Junggesellen mit Mission
Przewalski-Pferde in Deutschland

Die Przewalski-Hengste in der "Fränkischen Wüste" sichern die eigene Art – und andere bedrohte Tiere wie Pflanzen. Betreuung: intensiv und auf Distanz.

Wildpferde
Foto: Lisa Rädlein

Es ist heiß. Die Sonne brennt, der Boden ist trocken. Heideartig bewachsene, weite Sandflächen, umsäumt von Wald, soweit das Auge reicht. Wir können kaum glauben, dass wir mitten in Franken sind: im fast 1000 Hektar großen Naturschutzgebiet Tennenloher Forst bei Erlangen.

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Junggesellen mit Mission
Przewalski-Pferde in der Fränkischen Wüste
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Die Przewalski-Hengste in der „Fränkischen Wüste“ sichern die eigene Art – und andere bedrohte Tiere wie Pflanzen. Betreuung: intensiv und auf Distanz.
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Das heutige Wetter ist ein Glücksfall, denn so kommt die Einzigartigkeit der "Fränkischen Wüste", wie das Gebiet auch genannt wird, voll zur Geltung. Hier herrschen besondere Bedingungen, die vielen seltenen Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten. Doch dazu später. Jetzt wollen wir die Przewalskipferde sehen, die hier ganzjährig fast wie in freier Wildbahn leben.

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Der Kugelfangwall des ehemaligen Militärgeländes im Tennenloher Forst bietet einen wunderbaren Ausblick über das Naturschutzgebiet.

Das Projekt war von Anfang an auf Hengste ausgelegt

Um mehr über das Beweidungsprojekt mit Urwildpferden im Tennenloher Forst zu erfahren, treffen wir Gebietsbetreuerin Verena Fröhlich. Sie ist eine der drei Frauen, die sich hauptberuflich um die fünf Przewalskihengste kümmern.

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Das Gelände ist so weitläufig, dass Gebietsbetreuerin Verena Fröhlich die Pferde manchmal mit dem Fernglas suchen muss.

Bei Verena Fröhlich ist der Name Programm: Wenn sie erzählt, merkt man ihr nicht nur ihre gute Laune an, sondern auch, wie sehr sie ihre Arbeit und die Pferde mag. Die Diplom-Biologin weiß unglaublich viel über das Naturschutzgebiet mit seinen Tieren und Pflanzen – und natürlich die Przewalskis.

Wie weit ihr Engagement geht, zeigt auch ihr etwas mitgenommenes Privatauto, mit dem sie alle Fahrten durch den Wald zu den Pferden absolviert. Dafür macht sie den Golf durch Einklemmen eines "Dienstfahrt – Urwildpferde"-Schildes unter dem Heckscheibenwischer kurzerhand zum Einsatzfahrzeug. Wir steigen ein und fahren in den Wald hinein zum rund 100 Hektar großen Gehege innerhalb des Naturschutzgebiets.

Das letzte Stück gehen wir zu Fuß durchs Dickicht am Holzzaun entlang, zu der Stelle, wo die Gebietsbetreuerin ihre Schützlinge zu dieser Tageszeit vermutet. Und sie hat recht: Da stehen Galwan, Quentin und Wolfgang, dösen in der Sonne. Die drei Hengste leben in einem Gehegeabschnitt zusammen, ihre Kollegen Spike und Simon sind in einem anderen Bereich untergebracht. "So ist mehr Ruhe", erklärt Verena Fröhlich.

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Die Hengste Galwan, Quentin und Wolfgang (v. li.) bilden eine der beiden Junggesellengruppen im Beweidungsprojekt Naturschutzgebiet Tennenloher Forst.

Diese Haltung ist vollkommen natürlich: In der Natur schließen sich Hengste ohne eigenen "Harem" zu Junggesellengruppen zusammen. Das Beweidungsprojekt im Tennenloher Forst war von Anfang an auf Hengsthaltung ausgelegt: "Die Hengste müssen irgendwo hin, wenn sie auf die Welt kommen. In den Zoos können sie oft nicht bleiben. Hier sind sie gut aufgehoben, bis sie eventuell einmal in andere Semi-Reservate oder Tiergärten umziehen", erläutert Fröhlich.

Welches Tier wo lebt und eventuell für Nachwuchs sorgt, koordiniert das Europäische Erhaltungszuchtprogramm für das Przewalskipferd (siehe Abschnitt EEP), in dem die fünf Hengste verzeichnet sind. So wird eine gesunde und inzestfreie Population des Przewalskipferds erhalten.

Es gelten strenge Vorgaben für die Betreuung der Pferde

Wie wertvoll die Przewalskis sind, zeigen die strengen Vorgaben des EEP für die Betreuung der Tiere. Hauptamtlich sind Fröhlich und ihre beiden Kolleginnen dafür zuständig, unterstützt werden sie von zwei ehrenamtlichen Helfern. Täglich kontrollieren sie den Gesundheitszustand der Pferde. Dafür dürfen die Gebietsbetreuerinnen das eingezäunte Gelände betreten.

Handlungen wie Halftern oder Hufe aufnehmen sind jedoch tabu – das haben die Pferde nie gelernt: "Przewalskis sind Wildtiere, ähnlich einem Zebra", erklärt die Biologin. "Wir kommunizieren über Körpersprache, bleiben jedoch insgesamt distanziert. Die Hengste sollen sich nicht zu sehr an die Menschen gewöhnen." Ihre Betreuerinnen kennen die Tiere jedoch, was wir daran sehen, dass sie jetzt vertrauensvoll an den Zaun kommen. "Bei Fremden machen sie das nicht", sagt Fröhlich.

