportmotorrad beschleunigt in gut sieben Sekunden von null auf 200 km/h. Ein Durchschnitts-Porsche braucht dafür locker die doppelte Zeit, eine Kombi-Rakete wie ein BMW 330d fast vier Mal so lang.

Kühlerhaube oder Straßengraben?

Und wenn wir schon beim Tempo sind: Auch in der Stadt, wenn die Ampel auf Grün schaltet, sind wir viel schneller da, als Ihr denkt. Aber bei weitem nicht so wendig, wie unsere schmale Silhouette Euch glauben macht – wenn Ihr also unser Scheinwerferlicht seht, bitte im Zweifel nicht abbiegen. Oder schnell noch aussteigen und dabei die Tür ganz weit aufreißen. Das bringt uns in echte Schwierigkeiten, dann schlagen wir ein. Weil wir mindestens so viel Platz und Zeit zum Ausweichen brauchen wie ein Auto. Und sogar eine deutlich längere Strecke, bis wir stehen.

Oder auf der Landstraße: Während es Euch nach innen zieht, treibt es uns nach außen. Wenn Ihr zu früh einlenkt und die Kurve schneidet, während wir auf unserer Ideallinie unterwegs sind, geht das gewaltig in die Hose. Vor allem für uns, weil nicht nur der Klügere, sondern in der Regel auch der Schwächere nachgibt. Für uns bedeutet das dann: Kühlerhaube oder Straßengraben.

Ach, es gäbe noch so viele andere Dinge. Am besten wäre, Ihr würdet selber mal aufs Motorrad steigen. Dann wüsstet Ihr, wovon ich rede. So wie wir. Denn wir fahren alle Auto und wissen, wie Ihr Euch fühlt. Darum steigen wir ja aufs Motorrad.