Artbildung bei Stabheuschrecken «nachvollzogen»

Möglicherweise sind zumindest einige Aspekte der Evolution tatsächlich wiederhol- und somit vorhersehbar. Darauf deuten Untersuchungen mit Stabheuschrecken hin.

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Eine Stabheuschrecke auf ihrer Futterpflanze. (Bild: Moritz Muschick)

Eine Stabheuschrecke auf ihrer Futterpflanze. (Bild: Moritz Muschick)

Katharina Dellai-Schöbi ⋅ Heute leben gemäss Schätzungen von Experten zwischen 3 und 100 Millionen Arten auf der Erde. Die grundlegenden Mechanismen, die zur Entstehung dieser Vielfalt führten, sind Evolutionsbiologen bekannt. Unbeantwortet ist bis jetzt aber die Frage, ob sich die Arten wieder genau so entwickeln würden, würde man das Rad der Zeit zurückdrehen. Ein internationales Forscherteam vermutet nun aufgrund seiner Untersuchungen mit Stabheuschrecken, dass zumindest einige Aspekte der Evolution tatsächlich wiederholbar und somit vorhersehbar sein dürften.¹

Neue Arten entstehen, wenn sogenannte Fortpflanzungsbarrieren verhindern, dass sich zwei Populationen einer Art miteinander kreuzen. Zu diesen Barrieren gehört unter anderem die Nutzung unterschiedlicher Nahrungsquellen. So existieren etwa von der kalifornischen Stabheuschrecke Timema cristinae zwei Formen. Diese sogenannten Ökotypen leben auf zwei verschiedenen Pflanzenarten, von denen eine breite, die andere schmale, nadelartige Blätter hat. Die Stabheuschrecken haben neben ihren Kauwerkzeugen auch ihre Körperfärbung – und somit die Tarnung – an diese Pflanzen angepasst: Ein Ökotypus ist komplett grün und somit auf den breiten grünen Blättern kaum zu sehen, der andere hat in der Mitte des Rückens einen weissen Streifen und imitiert so die Nadeln seiner Futterpflanze.

Die beiden Ökotypen können sich zwar noch miteinander fortpflanzen, doch die Nachkommen dieser Paare sind an keine der beiden Futterpflanzen mehr optimal angepasst. T. cristinae befindet sich laut den Forschern daher in einem frühen Stadium der Artbildung. Welche genetischen Veränderungen diesem Spaltungsprozess zugrunde liegen, ob sie wiederholbar sind und wo im Erbgut sie liegen, war bisher unklar. Doch nun haben die Forscher im Erbgut der Insekten bestimmte Regionen ausgemacht, in denen sich die beiden Ökotypen voneinander unterscheiden.

Um zu testen, ob die Entwicklung der beiden Typen wieder auf dieselbe Weise ablaufen würde, setzten die Wissenschafter 2000 Individuen eines Ökotypus auf der «falschen» Futterpflanze aus. Wie sich zeigte, hatten sich die Stabheuschrecken bereits in der nächsten Generation zumindest teilweise an die neue Umwelt angepasst. Denn die Untersuchung der insgesamt nur 418 Nachkommen der ausgesetzten Tiere ergab, dass in den besagten Regionen des Erbgutes Veränderungen stattgefunden hatten, die für das Leben auf der neuen Futterpflanze entscheidend sind. So waren etwa Gene betroffen, die für die Aufnahme von Metallen wichtig sind und dadurch sowohl die Färbung der Tiere als auch die Anatomie der Kauwerkzeuge beeinflussen. Dies deutet laut den Forschern darauf hin, dass die Evolution unter ähnlichen Umweltbedingungen jeweils ähnlichen Mustern folgt.

¹ Science 344, 738–742 (2014).