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Die Hengste leben ihr Rangordnungsverhalten auf ganz natürliche Weise aus.

Ist alles okay, reicht diese Art der Kontrolle. Intensivere Untersuchungen oder Behandlungen können nur in Narkose erfolgen. Die wird per Gewehr oder Blasrohr verabreicht. "Dann machen wir gleich das ganze Programm mit Zahn- und Hufkontrolle, Blutabnahme usw.", erklärt Verena Fröhlich. Die medizinische Versorgung der Pferde, die dem Tiergarten Nürnberg und dem Münchner Tierpark Hellabrunn gehören, leisten die Zootierärzte. Übrigens sind die Hengste geimpft und werden regelmäßig entwurmt.

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Kurze Zeit später ist die Harmonie wiederhergestellt.

Auch in Sachen Fütterung sind die Tiere nicht komplett sich selbst überlassen. Fröhlich: "Aus den Blutproben wissen wir, dass sie wegen der mineralarmen Sandböden zu Selen- und Vitamin E-Mangel neigen." Dreimal wöchentlich gibt’s daher ein Mineralbrikett. Wenn nötig, wird im Winter Heu zugefüttert. Maßstab ist der Fütterungszustand des schwächsten Tiers. Wasser ist dank natürlicher Quellen und einer grundwassergespeisten Tränke selbst bei Minusgraden immer vorhanden.

Statt Panzern pflügen jetzt die Pferde den Boden um

Bei allem, was Verena Fröhlich erzählt und dem Einsatz, den wir spüren, glauben wir, dass ein Vorfall wie der der verhungerten Koniks Anfang des Jahres in Schleswig-Holstein hier nicht möglich wäre: "Wir, die Zoos und das EEP haben ein hohes Interesse daran, dass es den Pferden gut geht", sagt sie. "Wir stehen in ständigem Kontakt mit den Zoos und schicken jeden Monat Fotos von den Pferden", erzählt sie. "Wenn es ein Problem gibt, bekommen wir sofort Hilfe."

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Die Przewalskipferde erhalten wertvolle Sandheideflächen als Lebensraum für bedrohte Tiere und Pflanzen.

Neben der Sicherung des Urwildpferdebestands hatten die Przewalskis hier von Anfang an einen zweiten wichtigen Auftrag: Durch Grasen und Scharren erhalten sie die trockenen, offenen Sandflächen – einen Lebensraum, der immer seltener wird. Im Tennenloher Forst ist er durch militärische Übungen entstanden: Bis 1992 pflügten Panzer der US-Army den Boden um.

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Die Distelblüten im Tennenloher Forst sind für die Pferde eine Delikatesse.

"Hätte man diese Flächen danach sich selbst überlassen, wären sie schnell mit Sträuchern und Gehölzen zugewachsen und damit als Lebensraum für seltene Arten wie Sandlaufkäfer, Heidelerche und Schlingnatter verloren", sagt die Biologin.

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Die Beweidung sorgt dafür, dass sich das Landreitgras nicht ausbereitet und seltene Pflanzen verdrängt.

Um dieses wertvolle Ökosystem zu erhalten, initiierte der Landschaftspflegeverband Mittelfranken e.V. 2003 das Beweidungsprojekt. Seit 2010 befindet sich das Gebiet als "Nationales Naturerbe" im Besitz der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Ein Glücksfall in mehrfacher Hinsicht: Von den positiven Auswirkungen des Projekts für den Erhalt der Przewalskipferde und vieler anderer bedrohter Arten hat Verena Fröhlich uns heute auf ganzer Linie überzeugt.

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Günter Weisbach, der mit seiner Frau ehrenamtlich nach den Pferden sieht, gibt Verena Fröhlich ein kurzes Update.

Europäisches Erhaltungsprogramm (EEP)

Die EEPs des europäischen Zooverbands EAZA haben das Ziel, vom Aussterben bedrohte Arten durch gezielte Zucht in einer gesunden Population in Zoos zu erhalten und ggf. wieder auszuwildern. Eines der ersten EEPs war das für das Przewalskipferd, das seit 1970 in freier Wildbahn als ausgestorben galt. Das Zuchtbuch wird in Prag geführt. Hier sind rund 700 Tieren verzeichnet, die in Europa in rund 70 Zoos und Semi-Reservaten wie dem Tennenloher Forst leben. Weitere Beweidungsprojekte gibt es in Deutschland in Augsburg, Babenhausen, der Döberitzer Heide, Gießen, Hanau, Liebenthal und Schweinheim.

Infos für Besucher des Gebiets

Das Naturschutzgebiet Tennenloher Forst ist für Besucher frei zugänglich, allerdings dürfen sie die Wege nicht verlassen. Hunde müssen an der Leine geführt werden.

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Lisa Rädlein

Vom Zaun oder den erhöhten Aussichtspunkten aus auf dem Kugelfangwall hat man gute Chancen, die Pferde in dem weitläufigen Gelände zu Gesicht zu bekommen. Es finden öffentliche und ab 15 Personen auch private Führungen statt. Kontakt und weitere Informationen unter: www.wildpferde-tennenlohe.de sowie auf Facebook und Instagram unter "Wildpferde Tennenlohe".