Krieg in NahostWird Erdogan vom verprellten Vermittler nun zum Zündler?
Anne Pollmann, dpa/phi
4.11.2023 - 14:10
Eigentlich hätte Recep Tayyip Erdogan gern den Vermittler im Gaza-Krieg gespielt, doch nun bricht der türkische Präsident mit Israel und nennt Hamas «eine Befreiungsorganisation».
4.11.2023 - 14:10
Anne Pollmann, dpa/phi
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein Kommunikationsbüro scheuen sich dieser Tage nicht vor Verbalattacken gegen Israel
Erdogan nannte die islamistische Hamas «keine Terrororganisation», sondern «eine Befreiungsorganisation».
Als Folge des Gaza-Krieges hat Erdogan den Kontakt zu Netanjahu abgebrochen.
Barbarismus, Kriegsverbrecher, ethnische Säuberungen – der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein Kommunikationsbüro scheuen sich dieser Tage nicht vor Verbalattacken gegen Israel. Nach dem Anschlag auf Israel mit mehr als 1400 Toten nannte Erdogan die islamistische Hamas «keine Terrororganisation», sondern «eine Befreiungsorganisation».
Der Buhmann im Krieg in Nahost steht aus Ankaras Sicht fest. Dabei geht es dem türkischen Staatschef um deutlich mehr als den Ausdruck von Mitgefühl für die derzeit rund 9500 palästinensischen Opfer im Gazastreifen. Im Zuge eines Normalisierungsprozesses war eigentlich geplant, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Anfang November die Türkei besucht.
Als Folge des Gaza-Krieges hat Erdogan jetzt aber den Kontakt zu Netanjahu abgebrochen. «Netanjahu ist für uns keine Art von Gesprächspartner mehr. Wir haben ihn gelöscht, wir haben ihn durchgestrichen», sagte Erdogan laut einer Mitteilung seines Pressebüros. Ankara beabsichtige allerdings nicht, die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen.
Erdogan gibt sich als Verfechter des Islam
Bereits in der Vergangenheit hatte Erdogan Israel aufgrund der Palästinenserpolitik etwa als «terroristischen Staat» bezeichnet und sich immer wieder als Verfechter der palästinensischen Sache inszeniert. Die Israelkritik aus dem Munde des Staatsoberhauptes eines Nato-Mitglieds markiert eine Zäsur: Sie kommen im Anschluss an eine jahrelange mühsam vorangetriebene Wiederannäherung zwischen Israel und der Türkei.
"You are an occupier, an organisation,"
Turkish President Erdogan addresses Israel at the Great Palestine Rally in Istanbul, pointing out the occupation that began in 1948 on Palestinian land pic.twitter.com/J21UYkNjD1
Erst vor etwa einem Jahr wurden Botschafter ausgetauscht. Als Reaktion auf Erdogans kürzliche Erklärung, die Hamas sei keine Terror-, sondern eine Befreiungsorganisation zog Israel seine Diplomaten prompt ab. Die Annäherung, von der auch die Türkei wirtschaftlich zu profitieren hoffte, scheint vorerst Geschichte.
Dabei hätte Erdogan gern gefragter Vermittler sein wollen, ähnlich wie im Ukrainekrieg. Ankara hätte die erforderlichen Kanäle zur Hamas. Erst im Juli dieses Jahres war deren Chef, Ismail Hanija, zu Gast in der Türkei. Die Islamisten sollen zudem in Ankara Büros unterhalten.
Türkei ohne Bedeutung
Doch der Versuch scheint gescheitert. Die Vermittlerrolle haben derzeit Ägypten und Katar inne. «Wenn die Hamas Israel bekämpfen will, wendet sie sich an den Iran. Wenn sie Frieden wollen, wenden sie sich an Ägypten. Wenn es finanzielle Mittel benötigt, wendet es sich an Katar», sagt der Experte Salim Cevik.
Die Türkei habe kaum Bedeutung. Die scharfen Töne Erdogans könnten auch ein Ausdruck von Frust über diesen Ausschluss sein. «Daher sucht er eine andere Position, indem er sich als Beschützer der sunnitischen Muslime präsentiert», sagt Cevik. Erdogan braucht die internationale Bühne. Sein Erfolg bei Wählern baut seit jeher auf sein Image als international mächtiger und gefragter Politiker.
Hinzu kommt, dass der türkische Staatschef mit seiner Kritik auch eine propalästinensische Tendenz in der Bevölkerung bedient. Erdogan befürchte, einen Teil seiner Basis an andere konservative Parteien zu verlieren, die allesamt schärfste Töne gegen Israel anschlagen, sagt Cevik.
Türkische Soldaten nach Gaza?
Der Chef der mitregierenden ultranationalistischen MHP etwa fordert unverhohlen, türkische Soldaten nach Gaza zu schicken. Der islamistische Partner, die Partei Hüda Par, fordert die Schliessung des etwa von der US Air Force genutzten Luftwaffenstützpunktes Incirlik in der Südtürkei.
Erdogan verfügt seit den Wahlen dieses Jahres nur über eine dünne Mehrheit. Die gilt es vor dem Hintergrund der anstehenden Regionalwahlen im März 2024 zu wahren. Erdogans Aussagen stechen hervor. Aus den Golfstaaten etwa kamen mehrheitlich diplomatischere Töne.
Dass der türkische Präsident den Konflikt ernsthaft weiter eskalieren lassen will, ist jedoch mehr als unwahrscheinlich. Immer wieder ruft er auch zu einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen auf. Der Westen scheint den Staatschef des Nato-Landes bisher grossteils zu ignorieren.
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