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Angst vor Gewalt in OstjerusalemDer Zündler von Sheikh Jarrah

«Parlamentsbüro» im Freien: Israelische Sicherheitskräfte vor dem Zelt des rechtsradikalen Politikers Itamar Ben Gvir.

Auf diesem steinigen und zugemüllten Stückchen Erde macht er nun Politik. Itamar Ben Gvir hat Platz genommen unter einem blauen Zeltdach, auf einem Plastikstuhl vor einem Plastiktisch, mit Blick auf ein ausgebranntes Autowrack. Mitten in Sheikh Jarrah, dem heiss umkämpften Viertel im arabischen Ostteil von Jerusalem, hat er sein Lager aufgeschlagen.

Den blauen Pavillon hat er zum «Parlamentsbüro» erklärt. Er blinzelt in die Sonne, er blickt auf die Szenerie ringsum – auf die Polizisten, auf die Kameraleute, auf die arabischen Nachbarn, die vorsichtig aus ihren Fenstern lugen –, und er könnte zufriedener kaum sein. Denn wenn alles gut läuft für ihn, dann hat er sein Land wieder an den Rand eines Krieges gebracht.

Unter den vielen rechten Abgeordneten in Israels Parlament sticht Itamar Ben Gvir mit seiner Partei namens «Jüdische Stärke» noch stets heraus. Mit seiner Hetze hat der heute 45-Jährige schon die Stimmung angefacht, die 1995 zum Mord an Israels Premierminister Yitzhak Rabin führte. Lautstark propagiert er die Ausweisung «illoyaler» israelischer Araber, und neulich ist er mal in einem Parkhaus auffällig geworden, als er seine Pistole auf einen arabischen Wachmann richtete.

Elf Tage Blutvergiessen

Kurzum, Ben Gvir ist überall da zu finden, wo es Krawall gibt oder anzuzetteln gilt – und in Sheikh Jarrah gibt es dafür einen fruchtbaren Boden. Hier tobt seit vielen Jahren schon ein Streit zwischen den arabischen Einwohnern und jüdischen Siedlergruppen, die sie aus ihren Häusern herausklagen wollen. Juristisch ist das ein hoch kompliziertes Geflecht: Die Häuser stehen auf Grundstücken, die vor Israels Staatsgründung 1948 in jüdischem Besitz waren. Politisch ist das hochexplosiv, denn das Schicksal der von Vertreibung bedrohten Familien von Sheikh Jarrah ist zum Symbol geworden für den Kampf der Palästinenser.

Wie brisant das ist, das weiss die Welt spätestens seit dem Mai 2021. Da war Ben Gvir nämlich schon mal hier, hat schon mal ein Büro eröffnet – und damit seinen Anteil gehabt an der Eskalation, die letztlich zum Krieg um Gaza führte. Die dort herrschende Hamas hatte sich aufgeschwungen zur Verteidigerin von Sheikh Jarrah und Raketen auf Jerusalem gefeuert. Es folgten elf Tage der Zerstörung und des Blutvergiessens.

Handgemenge mit der Polizei

Die Spannungen sind seither nicht weniger geworden in Sheikh Jarrah, und als vorige Woche das Haus der einzigen jüdischen Siedlerfamilie weit und breit offenbar zum Ziel eines Brandanschlags wurde, da tauchte Ben Gvir mit seiner Gefolgschaft auf und kündigte an, nicht eher wieder zu weichen, bis die Siedler genügend Polizeischutz bekämen. Die Folge: nächtliche Strassenschlachten, Polizeieinsätze mit Tränengas und Schlagstöcken, Dutzende Verletzte und Festnahmen.

Bei einer dieser Schlachten geriet auch Ben Gvir in ein Handgemenge mit der Polizei. Auf einem Video ist zu sehen, wie er ohnmächtig zu Boden sinkt. Für eine Nacht kam er ins Spital. Am nächsten Tag aber rückte er wieder ein in Sheikh Jarrah. Unterhalb der Kippa trägt er am Hinterkopf nun ein grosses weisses Pflaster. Man könnte glauben, er trägt es mit Stolz.

«Araber und Juden werden sterben wegen dieses Mannes»: Itamar Ben Gvir wird vom israelischen Aussenminister und von der Regierung in Washington heftig kritisiert. 

Für Itamar Ben Gvir nämlich läuft alles nach Plan, zumal auch die radikalen Gruppierungen aus dem Gazastreifen sogleich eingestiegen sind ins grosse Geschrei. Die Hamas zetert, die Siedler würden in Jerusalem «mit dem Feuer spielen». Der Islamische Jihad verkündet, die palästinensischen Kämpfer seien bereit für eine Neuauflage des Waffengangs vom Mai. Inzwischen hat sogar die Regierung in Washington reagiert und vor einem neuen Krieg gewarnt.

Weltweit also hat Ben Gvir Wellen geschlagen, und er hält weiter Hof in Sheikh Jarrah. Wenn er nicht gerade telefoniert oder Interviews gibt, dann sitzt er mit verschränkten Armen in seinem Freiluftbüro. Zwischendurch springt er auf und geht zu dem von der Polizei zu seinem Schutz errichteten Absperrgitter, um Durchhaltewünsche von herbeigeeilten Anhängern oder auch von Abgeordneten der bis zum letzten Sommer regierenden Likud-Partei entgegenzunehmen.

«Ben Gvir ist nicht hier, um Juden zu schützen, sondern um die Gewalt anzuheizen.»

Israels Aussenminister Yair Lapid

Eine Provokation ist seine Präsenz hier nicht nur für die arabischen Anwohner, sondern auch für Israels Regierung. Denn Ben Gvir weiss sehr genau, dass dieses fragile Acht-Parteien-Bündnis aus rechten, linken und einer arabischen Partei eine militärische Eskalation rund um Gaza kaum überleben könnte. Entsprechend heftig reagiert deshalb Aussenminister Yair Lapid. «Ben Gvir ist nicht hier, um Juden zu schützen, sondern um die Gewalt anzuheizen», schimpft er. «Araber und Juden werden sterben wegen dieses Mannes.»

 «Ich werde nicht gehen»: Fatma Salem hat einen Räumungsbescheid bekommen, noch im März soll sie ihr Zuhause verlassen.

Nur einen Steinwurf entfernt von Ben Gvirs Zelt sitzt Fatma Salem in ihrem Hof unter Wäscheleinen und Weinreben. 74 Jahre alt ist sie, seit siebzig Jahren schon lebt sie hier in diesem Haus, zusammen mit inzwischen 14 Familienmitgliedern. Vor zwei Wochen haben sie einen Räumungsbescheid bekommen, noch im März sollen sie ihr Zuhause verlassen. «Ich werde nicht gehen», sagt Fatma Salem, «da müssen sie mich schon töten.»

Ihr Sohn Ibrahim (38) zeigt die leere Hülle einer Rauchbombe, die bei den nächtlichen Krawallen in ihrem Hof gelandet ist. Fatma Salem zeigt ihre linke Hand, die mit einem weissen Verband versehen ist. Einer aus der Gefolgschaft von Ben Gvir habe ihr ins Gesicht schlagen wollen, sagt sie. Mit der Hand habe sie ihn abgewehrt. Für ein Foto stellt sich Fatma Salem in die Tür, die hinausgeht zu dem schmutzigen Flecken Erde, auf dem nun das Bürozelt steht. Sie hebt die verbundene Hand und zeigt das Siegeszeichen. Im Hintergrund steht Itamar Ben Gvir. Er sieht sie nicht. Er ist gerade sehr beschäftigt.

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